26.12.2012 Aufrufe

K lima w a n d e l & W a sse rk ra ft - SWV

K lima w a n d e l & W a sse rk ra ft - SWV

K lima w a n d e l & W a sse rk ra ft - SWV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

dass die vollständige Entwä<strong>sse</strong>rung der<br />

Sümpfe zur Absenkung der Böden führen<br />

würde. Damit hatte er, wie sich später<br />

zeigen sollte, nicht Unrecht. Ochsenbein<br />

sp<strong>ra</strong>ch sich auch gegen die Ableitung der<br />

Aare in den Bielersee aus, womit aus heutiger<br />

Sicht eine zweifellos einmalige Flusslandscha<strong>ft</strong><br />

gerettet worden wäre. Trotz<br />

Ochsenbeins Kritik wurden die Korrektionsarbeiten<br />

unter der Leitung von Gustav<br />

Albert Bridel (1827–1884) zwischen 1868<br />

und 1891 planmässig ausgeführt:<br />

Korrektionsarbeiten zur Ersten Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

(1868–1891)<br />

Ableitung der Aare von Aarberg in den<br />

Bielersee durch den neuen Hagneckkanal<br />

(acht Kilometer, davon 900 Meter<br />

Seerückendurchstich);<br />

Ableitung des im Bielersee vereinigten<br />

Wa<strong>sse</strong>rs von Aare, Broye, Zihl und<br />

Schüss durch den neuen Nidau-Büren-<br />

Kanal (12 Kilometer);<br />

Korrektion der oberen Zihl zwischen<br />

Neuenburger- und Bielersee (Zihlkanal:<br />

8.5 Kilometer);<br />

Korrektion der unteren Broye zwischen<br />

Murten- und Neuenburgersee (Broyekanal:<br />

acht Kilometer);<br />

Trockenlegung der Moore mit weitverzweigt<br />

angelegte Binnenkanälen (Binnenkorrektion:<br />

zi<strong>rk</strong>a 400 km 2 );<br />

Senkung der drei Seen um 2.5 Meter.<br />

Der Durchstich des Seerückens war eindeutig<br />

das Pièce de résistance der Ersten<br />

Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion. Der insgesamt<br />

acht Kilometer lange Hagneckkanal musste<br />

auf einer Länge von 900 Meter 34 Meter<br />

tief ausgeg<strong>ra</strong>ben werden. Der Sandstein<br />

wurde weggesprengt, die weiteren Arbeiten<br />

erfolgten von Hand. Die Arbeiter hoben<br />

den Kanal indes nicht gänzlich aus, sie gruben<br />

lediglich einen Leitkanal auf die volle<br />

Sohlentiefe. Den Rest erledigte das ab<br />

1878 sukzessive eingeleitete Aarewa<strong>sse</strong>r,<br />

das über zwei Millionen Kubikmeter Material<br />

– oder fast zwei Drittel des Kanalquerschnitts<br />

– in den Bielersee schwemmte.<br />

(Ehrsam 1973; Vischer 2003: 105ff.)<br />

8. Neuland<br />

Die Senkung der Seen, die Kanalisierung<br />

der Flü<strong>sse</strong> sowie die Entwä<strong>sse</strong>rung des<br />

Gro<strong>sse</strong>n Mooses veränderten das Antlitz<br />

der Landscha<strong>ft</strong> tiefgreifend. Wie der Rücken<br />

eines Wales hob sich etwa der alte<br />

Heidenweg aus dem Bielersee und aus der<br />

Sankt-Peters-Insel wurde wie zur Römerzeit<br />

eine Halbinsel. Entlang des Südufers<br />

des Neuenburgersees tauchte eine mehrere<br />

100 Meter breite Sandbank auf, die<br />

von aus dem Gro<strong>sse</strong>n Moos vertriebenen<br />

Tieren und Pflanzen <strong>ra</strong>sch besiedelt und<br />

bewachsen wurde. Die G<strong>ra</strong>nde Cariçaie<br />

