MQ+ Winter 2023
Das Artland-Magazin
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Das Artland-Magazin.<br />
Der rote Bollerwagen kann auch heute noch Lasten tragen<br />
mich auf den Weg zu der Firma Segler<br />
an der Artlandstraße. Mein Onkel Heinz<br />
wohnte hier direkt gegenüber und daher<br />
wusste ich, dass auf dem Hinterhof<br />
der Firma viel Schrott lagerte. Als ich<br />
mit meinem Bollerwagen die Hofeinfahrt<br />
passierte, wurde ich von zwei Arbeitern<br />
angesprochen, die hier gerade<br />
eine Zigarette rauchten: „Na, kleiner<br />
Mann, was suchst du denn hier?“<br />
Meine Antwort kam wie aus der Pistole<br />
geschossen: „Ich wollte mal fragen,<br />
ob ich hier etwas Schrott bekommen<br />
könnte, den ich dann bei Willi Wacker<br />
verkaufen kann, um mein Taschengeld<br />
aufzubessern?“<br />
Die beiden Herren hatten es wirklich<br />
gut mit mir gemeint, lachten beim<br />
Abschied und riefen mir noch zu, dass<br />
ich gerne wiederkommen dürfte.<br />
Ich hatte mir für mein erstes Geschäft,<br />
das ich mit Herrn Wacker abwickeln<br />
wollte, einen sehr sonnigen Tag<br />
ausgesucht und als ich am Ende der<br />
Merschstraße auf die Menslager Straße<br />
abbog, dachte ich, dass eventuell eins<br />
der beiden Schwungräder ausgereicht<br />
hätte. Aber aufgeben war für mich keine<br />
Option und nach einer kurzen Pause<br />
zog ich weiter, immer vor Augen, dass<br />
ich bestimmt reich werden würde.<br />
Bei Willi Wacker an der Hofeinfahrt<br />
angekommen, fühlte ich mich, als hätte<br />
ich mit meinem Bollerwagen eine Wüste<br />
durchquert und als er mich bemerkte,<br />
kam er auf mich zu und fragte: „Na,<br />
kleiner Mann, bist du nicht der Sohn<br />
von Johann Bülow? Was führt dich denn<br />
zu mir?“<br />
„Ja, Herr Wacker, ich bin Detlef Bülow<br />
und ich war letzte Woche schon mal mit<br />
meinem Vater bei Ihnen. Ich wollte Sie<br />
fragen, ob Sie mir eventuell das Altmetall<br />
aus meinem Bollerwagen abkaufen<br />
möchten?“<br />
Willi lachte und sagte: „Das mache ich<br />
doch gern, aber vorher kommst du mal<br />
mit und trinkst erstmal etwas.“<br />
Meine fürstliche Entlohnung bestand<br />
aus einem 5-Mark-Stück und Willi<br />
schmierte noch die Achsen meines<br />
Bollerwagens. Da mein Vater aber für<br />
seinen Schrott viel mehr Geld bekommen<br />
hatte, erschienen mir 5 Mark etwas<br />
wenig zu sein und so fragte ich, wie<br />
das denn sein könne? Kostenlos bekam<br />
ich von Willi den Wert der unterschiedlichen<br />
Metalle erklärt und ich ging<br />
als der glücklichste kleine Mann der<br />
Neustadt nach Hause. In den folgenden<br />
Wochen wiederholte ich diese Aktion<br />
dreimal. Manchmal musste ich bei<br />
Segler etwas warten, bis jemand aus<br />
der großen Halle herauskam. Aber mein<br />
kleiner Bollerwagen wurde jedes Mal<br />
bis zur Belastungsgrenze beladen. Auch<br />
von Willi wurde ich immer freundlich<br />
empfangen. Bei meinem letzten Besuch<br />
meinte er, dass ich ein guter Geschäftsmann<br />
sei. Als ich ihn fragte, wie er das<br />
meint, antwortete er lachend: „Meinst<br />
du denn, dass ich nicht merken würde,<br />
dass du mir meinen eigenen Schrott<br />
verkaufst? Du holst dir doch die Sachen<br />
von meinem Schrottplatz an der Ladestraße<br />
oder nicht?“<br />
Ich antwortete: „Nein, Herr Wacker, da<br />
muss ich Sie leider enttäuschen, das<br />
würde ich auch nie tun, ich mopse den<br />
Schrott direkt bei Segler.“<br />
Willi lachte laut, ja, er hörte gar nicht<br />
mehr auf zu lachen, beugte sich zu<br />
mir runter, legte seine Hand auf meine<br />
Schulter und sagte: „Aus dir kann mal<br />
was werden.“ Dann drückte er mir noch<br />
einmal ein 5-Mark-Stück in die Hand<br />
und ich ging.<br />
„Da helfen wir doch gerne, komm mal<br />
mit!“, entgegneten mir die beiden<br />
netten Herren und führten mich zu<br />
einem mit Nischen abgemauerten<br />
Platz, auf dem große Schwungräder<br />
aus Gusseisen lagen. Sie packten mir<br />
gleich zwei dieser Scheiben in meinen<br />
Bollerwagen und wünschten mir viel<br />
Spaß damit. Nicht nur ich strahlte über<br />
beide Ohren, auch die beiden netten<br />
Arbeiter lachten.<br />
Mit den Worten „vielen Dank, damit<br />
hatte ich nicht gerechnet“, bedankte<br />
ich mich. Doch dann bemerkte ich, was<br />
für ein Gewicht sie mir auf den Wagen<br />
gelegt hatten, denn ich konnte ihn<br />
kaum bewegen.<br />
Vater Bülows selbstgebauter Fahrradanhänger<br />
14 | MQ Ausgabe <strong>Winter</strong> <strong>2023</strong>