„Quae datur ex Chattis laurea.“ - florian-unzicker
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Georg-August-Universität Göttingen<br />
Althistorisches Seminar<br />
Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für<br />
das Lehramt an Gymnasien<br />
<strong>„Quae</strong> <strong>datur</strong> <strong>ex</strong> <strong>Chattis</strong> <strong>laurea</strong>.<strong>“</strong><br />
Domitians erster Chattenkrieg.<br />
vorgelegt von:<br />
Florian Unzicker<br />
Abgabedatum: 23.04.2010<br />
Domitians erster Chattenkrieg 1
„Die Gegenwart des Historikers ist ein Moment, das aus keiner<br />
Geschichtsdarstellung ausgeschieden werden kann, und zwar<br />
ebensowohl seine Individualität wie die Gedankenwelt der Zeit, in der<br />
er lebt. Zu allen Zeiten ist es nur unsere Erkenntnis der Geschichte, zu<br />
der wir gelangen können, niemals eine absolute und unbedingt gültige<br />
[...], das Primäre ist überall das erkennende Individuum.<strong>“</strong><br />
Eduard Meyer, Zur Theorie und Methodik der Geschichte (1902).<br />
„Ein Altertumswissenschaftler kann in der Bibliothek sitzen und<br />
seinen Pausanias lesen, und ein anderer kann einen antiken<br />
Abfallhaufen untersuchen: Beides ist Teil ein und desselben<br />
Unternehmens.<strong>“</strong><br />
Paul Bahn, Wege in die Antike (1999).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 2
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung.......................................................................................................................5<br />
2. Zum Stand der Forschung............................................................................................9<br />
3. Die Quellenlage<br />
3.1. Literarische Quellen........................................................................................16<br />
3.1.1. Zeitgenössische Autoren<br />
3.1.1.1. Frontin.................................................................................................18<br />
3.1.1.2. Martial.................................................................................................19<br />
3.1.1.3. Silius Italicus.......................................................................................21<br />
3.1.1.4. Tacitus..................................................................................................21<br />
3.1.1.5. Plinius der Jüngere.............................................................................23<br />
3.1.1.6. Sueton..................................................................................................24<br />
3.1.2. Spätere antike Autoren<br />
3.1.2.1. Cassius Dio.........................................................................................26<br />
3.1.2.2. Aurelius Victor...................................................................................27<br />
3.1.2.3. Epitomator de Caesaribus................................................................29<br />
3.1.2.4. Paulus Orosius...................................................................................29<br />
3.2. Nichtliterarische Quellen<br />
3.2.1. Archäologische Funde...........................................................................31<br />
3.2.2. Numismatische Funde...........................................................................32<br />
3.2.3. Epigraphische Funde............................................................................34<br />
4. Die Germanienpolitik der Flavier bis Domitian.......................................................36<br />
5. Domitians erster Chattenkrieg<br />
5.1. Die Chronologie des Feldzuges...........................................................................43<br />
5.2. Der Verlauf des Feldzuges...................................................................................48<br />
5.3. Die Lokalisierung des Feldzuges.........................................................................53<br />
5.4. Die Motive Domitians..........................................................................................54<br />
5.5. Siegespropaganda und Ehrungen für Domitian...............................................58<br />
5.6. Die Gründungen der beiden germanischen Provinzen....................................62<br />
6. Die Bewertung des Chattenkrieges<br />
6.1. Die Bewertung in der antiken Literatur<br />
6.1.1. Zeitgenössische antike Autoren.................................................................67<br />
6.1.2. Spätere antike Autoren..............................................................................76<br />
6.1.3. Resümee......................................................................................................79<br />
Domitians erster Chattenkrieg 3
6.2. Die Bewertung in der modernen Forschung...................................................80<br />
6.2.1. Resümee.....................................................................................................83<br />
7. Exkurs: Saturninusaufstand und zweiter Chattenkrieg.......................................85<br />
8. Die Einordnung der domitianischen Germanienpolitik........................................91<br />
9. Schlussbetrachtung...................................................................................................95<br />
Quellen- und Literaturverzeichnis<br />
Domitians erster Chattenkrieg 4
1. Einleitung<br />
Als am 13. September 81 nach Christus der römische Kaiser Titus recht unerwartet<br />
starb, folgte ihm sein jüngerer Bruder Domitian auf den Thron. 1 Bei diesem jüngsten<br />
Spross aus dem Hause der Flavier handelt es sich, im Gegensatz zu seinen<br />
Vorgängern Vespasian und Titus, um eine außerordentlich umstrittene<br />
Herrscherpersönlichkeit. Die sparsame und äußerst tendenziöse Quellenlage macht es<br />
schwierig, sich der historischen Realität seiner Regierung zu nähern: Während seiner<br />
Herrschaft waren von den mehr oder weniger hofnahen Dichtern ausschließlich<br />
panegyrische Töne zu vernehmen, nach Domitians Ableben jedoch setzte eine<br />
massive literarische Abrechnung mit seiner Regierungszeit ein, für die aufgrund ihrer<br />
bis ins letzte Jahrhundert anhaltenden Nachwirkung der Begriff „Rufmordkampagne<strong>“</strong><br />
mehr als treffend scheint. Eine auch nur einigermaßen „objektive Berichterstattung<br />
zeichnete jedenfalls keine der beiden Seiten aus.<strong>“</strong> 2<br />
Domitians fünfzehn Jahre dauernder und mit seinem gewaltsamen Tod endender<br />
Herrschaft ist in der modernen Geschichtsschreibung oft das Etikett „Autokratie<strong>“</strong><br />
angehängt worden. 3 In der Tat war er weniger als viele seiner Vorgänger gewillt, die<br />
vom ersten Princeps Augustus propagierte Fiktion der Wiedererrichtung und des<br />
Weiterbestehens der republikanischen Verfassung (res publica restituta)<br />
aufrechtzuerhalten und er scheute sich nicht davor, seine umfassende Macht<br />
offensichtlich zu machen. 4 Dementsprechend konnte das Bild Domitians in der<br />
senatorisch dominierten zeitgenössischen Geschichtsschreibung weder ausgewogen<br />
noch an historischen Fakten orientiert sein, sondern musste düster ausfallen.<br />
Insgesamt präsentiert dieses Geschichtsbild der Nachwelt Domitian als den in<br />
schrankenloser Willkür herrschenden „Typus des Tyrannen und Wüterichs<strong>“</strong>, 5 ja<br />
geradezu als die in dunkelsten Farben gezeichnete „Perversion eines Princeps.<strong>“</strong> 6<br />
Es mangelt von dieser Seite nicht an schillernden Anekdoten, in denen nichts<br />
unversucht gelassen wird, Domitian als hochmütigen und willkürlich gewalttätigen<br />
Herrscher darzustellen. 7 So habe er nicht nur dem Ableben seines Bruders<br />
1 Suet. Tit. 11,1.<br />
2 Daumer (2005), S. 10.<br />
3 Heuß (1998), S. 342; Garzetti (1974), S. 263; Bengtson (1979), S. 9; S. 251; Christ (1983a), S. 10; Grant (1987), S.<br />
304; S. 305; Eck (1997), Sp. 747; Leberl (2004), S. 13.<br />