ist heute das grösste zusammenhängende<br />

Schilf- und Riedgebiet der Schweiz und erstreckt<br />

sich über eine Distanz von 40 Kilometern<br />

Länge (Nast 2011, Cariçaie). Siedlungen<br />

rückten vom Ufer weg, Häfen, aber<br />

auch Ufermauern und Brücken mussten<br />

umgebaut oder völlig neu errichtet werden.<br />

Allgemein wi<strong>rk</strong>te sich die Umgestaltung<br />

der Landscha<strong>ft</strong> massiv auf das<br />

ökologische System aus. Die natürliche<br />

Dynamik in den Gewä<strong>sse</strong>rn wurde massiv<br />

gestört, den Auenwäldern ging das Wa<strong>sse</strong>r<br />

aus und die biologische Vielfalt nahm<br />

d<strong>ra</strong>stisch ab. Jedoch machte sich darüber<br />

kaum jemand Gedanken; der Schutz vor<br />

den wilden Natu<strong>rk</strong>rä<strong>ft</strong>en, der Gewinn von<br />

landwirtscha<strong>ft</strong>lich nutzbaren Flächen und<br />

die um die Jahrhundertwende aufkommende<br />

Wa<strong>sse</strong><strong>rk</strong><strong>ra</strong><strong>ft</strong>nutzung hatten damals<br />

absoluten Vor<strong>ra</strong>ng.<br />

9. Intere<strong>sse</strong>nkonflikte<br />

Die Resultate der Korrektionsarbeiten<br />

waren zwiespältig: Zwar schaf<strong>ft</strong>e die Erste<br />

Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion viele Probleme<br />

aus der Welt. Da jedoch das erste Korrektionsprojekt<br />

keine Regulierung der Seen<br />

vorsah, schwankten die Pegelstände in<br />

den Seen und Flü<strong>sse</strong>n weiterhin sta<strong>rk</strong> und<br />

aus dem Bielersee floss entweder zu viel<br />

oder zu wenig Wa<strong>sse</strong>r ab.<br />

Das hatte nicht nur bedrohliche<br />

Hochwa<strong>sse</strong>r zur Folge, es kam in den<br />

Seen, Kanälen und Flü<strong>sse</strong>n auch immer<br />

wieder zu extremen Niedrigwa<strong>sse</strong>rständen.<br />

Au<strong>sse</strong>rdem sackten, wie vo<strong>ra</strong>usgesagt,<br />

die trockengelegten Torfböden im<br />

Gro<strong>sse</strong>n Moos rund einen Meter ab. (Peter<br />

1922).<br />

Vor diesem Hintergrund t<strong>ra</strong>ten<br />

kaum überwindbare Intere<strong>sse</strong>nkonflikte<br />

an den Tag: So verlangten die Landwirte<br />

den vollständigen Schutz vor Überschwemmungen<br />

und Versumpfung. Auch<br />

die St<strong>ra</strong>ndbodenbesitzer begehrten, dass<br />

ihr Land nicht bei jedem Hochwa<strong>sse</strong>r überschwemmt<br />

wird. Die Fischer wiederum<br />

verlangten kleinere Niveauschwankungen<br />

der Seespiegel und konstante Pegel während<br />

der Laichzeit, damit der Laich nicht<br />

trockenfällt. Da die Schiffe bei Niedrigwa<strong>sse</strong>r<br />

o<strong>ft</strong> zu wenig Wa<strong>sse</strong>r unter dem Kiel hatten,<br />

forderte die Schifffahrt möglichst hohe<br />

Wa<strong>sse</strong>rstände, damit der Wa<strong>sse</strong>rweg von<br />

Yverdon bis Solothurn jederzeit befahrbar<br />

bleibt. Die Hausbesitzer wünschten sich<br />

ebenfalls hohe Wa<strong>sse</strong>rpegel, damit das<br />

Grundwa<strong>sse</strong>r nicht weiter absinkt.<br />

Mit den K<strong>ra</strong><strong>ft</strong>we<strong>rk</strong>betreibern t<strong>ra</strong>ten<br />

