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Kultur<br />
67<br />
© Bea Borgers<br />
Milo Rau<br />
Filmstill aus „Das neue Evangelium“<br />
Die Liste der Film-, Theater- und Literaturpreise,<br />
die Milo Rau (*1977) im In- und Ausland bereits<br />
erhalten hat, ist lang. Ein Preis, der nach<br />
seiner Heimatstadt benannt ist, war bislang<br />
nicht dabei. Vor ein paar Jahren war er zwar<br />
für den Kulturpreis der Stadt St. Gallen vorgeschlagen<br />
worden. Doch der Stadtrat hatte dies<br />
damals abgelehnt mit der Begründung, dass<br />
Milo Raus kultureller Fußabdruck in der Stadt<br />
zu wenig ausgeprägt sei. Dieser Stich saß tief.<br />
Jetzt kommt die Würdigung von einer anderen<br />
Seite: nicht von der Stadt, sondern vom Kanton<br />
St. Gallen. Die St. Gallische Kulturstiftung<br />
ist eine kantonale Stiftung, der Große Kulturpreis<br />
ist ihre bedeutendste Auszeichnung. Alle<br />
drei Jahre werden damit Persönlichkeiten<br />
geehrt, „deren Schaffen über längere Zeit gereift<br />
ist und ein national und international anerkanntes<br />
Niveau erreicht haben“, heißt es in<br />
der Preisbeschreibung.<br />
„Mich freut es total, dass mir dieser Preis verliehen<br />
wird“, erklärt Milo Rau gegenüber <strong>akzent</strong><br />
auch im Hinblick auf diese Vorgeschichte. Er ist<br />
in Bern geboren, ab seinem zwölften Lebensjahr<br />
in St. Gallen aufgewachsen und immer<br />
noch mit dieser Stadt verbunden – als St. Galler<br />
Bürger, durch kulturelle Projekte und durch<br />
seine Eltern, die hier wohnen. Ein Preis, der seine<br />
Herkunft im Namen trägt, bedeutet ihm deshalb<br />
viel. „Dadurch schließt sich der Kreis“, sagt<br />
er, während er an seinem Schreibtisch in Gent<br />
in Belgien sitzt. Dort leitet er seit 2018 das Niederländische<br />
Theater NTGent. Zudem arbeitet<br />
er als Autor und Dozent.<br />
International von sich reden macht Milo Rau<br />
aber vor allem mit seinen Theater- und Filmprojekten.<br />
„In seiner Arbeit verschränkt er<br />
Welt und Kunst: Seine Projekte bewegen sich<br />
nicht nur stets auf der Höhe der drängendsten<br />
Zeitfragen, sie verlassen auch immer wieder<br />
die Komfortzone des Kunstbetriebs und<br />
gehen an die Brennpunkte globaler Auseinandersetzung“,<br />
heißt es in einer Mitteilung der St.<br />
Gallischen Kulturstiftung. Und weiter: „Rau beschreibt<br />
gesellschaftliche Realitäten, weltumspannende<br />
Innenräume der globalen Wirtschaft;<br />
ihre Alpträume und Hoffnungen, ihre<br />
Unter- und Gegenwelten.“<br />
Konkrete Beispiele dafür gibt es genug. So<br />
versammelte Rau in seinem Projekt „Kongo<br />
Tribunal“ für einen Dokumentarfilm 60 Opfer,<br />
Täter, Zeugen und Analytiker des jahrelangen<br />
Kongokrieges zu einem zivilen Volkstribunal<br />
und ließ drei Fälle exemplarisch verhandeln.<br />
Er bearbeitete die Verurteilung und<br />
Hinrichtung von Rumäniens Diktator Nicolae<br />
Ceaușescu und seiner Frau Elena, ließ Kinder<br />
die Verbrechen des belgischen Mörders und<br />
Sexualstraftäters Marc Dutroux nachspielen<br />
und konfrontierte das Theaterpublikum mit<br />
einem Monolog des Rechtsextremisten Anders<br />
Behring Breivik, der im Juli 2011 in Norwegen<br />
77 Menschen getötet hatte. Mit dem<br />
Projekt „Hate Radio“ zum ruandischen Völkermord<br />
zeigte Rau, dass Worte töten können<br />
und getötet haben.