4 Grant (1987), S. 304, Christ (1983a), S. 9ff. Prägnant zur Rolle der Beziehungen zwischen Senatsaristokratie und<br />
Princeps vgl. Bringmann (2006), S. 68f.<br />
5 Bengtson (1979), S. 179.<br />
6 Eck (1997), Sp. 748.<br />
7 Zu angeblichem Hochmut und Willkür vgl. Suet. Dom. 1,2; 10,1; 12,3.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 5
nachgeholfen, 8 sondern seine Grausamkeit veranlasse ihn dazu, sich die kaiserliche<br />
Freizeit damit zu vertreiben, im Palast Fliegen mit einem spitzen Griffel<br />
aufzuspießen. 9 Diese Grausamkeit sei nicht nur groß, sondern auch heimtückisch<br />
gewesen. 10 Ferner sei er faul, furchtsam und ängstlich, 11 aber zugleich über die<br />
Maßen lüstern gewesen: Tacitus weiß von Domitian zu berichten, dass ihm vor<br />
Regierungsantritt der nötige Ernst für die Regierungsaufgaben völlig abgegangen sei<br />
und er es vorgezogen habe, auf dem Gebiet der Unzucht und des Ehebruchs die Rolle<br />
des Fürstensohnes zu spielen. 12 Der mehr an der persönlichen Seite der Principes<br />
interessierte Sueton lästert, dass Domitian seinen fortgesetzten Geschlechtsverkehr<br />
als eine Art gymnastische Übung betrachtet habe, die er mit griechischem Wort als<br />
„Bettgymnastik<strong>“</strong> bezeichnet habe; seine Mätressen enthaare er eigenhändig und bade<br />
mit den gemeinsten Dirnen zusammen. 13 Plinius d. J. beschreibt ihn als furchtbares<br />
Untier (immanissima belua) 14 und als Schurken, der alle Guten beraubte und<br />
peinigte. 15 Die senatorische Geschichtsschreibung hat auch die christliche Sichtweise<br />
erheblich beeinflusst. In der Annahme, es handele es sich um einen<br />
Christenverfolger, erscheint Domitian in der christlichen Geschichtsschreibung eines<br />
Laktanz, Eusebius oder Orosius als zweiter Nero und möglicherweise ist er es, den<br />
die Offenbarung des Johannes mit dem Antichristen identifizieren will. 16 Dieses<br />
Negativbild hat sich im Wesentlichen bis in die Neuzeit erhalten, für Montesquieu<br />
war der Flavier ein Monster, das grausamer gewesen sei als alle seine Vorgänger, für<br />
den Dichter Schiller ein Tyrann. 17<br />
Auch die moderne althistorische Forschung hat sich mit dem Principat des letzten<br />
Flaviers nicht leicht getan und das nicht nur, weil die Überlieferung der Quellen<br />
„ausgesprochen ungünstig<strong>“</strong> ist. 18 Die moderne Domitianforschung stand lange Zeit<br />
8 Aur. Vict. Caes. 11,1; vgl. auch Cass. Dio Hist. Rom. 66, 26, 2f.<br />
9 Suet. Dom. 3,1; Epit. de Caes., 11,6.<br />
10 Suet. Dom. 11,1; Epit. de Caes. 11,6.<br />
11 Suet. Dom. 19,1; 14, 2; Epit. de Caes. 11,6.<br />
12 Tac. Hist. 4,2,1.<br />
13 Suet. Dom. 22,1; 1,2; vgl. auch Epit. de Caes. 11,7.<br />
14 Plin. Paneg. 48,3.<br />
15 Plin. Paneg. 90,5.<br />
16 Laktanz, De mortibus persecutorum 3; Eusebius, Historia Ecclesiastica 3,17; 1. Clemensbrief 7,1; Oros. Hist. Adv.<br />
Pag. 10,1ff.; Offenbarung des Johannes 17. Zusammenfassend zum christlichen Standpunkt vgl. Pfeiffer (2009), S.<br />
117-120; zum 1. Clemensbrief vgl. Molthagen (1995); zur Johannesapokalypse vgl. Groß (1959), Sp. 107ff.<br />
17 Christ (1983a), S. 1f.<br />
18 Groß (1959), Sp. 91. Oft hat man Domitian auch vor dem Hintergrund einer möglichen Charakterstörung (vgl. Cass.<br />
Dio Hist. Rom. 65,9,3; Suet. Dom. 3; 10; 11; 14) beurteilt, vgl. Kraus (1876); Bengtson (1979), S. 180ff., aber auch<br />
Waters (1964).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 6
im Zeichen der senatorisch dominierten antiken Überlieferung. 19 So sah der<br />
Heidelberger Historiker Alfred von Domaszewski im jüngsten Flavier einen<br />
„Emporkömmling, der sich in das schlecht sitzende Gewand der erborgten Majestät<br />
ungeschickt hüllte, in steter Angst, man könnte den Bettlermantel entdecken, den es<br />
verbarg.<strong>“</strong> 20 Dennoch muss im gleichen Atemzug betont werden, dass bereits seit<br />
Theodor Mommsen immer wieder Ansätze zu einer ausgewogeneren Beurteilung<br />
Domitians entwickelt worden sind. Spätestens seit den 1960er Jahren ist man darum<br />
bemüht, den oft geschmähten letzten Kaiser des flavischen Hauses „von dem Malus<br />
des unberechenbaren und blutrünstigen Tyrannen zu befreien.<strong>“</strong> 21<br />
Alles oben Gesagte gilt auch für den unter Domitian gegen den germanischen Stamm<br />
der Chatten geführten Krieg, 22 der in der offiziellen Selbstdarstellung des Princeps<br />
breiten Raum eingenommen hatte und im Nachhinein von den antiken Schriftstellern<br />
überaus verzerrt worden war. Wo immer die antike Historiographie konnte, hat sie<br />
die militärischen Unternehmungen des Flaviers verlacht und die, zugegebenermaßen<br />
von kaiserlicher Seite recht überschwänglich zelebrierten, Erfolge als plumpe Farce<br />
entlarven wollen: 23 „Rash and unnecessary campaigns, <strong>ex</strong>aggerated or false victories,<br />
treaties concluded on shameful terms – such are the principal themes.<strong>“</strong> 24<br />
Der neueren althistorischen Forschung ist es hingegen gelungen, die notwendigen<br />
Korrekturen an der Bewertung der außenpolitisch-militärischen Unternehmungen<br />
Domitians in Germanien vorzunehmen. 25 Dabei mag man die Quellenlage zum<br />
Chattenkrieg mit dem Euphemismus „Herausforderung<strong>“</strong> beschreiben; von diesem<br />
Krieg ist vergleichsweise wenig geblieben, was die Forschung nutzbringend<br />
verwenden könnte: „The Chattan War of the early 80s has generated a vast amount of<br />
printed words, the quantity of which is in inverse proportion to attested facts.<strong>“</strong> 26<br />
19 Vgl. hierzu auch Kapitel 2 und 6.2.<br />
20 Domaszewski (1922), S. 159.<br />
21 Leberl (2004), S. 14. Exemplarisch sei hier lediglich die, der älteren Forschungslinie diametral entgegenstehende,<br />
Einschätzung von Alfred Heuß (1998, erste Auflage erschienen 1960) angeführt: Domitian sei ein „tatkräftiger und<br />
ehrgeiziger Mann<strong>“</strong> gewesen (S. 341), er „besaß persönliches Format und ging mit Zielbewußtsein und Methode an<br />
seinen Plan.<strong>“</strong> (S. 342).<br />
22 Zu den Chatten vgl. grundlegend Petrikovits (1981); Mildenberger (1981); zum Siedlungsgebiet der Chatten liefert<br />
Becker (1992), S. 54-86, einen auf archäologischem Material beruhenden Exkurs. Allgemeiner zur Geschichte der<br />
Germanen vgl. Krause (2002); Krierer (2004).<br />
23 Vgl. <strong>ex</strong>emplarisch Tac. Agr. 39,1; 41,2; Germ. 37,1; Plin. Paneg. 16,3; Cass. Dio. Hist. Rom. 67, 3,5; 67,4,1; Oros.<br />
Hist. adv. Pag. 10,3.<br />
24 Garzetti (1974), S. 286.<br />
25 Eck (1997), Sp. 748.<br />
26 Southern (1997), S. 79. Zur Quellenlage vgl. Kapitel 3.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 7
Angesichts dieser Quellenproblematik und vieler immer noch kontrovers diskutierter<br />
Einzelheiten bezüglich Chronologie und Verlauf des Feldzuges mag es nicht<br />
verwundern, dass man sich „bei der Durchsicht der allgemeinen modernen Literatur<br />
sogleich in einem Gestrüpp der unterschiedlichsten Meinungen<strong>“</strong> wiederfindet. 27<br />
Mit diesem, in der modernen Forschungsliteratur üblicherweise als erster<br />
Chattenkrieg Domitians bezeichneten, Feldzug möchte sich diese Arbeit befassen. 28<br />
Dabei sollen die Fragen nach Chronologie und Datierung, nach Verlauf und<br />
geographischer Verortung dieser Kampagne ebenso Behandlung erfahren wie die<br />
hinter dem militärischen Engagement stehenden Motive des Princeps. Zudem soll der<br />
Versuch unternommen werden, die domitianischen Aktivitäten in Germanien in die<br />
römische Germanienpolitik der Kaiserzeit insgesamt einzuordnen. Diese militärisch-<br />
politische Komponente an sich ist bereits ein interessantes Thema, noch interessanter<br />
ist jedoch, was die kaiserliche Propaganda, die antike Historiographie und später die<br />
moderne Geschichtswissenschaft daraus gemacht haben. Daher soll auch in<br />
umfassender Weise auf die Bewertung der historischen Ereignisse in der antiken<br />
