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MEDIAkompakt Ausgabe 34

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org

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2 FREI<br />

mediakompakt<br />

Und wann ist es<br />

bei euch so weit?<br />

Bild: Unsplash<br />

Egoistisch, verantwortungsscheu und karrierefixiert – diese<br />

Vorurteile kursieren auch im Jahr 2023 über gewollt kinderlose<br />

Frauen. Mit diesen Stereotypen räumt jetzt eine Studie der<br />

Dualen Hochschule Gera auf.<br />

VON LEA SANDKÜHLER<br />

Bekomm du erst einmal eigene Kinder,<br />

dann wirst du es lieben.“ „Eine<br />

Frau ohne Kind ist keine richtige<br />

Frau.“ „Und, wann ist es bei euch so<br />

weit?“ Diese Sprüche hören vermutlich<br />

viele Frauen mindestens einmal in ihrem Leben.<br />

Von Bekannten, der Familie, von Fremden<br />

oder im Bewerbungsgespräch. Sie sind persönlich,<br />

teils übergriffig. Und doch wollen sie einfach<br />

nicht aussterben. Etwa jede fünfte Frau bleibt in<br />

Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt<br />

kinderlos. Bei vielen ist diese Kinderlosigkeit gewollt.<br />

Aus den unterschiedlichsten Gründen. Diese<br />

sind allerdings nicht, wie bisher angenommen,<br />

den Rahmenbedingungen der Gesellschaft geschuldet.<br />

Im Gegenteil: Laut einer Studie der<br />

sozial wissenschaftlichen Fakultät an der Dualen<br />

Hochschule Gera, an der 1.100 gewollt kinderlose<br />

Frauen teilgenommen haben, wird diese Entscheidung<br />

vor allem aus persönlichen Erfahrungen<br />

und Ansichten getroffen.<br />

Kinder nehmen viel Raum und Zeit ein. Ein<br />

Kind macht aus einer emanzipierten Frau schnell<br />

eine Mutter, die in alten Rollenbildern gefangen<br />

ist. Auch eine anonyme Umfrage an der Hochschule<br />

der Medien mit 22 Teilnehmerinnen verdeutlicht<br />

diese These. Die Antworten stützen zudem<br />

die Ergebnisse aus Gera. „Ich möchte keine<br />

solch große Verantwortung für einen anderen<br />

Menschen übernehmen und vor allem keine Kinder<br />

in eine solch unsichere Welt setzen“, antwortet<br />

eine 28-jährige Teilnehmerin. Doch der Gedanke<br />

an eigene Kinder ist oft auch positiv behaftet:<br />

„Ich habe es immer genossen von den Menschen,<br />

die ich liebe, umgeben zu sein. Das will ich<br />

gerne weiterführen und später meinen eigenen<br />

Kindern dieses Gefühl von Zugehörigkeit und Liebe<br />

weitergeben“, sagt eine weitere Probandin der<br />

Umfrage (22).<br />

Auch die Studie aus Gera zeigt, dass eine Entscheidung<br />

gegen Kinder bewusst getroffen wird,<br />

oft schon in jungen Jahren. Bei anderen war es ein<br />

längerer Prozess. Auf die Frage, wann sie sich gegen<br />

Kinder entschieden habe, sagt eine 27-jährige<br />

Teilnehmerin: „Vielleicht um die Zeit, als ich 20<br />

wurde und anfing, aktiv an mir selbst zu arbeiten.“<br />

Sogenannte „Früh-Entscheiderinnen“ sind<br />

auch laut den Ergebnissen aus Gera keine Seltenheit.<br />

Ganze 42 Prozent der 1.100 Frauen gehören<br />

dieser Gruppe an. Eine Rolle spielt hier auch die<br />

sich immer weiter zuspitzende Klimakrise: „Die<br />

Welt kollabiert und das passiert gerade jetzt. Ich<br />

bin so enttäuscht und mache mir solche Sorgen,<br />

dass ich beschlossen habe, keine Kinder in die<br />

Welt zu setzen“, sagt auch Blythe Pepino. Die britische<br />

Sängerin gilt als Gründerin des „Birth-Strike-Movement“<br />

– der „Gebärstreik-Bewegung“.<br />

Die Anhängerinnen der Bewegung verzichten fürs<br />

Klima auf Kinder – und berufen sich dabei auf eine<br />

Nachhaltigkeitsstudie aus Schweden. 2017 haben<br />

dort Forscher:innen die besten Maßnahmen gegen<br />

steigende Emissionen in Industriestaaten untersucht.<br />

Ihr Fazit: Keine weiteren Menschen in<br />

die Welt zu setzen ist die beste Maßnahme, die<br />

Menschen konkret ergreifen können. Der Verzicht<br />

auf ein Kind kann 177 Tonnen CO2 pro Jahr<br />

einsparen. Der Verzicht aufs Auto nur rund 5,3<br />

Tonnen. Aber nicht nur der Klimawandel spielt in<br />

der Entscheidung gegen Kinder eine Rolle. Sowohl<br />

in der Studie als auch in der Umfrage waren<br />

es vor allem persönliche Gründe, die genannt<br />

wurden. Das Konzept von Mutterschaft entspreche<br />

nicht ihren Zukunftsplänen, betont eine<br />

22-jährige Teilnehmerin der Umfrage. „Ich möchte<br />

beruflich Karriere machen und mir meine Unabhängigkeit<br />

in sämtlichen Lebensentscheidungen<br />

bewahren“, sagt sie. Sowohl die Umfrage als<br />

auch die Studie zeigen aber, dass Frauen sich immer<br />

noch rechtfertigen müssen, wenn sie keine<br />

Kinder möchten. Dass Kinder Einschränkungen<br />

in der Karriere, des Körpers und dem Finanziellen<br />

bedeuten können, wird ignoriert. „Ich bin nicht<br />

verantwortlich, ob sich jemand anderes mit meinen<br />

Entscheidungen wohlfühlt“, meint Marie-<br />

Catherine Schaller, Probandin aus Gera. Ob die<br />

übergriffigen Fragen zur Kinderthematik jemals<br />

aussterben werden, bleibt dennoch abzuwarten.<br />

Buchtipps zum Thema<br />

• Linn Strømsborg: Nie, Nie, Nie<br />

Dumont Buchverlag, 13 Euro<br />

• Nadine Pungs: Nichtmuttersein<br />

Piper Verlag, 18 Euro<br />

• Verena Kessler: Eva<br />

Hanser Verlag, 24 Euro<br />

• Caroline Schmitt: Liebewesen<br />

Eichborn, 20 Euro

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