um die Jahrhundertwende weitere<br />

Akteure auf, welche ihre Intere<strong>sse</strong>n in die<br />

Debatte einbringen wollten. Bei der Planung<br />

und Durchführung der Ersten Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

war die Nutzung der<br />

Wa<strong>sse</strong><strong>rk</strong><strong>ra</strong><strong>ft</strong> zur Stromproduktion noch<br />

kein Thema. Das änderte sich, als 1900<br />

das K<strong>ra</strong><strong>ft</strong>we<strong>rk</strong> in Hagneck den Betrieb<br />

aufnahm. Später folgten weitere We<strong>rk</strong>e<br />

unterhalb des Bielersees. Diese waren<br />

dringend auf die regelmässige Wa<strong>sse</strong>rführung<br />

angewiesen. Vor allem im Winter<br />

war diese aber nicht gewährleistet. Wegen<br />

akuten Wa<strong>sse</strong>rmangels musste die Stromproduktion<br />

jeweils sta<strong>rk</strong> zurückgefahren<br />

werden, was zu empfindlichen Einbu<strong>sse</strong>n<br />

und entsprechenden Reklamationen der<br />

K<strong>ra</strong><strong>ft</strong>we<strong>rk</strong>betreiber führte. Die K<strong>ra</strong><strong>ft</strong>we<strong>rk</strong>betreiber<br />

forderten deshalb eine gleichmässige<br />

Wa<strong>sse</strong>rführung und insbesondere<br />

einen höheren und regulierten Abfluss<br />

des Bielersees im Winter. Aufgrund ihrer<br />

volkswirtscha<strong>ft</strong>lichen Bedeutung nahmen<br />

Regierung und Behörden diese Kritik sehr<br />

ernst.<br />

10. Erneute<br />

Überschwemmungen<br />

1910 liess ein Rekordhochwa<strong>sse</strong>r die Seen<br />

über die Ufer treten und führte im Gro<strong>sse</strong>n<br />

Moos erneut zu schweren Überschwemmungen.<br />

Das Wehr bei Nidau konnte die<br />

Wa<strong>sse</strong>rma<strong>sse</strong>n bei weitem nicht meistern.<br />

Die Kantone Freiburg, Neuenburg<br />

und Waadt teleg<strong>ra</strong>fierten nach Bern und<br />

verlangten die sofortige Sprengung des<br />

Bauwe<strong>rk</strong>s. Der damalige bernische Baudirektor<br />

Karl Könitzer (1854–1915) kabelte<br />

treffend zurück:<br />

«Nume nid gschprängt».<br />

Nein, gesprengt wurde das Bauwe<strong>rk</strong> nicht.<br />

Nicht auszudenken, welche Verheerungen<br />

bei einer Sprengung die in Sekundenschnelle<br />

freigela<strong>sse</strong>nen Wa<strong>sse</strong>rma<strong>sse</strong>n<br />

in den weiter unten liegenden Kantonen<br />

Solothurn und Aargau angerichtet hätten.<br />

Doch die Angelegenheit war dringend. Von<br />

1936 bis 1940 wurde deshalb das Regulierwehr<br />

bei Port als vorgezogene Massnahme<br />

zur Zweiten Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

errichtet. Das Bauwe<strong>rk</strong> ist nach wie vor<br />

ein Kernstück der gesamten Korrektionsarbeiten<br />

im 20. Jahrhundert.<br />

Den schweren Überschwemmungen<br />

von 1910 folgten weitere Hochwa<strong>sse</strong>rereigni<strong>sse</strong>,<br />

so 1944, 1948, 1950,<br />

1952, 1953 und 1955. Es zeigte sich, dass<br />

die Arbeiten zur Ersten Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

die Region nicht ausreichend gesichert<br />

haben und sich eine Zweite Ju<strong>ra</strong>gewä<strong>sse</strong><strong>rk</strong>orrektion<br />

aufdrängte.<br />

«Wa<strong>sse</strong>r Energie Lu<strong>ft</strong>» – 103. Jahrgang, 2011, He<strong>ft</strong> 4, CH-5401 Baden 341<br />

100. Hauptversammlung 2011

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!