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akzent Magazin Dezember '22 BO

akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN www.akzent-magazin.com

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70 Kultur<br />

Angelika Bartsch: Beate heißt die Figur, die ich<br />

spiele, und die andere heißt Ute K. Ich sehe die<br />

Figur, die ich spiele, nicht losgelöst von meiner<br />

Partnerin auf der Bühne. Das ist ein Doppelpack<br />

– die brauchen sich, die ergänzen sich. Wie das<br />

halt so ist in Beziehungen, da ist ja nicht alles<br />

Friede, Freude, Eierkuchen. Sie müssen miteinander<br />

auch Schicksalsschläge hinnehmen und<br />

gemeinsam tragen – jede auf ihre Art. Für mich<br />

geht es nicht nur um Tod und Unsterblichkeit.<br />

Für mich geht es vor allem auch um Freundschaft<br />

und um die Frage, wie sich Liebe definiert.<br />

Ist das eine sexuelle Sache, ist das eine<br />

Gewohnheitssache, ist das eine innige Sache?<br />

Was bedeutet es, eine Verbundenheit mit einem<br />

anderen Menschen zu haben? Ich finde es sehr<br />

klug, dass die junge Autorin das Thema bei älteren<br />

Menschen verortet, um es überhaupt erzählen<br />

zu können. Erst über die Rollen der lebenserfahrenen<br />

Figuren im Stück kann sie beschreiben,<br />

was es bedeutet, wenn man so eine<br />

Nähe über so viele Jahre hat. Und das hat nichts<br />

mit Sexualität oder Geschlecht zu tun, sondern<br />

es geht um Menschlichkeit.<br />

<strong>akzent</strong>: Deine Partnerin im Stück spielt Sabine<br />

Martin, die wie du nicht in die Schublade „ältere<br />

Dame“ passt, sondern immer voller Energie<br />

und mit vollem Körpereinsatz auf der Bühne<br />

zu sehen ist. Macht es Spaß, mit ihr zusammen<br />

in euren Rollen auf der Bühne gegen das<br />

Alter aufzubegehren?<br />

Angelika Bartsch: Wir begehren nicht auf. Die<br />

Einschätzung, ob jemand alt ist oder nicht, hat<br />

ja mit Energie zu tun und nicht mit Falten oder<br />

tatsächlich mit Jahren. Ich denke, dass wir beide<br />

zu der Sorte gehören, die zwar immer älter wird,<br />

wie alle anderen auch, aber unsere Energie noch<br />

eine andere ist. Anders als bei manch anderen<br />

aus unserem Jahrgang, die vielleicht nicht 43<br />

Jahre Theater gespielt haben, sondern 43 Jahre<br />

einer körperlich anstrengenden Arbeit in einer<br />

Fabrik nachgehen mussten oder anderswo. Das<br />

kann man gar nicht vergleichen. Als Spielende<br />

machen wir uns überhaupt keine Gedanken<br />

über das Alter, im Gegenteil, wir machen eigentlich<br />

die ganze Zeit eher Witze darüber.<br />

<strong>akzent</strong>: Nicht nur die Autorin ist jung. „Tot<br />

sind wir nicht“ wird auch von einem jungen<br />

Team umgesetzt. Wie funktioniert das Miteinander?<br />

Angelika Bartsch: Sehr gut! Bei den Proben erlebe<br />

ich gerade einen richtigen Generationenaustausch.<br />

Das ist sehr interessant. Tatsächlich<br />

ist es ein junges Team mit der Dramaturgin<br />

Hannah Stollmayer, mit Janna Keltsch für<br />

Bühne & Kostüme, die musikalische Leitung hat<br />

Phillipp Koelges, und wir haben mit Swen Lasse<br />

Awe auch einen jungen Regisseur, was sehr<br />

schön ist. Den finde ich ganz toll, der lässt uns<br />

Freiraum, weiß aber ganz genau, wo er hinwill.<br />

Hier bei diesem Stück arbeiten wir viel mit Assoziation.<br />

Swen Lasse Awe gehört zur Generation,<br />

die ganz viel im Netz unterwegs ist. Er bietet<br />

uns täglich aktuelles Material und spannende<br />

Anstöße. Die gute Atmosphäre hat ganz viel<br />

damit zu tun, wie er mit uns Spielenden umgeht,<br />

welche Offenheit er hat. Er ist bei uns, ist<br />

nicht jemand, der sagt, jetzt machst du mal das<br />

und das oder du gehst jetzt mal von hier nach<br />

da oder du machst jetzt mal Spagat, Purzelbaum<br />

oder irgendwas und dann muss man das<br />

erfüllen. Sondern er sagt, lass es uns ausprobieren<br />

und dann schaut man gemeinsam, wie das<br />

passt oder auch nicht. Es ist wirklich eine sehr<br />

gute Zusammenarbeit. Ich bin auch von allen<br />

Kolleg*innen, die mit mir auf der Bühne stehen,<br />

