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Heinrich Bedford-Strohm | Peter Bubmann | Hans-Ulrich Dallmann | Torsten Meireis (Hrsg.): Kritische Öffentliche Theologie (Leseprobe)

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

Das Programm der Öffentlichen Theologie ist in unterschiedlichen internationalen Kontexten auf je eigene Weise entstanden und lässt sich als Diskursformat verstehen, das auf eine veränderte Öffentlichkeit reagiert und mittlerweile im Global Network for Public Theology zu einer eigenen akademischen Gestalt gefunden hat. Da diese Geschichte nicht nur im deutschsprachigen Kontext ohne Wolfgang Hubers Einfluss nicht nachvollzogen werden kann, ist es sinnvoll und angemessen, ihm einen Band zu widmen, der die Begründung und Weiterentwicklung der von ihm angestoßenen kritischen Spielart Öffentlicher Theologie zum Thema hat.

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Kirche –gesellschaftskritische<br />

Instanz oder Moralagentur?<br />

<strong>Hans</strong> Joas<br />

Die Schwierigkeit, der »Kirche« aus sozialwissenschaftlicher Perspektive gerecht<br />

zu werden,ergibt sich aus einem doppelten Balanceakt.Die Kirche hat einerseits<br />

für diejenigen Menschen, die in und mit ihr aufgewachsen sind, etwas für die<br />

eigene Persönlichkeit und Selbstwerdung Konstitutives, und das gilt trotz aller<br />

Vorwürfe und Kritik, die man gegenüber der Institution haben mag. Das hat<br />

unser Verhältnis zur Kirche gemeinsam mit unserem Verhältnis zuunseren<br />

Eltern, Großeltern und Geschwistern, und insofern ähnelt dieses auch dem unserer<br />

Zugehörigkeit zu einem Volk oder einem Staat. In der katholischen Tradition<br />

reden wir sogar gernevon der »Mutter Kirche« (Joas, 2021b: 15–16) 1 ,von<br />

der Kircheals Mutter. Dies kann leicht kitschig klingen. Das ist aber nurder Fall,<br />

wenn wir ein idealisiertesBild von Mütterlichkeit haben, dem zufolge die Mutter<br />

nur aus Güte und immerwährender Unterstützungsbereitschaft besteht und gar<br />

nicht als eigene Person mit eigenen Bedürfnissen und Fehlern erkennbar wird.<br />

Würde die Mutter Kirche sogedacht, dann würde ihrer gefährlichen Selbstverklärung<br />

nur eine weitere Gestalt gegeben. Wenn wir aber realistisch an unsere<br />

Mütter denken, dann sind wir vermutlich schon in der Pubertät oder im frühen<br />

Erwachsenenalter zum Schluss gekommen, dass unsere Mutter nicht fehlerlos<br />

war, dass mancher gut gemeinte Ausdruck ihrer Liebe uns in falsche Richtungen<br />

trieb oder sich sogar Selbstsucht in ihre Liebe mischte und sie uns vielleicht für<br />

unsere wachsende Unabhängigkeit manchmal auch strafen wollte. Doch erkennen<br />

wir dann auch, dass eine illusionslos betrachtete Mutter doch unsere Mutter<br />

bleibt. Das Verhältnis zu ihr, der wir unser Leben verdanken, wird nie ein beliebig<br />

kündbares werden. Wenn erwachsen gewordene Kinder den Gesprächsfaden zu<br />

ihren Eltern ganz abreißen lassen, wenn sie sich mit alten Vorwürfen an sie<br />

wenden oder sie bei Krankheit oder Not und in der Stunde ihres Todes im Stich<br />

1<br />

Ausführlicher dargestellt findet sich mein Verständnis von Kirche in Joas, 2016 und<br />

2022; zum erstgenannten der beiden Bücher ist ein Diskussionsband erschienen:<br />

Sautermeister, 2019. Ich verwende in diesem Text einige Passagen aus Joas, 2021a und<br />

2021b.

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