Geschichtsschreibung und der modernen Literatur eingegangen werden. Insgesamt<br />
soll dabei versucht werden, die literarischen Quellen kritisch vor ihrem<br />
Entstehungshintergrund und stets mit Berücksichtigung der Intention der Autoren hin<br />
zu befragen und diese mit den aktuellen Erkenntnissen der Archäologie, Numismatik<br />
und Epigraphik in Einklang zu bringen.<br />
Die besondere Relevanz des gewählten Themas ergibt sich daraus, dass Domitians<br />
Feldzug gegen die Chatten nicht nur für die Beziehungen der Römer und dieses<br />
Stammes zueinander, sondern auch für die römische Germanienpolitik im<br />
Allgemeinen „von zentraler Bedeutung<strong>“</strong> ist: Sind hier doch Lösungen für seit langem<br />
offene Fragen gefunden und eine richtungsweisende Strategie für die weitere<br />
Entwicklung in der Rheinregion begründet worden. 29<br />
27 Braunert (1953), S. 97.<br />
28 Ebenso wenig wie man von einer speziellen römischen Chattenpolitik ausgehen kann, verengt auch die antike<br />
Überlieferung bei der Beschreibung des domitianischen Germanienfeldzugs den Blick keineswegs auf die Chatten,<br />
sondern spricht konsequenterweise immer vom bellum Germanicum; vgl. auch Becker (1992), S. 4f.<br />
29 Becker (1992), S. 265.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 8
2. Zum Stand der Forschung<br />
Beachtung finden sollen bei der folgenden Skizzierung der Forschungslage Werke,<br />
die einem modernen Verständnis von kritischer Geschichtsdarstellung entsprechen;<br />
zudem soll sich im Wesentlichen auf Publikationen konzentriert werden, die sich<br />
<strong>ex</strong>plizit mit Domitian und dem Chattenkrieg befassen. 30 Das gewählte Thema<br />
verbindet mit der Kaiserthematik und der Kriegsthematik zwei Themenkompl<strong>ex</strong>e, die<br />
von der (alt)historischen Forschung in den letzten rund 150 Jahren nicht nur<br />
durchaus unterschiedlich bewertet wurden, sondern auch im Laufe der Zeit ein<br />
unterschiedlich starkes Interesse erfuhren. Inwiefern die generellen Strömungen der<br />
Zeit des jeweiligen Historikers sowie sein politischer und weltanschaulicher<br />
Standpunkt, sozusagen als <strong>ex</strong>terne Rahmenbedingungen, auf die Bewertung des<br />
Chattenkrieges eingewirkt haben, ist an anderer Stelle hinlänglich thematisiert<br />
worden. 31<br />
Ein erster vereinzelter Versuch einer modernen historischen Methoden gerecht<br />
werdenden Domitianbiographie von Albert Imhof stammt aus dem Jahre 1857. 32<br />
Imhof wollte dabei dem Mangel der vorgehenden Werke abhelfen, „die sichere und<br />
bedenkliche Quellen mit derselben Unkritik<strong>“</strong> verwandt hätten. 33 Wenn man ihm auch<br />
seriöse Quellenarbeit attestieren kann, ist das Werk von heutigem Standpunkt aus<br />
mit dem Mangel behaftet, dass der Autor nur in geringem Umfang auf epigraphische<br />
und numismatische Erkenntnisse zurückgreifen konnte.<br />
Die Reichsgründung von 1871 scheint das Interesse an den großen<br />
Herrscherpersönlichkeiten geweckt zu haben, so erfuhr die römische Kaiserzeit in<br />
der Forschung nun mehr Aufmerksamkeit als zuvor: „Der gesamte Zeitraum<br />
zwischen Reichsgründung und erstem Weltkrieg war dem Themenkreis Herrscher,<br />
Kriege, Expansion sehr förderlich.<strong>“</strong> 34 Jedenfalls folgten in den 1870ern gleich zwei<br />
Werke über die flavische Kaiserzeit und Domitian. Dabei ist den Werken von Charles<br />
Beulé 35 und Johann Kraus 36 gemein, dass sie stark emotional gefärbt und voller<br />
30 Die Berücksichtigung der erdrückenden Fülle an Gesamtdarstellungen der Römischen Geschichte und<br />
Kaisergeschichten, in denen das gewählte Thema unter anderem mitbehandelt wird, würde hingegen den Rahmen dieser<br />
Arbeit sprengen. Diese Werke sollen daher nur im Ausnahmefall <strong>ex</strong>plizit angeführt werden.<br />
31 Urner (1994), S. 1ff.<br />
32 Imhof (1857).<br />
33 Ebd., Vorwort.<br />
34 Urner (1994), S. 4. Christ (2006), S. 15, hat diese Epoche als, der Entwicklung des Faches Alte Geschichte in<br />
Deutschland überaus förderliche, „Gründerzeit<strong>“</strong> bezeichnet.<br />
35 Beulé (1875).<br />
36 Kraus (1876). Vgl. Urner (1994), S. 14: „Der [...] folgende Artikel von J.E. Kraus, einem schlimmen Machwerk<br />
ohne jegliche kritische Quellenarbeit, psychologisierend geschrieben unter dem Blickwinkel einer Geisteskrankheit<br />
Domitians erster Chattenkrieg 9
Vorurteile gegen Domitian sind. Was die Kriegsthematik angeht, liegen aus dieser<br />
Zeit Monographien über den Chattenkrieg von Karl Zwanziger 37 und Hans Vieze 38<br />
vor, zumindest Letztere ist um eine ausgewogene Bewertung des militärischen<br />
Erfolges bemüht.<br />
Dankenswerterweise sind die wenigsten Werke dieser Zeit vom (Un)geist der<br />
wilhelminischen Epoche so durchdrungen wie der zweite Band der Kaisergeschichte<br />
Alfred von Domaszewskis, 39 ein Werk, das nicht nur wegen seines „pathetischen Stils<br />
als typisches Produkt wilhelminischen Geistes sehr abstößt<strong>“</strong>. 40 Die meisten Werke<br />
dieser Jahre sind sachlicher, in der Betrachtung der Quellen kritischer und<br />
wenigstens darum bemüht, ausgewogen in der Beurteilung zu sein: Die<br />
Gesamtdarstellung von Franz Pichlmayr 41 ist seriös gearbeitet, neben einer<br />
ausgewogenen Interpretation des Quellenmaterials findet sich in begrenztem Ausmaß<br />
die Integration epigraphischen Materials und zum ersten Mal ist das Motiv<br />
angedeutet, dem von antiker Historiographie geschmähten Kaiser Gerechtigkeit<br />
erfahren zu lassen. 42 Stéphane Gsell legte 1894 in französischer Sprache eine<br />
umfangreiche Monographie über Domitian vor, die heute zwar in Spezialfragen als<br />
überholt angesehen werden muss, aber lange Zeit als grundlegend gegolten hat. 43 Der<br />
1885 erschienene fünfte Band der Römischen Geschichte von Theodor Mommsen,<br />
der aufgrund der Integration epigraphischer Studien zu einem für seine Zeit<br />
ungewöhnlich positiven Urteil über die Verwaltungsarbeit in der Zeit Domitians<br />
gekommen war, hat in der Folgezeit immer wieder andere Autoren zur Entwicklung<br />
von Ansätzen eines positiveren Domitianbildes beeinflusst. 44 Dies gilt insbesondere<br />
für den 1909 erschienenen, materialreichen L<strong>ex</strong>ikon-Artikel von Rudolph<br />
Weynand, 45 der um Objektivität und „eine gemäßigte Darstellung der Persönlichkeit<br />
und Regierung Domitians<strong>“</strong> bemüht ist. 46<br />
Nach dem ersten Weltkrieg rückte das Interesse an großen Kaiserpersönlichkeiten<br />
zugunsten von verfassungs- und staatsrechtlichen Fragestellungen der römischen<br />
des Kaiser und von schweren Vorurteilen geprägt [...].<strong>“</strong><br />
37 Zwanziger (1885).<br />
38 Vieze (1902).<br />
39 Das Werk von Domaszewskis erschien in erster Auflage im Jahre 1909; für diese Arbeit wurde die dritte Auflage<br />
von 1922 verwendet, die im Folgenden als Domaszewski (1922) bezeichnet werden soll.<br />
40 Urner (1994), S. 6.<br />
41 Pichlmayr (1889).<br />
42 Ebd., S. 1.<br />
43 Gsell (1894); vgl. hierzu auch Goetz (R. 1978), S. 8f.<br />
44 Mommsen (1885); vgl. auch Leberl (2004), S. 14.<br />
45 Weynand (1909).<br />
46 Christ (1983a), S. 2.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 10
Geschichte wieder in den Hintergrund. 47 Eine sich <strong>ex</strong>plizit mit Domitian befassende<br />
Monographie oder gar eine Biographie fehlt für diese Zeit, lediglich der Abschnitt<br />
von Ronald Syme über die Kriege und Grenzen der Flavier im elften Band der<br />
Cambridge Ancient History scheint für das gewählte Thema von Interesse. 48<br />
In nationalsozialistischer Zeit stehen im Bereich der Alten Geschichte, neben einer<br />
rassistisch und antisemitisch verwertbaren Germanenideologie, aus gegebenem<br />
Anlass individuelle Herrscherpersönlichkeiten wieder zunehmend im Zentrum des<br />
Interesses, ebenso die naheliegende Kriegsthematik. 49 Domitian wurde in dieser<br />
