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Heinrich Bedford-Strohm | Peter Bubmann | Hans-Ulrich Dallmann | Torsten Meireis (Hrsg.): Kritische Öffentliche Theologie (Leseprobe)

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

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50 <strong>Hans</strong> Joas<br />

Das scheint mir eine klare Formulierung dessen, was ich mit der historischen<br />

Entstehung des moralischen Universalismus inVerbindung mit der Entstehung<br />

von Vorstellungen über Transzendenz meine. Troeltsch nennt auch keineswegs<br />

nur das Evangelium an dieser Stelle als Ausdruck der »neuen Idealbildung«<br />

(a. a.O., 243), sondern auch »das platonische Ideal der von Vernunft und Erkenntnis<br />

geleiteten Gesellschaft und dann das stoische Ideal der auf die Würde<br />

des Geistes begründeten Reformpolis«. Wiedieses neue Ideal bewertet wird, ob es<br />

als hohes Ideal anerkannt, vielleicht sogar als unübertrefflich aufgefasst wird,<br />

oder ob es in Nietzsches Art als »Vernichtung der aristokratischen Herrlichkeit<br />

durch plebejische Massenverherrlichung«, als »Auflösung einer ästhetisch-intellektuellen<br />

Höhenkultur durch eine lediglich ethisch-religiöse Phantastik der<br />

Geistig-Armen« undals »Vernichtung der Natur durch einen phantastischenund<br />

blutlosen Idealismus« abzulehnen oder zu verdammen sei – das ist keine Frage,<br />

die von der Geschichtswissenschaft mit ihren Mitteln zu entscheiden ist (ebd.).<br />

Da aber nichts Menschliches in der Luftschweben kann, bedeuteteeben die<br />

Loslösung des moralischen Universalismus von allen existierenden Sozialformen<br />

die Notwendigkeit der Schaffung neuer Sozialformen. Das ist die Logik, die zur<br />

Entstehung der Sozialform Kirche führte. Philosophenvereine und -schulen, die<br />

den Platonismus oder Stoizismus pflegten, konnten den Bedürfnissen der Unterschichten<br />

gewiss nicht genügen. Das ist wiederum der wahre Kern von<br />

Nietzsches bekannter Bemerkung in der Vorrede zu seiner Schrift »Jenseits von<br />

Gut und Böse«, das Christentum sei »Platonismus fürs ›Volk‹«. Es ist selbstverständlich,<br />

dass diese neue und potentiell universalistische Sozialform »Kirche«<br />

von bestimmten Klassen mehr als von anderen in Beschlag genommen werden<br />

wird, von bestimmten Staaten und Zivilisationen auch, von denen sie sich aber<br />

immer wieder auch lösen und absetzen kann. Der Idee nach, aber selbstverständlich<br />

den Anspruch in der Wirklichkeit nicht völlig verwirklichend, ist die<br />

christliche Kirche »der erste großeVersuch einer davon [das heißt von Staat und<br />

Klassen, H. J.] unabhängigen und dann selbständig erfolgenden Gemeinschaftsbildung<br />

der Idee« (ebd.). Das ist Troeltschs produktiver Ausgangspunkt<br />

für eine Soziologie der Kirche.<br />

Dieser Zusatz Troeltschs für die geplante Neuausgabe seiner »Soziallehren«<br />

ist vielleichtder klarste Beleg für seine Einsicht in die Zusammenhänge von<br />

moralischem Universalismus und dem, was ich politischen Universalismus<br />

nenne,d.h.dem Weltherrschaftsanspruch von Imperien. Sensibilisiert von dieser<br />

Stelle kann man wahrnehmen, dass Troeltsch sich in all den Arbeiten, in denen er<br />

die Frage nach dem Christentum als bisher höchster oder für alle Zeit unübertrefflicher<br />

Stufe der Religionsentwicklung erörtert, besonders für diejenigen<br />

Religionen interessierte, die er als »Erlösungs-« oder eben als »Universalreligionen«<br />

klassifizierte. Seine Begriffsverwendung ist dabei nicht ganz klar, aber<br />

deutlich wird, dass Universalreligionen nicht solche Religionen sind, die sich auf<br />

dem ganzen Globus finden – das könnte ja einfach die Folge von Migrations-

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