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akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN www.akzent-magazin.com
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70 Kultur<br />
Angelika Bartsch: Beate heißt die Figur, die ich<br />
spiele, und die andere heißt Ute K. Ich sehe die<br />
Figur, die ich spiele, nicht losgelöst von meiner<br />
Partnerin auf der Bühne. Das ist ein Doppelpack<br />
– die brauchen sich, die ergänzen sich. Wie das<br />
halt so ist in Beziehungen, da ist ja nicht alles<br />
Friede, Freude, Eierkuchen. Sie müssen miteinander<br />
auch Schicksalsschläge hinnehmen und<br />
gemeinsam tragen – jede auf ihre Art. Für mich<br />
geht es nicht nur um Tod und Unsterblichkeit.<br />
Für mich geht es vor allem auch um Freundschaft<br />
und um die Frage, wie sich Liebe definiert.<br />
Ist das eine sexuelle Sache, ist das eine<br />
Gewohnheitssache, ist das eine innige Sache?<br />
Was bedeutet es, eine Verbundenheit mit einem<br />
anderen Menschen zu haben? Ich finde es sehr<br />
klug, dass die junge Autorin das Thema bei älteren<br />
Menschen verortet, um es überhaupt erzählen<br />
zu können. Erst über die Rollen der lebenserfahrenen<br />
Figuren im Stück kann sie beschreiben,<br />
was es bedeutet, wenn man so eine<br />
Nähe über so viele Jahre hat. Und das hat nichts<br />
mit Sexualität oder Geschlecht zu tun, sondern<br />
es geht um Menschlichkeit.<br />
<strong>akzent</strong>: Deine Partnerin im Stück spielt Sabine<br />
Martin, die wie du nicht in die Schublade „ältere<br />
Dame“ passt, sondern immer voller Energie<br />
und mit vollem Körpereinsatz auf der Bühne<br />
zu sehen ist. Macht es Spaß, mit ihr zusammen<br />
in euren Rollen auf der Bühne gegen das<br />
Alter aufzubegehren?<br />
Angelika Bartsch: Wir begehren nicht auf. Die<br />
Einschätzung, ob jemand alt ist oder nicht, hat<br />
ja mit Energie zu tun und nicht mit Falten oder<br />
tatsächlich mit Jahren. Ich denke, dass wir beide<br />
zu der Sorte gehören, die zwar immer älter wird,<br />
wie alle anderen auch, aber unsere Energie noch<br />
eine andere ist. Anders als bei manch anderen<br />
aus unserem Jahrgang, die vielleicht nicht 43<br />
Jahre Theater gespielt haben, sondern 43 Jahre<br />
einer körperlich anstrengenden Arbeit in einer<br />
Fabrik nachgehen mussten oder anderswo. Das<br />
kann man gar nicht vergleichen. Als Spielende<br />
machen wir uns überhaupt keine Gedanken<br />
über das Alter, im Gegenteil, wir machen eigentlich<br />
die ganze Zeit eher Witze darüber.<br />
<strong>akzent</strong>: Nicht nur die Autorin ist jung. „Tot<br />
sind wir nicht“ wird auch von einem jungen<br />
Team umgesetzt. Wie funktioniert das Miteinander?<br />
Angelika Bartsch: Sehr gut! Bei den Proben erlebe<br />
ich gerade einen richtigen Generationenaustausch.<br />
Das ist sehr interessant. Tatsächlich<br />
ist es ein junges Team mit der Dramaturgin<br />
Hannah Stollmayer, mit Janna Keltsch für<br />
Bühne & Kostüme, die musikalische Leitung hat<br />
Phillipp Koelges, und wir haben mit Swen Lasse<br />
Awe auch einen jungen Regisseur, was sehr<br />
schön ist. Den finde ich ganz toll, der lässt uns<br />
Freiraum, weiß aber ganz genau, wo er hinwill.<br />
Hier bei diesem Stück arbeiten wir viel mit Assoziation.<br />
Swen Lasse Awe gehört zur Generation,<br />
die ganz viel im Netz unterwegs ist. Er bietet<br />
uns täglich aktuelles Material und spannende<br />
Anstöße. Die gute Atmosphäre hat ganz viel<br />
damit zu tun, wie er mit uns Spielenden umgeht,<br />
welche Offenheit er hat. Er ist bei uns, ist<br />
nicht jemand, der sagt, jetzt machst du mal das<br />
und das oder du gehst jetzt mal von hier nach<br />
da oder du machst jetzt mal Spagat, Purzelbaum<br />
oder irgendwas und dann muss man das<br />
erfüllen. Sondern er sagt, lass es uns ausprobieren<br />
und dann schaut man gemeinsam, wie das<br />
passt oder auch nicht. Es ist wirklich eine sehr<br />
gute Zusammenarbeit. Ich bin auch von allen<br />
