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KSSG_Magazin_150Jahre

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Irmgard Schaflechner (89) kam 1973 als Hebamme ans<br />

<strong>KSSG</strong> und blieb dem «Kanti» bis zu ihrer Pensionierung<br />

1996 treu.<br />

Giulia Schai (26) ist seit 2019 Hebamme im <strong>KSSG</strong> und hat<br />

ihrer Meinung nach «den besten Beruf der Welt».<br />

I. S.: Ich habe manchmal vier Babys gleichzeitig<br />

in den Armen gewippt – und liebte dieses Gefühl.<br />

Aber noch besser gefiel mir, wenn es medizinisch<br />

komplex wurde und ich dank meines Wissens und<br />

Erfahrungsschatzes eine heikle Situation entschärfen<br />

konnte. Es ist mir ein Genuss, mich an wunderbare<br />

Zwillings- und Steissgeburten zu erinnern.<br />

Aber grundsätzlich gilt: Jede Geburt ist ein Wunder.<br />

Was leistet eine Hebamme?<br />

G. S.: Meine Aufgabe als Hebamme ist es, Mutter<br />

und Kind vor, während und nach der Geburt<br />

professionell und empathisch zu begleiten und zu<br />

betreuen. Die Administration nimmt allerdings<br />

immer mehr Zeit in Anspruch.<br />

Frau Schaflechner, mit welchen Trends waren Sie früher als<br />

Hebamme konfrontiert?<br />

I. S.: In den Jahren des Wirtschaftswunders war die Gesellschaft sehr<br />

technologiebesessen. Denken Sie nur an die erste Mondlandung 1969!<br />

Auch der Umgang mit Geburten und Säuglingen war sehr technisch,<br />

man könnte auch sagen «männlich» geprägt. Das zeigte sich zum Beispiel<br />

darin, dass fast alle Ärzte eine Ernährung der Säuglinge durch<br />

Pulvermilch anstelle von Muttermilch empfahlen.<br />

1970 lag die Stillrate in der Schweiz bei nicht einmal 25 Prozent …<br />

I. S.: Eben. Ich erinnere mich an einen Hebammenkongress, da<br />

schimpfte der Referent gegen das Stillen, da die Gifte aus der verpesteten<br />

Umwelt über die Muttermilch direkt im Säugling landen<br />

würden.<br />

G. S.: Heute zeigen diverse Studien, dass Muttermilch die gesündeste<br />

Nahrung für Säuglinge ist. Ausserdem ist das Stillen für die frühkindliche<br />

Bindung wichtig. Deshalb empfiehlt auch die WHO, Säuglinge in<br />

den ersten sechs Monaten ausschliesslich zu stillen. Und die meisten<br />

Mütter wollen heute auch stillen. Nur klappt das nicht immer. Stillen<br />

muss man lernen und üben. Ich motiviere und gebe ihnen Tipps und<br />

Tricks, sage aber auch: «Wegen mir muss niemand stillen. Das muss<br />

jede Mutter selbst entscheiden.»<br />

Finden Ihre Worte als Hebamme Gehör?<br />

I. S.: Zu meiner Zeit glaubte man eher den Ärzten,<br />

also den Männern, als uns Hebammen.<br />

G. S.: Das ist inzwischen anders. Erstens gibt es<br />

immer mehr Gynäkologinnen, zweitens fragen mich<br />

unsere Ärztinnen und Ärzte am <strong>KSSG</strong> oft nach meiner<br />

Meinung.<br />

Wie empfinden Sie denn das gesellschaftliche<br />

Ansehen als Hebamme, Frau Schai?<br />

G. S.: Ich bin schon dreimal zufällig in eine Polizeikontrolle<br />

gekommen, und als ich jeweils sagte, ich<br />

sei Hebamme und auf dem Weg ins <strong>KSSG</strong>, wurde<br />

ich immer durchgewunken – begleitet von den besten<br />

Wünschen. Auch im Bekanntenkreis wollen<br />

alle immer über meinen Beruf reden – an jedem<br />

Geburtstagsfest, jeder Klassenzusammenkunft und<br />

sogar in der Migros an der Kasse. Fast alle finden<br />

meinen Beruf toll. Und ich gebe ihnen Recht: Es<br />

gibt keinen besseren!<br />

I. S.: Diese Entwicklung hat bereits in meinen letzten<br />

Berufsjahren begonnen. So viel Zeit für Papierkram.<br />

G. S.: Die Dokumentation ist aber auch notwendig.<br />

Käme es beispielsweise zu einem Gerichtsfall gegen<br />

das Spital, müssen wir unser Handeln rekonstruieren<br />

können.<br />

Auf Hebammen lastet eine enorme<br />

Verantwortung …<br />

I. S.: Ich habe mich stets an zwei Grundsätze gehalten:<br />

Die Gebärende soll sich sicher fühlen, und ich<br />

anerkenne meine eigenen Grenzen.<br />

G. S.: Das ist auch für mich das Wichtigste. Ich bin<br />

aber auch dankbar für die hervorragende technische<br />

Ausstattung am <strong>KSSG</strong>. Dennoch müssen wir<br />

auch unserer Wahrnehmung vertrauen, nicht nur<br />

den technischen Daten.<br />

Irmgard Schaflechner: «Zu meiner Zeit wurden am <strong>KSSG</strong> jährlich 1ʼ100 Kinder<br />

geboren.» – Giulia Schai: «Heute sind es doppelt so viele.»<br />

I. S.: Wie dehnbar ein Muttermund ist, das muss man fühlen, das<br />

kann keine Maschine, kein Ultraschall. Diese Technikbesessenheit<br />

hat mich manchmal frustriert. Und was mich richtig traurig stimmt,<br />

ist die steigende Rate an Kaiserschnittgeburten.<br />

G. S.: Die Sectio-Rate liegt am <strong>KSSG</strong> bei bis zu 30 Prozent. Die Zahl ist<br />

auch deshalb so hoch, weil wir ein Zentrumsspital sind. Das heisst,<br />

dass komplexe Geburten wie Mehrlinge oder Frühgeburten ab 24<br />

Wochen häufig bei uns zur Welt kommen – und das meist durch<br />

Kaiserschnitte. Auf der anderen Seite ermöglichen wir am <strong>KSSG</strong> aber<br />

auch vaginale Entbindungen, die in anderen Spitälern als Kaiserschnitte<br />

enden würden – beispielsweise Steissgeburten. Es gibt durchaus<br />

widersprüchliche Trends. Einerseits interessieren sich immer<br />

mehr werdende Eltern für naturnahe Geburten. Andererseits gibt<br />

es werdende Eltern, die die Geburt fast zu einem «Event» machen<br />

wollen, der wunderschön, möglichst schmerzfrei und so kurz wie<br />

möglich sein soll.<br />

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