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K lima w a n d e l & W a sse rk ra ft - SWV

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Die beiden Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektionen in<br />

historischer Perspektive<br />

Matthias Nast<br />

1. Die Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

in der T<strong>ra</strong>dition Tullas<br />

«Die Geschichte des Menschengeschlechts<br />

ist auch die seines Verhältni<strong>sse</strong>s<br />

zu der Natur.» (Ritter, Johann Wilhelm, zit.<br />

in: Schipperges 1969: 179f.). Dieses beme<strong>rk</strong>enswerte<br />

Zitat von 1810 finden wir im<br />

Nachlass des aus Schlesien stammenden<br />

und zuerst in Jena und später an der Bayerischen<br />

Akademie der Wi<strong>sse</strong>nscha<strong>ft</strong>en<br />

wi<strong>rk</strong>enden Physikers und Philosophen Johann<br />

Wilhelm Ritter.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Aussage<br />

gewinnt Johann Gottfried Tullas<br />

Devise an Bedeutung, der 1812, nur zwei<br />

Jahre nach Ritters naturphilosophischer<br />

Bet<strong>ra</strong>chtung, folgende Losung ausgab:<br />

«Ein Fluss oder Strom hat nur ein Bett<br />

nötig, man muss daher, wenn er mehrere<br />

Arme hat, auf die Ausbildung eines geschlo<strong>sse</strong>nen<br />

Laufs hinwi<strong>rk</strong>en. Dieser ist<br />

soviel als möglich ge<strong>ra</strong>de zu halten, damit<br />

dem Hochwa<strong>sse</strong>r ein geregelter Abfluss<br />

verschaf<strong>ft</strong> wird, die Ufer leichter erhalten<br />

werden können, der Fluss sich tiefer einbette,<br />

also der Wa<strong>sse</strong>rspiegel sich senke,<br />

und das Gelände nicht überschwemmt<br />

werde. Die alten Flussarme sind zur Verlandung<br />

zu bringen, verlandete Flächen<br />

sind anzupflanzen.» (Tulla, Johann Gottfried,<br />

zit. in: Vischer 2003: 24).<br />

Tullas Leitspruch prägte ganze Gene<strong>ra</strong>tion<br />

von Flussbauingenieuren. Nicht<br />

zuletzt in der Schweiz, wo im 19. Jahrhundert<br />

flussbauliche Massnahmen, welche<br />

die Bevölkerung nachhaltig vor Hochwa<strong>sse</strong>rereigni<strong>sse</strong>n<br />

zu schützen vermochten,<br />

Symbole für den politischen und wi<strong>sse</strong>nscha<strong>ft</strong>lichen<br />

Fortschritt waren. So war es<br />

niemand Geringeres als Johann Gottfried<br />

Tulla, der zusammen mit Hans Kon<strong>ra</strong>d<br />

Escher die Linthkorrektion (1807–1816)<br />

leitete. Diese Korrektionsarbeiten wiederum<br />

dienten den Promotoren der Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

als Vorbild, obwohl<br />

die Grö<strong>sse</strong> des Seeländer Projektes die<br />

Massnahmen in der Linthebene bei weitem<br />

übert<strong>ra</strong>fen.<br />

Rückblickend bet<strong>ra</strong>chtet hatte Tullas<br />

Devise für die biologische Vielfalt verheerende<br />

Konsequenzen. Ehemals weit<br />

verzweigte Flussarme wurden auf schmale<br />

Gerinne reduziert und deren Ufer befestigt.<br />

Diese gewä<strong>sse</strong>rbaulichen Massnahmen<br />

führten zusammen mit der zunehmenden<br />

Gewä<strong>sse</strong>rverschmutzung seit dem Ende<br />

des 19. Jahrhundert in Flü<strong>sse</strong>n, Seen und<br />

Feuchtgebieten zu einem d<strong>ra</strong>matischen<br />

Artenverlust in den Schweizer Gewä<strong>sse</strong>rn.<br />

Das zeigt sich auch im Seeland: Vor<br />

der Ersten Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion ström -<br />

te die Aare zwischen Aarberg und Meienreid<br />

als mächtiger Fluss durch die Landscha<strong>ft</strong>.<br />

Ulrich Ochsenbein (1811–1890) beschrieb<br />

das Gebiet 1854 wie folgt: «Kaum<br />

hat nämlich die Aare Aarberg verla<strong>sse</strong>n, so<br />

erweitert sie ihr Bett bis nach Meienried in<br />

einer Breite, die zuweilen 10 bis 20 Minuten<br />

bet<strong>ra</strong>gen mag und einen Flächen<strong>ra</strong>um<br />

von nicht weniger als 3194 Jucharten [gut<br />

1100 ha] darbietet. In diesem Bette hat sie<br />

au<strong>sse</strong>r ihrem gewöhnlichen Rinnsal, eine<br />

unzählige Menge mehr oder weniger tiefe<br />

Kanäle, die während acht bis neun Monaten<br />

leer, und nur dazu bestimmt sind, im<br />

Sommer das Hochwa<strong>sse</strong>r aufzunehmen,<br />

de<strong>sse</strong>n Abfluss nach Meienried aufzuhalten<br />

und zu verzögern, bis da<strong>sse</strong>lbe wieder<br />

fällt und seine normale Höhe erreicht,<br />

was gewöhnlich in verhältnismässig kurzer<br />

Zeit geschieht.» (Ochsenbein, Ulrich, zit.<br />

in: Holenstein 2009: 481).<br />

Die beiden Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektionen<br />

(1868–1891 und 1962–1973) bedeuteten<br />

das d<strong>ra</strong>matische Ende dieser<br />

natürlichen Flusslandscha<strong>ft</strong>: «Zahlreiche<br />

Flü<strong>sse</strong> und Bäche wurden regelrecht aus<br />

der Landscha<strong>ft</strong> <strong>ra</strong>diert: Zwischen 1870<br />

und 1990 sank die Länge der Fliessgewä<strong>sse</strong>r<br />

von rund 1000 Kilometer auf unter<br />

500 Kilometer». Insbesondere die Melio<strong>ra</strong>tionsarbeiten<br />

im Zuge der Zweiten Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

hätten, so Ewald und<br />

Klaus, «die Landscha<strong>ft</strong> regelrecht umgepflügt<br />

und seien aus Sicht des Natur-<br />

und Landscha<strong>ft</strong>sschutzes […], ein Biozid<br />

für freilebende Tiere und wildwachsende<br />

Pflanzen.» (Ewald/Klaus 2009: 109).<br />

Bild 1. Erste genaue Karte des Korrektionsgebietes: «Gene<strong>ra</strong>l Charte der Ju<strong>ra</strong> Gewae<strong>sse</strong>r». Aufgenommen 1816/1817 durch F.<br />

Trechsel, gezeichnet durch J. Opfikofer. (Staatsarchiv des Kantons Bern).<br />

«Wa<strong>sse</strong>r Energie Lu<strong>ft</strong>» – 103. Jahrgang, 2011, He<strong>ft</strong> 4, CH-5401 Baden 337<br />

100. Hauptversammlung 2011

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