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KSSG_Magazin_150Jahre

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DAS GEBÜNDELTE WISSEN<br />

Die Wirbelsäule<br />

Schauen wir sie uns an, Columna vertebralis, die<br />

Wirbelsäule. Einerseits ist sie das tragende Konstruktionselement<br />

aller Wirbeltiere; ohne sie fielen<br />

wir zusammen wie ein leerer Kartoffelsack. Andererseits<br />

umhüllt und schützt sie unser Rückenmark,<br />

diese Datenautobahn, die den Informationsfluss<br />

zwischen Gehirn und Peripherie sicherstellt. Die<br />

Wirbelsäule ist für unseren Bewegungsapparat also<br />

ebenso zentral wie für unser Nervensystem. Ist es<br />

da erstaunlich, dass bei ihrer Behandlung Orthopädinnen<br />

und Orthopäden, Neurochirurginnen<br />

und -chirurgen zusammenspannen? Die generelle<br />

Antwort: ja. Im <strong>KSSG</strong> indessen: nein.<br />

Spitzenmedizin für Alle<br />

Im OP 9, dem Flaggschiff aller Operationssäle im<br />

<strong>KSSG</strong>, läuft ein Eingriff, der nur in wenigen Schweizer<br />

Spitälern durchgeführt werden kann. Um 7:45 Uhr<br />

haben die Vorbereitungen begonnen, insgesamt sind<br />

acht Stunden angesetzt. Die Patientin: ein 16-jähriges<br />

Mädchen, das mit einem offenen Rücken geboren<br />

und bereits als Baby operiert wurde, das aber aufgrund<br />

ihrer Paraplegie während des Wachstums eine<br />

neuromuskuläre Verkrümmung (Skoliose) der Wirbelsäule<br />

entwickelt hat – so schwer, dass es seinen<br />

Oberkörper nur noch durch Abstützen aufrechthalten<br />

konnte. Doch wie eingeschränkt ist eine Paraplegikerin, die nun auch<br />

ihre Hände nicht mehr frei benutzen kann? Ziel der Operation ist es,<br />

die Wirbelsäule so zu korrigieren, dass das Mädchen seine weitgehende<br />

Selbständigkeit zurückerlangt.<br />

Um 9:45 Uhr ist es so weit: Eine Fachärztin für Neurochirurgie mit<br />

Spezialisierung auf spinale Fehlbildungen bei Kindern setzt mit dem<br />

Skalpell zum 50 Zentimeter langen Schnitt entlang der Wirbelsäule<br />

an. Anschliessend trennt sie die Muskulatur vom Knochen und legt<br />

so die Wirbelsäule frei. Nun kommt der heikle Part: Sie öffnet den<br />

Duralschlauch, der das Rückenmark umhüllt, und macht sich auf die<br />

Suche nach der Stelle des Rückenmarks, an der dieses durchschnitten<br />

werden kann, weil keine Nerven mehr aktiv sind. Um 10:35 Uhr erfolgt<br />

der Schnitt. Anschliessend schliesst die Ärztin den Duralschlauch<br />

und überlässt das Kommando am Operationstisch ihrem Gegenüber,<br />

dem Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des<br />

Bewegungsapparats.<br />

Schwerstarbeit mit Fingerspitzengefühl<br />

Die Aufgabe des Facharztes für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie<br />

des Bewegungsapparats ist es, die Wirbelsäule orthopädisch<br />

zu begradigen und zu stabilisieren; deshalb die vorgängige Durchtrennung<br />

des Rückenmarks: Ohne sie hätte die Begradigung zu viel<br />

Zug auf das Rückenmark ausgelöst, was die Paraplegie hätte körperaufwärts<br />

treiben können. 20 Schrauben und zwei Verbindungsstäbe<br />

auf den beiden Seiten der Wirbelsäule setzt der Arzt ein. Zudem muss<br />

er Gelenke aufmeisseln und Bänder durchtrennen, um die notwendige<br />

Flexibilität für die Begradigung zu erreichen. Schwerstarbeit mit<br />

Fingerspitzengefühl. Nach vier Stunden ist der Einsatz des Orthopäden<br />

beendet.<br />

Wer sich am Ostschweizer Wirbelsäulenzentrum behandeln lässt, ist<br />

in guten Händen. Nicht in zwei oder vier, sondern in Dutzenden von<br />

guten Händen. Denn hier arbeiten hochspezialisierte Medizinerinnen<br />

und Mediziner, Pflegefachkräfte und Physician Assistants aus<br />

unterschiedlichen Disziplinen Hand in Hand – mit dem grösstmöglichen<br />

Nutzen für Patientinnen und Patienten.<br />

Konservative Behandlungen der Wirbelsäule werden bevorzugt. Doch wenn es zur Operation kommt, arbeiten Orthopädinnen und<br />

Orthopäden mit Neurochirurginnen und -chirurgen Hand in Hand.<br />

Das Besondere dieses Ortes ist unscheinbar. Wer<br />

sich in Spitälern auskennt, wird vielleicht das<br />

Fehlen des Bettbügels über den Patientenbetten<br />

bemerken. Aber sonst? Alles normal auf der Bettenstation<br />

im Haus 03, 6. Stock. Und doch ist dieser<br />

Ort ein medizinisches Powerzentrum, ein Kumulationspunkt<br />

geballten Wissens. Willkommen im<br />

Ostschweizer Wirbelsäulenzentrum (OSWZ) des<br />

Kantonsspitals St.Gallen (<strong>KSSG</strong>).<br />

Der eine landet hier wegen eines Bandscheibenvorfalls, die andere<br />

wegen eines Wirbelsäulentumors oder eines Traumas nach einem<br />

Töffunfall. Der eine ist alt, die andere jung. Was sie eint, ist eine<br />

lädierte Wirbelsäule. Das ist auch der Grund für den fehlenden Bettbügel,<br />

weil das selbständige Aufrichten durch Zugkraft keine gute<br />

Idee für Patientinnen und Patienten ist, die ein Problem mit der Wirbelsäule<br />

haben.<br />

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