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Heinrich Bedford-Strohm | Peter Bubmann | Hans-Ulrich Dallmann | Torsten Meireis (Hrsg.): Kritische Öffentliche Theologie (Leseprobe)

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

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Grenzgänger 57<br />

»<strong>Theologie</strong> der Befreiung« (Huber, 2012: 22) folgt. Die Freiheit des (Gott allein<br />

verantwortlichen) Gewissens wird in seinem Denken zu einer Verpflichtung,<br />

»sich seiner freien Vernunft und seines unbefangenen Verstandes zu bedienen«<br />

(a. a.O., 23). Zugleich aber soll die christliche Freiheit den Sinn erfüllen, »den<br />

Ketten der Sünde« (a. a. O., 31) und der Selbstsucht zu entkommen; sie ist eine<br />

»Freiheit zum Gotteslob« (a. a. O., 42). Sie als Geschenk zu erkennen, bedarf des<br />

rechten Glaubens,und sie soll in diesem Geiste gelebt werden; sie ist eineFreiheit<br />

zur Wahrheit.<br />

Das heißt, dass die Einsicht in die Würde aller Menschen, welchen Glaubens<br />

sie auch sind, sich erst vollständig erschließt, wenn man versteht, dass es »allein<br />

Gott ist«, der »jedem Menschen durch den Glauben an Christus Freiheit<br />

und Würde zuspricht« (a.a. O., 33). Oder wie es in einem späteren Werk heißt:<br />

»Der christliche Glaube schließt die Überzeugung ein, dass alle Menschen zum<br />

Ebenbild Gottes geschaffen sind und ihnen, wie man seit der Renaissance sagt,<br />

deshalb die gleiche Würde zukommt. Diese Überzeugung begründet eine Achtung<br />

gegenüber jedem Menschen, die von Glaubensunterschieden unabhängig<br />

ist.« (Huber, 2013: 222) Hier kommt die oben erwähnte Spannung inmitten des<br />

Würdebegriffs, der streng universalistisch angelegt ist, zum Tragen. Denn zwar<br />

gilt dem Gläubigen, der diese Überzeugung hat, jeder Mensch als »gleich unmittelbar<br />

zu Gott« (Huber, 2012: 33), aber um diese Einsicht in die universale<br />

moralische Geltung zu haben, bedarf es dieses spezifischen Glaubens und Gottesverständnisses.<br />

Diejenigen, denen dieser Glaube fehlt, sind dann sozusagen<br />

»anonyme« moralisch Handelnde (wenn die Anspielung auf Rahner erlaubt ist),<br />

die auf anderen Wegen zu einem Verständnis von Würde gekommen sind, das<br />

aber dessen tiefere Wahrheit nicht kennt bzw. nicht auszuschöpfen vermag.<br />

Anders gesagt, führt diese Deutung des christlichenGlaubens, sofern sie das<br />

Handeln leitet,zueiner »Religion der Aufklärung und der Vernunft« (a. a. O., 46),<br />

weil die kommunikative Freiheit nurindialogischer Nächstenliebe gelebt werden<br />

kann. Aber zugleich kommt bei dieser Deutung die Wucht des Luther’schen<br />

Bekenntnisses zum Tragen, ein der Gnade bedürftiges Wesen zu sein, das sich<br />

nicht durch seine Werke rechtfertigen kann. Die Vernunft muss folglich an diese<br />

Glaubenswahrheit rückgebunden werden, um nicht der Selbstsucht und dem<br />

egoistischen, eigennützigen Denken zu verfallen: »Für den christlichen Glauben<br />

aber ist Freiheit nicht Selbstverfügung, nicht Selbstbesitz, sondern die dem<br />

Kommen Gottes verdankte Identität und damit eineradikale Unverfügbarkeit der<br />

menschlichen Person […].« (A. a. O., 64)<br />

Es bleibt eine der großen Leistungen und weiter zu erforschenden Geheimnisse<br />

des lutherischen Glaubens, wie mit dem Gedanken der radikalen Unwürdigkeit<br />

eigener »Leistungen« der Gedanke der gleichen Würde und Unverfügbarkeit<br />

aller verknüpft werden konnte, die Wolfgang Huber hier hervorhebt.<br />

Und ich will auch nicht auf die komplexen Verbindungen und Widersprüche<br />

zwischen einem solchen lutherischen und einem humanistischen Freiheitsver-

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