Epoche jedoch wenig Interesse entgegengebracht, wohl weil man ihn als einen<br />
schwachen Herrscher bewertete, der durch seine mögliche Charakterstörung zudem<br />
als „psychisch entartet<strong>“</strong> gegolten haben wird. 50 Zum Chattenkrieg erschien in diesen<br />
Jahren der Aufsatz von Ulrich Kahrstedt, der sich allerdings nicht mit Einzelheiten<br />
des Krieges, sondern mit dem mutmaßlichen Verlauf des Limes in domitianischer<br />
Zeit befasst. 51<br />
In den späten 1940ern und 1950ern ist das Interesse an Domitian insgesamt ebenso<br />
gering wie in der Zeit des Nationalsozialismus; diese Epoche ist insgesamt<br />
gekennzeichnet durch „Spezialisierung, Sachbezogenheit und Zurückhaltung im<br />
Weltanschaulichen.<strong>“</strong> 52 Neben dem L<strong>ex</strong>ikonartikel von Karl Gross, 53 der allerdings<br />
ohne außenpolitische Aspekte auskommt, ist für diese Zeit der 1952 erschienene<br />
Aufsatz von Herbert Nesselhauf 54 bedeutsam, der sich eigentlich mit dem Verhältnis<br />
Domitians und Tacitus' beschäftigt, aber davon ausgehend grundlegende Einsichten<br />
zum Chattenkrieg lieferte. Ein Jahr später erschien der Aufsatz von Horst Braunert, 55<br />
der wichtige Überlegungen bezüglich der Chronologie des Chattenkrieges angestellt<br />
hat. Die 1960 erstmals veröffentlichte Römische Geschichte von Alfred Heuß gelangt<br />
zu einer insgesamt recht positiven Bewertung der Herrschaft Domitians, kommt bei<br />
deren Darstellung aber gänzlich ohne militärische Aspekte aus. 56<br />
47 Christ (2006), S. 38ff.<br />
48 Syme (1936). Syme war wenige Jahre zuvor für die Wirtschaftspolitik Domitians zu einem sehr günstigen Ergebnis<br />
für Domitian gekommen, vgl. Syme (1930).<br />
49 Vgl. auch Becker (1992), S.1 mit Anm. 1. Zur Alten Geschichte in der nationalsozialistischen Zeit vgl. Christ<br />
(2006), S. 58ff.<br />
50 Urner (1994), S. 8.<br />
51 Kahrstedt (1940).<br />
52 Urner (1994), S. 9.<br />
53 Gross (1959).<br />
54 Nesselhauf (1952).<br />
55 Braunert (1953).<br />
56 Für diese Arbeit wurde unter dem Kürzel Heuß (1998) die 6. Auflage von 1998 verwendet, die einen, im T<strong>ex</strong>t<br />
unveränderten, Nachdruck der 4., ergänzten Auflage von 1976 darstellt.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 11
Seit Mitte der 1960er ist eine gewisse Neuorientierung der Geschichtswissenschaft<br />
festzustellen, traditionelle Inhalte und Methoden wurden hinterfragt. Neben das<br />
Motiv der Forschung, endlich eine befriedigende Domitian-Darstellung vorlegen zu<br />
können, trat zunehmend das Motiv der Rehabilitation des Geschmähten:<br />
„Das Motiv, Handlungen und Beweggründe geschichtlicher Personen besser verstehen zu<br />
wollen, führt dann öfter auch zu einer Rehabilitierung zuvor eher ungünstig beurteilter<br />
Personen, so auch Domitians, der um die Mitte der sechziger Jahre plötzlich stark in den<br />
Blickpunkt des Interesses rückte.<strong>“</strong> 57<br />
In der Folge setzte eine ganze Reihe von Aufsätzen und Dissertationen zu<br />
verschiedensten Spezialfragen der domitianischen Herrschaft ein. 58 Vorrangig mit der<br />
Chronologie des Chattenkrieges befassen sich der Aufsatz von Brian Jones 59 und die<br />
dadurch provozierte Antwort von John Evans. 60 In seiner prosopographischen<br />
Dissertation aus dem Jahre 1978 fasst Rainald Goetz <strong>ex</strong>pressis verbis den Trend der<br />
Zeit zusammen, indem er „Gerechtigkeit für Domitian<strong>“</strong> fordert, d.h. die Aufarbeitung<br />
eines aus der Zeit der Jahrhundertwende geprägten, inzwischen aber eindeutig<br />
widerlegten Geschichtsbildes. 61 Eine zeitgemäße Domitian-Biographie musste jedoch<br />
auch in diesen Jahren ein Desiderat bleiben. Auch der bestimmt wohlgemeinte<br />
Versuch Hermann Bengtsons, eine Gesamtdarstellung über die Zeit der flavischen<br />
Dynastie vorzulegen, ist zu Recht nicht unumstritten, sind doch die verschiedentlich<br />
bemängelte, recht unkritische Behandlung des Quellenmaterials und die vielen<br />
inhaltlichen Unzulänglichkeiten nicht ganz von der Hand zu weisen. 62 In einer 1981<br />
veröffentlichen Rezension des Werkes muss Werner Eck konstatieren, dass „die<br />
vollständige Lektüre des Buches [...] für den Rezensenten keine Freude<strong>“</strong> gewesen<br />
sei. 63 Insgesamt sei „hier nicht wissenschaftlicher Fortschritt, vielmehr erheblicher<br />
Rückschritt erzielt worden.<strong>“</strong> 64 Der Versuch, dem Mangel einer Monographie über die<br />
Flavier abzuhelfen, sei „schon an den elementaren Voraussetzungen historischen<br />
57 Urner (1994), S. 11.<br />
58 Vgl. ebd., S. 11; 16f.<br />
59 Jones (1973).<br />
60 Evans (1975).<br />
61 Goetz (R. 1978), S. 7ff., S. 144.<br />
62 Bengston (1979).<br />
63 Eck (1981), S. 343.<br />
64 Ebd.; allein die anderthalbseitige Liste elementarster Fehler und schlichter Falschinformationen, die Eck lediglich<br />
aus den Kapiteln 1 und 4 zusammengestellt hat, sollte mehr als nachdenklich stimmen.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 12
Arbeitens gescheitert.<strong>“</strong> 65 Bengtsons Werk sollte also nur unter der Hinzunahme der<br />
Eckschen Rezension verwendet werden.<br />
In den 1980ern begann die althistorische Forschung, tradierte Forschungsmeinungen<br />
auf dem Gebiet der römisch-germanischen Auseinandersetzungen erneut zu<br />
überdenken und in Frage zu stellen. 66 Auch für den Chattenkrieg erscheinen in diesen<br />
Jahren wichtige und umfassende Arbeiten, die sich dezidiert von der älteren<br />
Forschungstradition abzusetzen suchten. Ausgehend von den bei Frontin genannten<br />
limites 67 liefert Gerhard Perl eine Zusammenfassung des Chattenkrieges; 68 ihm<br />
kommt unzweifelhaft das Verdienst zu, die Problemgeschichte dieser Passage in<br />
umfassender Weise vorgelegt zu haben, dabei auf Missverständnisse der älteren<br />
Forschung hingewiesen und die angemessene Interpretation eingeschärft zu haben.<br />
Die umfassendste und ausführlichste Beschäftigung mit dem domitianischen<br />
Chattenkrieg in Aufsatzform aus neuerer Zeit stammt von Karl Strobel, 69 der sich<br />
jedoch phasenweise darin gefällt, ein „im völlig unangemessenen Euphemismus<br />
allzu pathetisch gestaltetes Bild eines weiträumigen Krieges<strong>“</strong> zu zeichnen. 70 In Armin<br />
Beckers Dissertation über die römisch-chattischen Beziehungen 71 bildet der<br />
Chattenkrieg Domitians neben der augusteischen Germanienpolitik einen von zwei<br />
Schwerpunkten. Becker liefert wichtige Verbesserungsvorschläge zu den teilweise<br />
recht eigenwilligen Interpretationen Strobels und ist dabei stets bestrebt, die<br />
literarischen Quellen mit epigraphischen, numismatischen und archäologischen<br />
Funden in Einklang zu bringen. Für die Behandlung des Themas ist Beckers<br />
Dissertation daher ein weiterhin unverzichtbarer und zu „begrüßender Versuch<br />
fachübergreifender Stoffbehandlung.<strong>“</strong> 72<br />
Zwar steht Domitian als Herrscher im Zentrum von Christiana Urners Dissertation, 73<br />
jedoch handelt es sich hier um keine Biographie im eigentlichen Sinne. Vielmehr hat<br />
sie in – auch für die vorliegende Arbeit – grundlegender Weise zu verschiedensten<br />
Aspekten der domitianischen Herrschaft die relevanten antiken Quellenzitate<br />
65 Eck (1981), S. 347.<br />
66 Exemplarisch: Timpe (1982); Welwei (1986); Lehmann (1989).<br />
67 Front. Strat. 1,3,10. Vgl. hierzu detailliert Kapitel 5.2.<br />
68 Perl (1981).<br />
69 Strobel (1987a).<br />
70 Kehne (1997), S. 280.<br />
71 Becker (1992); vgl. auch die Rezensionen von Peschel (1996) und Kehne (1997), S. 278-281.<br />
72 Peschel (1996), S. 620; vgl. auch die Einschätzung bei Kehne (1997), S. 280: „[...] bietet Becker dann mit seiner<br />
Rekonstruktion des Chattenkrieges unter Domitian eine wesentlich differenziertere Analyse als die bisherige<br />
Forschung.<strong>“</strong><br />
73 Urner (1994).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 13
