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Heinrich Bedford-Strohm | Peter Bubmann | Hans-Ulrich Dallmann | Torsten Meireis (Hrsg.): Kritische Öffentliche Theologie (Leseprobe)

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

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Kirche –gesellschaftskritische Instanz oder Moralagentur? 49<br />

sentlicher Teil der Erklärung in der Geschichte der antiken Imperien. Schon die<br />

Diadochenreiche, in die Alexanders Imperium zerfallen war, vor allem aber das<br />

römische Imperium hatten – so stellte Troeltsch fest – zur »Zertrümmerung der<br />

alten Nationalreligionen und der alten festgewachsenen Volksverhältnisse« geführt<br />

(Troeltsch, 2014: 781). Ohne diese aber musste sich eine doppelte Tendenz<br />

ergeben: hin zum Individuum einerseits, zum Universalismus jenseits der Partikularitäten<br />

von Volk und Staat andererseits. »Das Weltreich verlangte nach<br />

einer Weltreligion undlenkte, indem es die Güter der alten Zivilisation zerstörte,<br />

den Blick auf das Überweltliche und Jenseitige.« (Ebd.) Transzendenzvorstellungen<br />

und moralischer Universalismusgewannen damit an Anziehungskraft –<br />

in allen Schichten. Inder Oberschicht konnten die so entstandenen Bedürfnisse<br />

zum Beispiel durch die stoische Philosophie befriedigt werden; für die Unterschicht<br />

aber brauchte es anderes als Philosophie, nämlich einen neuen Kultus<br />

und eine neue religiöse Organisation jenseits von Ethnizität und archaischer<br />

Staatlichkeit. Das Christentum konnte diese bieten und dabei auch schrittweise<br />

die philosophischen Impulse in seine Lehre integrieren.<br />

Das neu entstehende christliche Ethos war eben gerade nicht bloß Ausdruck<br />

des Ressentiments der Schwachen oder utopischer Erlösungshoffnungen einer<br />

Klasse, wie Nietzscheaner oder Marxisten es nahelegten, sondern löste sich von<br />

allen vorgefundenen soziologischen Gliederungen. Für diese Sicht findet sich<br />

bei Troeltsch neuerdings ein weiterer wichtiger Beleg. Bis zu seinem frühen Tod<br />

trug er in das Handexemplar seines großen Werkes über »Die Soziallehren der<br />

christlichen Kirchen und Gruppen« immer wieder umfangreiche Ergänzungen<br />

ein, die er bei einer späteren Neuauflage berücksichtigen wollte. Am Ende des<br />

Kapitels zum Evangelium, das heißt vor dem Übergang zu Paulus, findet sich<br />

unter diesen neuen Einschüben die wohl klarste Darstellung dieser genialischen<br />

Einsicht in direkter neuerlicher Konfrontation mit Nietzsche. Bei der Entstehung<br />

des Christentums sei es gerade um die Lösung von Klassenbedingtheit,<br />

»von der Polis, vom Imperium« gegangen, um »die Entdeckung des Menschen<br />

und der Menschheit« (Troeltsch, 2021: 243). »Das Entscheidende dabei ist« – so<br />

Troeltsch – »dass dieses neue Ethos« – und er erkannte, dass es sich eben um ein<br />

neues Ethos handelt –<br />

»ein von den natürlichen soziologischen Gliederungen lösendes, ein menschheitliches<br />

ist und dementsprechend nicht in den naturgegebenen Gliederungen, sondern in<br />

der allumfassenden monotheistischen Idee des Absolut-Guten verankert ist. Es steckt<br />

in diesen Ideen keine nationale und keine Klassenbedingtheit, sie sind absolute<br />

Forderungen an das Individuum und an die Menschheit, sie bedeuten den unendlichen<br />

Wert der Seele und die Geistesgemeinschaft der Menschheit als erst in Erkenntnis<br />

oder Glaube zu erwerbende und zu schaffende höchste Güter, hinter denen<br />

alle anderen als bloß irdische verschwinden.« (A. a.O., 242f.).

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