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Katharina Will: Stiftungen und Reformation (Leseprobe)

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

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92 II. Die Transformation des Stiftungswesens<br />

kaiserlichen Recht. 157 Bucer begründete seine Thesen jedoch ausführlicher als im<br />

zuvor dargestellten Gutachten. Die Schlussfolgerung entsprach diesem wieder:<br />

Die Kirchengüter dürften der Kirche nicht entzogen, sondern sollten für den<br />

Unterhalt von Kirchen <strong>und</strong> Schulen, für die Sozialhilfe <strong>und</strong> – falls die Mittel dafür<br />

ausreichten – für dieKirchengebäude verwendet werden. 158 Geistliche, die ihren<br />

Aufgaben nicht nachkämen, sollten nicht länger entlohnt werden. Genauso wenig<br />

sollten die Kirchengüter für Bräuche, die auf dem »Aberglauben« beruhen würden,<br />

sich den Himmel erkaufen zu können, ausgegeben werden – eine klare<br />

Positionierung gegen mittelalterliche Messstiftungen. 159 Bucer sah die Obrigkeit<br />

in der Verantwortung für den rechten Gebrauch der Kirchengüter. In einem<br />

weiteren Gutachten hob Bucer besonders das Recht <strong>und</strong> die Pflicht der Reichsstädte<br />

hervor, die Kirchengüter zu erhalten. 160<br />

Unter vielen reformatorischen Theologen herrschte also Konsens darüber,<br />

dass die mittelalterlichen Messstiftungen zu beenden <strong>und</strong> deren Zinsen für die<br />

Verbreitung des rechten Glaubens sowie die Versorgung der Bedürftigen einzusetzen<br />

seien.<br />

Eine übergreifende politische Entscheidung in Form eines allgemein geltenden<br />

Beschlusses oder Gesetzes blieb aus. 161 Deshalb blieb es den einzelnen<br />

Ständen auch weiterhin überlassen, einen Umgang mit den mittelalterlichen<br />

<strong>Stiftungen</strong> zu finden.<br />

So musste auch die Reichsstadt Ulm eigene Lösungen entwickeln. Ihre<br />

Voraussetzungen – politische wie kirchliche – unterschieden sich von denjenigen<br />

in Nürnberg, kannten jedoch auch Gemeinsamkeiten. WieinNürnberg war »das<br />

desleven verfasste. Darin wies Bucer eindringlich auf die Notwendigkeit eines nationalen<br />

Konzils hin. Außerdem erklärte er sich bereit, verarmten Stifterfamilien mit den Stiftungsgeldern<br />

auszuhelfen (Bucer, Schriften zu Kirchengütern, 285–494, bes. 292; vgl. Seebaß,<br />

Beitrag, 175–177; Roth, Kirchengüterfrage, 310–312; Stupperich, Bucer, 170–172). Weitere<br />

Schriften Bucers zur Kirchengüterfrage in: Bucer, Schriften zu Kirchengütern.<br />

157<br />

Vgl. Seebaß, Beitrag, 168–171.<br />

158<br />

Die Umsetzung dieser Überlegung in praktische Maßnahmen, wie etwa den Aufbau eines<br />

Fürsorgewesens, sah Bucer nicht als seine Aufgabe an (vgl. Andreas Gäumann, Reich Christi<br />

<strong>und</strong> Obrigkeit. Eine Studie zum reformatorischen Denken <strong>und</strong> Handeln Martin Bucers, Bern<br />

2001, 306 f.).<br />

159<br />

Nach Ansicht Bucers könne sich das Reich Christi nicht unter einem falschen Gottesdienst<br />

– gemeint war die Messe – ausbreiten. Ein falscher Gottesdienst widerspräche der<br />

Überzeugung, die Seligkeit beruhe auf Jesu TodamKreuz <strong>und</strong> der Gnade Gottes. Er sei mit der<br />

Ehre Gottes unvereinbar (vgl. Gäumann, Reich, 315f.).<br />

160<br />

Bucer, Schriften zu Kirchengütern, 203 f.<br />

161<br />

1540 hatte man sich auf dem TaginSchmalkalden zwar darauf verständigt, Kirchengüter<br />

zugunsten von Kirchendienern, Schulen <strong>und</strong> Bedürftigen verwenden zu wollen, der Abschied<br />

erlangte jedoch keine übergreifende Gültigkeit (vgl. Roth, Kirchengüterfrage, 301f., darin<br />

auch der entsprechende Ausschnitt aus dem Abschied).

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