zusammengetragen und die Ergebnisse der modernen Forschung zusammengefasst.<br />
Zudem will ihre Arbeit durch die Untersuchung, wie antike Bewertungen sich auf das<br />
Bild der modernen Forschung ausgewirkt haben, „aufzeigen, wie geschichtliche<br />
Urteile über Domitian zustande kommen<strong>“</strong>. 74<br />
Der oft geäußerten Klage, dass eine zeitgemäße, umfassende, im Umgang mit den<br />
Quellen seriöse und in der Bewertung ausgewogene Monographie über Domitian<br />
fehle, ist in den vergangenen 20 Jahren abgeholfen wurden, was als Indiz dafür<br />
gesehen werden mag, dass das Interesse an der Person und Herrschaft Domitians<br />
ungebrochen ist. So erschienen aus dem anglophonen Raum in den 1990ern zwei<br />
Domitianbiographien. Die eine stammt von Brian Jones, 75 der bereits vorher mit<br />
verschiedenen Beiträgen zu Spezialthemen der domitianischen Herrschaft nicht<br />
immer eine glückliche Figur gemacht hatte, 76 die andere mit dem populären Titel<br />
„Tragic Tyrant<strong>“</strong> stammt von Patricia Southern. 77 Spätestens seit dem letzten Werk<br />
kann meines Erachtens die Forderung nach einer umfassenden und zeitgemäßen<br />
Monographie über Domitian im Wesentlichen als erfüllt gelten. Aus jüngster Zeit<br />
seien zudem die Kapitel im elften Band der, in zweiter Edition erschienenen,<br />
Cambridge Ancient History genannt; über „The Flavians<strong>“</strong> aus der Feder von Miriam<br />
Griffith 78 und über das flavische „Roman Germany<strong>“</strong> von C. Rüger. 79 Mit dem<br />
Studienbuch von Stefan Pfeiffer 80 ist kürzlich eine aktuelle, gut gearbeitete<br />
Gesamtdarstellung über die einzelnen Principes der flavischen Dynastie und<br />
verschiedene thematische Aspekte ihrer Herrschaft erschienen. Dieses Werk wendet<br />
sich jedoch eher an Studienanfänger als an fortgeschrittene Spezialisten, mag aber<br />
durchaus gleichermaßen „als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso<br />
wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte<strong>“</strong> dienen. 81<br />
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die neuere althistorische Forschung darum<br />
bemüht war, der Rehabilitierung des jüngsten flavischen Herrschers Genüge zu tun,<br />
ohne aber dabei zu einem wirklich konsistenten Bild zu kommen. 82 Umfassende<br />
Korrekturen sind aber insbesondere bei der Bewertung seiner außenpolitischen<br />
74 Urner (1994), S. 24.<br />
75 Jones (1992).<br />
76 Vgl. Jones (1973; 1982; 1979).<br />
77 Southern (1997).<br />
78 Griffith (2000).<br />
79 Rüger (2000).<br />
80 Pfeiffer (2009).<br />
81 Ebd. (2009), S. 7.<br />
82 Vessey (1983), S. 212: „[Domitian] remains largely an enigma.<strong>“</strong><br />
Domitians erster Chattenkrieg 14
Unternehmungen möglich gewesen. 83 Verglichen mit anderen Aspekten<br />
domitianischer Herrschaftszeit sind die Arbeiten zur Kriegsthematik, hier<br />
insbesondere zum Chattenkrieg, relativ zahlreich, wobei die Zahl der Aufsätze in<br />
Zeitschriften und Sammelbänden erwartungsgemäß die der Monographien übersteigt.<br />
Während die „klassischen<strong>“</strong> Themen Krieg und Außenpolitik als solche in letzter Zeit<br />
zugunsten anderer Perspektiven, wie z.B. der Alltags-, Sozial- und<br />
Geschlechtergeschichte, etwas in den Hintergrund getreten sein mögen, 84 scheint das<br />
Interesse an der Behandlung der Herrschaft Domitians insgesamt keineswegs<br />
erloschen zu sein.<br />
83 Eck (1997), Sp. 747.<br />
84 Vgl. hierzu allgemeiner Maurer (2003).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 15
3. Die Quellenlage<br />
3.1. Literarische Quellen<br />
Die wichtigste Grundlage der Erforschung des domitianischen Chattenkrieges bilden<br />
bis heute die literarischen Überreste der Antike; von der modernen Forschung haben<br />
hier traditionell die Historiographen mehr Aufmerksamkeit erhalten als die Dichter. 85<br />
In Bezug auf die Perspektive ist zudem die totale Einseitigkeit der Quellen<br />
festzustellen, die römisch-germanischen Auseinandersetzungen werden<br />
ausschließlich in römischen T<strong>ex</strong>ten beschrieben: „Es fehlen jegliche literarische<br />
Zeugnisse von germanischer Seite, wir haben also keine Möglichkeit, die Konflikte<br />
aus Sicht der Germanen zu beschreiben.<strong>“</strong> 86<br />
Etwas dramatisch fasste von Domaszewski kurz nach der Wende zum 20.<br />
Jahrhundert die Überlieferungssituation der flavischen Epoche zusammen:<br />
„Mit der Geschichte der flavischen Kaiser beginnt jener lästige Nebel, der unseren Blicken<br />
die Zeit kaum mehr erkennen lässt. Denn die zusammenhängende Überlieferung versagt<br />
gänzlich, und der Versuch, die Trümmer zu einem Ganzen zusammenzufügen, kann nur in<br />
unbefriedigender Weise gelingen.<strong>“</strong> 87<br />
Dass dieser Nebel durch die intensiven Bemühungen der Forschung inzwischen<br />
etwas gelichtet werden konnte, darauf konnte bereits Rainald Goetz 1978<br />
hinweisen. 88 Dennoch muss die Quellenlage für die Zeit der Herrschaft Domitians<br />
insgesamt als relativ unbefriedigend und problematisch bezeichnet werden. 89 Ein<br />
umfangreiches und geschlossenes historiographisches Werk über seine<br />
Herrschaftszeit liegt, wie für die gesamte flavische Epoche, nicht vor. Eine solche<br />
„Darstellung, wie sie insbesondere einmal in den Historien des Tacitus zu finden<br />
gewesen sein muss<strong>“</strong>, hätte unser Wissen über die Zeit „trotz der dort mit Sicherheit<br />
zu erwartenden Einseitigkeiten und Verzerrungen auf eine ganz andere Basis<br />
85 Grundlegende Überlegungen zu antiken literarischen Werken als historischen Quellen finden sich bei Schneider (C.<br />
2002).<br />
86 Schneider (H. 2008), S. 12. Vgl. auch Wolters (2008), S. 78: „Eine eigene germanische oder gar chattische<br />
Überlieferung ist nicht auf uns gekommen.<strong>“</strong><br />
87 Domaszewski (1922), S. 145.<br />
88 Goetz (R. 1978), S. 7.<br />
89 Urner (1994), S. 1.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 16
gestellt.<strong>“</strong> 90 Die erhaltenen literarischen Fragmente sind zudem nicht nur sehr<br />
sparsam, was direkte Informationen über den Verlauf des Feldzuges angeht, sondern<br />
auch äußerst tendenziös in ihrer Bewertung der Ereignisse. 91 Insgesamt gilt also es zu<br />
konstatieren, dass sich die Einzelheiten des domitianischen Feldzuges gegen die<br />
Chatten trotz intensiver Bemühungen der Forschung weiterhin in „einer lückenhaften<br />
und tendenziösen literarischen Überlieferung<strong>“</strong> verlieren. 92<br />
Um später eine möglichst adäquate kritische Interpretation der schriftlichen Quellen<br />
vor den Besonderheiten ihres Entstehungshintergrundes zu ermöglichen, scheint es<br />
einführend sinnvoll, in der gebotenen Kürze jene antiken Autoren einzuführen, die<br />
uns in ihren Werken Information über das gewählte Thema liefern. 93 Urner, die sich<br />
in ihrer Dissertation eingehend mit der Bewertung Domitians durch die antike<br />
Geschichtsschreibung und Dichtung beschäftigt hat, verweist darauf, dass es bei der<br />
Einschätzung des Quellenwertes eine wichtige Rolle spiele, „in welchem Verhältnis<br />
sie [die antiken Autoren] zum Kaiser standen und in welchem Maße Animosität und<br />
Opportunismus ihre Aussagen beeinflussten.<strong>“</strong> 94 Das Hauptaugenmerk soll daher auf<br />
dem Standpunkt der Autoren, d.h. ihrer durchaus stark differierenden, persönlichen<br />
Einstellung gegenüber Domitian gelegt werden. Bei den späteren Autoren, welche<br />
die Herrschaft des letzten Flaviers nicht selbst miterlebt hatten und in mehr oder<br />
weniger größerer zeitlicher Distanz zu dieser schrieben, sollen auch die jeweils<br />
verarbeiteten Quellen thematisiert werden, um Abhängigkeiten und Beeinflussungen<br />
bei der Formung und Tradierung des antiken Domitianbildes in den Blick zu<br />
bekommen. 95<br />
90 Strobel (1987a), S. 423.<br />
