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MEDIAkompakt Ausgabe 34

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org

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02/ 2023 FREI<br />

23<br />

Von Bischkek nach Berlin<br />

Beim Rätseln auf die Frage „Woher kommst du?“ war Aleksandr Aleksin schon Däne, Pole und<br />

Schwede. Dass er nicht aus Deutschland kommt, macht sich an seinem Akzent bemerkbar –<br />

diesen trägt er mit Stolz. Die Antwort lautet: Kirgistan.<br />

VON LILIA PETER<br />

Aleksandr Aleksin ist in Kirgistan geboren,<br />

einem asiatischen Land mit rund<br />

sechs Millionen Einwohner:innen.<br />

Nun lebt er 6000 Kilometer entfernt<br />

mit seiner Familie in Berlin. Seine Verwandtschaft<br />

hat Ursprünge in Russland und Kirgistan,<br />

aber keine Vorfahren aus Deutschland.<br />

Wie seine Eltern ist er russischsprachig aufgewachsen.<br />

In der Schule wurde Deutsch als Fremdsprache<br />

angeboten. Flüssig sprechen konnte Aleksin<br />

es zu der Zeit nicht. Diese ersten Berührungspunkte<br />

sollten ihn aber zu seinem heutigen Leben<br />

führen: „Es hat sich so angefühlt, als wollte das<br />

Schicksal, dass ich Deutsch lerne“, erzählt der<br />

heute 44-Jährige. Als Aleksin sein Studium der<br />

Rechtswissenschaften in Bischkek, der kirgisischen<br />

Hauptstadt, antrat, hatte er erneut die Möglichkeit<br />

Deutsch zu lernen – dieses Mal in einem<br />

kleinen Intensivkurs. Damit konnte er seine<br />

Sprachkenntnisse mit dem international anerkannten<br />

Goethe-Institut-Zertifikat nachweisen.<br />

Selbst in seiner Freizeit begegnete Aleksin Menschen,<br />

die von einem utopischen Deutschland erzählten.<br />

„Das Ausland, Deutschland, war was<br />

komplett Neues“, erinnert er sich.<br />

Für Aleksin war klar: Er würde sich ein eigenes<br />

Bild von diesem „Traumland“ machen. Um einen<br />

Sommer in Deutschland verbringen zu können,<br />

hat er sich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst<br />

(DAAD) für ein dreimonatiges Stipendium<br />

beworben. Zwei Jahre war er erfolglos,<br />

bis im Jahr 2001 die Zusage für ein einjähriges Absolventen-Stipendium<br />

kam. „Die Urkunde habe<br />

ich immer noch“, lacht er.<br />

Mit 23 Jahren verließ Aleksin sein Heimatland<br />

und lernte das deutsche Studentenleben kennen.<br />

An der Universität Bremen hatte er die Chance,<br />

ein Masterprogramm in Rechtswissenschaften für<br />

ausländische Studierende zu belegen. Deutschland<br />

war bunt, der Alltag herausfordernd. Aber<br />

nun konnte sich Aleksin mit der Sprache und dem<br />

Studentendasein vertraut machen. Noch heute<br />

begeistert er sich für die deutschen Universitätsbibliotheken.<br />

„Klar gab es in Kirgistan Bibliotheken<br />

und Bücher. Nur leider waren die meisten Bücher,<br />

die man gebraucht hat, vergriffen.“ Das Auslandsjahr<br />

endete mit einer deutschen Abschlussarbeit<br />

und einer Wahl: Entweder konnte Aleksin mit<br />

idealen Berufsaussichten nach Kirgistan zurückkehren<br />

oder in Deutschland einen Doktorgrad erlangen.<br />

Als Jurist des kirgisischen Rechts schlug er<br />

einen anderen Weg ein: das deutsche Jurastudium.<br />

Damit setzte er den Grundstein für sein neues<br />

Leben in Deutschland. Heute ist Aleksin selbstständig<br />

als Rechtsanwalt in Berlin tätig.<br />

Seit 2009 trägt der gebürtige Kirgise die deutsche<br />

Staatsbürgerschaft – Deutsch auf Papier. In<br />

der Realität balanciert er zwei Identitäten. Je nach<br />

Situation wechselt er zwischen den Sprachen. Er<br />

denkt und träumt in beiden. „Ich habe zwei Gesichter,<br />

russisch und deutsch, die miteinander<br />

sprechen.“ Seinen Kindern möchte er beides vermitteln.<br />

Sie wachsen zweisprachig auf. „Meine<br />

Frau spricht mit den Kindern auf Deutsch. Ich rede<br />

zu Hause nur auf Russisch. Meine Kinder antworten<br />

lieber auf Deutsch“, lacht der Rechtsanwalt.<br />

Für Aleksin bedeuten Sprachen neue Möglichkeiten.<br />

Sie sind „Türöffner“ im Leben.<br />

„Jede Sprache bringt uns weiter. Wenn ich die<br />

Möglichkeit hätte, die Zeit zurückzudrehen, hätte<br />

ich noch die kirgisische Sprache gelernt.“ Aleksins<br />

Lebensweg ist durch seine Mehrsprachigkeit zutiefst<br />

geprägt. Schließlich hat ihm die deutsche<br />

Sprache einen Weg nach Deutschland geebnet.<br />

Aber auch seine Muttersprache hilft ihm heute im<br />

Arbeitsalltag. Russischsprachige Mandant:innen<br />

aus aller Welt suchen nach gleichsprachigen Anwälten.<br />

Dabei betreut er sie zum deutschen Recht.<br />

So berichtet er von Situationen, in denen er in seinem<br />

Berliner Büro mit einem Iraner aus der Ukraine<br />

auf Russisch sprechen musste. Obwohl Aleksins<br />

Wurzeln in Kirgistan sind, kann er sich ein<br />

Leben dort nicht mehr vorstellen. Mittlerweile leben<br />

viele Verwandte und Freund:innen in verschiedenen<br />

Teilen Europas. Auch sie haben ein<br />

anderes Land zu ihrer Heimat gemacht. Für Aleksin<br />

ist Deutschland sein Zuhause.<br />

Bild: Privat<br />

Bild: Pexels

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