sehr angetan: Odo Jergitsch (Piotr Nagel), Kristina<br />

Lotta Kahlert (Franka), Dominik Puhl (Jason<br />

Nagel) und natürlich Sabine Martin (Ute K.).<br />

<strong>akzent</strong>: Es ist ein Stück mit zwei Glanzrollen<br />

für „reifere“ Schauspielerinnen. Sie sind verliebt,<br />

haben Träume, trauen sich was. Haben<br />

solche starken Frauen-Rollen weiterhin noch<br />

Seltenheitswert oder darf „frau“ inzwischen<br />

auch mit „grauen“ Haaren noch mitspielen?<br />

Angelika Bartsch: Das ist eine strukturelle<br />

Frage. Ob sich das insgesamt ändert, weiß ich<br />

nicht. Hier in Konstanz habe ich das Gefühl,<br />

dass Karin Becker und ihr Team sehr viel dafür<br />

tun, dass sich was ändert. Dass also nicht immer<br />

das normale strukturelle Rollenklischee<br />

erfüllt wird. Das war noch anders zu Beginn<br />

meiner Schauspielzeit. Als ich die Aufnahmeprüfung<br />

machte, waren von 1200 Bewerber*innen<br />

800 Mädchen. Angenommen wurden aber<br />

acht Männer und vier Frauen. Und so war und<br />

ist auch oft weiterhin das Verhältnis in den<br />

Stücken. So wurde damals schon argumentiert<br />

und es stimmt leider größtenteils bis heute.<br />

Viele Stücke sind so geschrieben: Zwei Drittel<br />

Männerrollen und ein Drittel Frauenrollen.<br />

Solche Stücke, wie das von Bungarten, mit<br />

umgekehrtem Verhältnis, also mit drei Frauen<br />

und zwei Männern, sind wichtig. Wobei ich<br />

in diesem Stück nicht nur die Frauenrollen als<br />

besonders empfinde, sondern alle fünf Rollen<br />

sind Glanzrollen, wenn man das Wort benutzen<br />

möchte. Die gehören alle zusammen.<br />

Im Grunde müsste man das System ändern.<br />

Es gibt viele, die was dafür tun. Ob es<br />

eine Lösung ist, jetzt Männerrollen einfach<br />

per se mit Frauen zu besetzen, und dann<br />

wird es schon, glaube ich nicht. Das finde ich<br />

falsch. Natürlich laufen Stücke, in denen so<br />

ein Rollentausch gut funktioniert. Aber da<br />

geht es für mich weniger darum, ob Frauen<br />

versuchen, Männer zu sein oder umgekehrt.<br />

Sondern darum, dass Frauen oder Männer<br />

die Figuren spielen unabhängig von Geschlecht.<br />

Wenn man so arbeitet, dann geht<br />

man auf eine andere Ebene.<br />

<strong>akzent</strong>: Bungarten sagt, sie experimentiere<br />

gerne mit Sprache und Genres und habe das<br />

Stück zunächst im Genre des „film noir“ angesiedelt.<br />

Also eher düster und zynisch?<br />

Angelika Bartsch: Das Stück entbehrt nicht<br />

eines gewissen Zynismus, der auch mit Ironie<br />

erzielt wird. Das liegt bestimmt auch im Auge<br />

der Betrachter*innen, wie es rüberkommt.<br />

Wir wollen, dass es für die Zuschauer*innen<br />

ein Vergnügen wird, durchaus mit Tiefgang.<br />

Es geht um wichtige und ernste Themen, die<br />

auch jeden von uns berühren.<br />

„Der Regisseur Swen Lasse Awe bietet<br />

uns einen ‚geschützten Raum‘, so<br />

sehe ich Theaterspielen , in dem wir<br />

einander treffen dürfen.“<br />

<strong>akzent</strong>: Bleibt den Zuschauer*innen am Ende<br />

das Lachen im Hals stecken?<br />

Angelika Bartsch: Nein, das glaube ich nicht.<br />

Mein Ziel ist, dass ich es hinbekomme, dass<br />

sich die Zuschauenden in einigen Szenen wiedererkennen<br />

und dann über sich selbst lachen.<br />

<strong>akzent</strong>: Wäre Okinawa, der Ort im Stück, an<br />

dem die Menschen uralt werden, auch ein<br />

Sehnsuchtsort für dich im richtigen Leben?<br />

Angelika Bartsch: Ob es erstrebenswert ist,<br />

ewig zu leben? Ich weiß nicht. Wir sollten lieber<br />

den Ort, an dem wir sind, lebenswerter<br />

machen. Dass die Zeit, die wir da sind, besser<br />

ist, als es jetzt der Fall ist. Da halte ich<br />

mehr von als von irgendeinem Fantasiekonstrukt.<br />

Ich möchte nicht für immer jung sein<br />

müssen. Ich werde entweder 97 oder 103 Jahre<br />

alt, das habe ich mit zwölf Jahren beschlossen<br />

und irgendwie halte ich mich daran fest.<br />

Das rührt wohl daher, dass meine Omas so alt<br />

geworden sind.

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