91 Vgl. ausführlicher Kapitel 6.1.<br />
92 Wolters (200), S. 67. Im gleichen Atemzug darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass der Chattenkrieg im Vergleich<br />
mit anderen Aspekten der domitianischen Regierungszeit relativ gut überliefert ist, vgl. Urner (1994), S. 314.<br />
93 Die Auswahl der Autoren wurde hier bewusst in Anlehnung an Urner (1994), S. 26-64; 65-79, vorgenommen, die<br />
hier grundlegende Arbeit geleistet hat. Da sich die Äußerungen des Dichters Statius mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
auf den, im Rahmen dieser Arbeit nur <strong>ex</strong>kursorisch behandelten, zweiten Chattenkrieg und damit nicht auf das<br />
eigentliche Thema beziehen, soll an dieser Stelle auf eine Einführung dieses Autors verzichtet worden. Für seine<br />
Aussagen gelten im Wesentlichen dieselben Überlegungen wie für Martial: Sie spiegeln eher kaiserliche Propaganda<br />
wider als dass sie auf tatsächlicher Kenntnis der Ereignisse beruhen, wenn auch Becker (1992), S. 28, nicht<br />
ausschließen mag, dass „Statius besondere Kenntnisse über den Chattenkrieg besaß.<strong>“</strong> Zu Statius vgl. Scott (1933);<br />
Garthwaite (1978); Cancik (1986); Urner (1994), S. 30f.; Nauta (2002), S. 195ff.; Leberl (2004), S. 143-241.<br />
94 Urner (1994), S. 24. Vgl. auch Günther (2001), S. 60-71.<br />
95 Grundlegende Überlegungen zum antiken Verständnis von Quellenbenutzung in der Historiographie liefert Mehl<br />
(2001), S. 29.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 17
3.1.1. Zeitgenössische Autoren<br />
3.1.1.1. Frontin<br />
S. Iulius Frontinus (um 35-40 bis 103/04) gehörte dem Senatorenstand an und konnte<br />
schon bei der Thronbesteigung Domitians auf eine beachtliche politische Karriere als<br />
„tüchtiger Offizier, Techniker und Verwaltungsbeamter<strong>“</strong> zurückblicken. 96 In seinem<br />
militärischen Fachbuch Strategemata schildert er, in streng thematischer Gliederung,<br />
die Kriegsleistungen herausragender Feldherren der griechischen und römischen<br />
Geschichte. 97 Die mehrmalige Erwähnung des Chattenfeldzuges in den Strategemata<br />
wird in der Forschung allgemein dahingehend interpretiert, dass Frontin persönlich<br />
an diesem teilnahm, möglicherweise als Kommandeur des niedergermanischen<br />
Heeres. 98<br />
Frontin verfasste sein Werk wohl recht kurz nach Abschluss des Chattenkrieges. Die<br />
von ihm für Domitian mit einer Ausnahme 99 durchgehend verwendete Titulatur<br />
„Imperator Caesar Domitianus Augustus Germanicus<strong>“</strong> legt nahe, dass die<br />
Strategemata noch zu Lebzeiten Domitians veröffentlicht wurden. Diese Titulatur<br />
legt als terminus post quem den Zeitpunkt der Annahme des Siegerbeinamens<br />
Germanicus fest. 100 Allgemein wird davon ausgegangen dass das Werk zwischen 84<br />
und 88 erschienen ist. 101<br />
Frontins Berichte sind im Wesentlichen nüchtern und ohne persönliches Werturteil<br />
formuliert, seine Angaben zum Chattenkrieg „dürfen mit einiger Sicherheit als<br />
Augenzeugenberichte gelten<strong>“</strong>, was ihn für diesen zu einer Primärquelle von<br />
besonderem Wert macht. 102 Ereignisse des Chattenkrieges finden in den Strategemata<br />
an insgesamt vier Stellen Erwähnung, der Stamm der Chatten selbst jedoch nur in<br />
96 Fuhrmann (1999), S. 343. Vgl. Front. Strat. 4,3,14; Tac. Hist., 17,2; 4,39; Tac. Agr. 17,3; Plin. Epist. 4,8,3,<br />
bezeichnet ihn als „princeps vir<strong>“</strong>; ILS 6074; 1105. Zu Leben und Person des Frontin Bendz (1963), S. 1f.; Christ<br />
(1989), S. 149ff.<br />
97 Nickel (1999), S. 812.<br />
98 Syme (1962), S. 214, nimmt an, dass Frontin im kaiserlichen consilium am Feldzug teilgenommen habe; Eck<br />
(1982), S. 54f., zieht in Erwägung, dass Frontin gar Kommandeur der Heeresgruppe gewesen sein könnte. Vgl.<br />
hierzu auch Christ (1989), S. 152.<br />
99 Frontin Strat. 1,3,10.<br />
100Vgl. hierzu Kapitel 5.1.<br />
101Urner (1994), S. 28. Vgl. aber auch Bendz (1963), S. 4. Pichlmayr (1889), S. 23 mit Anm. 1 und Vieze (1902), S.<br />
13, hatten angenommen, dass die Strategemata auf jeden Fall vor dem Beginn des Dakerkrieges veröffentlicht sein<br />
müssten, da diese nicht erwähnt würden.<br />
102Becker (1992), S. 27.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 18
Strat. 1,3,23. 103<br />
3.1.1.2. Martial<br />
Ein Zeitgenosse Frontins war der aus dem nordspanischen municipium Bilbilis<br />
stammende Dichter M. Valerius Martialis (um 40 bis 102-104), der wohl um das Jahr<br />
64 nach Rom gekommen ist und von Titus in den Ritterstand erhoben worden war. 104<br />
Die Bewertung Martials und seines Verhältnisses zu Domitian differieren stark: 105<br />
Insgesamt stellt die Frage, inwieweit der Dichter in seinem Werk verdeckte Kritik am<br />
letzten Flavier geübt habe, „sicher das kompl<strong>ex</strong>este und umstrittenste Problem der<br />
Martial-Philologie<strong>“</strong> dar. 106 Ob man in ihm einen rückgratlosen und servilen<br />
Opportunisten oder doch einen moralisch engagierten Kritiker voll raffiniert-<br />
satirischem Esprit zu sehen hat, wurde und wird in der Forschung durchaus konträr<br />
diskutiert: Während die ältere Forschungstradition ihn durchweg als „geradezu<br />
widerwärtigen Adulator<strong>“</strong> beschreibt, 107 haben sich seit den 1980ern Teile der<br />
Forschung um eine gewisse Relativierung und Rehabilitierung Martials bemüht. Das<br />
Spektrum reicht hier von einem Werben für Verständnis seiner, durch finanzielle<br />
Abhängigkeit nicht einfachen, Lebenssituation 108 bis hin zu der Feststellung, er habe<br />
in seinen auf den ersten Blick ausschließlich schmeichelnden Versen durch<br />
Doppeldeutigkeiten unterschwellig Kritik am Princeps geübt. 109 Diese „Verbindung<br />
von kritischer Absicht und heiterem Ton oder witziger Form [...]<strong>“</strong> sei für Letzteren<br />
103Front. Strat. 1,1,8; 1,3,10; 2, 3,23; 2,11,7.<br />
104Neben den in seinem Werk enthaltenen autobiographischen Aussagen kann sich die Forschung lediglich auf einen<br />
Nachruf des jüngeren Plinius auf Martial berufen, der für dessen Tod das Jahr 104 als terminus ante quem ansetzt<br />
(Ep. 3,21). Überlegungen zur Rekonstruktion der Vita Martials liefern Friedlaender (1886), S. 3-14; Helm (1955), S.<br />
55-58; Howell (1980), S. 1-5; Szelest (1986); Sullivan (1991), S. 1-55; Barié / Schindler (1999), S. 1092-1102.<br />
Explizit zu den besonderen Problemen eines solchen Rekonstruktionsversuches anhand autobiographischer<br />
Aussagen in der Dichtung äußerst sich knapp Holzberg (2002), S. 13f.<br />
105Explizit zum Verhältnis Domitian – Martial äußern sich u.a.: Sauter (1934); Schilp (1948); Szelest (1974);<br />
Garthwaite (1978); Hofmann (1983); Szelest (1986), S. 2571ff; Nauta (2002); Leberl (2004). Allgemeiner zu<br />
Person, Werk und Interpretation Martials: Weinreich (1928); Helm (1955); Seel (1961); Allen (1969); Vessey<br />
(1974); Classen (1985); Holzberg (1986; 1988, vgl. auch die Rezension von Szelest (1988); 2002, vgl. hierzu auch<br />
die Kurzrezension in Leberl (2004), S. 356f.); Römer (1994); Grewing (1998); Lorenz (2002, vgl. hierzu auch die<br />
Kurzrezension in Leberl (2004), S. 354-356 und die Rezension von Habermehl (2006)); Rimmel (2008).<br />
106Grewing (1998), Vorwort S. 10. Einführend wird diese „hidden criticism-Kontroverse<strong>“</strong> an folgenden Stellen<br />
skizziert: Leberl (2004), S. 15-18; Lorenz (2002), S. 45ff.<br />
107Bengtson (1979), S. 146, befindet sich hier eindeutig in der älteren Tradition. Seels einflussreicher Aufsatz (1961)<br />
scheint geradezu von einer persönlichen Verachtung für den Dichter gezeichnet zu sein (besonders S. 61); ebenfalls<br />
ablehnend: Schanz / Hosius (1935), S. 546-560; Helm (1955). Noch Fuhrmann (1999), S. 314-317, zeigt sich<br />
erschreckend unberührt von der Debatte um eine Rehabilitation Martials.<br />
108So bereits recht früh Friedlaender (1916), S. 14; Weinreich (1928), S. 160; vgl. auch Leberl (2004), S. 342.<br />
