KSSG_Magazin_150Jahre
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JEDE GEBURT<br />
IST EIN WUNDER<br />
Als die Hebamme Irmgard Schaflechner 1996 nach 23 Jahren im Kantonsspital<br />
St.Gallen in Pension ging, wurde die Hebamme Giulia Schai ebendort<br />
geboren. Ein Generationengespräch über Trends im Gebärzimmer<br />
und den Wandel eines Berufsbildes.<br />
Frau Schaflechner, Sie haben am Kantonsspital<br />
St.Gallen (<strong>KSSG</strong>) über 3’000 Kinder auf die Welt<br />
begleitet, Sie, Frau Schai, bislang gut 300. Erinnern<br />
Sie sich an Ihre allererste Geburt?<br />
Irmgard Schaflechner (I. S.): Ich erlebte die erste<br />
Geburt als 14-Jährige. Meine jüngste Schwester<br />
kam zu Hause zur Welt, und ich fungierte als eine<br />
Art Handlangerin der Hebamme. Sie sagte meiner<br />
Mama: «Deine Irmgard wird einmal eine gute Hebamme».<br />
Giulia Schai (G. S.): Ich war 16 Jahre alt, als ich während<br />
eines Praktikums im Spital Heiden die erste<br />
Geburt miterlebte. Ich wollte unbedingt Hebamme<br />
werden, wusste aber kaum etwas über den Beruf.<br />
Entsprechend gross war der Schock, als mich die<br />
Praktikumsbetreuerin zu «meiner» ersten Geburt<br />
mitnahm. Nach wenigen Minuten war ich käsebleich<br />
und musste mich setzen – noch früher als<br />
der werdende Vater!<br />
Frau Schaflechner, Sie haben zunächst eine Ausbildung<br />
zur Verkäuferin absolviert – warum nicht<br />
gleich zur Hebamme?<br />
I. S.: Erstens wollte mein Vater seinen Töchtern<br />
keine teure Ausbildung zahlen. Wir würden ohnehin<br />
bald heiraten, sagte er. Zweitens stand in Österreich,<br />
meiner Heimat, die Hebammenschule erst<br />
Frauen ab 18 Jahren offen. Ich hätte also eine Sonderbewilligung<br />
des Bürgermeisters gebraucht. Und<br />
drittens gab es damals nach dem Krieg in keiner<br />
Branche so viele offene Stellen wie im Verkauf.<br />
Wann traten Sie die Hebammenausbildung<br />
schliesslich an?<br />
I. S.: 1961; da war ich 27 Jahre alt und Mutter zweier<br />
Kinder. Trotzdem musste ich wie alle Auszubildenden<br />
an Werktagen in der Frauenklinik Graz wohnen,<br />
das war damals die Bedingung. Wir mussten<br />
abrufbar sein, denn Kinder werden ja rund um die<br />
Uhr geboren. Also mussten meine Eltern mehrheitlich<br />
die Kinder hüten. Nach der Ausbildung<br />
arbeitete ich als freipraktizierende Gemeindehebamme.<br />
Doch damals lief der Trend gegen Hausgeburten,<br />
wodurch mein Einkommen sank. Und ich<br />
war Alleinverdienerin. Deshalb liess ich mich 1973<br />
am <strong>KSSG</strong> festanstellen. Am Anfang hatte ich etwas<br />
Mühe, vor allem mit den jungen Ärzten, die immer<br />
meinten, alles besser zu wissen. Zum Glück habe ich<br />
mich von meinen Chefs verstanden und getragen<br />
gefühlt; das <strong>KSSG</strong> wurde zu meiner zweiten Familie.<br />
Deshalb bin ich bis zu meiner Pensionierung Ende<br />
Februar 1996 geblieben.<br />
G. S.: Wir haben uns nur um ein paar Monate verpasst,<br />
Irmgard! Am 27. Juni 1996 habe ich im <strong>KSSG</strong><br />
das Licht der Welt erblickt!<br />
Frau Schai, 2019 haben Sie das vier Jahre dauernde<br />
Studium zur Hebamme abgeschlossen, seither<br />
arbeiten Sie am <strong>KSSG</strong>. Wie sieht Ihr gewöhnlicher<br />
Arbeitstag aus?<br />
G. S.: Schwangerschaften und Geburten sind nie<br />
gewöhnlich, folglich ist auch mein Arbeitsalltag<br />
nie gewöhnlich. Das ist das Herausfordernde, aber<br />
auch Spannende an unserem Beruf.<br />
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