05.12.2023 Aufrufe

MQ+ Winter 2023

Das Artland-Magazin

Das Artland-Magazin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

+<br />

Das Artland-Magazin.<br />

Der rote Bollerwagen kann auch heute noch Lasten tragen<br />

mich auf den Weg zu der Firma Segler<br />

an der Artlandstraße. Mein Onkel Heinz<br />

wohnte hier direkt gegenüber und daher<br />

wusste ich, dass auf dem Hinterhof<br />

der Firma viel Schrott lagerte. Als ich<br />

mit meinem Bollerwagen die Hofeinfahrt<br />

passierte, wurde ich von zwei Arbeitern<br />

angesprochen, die hier gerade<br />

eine Zigarette rauchten: „Na, kleiner<br />

Mann, was suchst du denn hier?“<br />

Meine Antwort kam wie aus der Pistole<br />

geschossen: „Ich wollte mal fragen,<br />

ob ich hier etwas Schrott bekommen<br />

könnte, den ich dann bei Willi Wacker<br />

verkaufen kann, um mein Taschengeld<br />

aufzubessern?“<br />

Die beiden Herren hatten es wirklich<br />

gut mit mir gemeint, lachten beim<br />

Abschied und riefen mir noch zu, dass<br />

ich gerne wiederkommen dürfte.<br />

Ich hatte mir für mein erstes Geschäft,<br />

das ich mit Herrn Wacker abwickeln<br />

wollte, einen sehr sonnigen Tag<br />

ausgesucht und als ich am Ende der<br />

Merschstraße auf die Menslager Straße<br />

abbog, dachte ich, dass eventuell eins<br />

der beiden Schwungräder ausgereicht<br />

hätte. Aber aufgeben war für mich keine<br />

Option und nach einer kurzen Pause<br />

zog ich weiter, immer vor Augen, dass<br />

ich bestimmt reich werden würde.<br />

Bei Willi Wacker an der Hofeinfahrt<br />

angekommen, fühlte ich mich, als hätte<br />

ich mit meinem Bollerwagen eine Wüste<br />

durchquert und als er mich bemerkte,<br />

kam er auf mich zu und fragte: „Na,<br />

kleiner Mann, bist du nicht der Sohn<br />

von Johann Bülow? Was führt dich denn<br />

zu mir?“<br />

„Ja, Herr Wacker, ich bin Detlef Bülow<br />

und ich war letzte Woche schon mal mit<br />

meinem Vater bei Ihnen. Ich wollte Sie<br />

fragen, ob Sie mir eventuell das Altmetall<br />

aus meinem Bollerwagen abkaufen<br />

möchten?“<br />

Willi lachte und sagte: „Das mache ich<br />

doch gern, aber vorher kommst du mal<br />

mit und trinkst erstmal etwas.“<br />

Meine fürstliche Entlohnung bestand<br />

aus einem 5-Mark-Stück und Willi<br />

schmierte noch die Achsen meines<br />

Bollerwagens. Da mein Vater aber für<br />

seinen Schrott viel mehr Geld bekommen<br />

hatte, erschienen mir 5 Mark etwas<br />

wenig zu sein und so fragte ich, wie<br />

das denn sein könne? Kostenlos bekam<br />

ich von Willi den Wert der unterschiedlichen<br />

Metalle erklärt und ich ging<br />

als der glücklichste kleine Mann der<br />

Neustadt nach Hause. In den folgenden<br />

Wochen wiederholte ich diese Aktion<br />

dreimal. Manchmal musste ich bei<br />

Segler etwas warten, bis jemand aus<br />

der großen Halle herauskam. Aber mein<br />

kleiner Bollerwagen wurde jedes Mal<br />

bis zur Belastungsgrenze beladen. Auch<br />

von Willi wurde ich immer freundlich<br />

empfangen. Bei meinem letzten Besuch<br />

meinte er, dass ich ein guter Geschäftsmann<br />

sei. Als ich ihn fragte, wie er das<br />

meint, antwortete er lachend: „Meinst<br />

du denn, dass ich nicht merken würde,<br />

dass du mir meinen eigenen Schrott<br />

verkaufst? Du holst dir doch die Sachen<br />

von meinem Schrottplatz an der Ladestraße<br />

oder nicht?“<br />

Ich antwortete: „Nein, Herr Wacker, da<br />

muss ich Sie leider enttäuschen, das<br />

würde ich auch nie tun, ich mopse den<br />

Schrott direkt bei Segler.“<br />

Willi lachte laut, ja, er hörte gar nicht<br />

mehr auf zu lachen, beugte sich zu<br />

mir runter, legte seine Hand auf meine<br />

Schulter und sagte: „Aus dir kann mal<br />

was werden.“ Dann drückte er mir noch<br />

einmal ein 5-Mark-Stück in die Hand<br />

und ich ging.<br />

„Da helfen wir doch gerne, komm mal<br />

mit!“, entgegneten mir die beiden<br />

netten Herren und führten mich zu<br />

einem mit Nischen abgemauerten<br />

Platz, auf dem große Schwungräder<br />

aus Gusseisen lagen. Sie packten mir<br />

gleich zwei dieser Scheiben in meinen<br />

Bollerwagen und wünschten mir viel<br />

Spaß damit. Nicht nur ich strahlte über<br />

beide Ohren, auch die beiden netten<br />

Arbeiter lachten.<br />

Mit den Worten „vielen Dank, damit<br />

hatte ich nicht gerechnet“, bedankte<br />

ich mich. Doch dann bemerkte ich, was<br />

für ein Gewicht sie mir auf den Wagen<br />

gelegt hatten, denn ich konnte ihn<br />

kaum bewegen.<br />

Vater Bülows selbstgebauter Fahrradanhänger<br />

14 | MQ Ausgabe <strong>Winter</strong> <strong>2023</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!