109Erstmals Szelest (1974), S. 105-114. Wegbereitend waren jedoch erst die seit 1978 erscheinenden Arbeiten von<br />
Garthwaite (1978, S. 173f.), dem auch Hofmann (1983), S. 246 und Holzberg (1986, S. 201; 1988, S. 75) folgten.<br />
Holzberg (1986) bietet zudem einen ausgesprochen lesenswerten Überblick über die Martialforschung des 20.<br />
Jahrhunderts.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 19
wiederum akzeptabler gewesen als offene Anfeindungen. 110 Hofmann hat in seiner<br />
chronologischen Zusammenstellung der martialschen Epigramme zudem<br />
herausgearbeitet, dass der panegyrische Gehalt seiner Werke durchaus<br />
Schwankungen unterliege: Während Martial vor dem Jahr 93 „in seinen Büchern mit<br />
einem kritischen Wort nicht zurückhält, wenn auch selten und dann stets mit<br />
vorsichtigem Ausdruck und hintergründig<strong>“</strong> 111 und somit „im Verhältnis zum Kaiser<br />
ein gewisses Maß an Ehrlichkeit und Anstand zu bewahren<strong>“</strong> bestrebt war, 112 so tritt in<br />
den folgenden Jahren eine offene und aufdringliche Heuchelei qualitativ und<br />
quantitativ immer mehr in den Vordergrund. 113<br />
Heute kann die Kontroverse um die Kaiserkritik in den Epigrammen Martials jedoch<br />
keineswegs als abgeschlossen gelten, vielmehr ist man von verschiedener Seite und<br />
mit unterschiedlichster Begründung darum bemüht, die Erkenntnisse der um eine<br />
Rehabilitation des Dichters bemühten „double speak<strong>“</strong> - Schule zu revidieren. 114<br />
An verschiedenen Stellen in seinen Epigrammaton libri XII lobt Martial die<br />
militärische Sieghaftigkeit des letzten Flaviers. Verglichen mit der offiziellen<br />
domitianischen Selbstdarstellung stellt sich jedoch hier rein quantitativ ein<br />
„grundlegend anderes Bild<strong>“</strong> dar: 115 Die militärischen Unternehmungen Domitians in<br />
Pannonien werden in mehr als einem Dutzend Epigramme thematisiert, der in der<br />
kaiserlichen Propaganda so hochstilisierte Chattenkrieg findet hingegen lediglich<br />
eine, recht isoliert dastehende, lobende Erwähnung in einem Epigramm, das wohl im<br />
Jahre 86 oder 87 veröffentlicht wurde. 116<br />
110Classen (1985), S. 341, hebt zudem das psychologisch geschickte Handeln Martials hervor: Indirekte Kritik sei<br />
letzten Endes wirksamer als „die Schroffheit des Eiferers<strong>“</strong>. Grundlegende Überlegungen zu Panegyrik und<br />
Herrscherkritik finden sich bei Schneider (C. 2002), hier besonders S. 121f.<br />
111Hofmann (1983), S. 244.<br />
112Ebd., S. 245.<br />
113Zur Chronologie der Epigramme Martials vgl. Friedlaender (1886), S. 50-67; Sullivan (1991), S. 15-44; 313-321;<br />
außerdem Nauta (2002), 441f. Sullivans Variante, der die einzelnen Bücher im wesentlichen ein Jahr später ansetzt<br />
als Friedlaender, stellt dabei die vorsichtigere Datierungsweise dar.<br />
114Voran Römer (1994), besonders S. 100-113; Nauta (2002), S. 412-440. Lorenz (2002), betont in seinem<br />
literaturwissenschaftlichen Ansatz die Fiktionalität sowohl des lyrischen Ichs als auch der epigrammatischen<br />
Kaiserfigur, weswegen es ihm schwerfalle, „zu glauben, dass der historische Dichter in den Epigrammen bewusst<br />
Kaiserkritik üben konnte, wie es bisweilen angenommen worden ist.<strong>“</strong> (S. 249f.). In Auseinandersetzung mit Lorenz<br />
distanziert sich auch Holzberg (2002) zumindest teilweise von den vorher geäußerten Position, besonders S. 9-11.<br />
115Angesichts dieses Befundes meldet Leberl (2004), S. 245, meines Erachtens nicht unbegründete, Zweifel an einer<br />
möglichen direkten Einflussnahme des Kaiserhofes auf die Dichtung Martials an, vgl. ebd., S. 264f. Leberl beklagt,<br />
dass in manchen Werken allzu selbstverständlich davon ausgegangen werde, Martial sei angestellter Hofdichter<br />
gewesen, vgl. hierzu: ebd., S. 17; S. 129-132; S. 344.<br />
116Mart. Epigr. 2, 2. Damit wäre das Epigramm „verspätet<strong>“</strong>, da rund drei Jahre nach dem Sieg über die Chatten<br />
erschienen, was zu der Vermutung geführt hat, dass es bereits relativ zeitnah zum Chattenkrieg verfasst und dem<br />
Princeps zugänglich gemacht, aber erst später veröffentlicht worden sei, vgl. Leberl (2004), S. 247. Einen<br />
Domitians erster Chattenkrieg 20
3.1.1.3. Silius Italicus<br />
Ti. Catius Asconius Silius Italicus (zwischen 23 und 35- um 100) 117 war ein aus<br />
vornehmer Familie stammender, begüterter Senator und Anhänger der stoischen<br />
Philosophie.<br />
Sein episches Alterswerk Punica 118 wurde wohl weitgehend in der Regierungszeit<br />
Domitians verfasst. 119 Dieses, mit seinen 17 Büchern und mehr als 12.000 Versen<br />
übrigens längste Epos der lateinischen Literatur, berichtet über den Zweiten<br />
Punischen Krieg (218-201 vor Christus) und ist dabei ganz auf die Vergangenheit<br />
fixiert, die „in romantischer Verklärung als Roms beste Zeit beschrieben wird, [...], in<br />
der die Römer dank ihrer moralischen Überlegenheit, ihrer Tapferkeit, Frömmigkeit<br />
[...] schließlich doch mit allen Schwierigkeiten fertig wurden.<strong>“</strong> 120 Theoretisch<br />
republikanischem Denken verpflichtet, faktisch jedoch die Alleinherrschaft des<br />
Principats anerkennend, sind die Punica von „der politischen Wandlung zwischen<br />
Nero und Trajan<strong>“</strong> insgesamt kaum berührt. 121 Bei den Kollegen der dichtenden Zunft<br />
hat das Werk des Silicus Italicus durchaus unterschiedliche Bewertung erfahren:<br />
Martial ist voll des Lobes, Juvenal hingegen lehnt das Werk des Kampaniers stark<br />
ab. 122 Die Punica enthalten auch einen Hinweis auf Domitians Triumphzug. 123<br />
3.1.1.4. Tacitus<br />
P. (?) Cornelius Tacitus (um 55 bis nach 116) 124 erlebte nicht nur die gesamte<br />
Erklärungsansatz für die Veröffentlichung zum späteren Zeitpunkt bietet hingegen Sullivan (1991), S. 132f.<br />
Für das gewählte Thema sei der Vollständigkeit halber noch auf eine weitere Chattenerwähnung bei Mart. Epigr. 14,<br />
26ff., hingewiesen, die auf bestehende Handelskontakte mit den Römern schließen lässt, die archäologisch<br />
allerdings nicht fassbar sind und in einem gewissen Gegensatz zu dem von der römischen Historiographie<br />
vermittelten Bild der dauerhaften und konsequenten Feindschaft zwischen Römern und Chatten für diese Zeit steht.<br />
117Der volle Name ist inschriftlich gesichert; vgl. Calder (1935), S. 216f. Zum Leben und Tod des Silius Italicus vgl.<br />
den um 100 veröffentlichen Nachruf des jüngeren Plinius, Ep. 3,7.<br />
118Umfassend hierzu: Ahl (1986), vgl. auch Klotz (1927).<br />
119Den Punica fehlt ein panegyrisches Proömium, anhand der Huldigung an das flavische Königshaus in 3, 594-629<br />
hält Reitz (2001), Sp. 558, jedoch eine Veröffentlichung nach 96 nicht für „nicht mehr denkbar.<strong>“</strong> Vgl. aber auch<br />
Urner (1994), S. 33, die in Anlehnung an McDermott / Orentzel (1977), S. 24-34, die Ansicht vertritt, Silius Italicus<br />
habe aufgrund seiner finanziellen Unabhängigkeit nicht vor einer positiven Bewertung bestimmter domitianischer<br />
Regierungsleistungen abrücken brauchen.<br />
120Fuhrmann (1999), S. 307.<br />
121Urner (1994), S. 32.<br />
122Vessey (1974), S. 109-116.<br />
123Sil. Ital. Punica 3, 614.<br />
124Die Namensform Publius ist nicht ganz gesichert, in Betracht wird auch Gaius gezogen, vgl. Schmal (2005), S. 14-<br />
18; vgl. zudem die Neuinterpretation einer Grabinschrift bei Birley (2000), S. 231ff. Insgesamt ist die Nachwelt<br />
nicht sonderlich gut über Tacitus' Leben unterrichtet: In keinem seiner Werke hat er sich die Zeit genommen,<br />
ausführlicher über sich und seine Herkunft zu sprechen. Für eine Beschäftigung mit Tacitus weiterhin unumgänglich<br />
das zweibändige Standardwerk von Syme (1958). Umfassend ebenfalls Borszák (1968); Pöschl (1969); einen guten<br />
Überblick über Leben und Werk des Tacitus bietet Fuhrmann (1971). Zu speziellen Aspekten seines Werkes vgl.<br />