Kolleg*innen, die mit mir auf der Bühne stehen,<br />
sehr angetan: Odo Jergitsch (Piotr Nagel), Kristina<br />
Lotta Kahlert (Franka), Dominik Puhl (Jason<br />
Nagel) und natürlich Sabine Martin (Ute K.).<br />
<strong>akzent</strong>: Es ist ein Stück mit zwei Glanzrollen<br />
für „reifere“ Schauspielerinnen. Sie sind verliebt,<br />
haben Träume, trauen sich was. Haben<br />
solche starken Frauen-Rollen weiterhin noch<br />
Seltenheitswert oder darf „frau“ inzwischen<br />
auch mit „grauen“ Haaren noch mitspielen?<br />
Angelika Bartsch: Das ist eine strukturelle<br />
Frage. Ob sich das insgesamt ändert, weiß ich<br />
nicht. Hier in Konstanz habe ich das Gefühl,<br />
dass Karin Becker und ihr Team sehr viel dafür<br />
tun, dass sich was ändert. Dass also nicht immer<br />
das normale strukturelle Rollenklischee<br />
erfüllt wird. Das war noch anders zu Beginn<br />
meiner Schauspielzeit. Als ich die Aufnahmeprüfung<br />
machte, waren von 1200 Bewerber*innen<br />
800 Mädchen. Angenommen wurden aber<br />
acht Männer und vier Frauen. Und so war und<br />
ist auch oft weiterhin das Verhältnis in den<br />
Stücken. So wurde damals schon argumentiert<br />
und es stimmt leider größtenteils bis heute.<br />
Viele Stücke sind so geschrieben: Zwei Drittel<br />
Männerrollen und ein Drittel Frauenrollen.<br />
Solche Stücke, wie das von Bungarten, mit<br />
umgekehrtem Verhältnis, also mit drei Frauen<br />
und zwei Männern, sind wichtig. Wobei ich<br />
in diesem Stück nicht nur die Frauenrollen als<br />
besonders empfinde, sondern alle fünf Rollen<br />
sind Glanzrollen, wenn man das Wort benutzen<br />
möchte. Die gehören alle zusammen.<br />
Im Grunde müsste man das System ändern.<br />
Es gibt viele, die was dafür tun. Ob es<br />
eine Lösung ist, jetzt Männerrollen einfach<br />
per se mit Frauen zu besetzen, und dann<br />
wird es schon, glaube ich nicht. Das finde ich<br />
falsch. Natürlich laufen Stücke, in denen so<br />
ein Rollentausch gut funktioniert. Aber da<br />
geht es für mich weniger darum, ob Frauen<br />
versuchen, Männer zu sein oder umgekehrt.<br />
Sondern darum, dass Frauen oder Männer<br />
die Figuren spielen unabhängig von Geschlecht.<br />
Wenn man so arbeitet, dann geht<br />
man auf eine andere Ebene.<br />
<strong>akzent</strong>: Bungarten sagt, sie experimentiere<br />
gerne mit Sprache und Genres und habe das<br />
Stück zunächst im Genre des „film noir“ angesiedelt.<br />
Also eher düster und zynisch?<br />
Angelika Bartsch: Das Stück entbehrt nicht<br />
eines gewissen Zynismus, der auch mit Ironie<br />
erzielt wird. Das liegt bestimmt auch im Auge<br />
der Betrachter*innen, wie es rüberkommt.<br />
Wir wollen, dass es für die Zuschauer*innen<br />
ein Vergnügen wird, durchaus mit Tiefgang.<br />
Es geht um wichtige und ernste Themen, die<br />
auch jeden von uns berühren.<br />
„Der Regisseur Swen Lasse Awe bietet<br />
uns einen ‚geschützten Raum‘, so<br />
sehe ich Theaterspielen , in dem wir<br />
einander treffen dürfen.“<br />
<strong>akzent</strong>: Bleibt den Zuschauer*innen am Ende<br />
das Lachen im Hals stecken?<br />
Angelika Bartsch: Nein, das glaube ich nicht.<br />
Mein Ziel ist, dass ich es hinbekomme, dass<br />
sich die Zuschauenden in einigen Szenen wiedererkennen<br />
und dann über sich selbst lachen.<br />
<strong>akzent</strong>: Wäre Okinawa, der Ort im Stück, an<br />
dem die Menschen uralt werden, auch ein<br />
Sehnsuchtsort für dich im richtigen Leben?<br />
Angelika Bartsch: Ob es erstrebenswert ist,<br />
ewig zu leben? Ich weiß nicht. Wir sollten lieber<br />
den Ort, an dem wir sind, lebenswerter<br />
machen. Dass die Zeit, die wir da sind, besser<br />
ist, als es jetzt der Fall ist. Da halte ich<br />
mehr von als von irgendeinem Fantasiekonstrukt.<br />
Ich möchte nicht für immer jung sein<br />
müssen. Ich werde entweder 97 oder 103 Jahre<br />
alt, das habe ich mit zwölf Jahren beschlossen<br />
und irgendwie halte ich mich daran fest.<br />
Das rührt wohl daher, dass meine Omas so alt<br />
geworden sind.