zudem den Sammelband Aufstieg und Niedergang der römischen Welt (ANRW II), Band 33.2 und 33.3. Mit Schmal<br />
Domitians erster Chattenkrieg 21
Herrschaftszeit des flavischen Hauses, sondern überlebte die Dynastie um rund<br />
zwanzig Jahre. Er war Mitglied des ordo senatorius und bekleidete auch unter<br />
Domitian, den er in seinen Werken posthum stark ablehnt und von dem er ein<br />
einheitlich negatives Bild vermittelt, hohe Ämter in der kaiserlichen Verwaltung. 125<br />
Durch seine Werke ist Tacitus „ein Stern allererster Ordnung am Himmel der<br />
römischen Historiker<strong>“</strong>; in Bezug auf die Chatten muss er als der bedeutendste der auf<br />
uns gekommenen antiken Schriftsteller gesehen werden. 126<br />
Weit auseinander gehen Tacitus' Bewertungen der drei flavischen Kaiser, „Kriterium<br />
der Beurteilung ist dabei das jeweilige Geschick der Herrscher im Umgang mit dem<br />
eigenen Stand des Autors, dem Stand der Senatoren.<strong>“</strong> 127 An Vespasian bemängelt er<br />
nur die avaritia, 128 die Regierung des Titus wird ausschließlich positiv bewertet. 129<br />
Was den jüngsten Flavier auf dem Thron angeht, bleibt sein Werk „besessen von den<br />
echten und eingebildeten Domitianen der Vergangenheit<strong>“</strong>: 130 Tacitus macht ihn<br />
persönlich verantwortlich für die Probleme des zeitgenössischen politischen Lebens,<br />
„Heuchelei, Verstellung, Falschheit, die Grundübel oder Erbsünden des Systems<strong>“</strong>. 131<br />
Seine Werke, die so voll sind von ätzendem Spott gegen Domitian, hat Tacitus<br />
gewiss erst nach der Ermordung des letzten flavischen Kaisers veröffentlicht. Vorher<br />
verzichtet Tacitus „auf lautstarke Opposition<strong>“</strong> und bewegt sich somit „auf dem Grat<br />
zwischen schweigend protestierender virtus und leicht republikanisch verbrämten<br />
Opportunismus.<strong>“</strong> 132<br />
Hinweise auf den Chattenkrieg finden sich in verschiedenen seiner Werke: Sein wohl<br />
98 erschienenes 133 Erstlingswerk De Vita et Moribus Iulii Agricolae - ein im Kern<br />
(2005) ist kürzlich eine gelungene Einführung erschienen.<br />
125Vgl. Tac. Hist. 1,1,3: Dass seine Karriere von Domitian gefördert wurde, bestreitet Tacitus in seiner Selbstaussage<br />
nicht.<br />
126Bengtson (1979), S. 276. Erwähnt werden die Chatten an folgenden Stellen: Tac. Germ. 29-32; 35; 36; 38; Hist. 4,<br />
12; 4,37; Ann. 1, 55;1,56; 2,7;2,25;2,41; 11,16; 12,27; 12,28; 13,56;13,57.<br />
127Sonnabend (2002), S. 137.<br />
128Tac. Hist. 2, 5,1;<br />
129Tac. Hist. 2,1,2; 5,1,1.<br />
130Grant (1973), S. 239. Zum Verhältnis Tacitus und Domitian und dem Problem des Principats vgl. Nesselhauf (1952);<br />
Willmer (1958); Syme (1962); Fritz (1969); Urban (1971); Evans (1976); Döpp (1985); Städele (1988); Shotter<br />
(1991). Zur Entwicklung des Standpunkts des Tacitus gegenüber dem Principat vgl. ausführlich Beck (1998), S.<br />
102-123; Mehl (2001), S. 121f.<br />
131Christ (1983b), S. 454. Zur statischen Charakterauffassung der Antike vgl. Grant (1973), S. 237, S. 241f.; Döpp<br />
(1985), S. 166. Zu Standpunkt und Einordnung des Tacitus prägnant Pfeiffer (2009), S. 1.<br />
132Albrecht (1994), S. 871.<br />
133Zur Datierung der taciteischen Werke insgesamt vgl. die prägnante Zusammenfassung bei Schmal (2005), S. 18-21;<br />
Mehl (2001), S. 121. Ausführliche Überlegungen zur Datierung des Agricola vgl. Beck (1998), S. 72ff.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 22
iographisches Werk über seinen im Jahre 93 verstorbenen Schwiegervater, zugleich<br />
aber sowohl Nachruf und laudatio funebris auf denselben als auch streckenweise<br />
ethnographische Studie – ist gefärbt von einem subjektiv stark empfundenen Unrecht<br />
über die angebliche Zurücksetzung Agricolas durch Domitian. 134<br />
Die Historiae behandeln in chronologischer Reihenfolge die Jahre 69 bis 96, also den<br />
Zeitraum vom sogenannten Vierkaiserjahr bis zum Ende der flavischen Dynastie.<br />
Leider sind jene Teile der Historiae, in denen die Herrschaft der Flavier behandelt<br />
wird, nicht mehr erhalten. Sie brechen inmitten der Beschreibung des<br />
Bataveraufstandes im Jahre 70 ab, in den erhalten gebliebenen viereinhalb Büchern<br />
finden sich lediglich einige knappe Bemerkungen, die der Herrschaft des Domitians<br />
vorgreifen. 135 Für die Betrachtung des gewählten Themas ist weiterhin die<br />
ethnographisch-geographische Studie De Origine et Situ Germanorum, bekannter als<br />
Germania, von Bedeutung. 136 Recht bissige Anmerkungen zum Feldzug und<br />
Domitians Triumph finden sich in Tac. Agr. 39,1 und Germ. 37,6; in Agr. 41,2f.<br />
äußert sich der Historiograph in ebenfalls sehr herablassender Manier zu Domitians<br />
Kriegführung im Allgemeinen.<br />
3.1.1.5. Plinius der Jüngere<br />
C. Plinius Caecilius Secundus (61/62 bis 113/115) 137 war ein Neffe des Älteren<br />
Plinius. Der Beginn der domitianischen Herrschaft fiel ungefähr mit dem Beginn<br />
seiner Ämterlaufbahn zusammen. Insgesamt profitierte der jüngere Plinius von der<br />
Protektion durch den Princeps, 138 was er aber in den erst nach dessen Tode<br />
veröffentlichten Werken stillschweigend übergeht. Seine eigene Rolle während der<br />
134Im Proömium des Agricola habe man mit Fuhrmann (1999), S. 324, „ein für die Antriebe der taciteischen<br />
Historiographie wichtiges Dokument<strong>“</strong> zu sehen. Batomsky (1985), S. 389, sieht im Agricola gar „the key to the<br />
interpretation of all of Tacitus' writings [...]<strong>“</strong>. Vgl. ferner Hoffmann (1870); Streng (1978); Döpp (1985); Heubner<br />
(1984); Städele (1988); Hanson (1991); Petersmann (1991); Turner (1997); Beck (1998). Zu der, gewiss mehr aus<br />
literaturwissenschaftlicher Perspektive interessanten, Fragestellung nach Überschreitung und Gewichtung der<br />
traditionellen Genregrenzen im Agricola vgl. Beck (1998), S. 63ff.<br />
135Vgl. etwa Tac. Hist. 3,86,3; 4,86,2 und ausführlicher hierzu Schäfer (1977), S. 465ff.<br />
136Tac. Germ. 30-31 enthält eine recht ausführliche Beschreibung der Kampfkraft der Chatten; zur Frage der Aktualität<br />
des taciteischen Germanenbildes vgl. hier die Einschätzung bei Becker (1992), S. 30f. Die Germania hat das<br />
neuzeitliche Germanenbild seit dem Humanismus entscheidend geprägt. Sonnabend (2002), S. 135, bezieht sich<br />
pointiert auf das – alles Andere als folgenlose – Fortwirken des Werks, wenn er von „der nicht vorhersehbaren<br />
Langzeitwirkung [schreibt], dass man sich die Germanen gerne mit den Attributen blond, blauäugig, stark,<br />
rauhbeinig und trinkfest vorstellte.<strong>“</strong> Umfassend zum Werk selbst vgl. Timpe (1995; 2008).<br />
137Grundlegend Mommsen (1869); Strobel (1983), S. 37ff.<br />
138Vgl. CIL V 5262f; CIL XI 5272; Strobel (2003), S. 308.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 23
domitianischen Regierung stilisiert er in der Retrospektive gern als Opfer und Anwalt<br />
der Opposition; so behauptet er selbst, er habe seine Ablehnung durch<br />
Karriereverzicht ausgedrückt. 139 Dies ist in der Forschung durchaus unterschiedlich<br />
bewertet worden, einig ist man sich jedoch darin, dass er nie aktiv und unter Einsatz<br />
seines Lebens Widerstand geleistet haben wird. 140<br />
In Plinius' Darstellung erscheint uns Domitian als der Tyrann schlechthin, positive<br />
Aspekte an dessen Herrschaft pflegt der Autor geflissentlich zu unterschlagen. Sein<br />
Panegyricus auf Trajan aus dem Jahre 100 ist darum bemüht, ein möglichst negatives<br />
Bild des letzten Flaviers zu zeichnen, um auf dieser Negativfolie dem neuen Kaiser<br />
Trajan als optimus princeps zu huldigen; 141 diese Lobrede enthält auch Aussagen über<br />
mit dem Chattenkrieg verbundene Ereignisse. 142<br />
3.1.1.6. Sueton<br />
Der vermutlich aus Nordafrika stammende C. Suetonius Tranquillus (um 70 bis 130-<br />
140) war ebenfalls ein Zeitgenosse der Flavier, dürfte aber wohl nur die Herrschaft<br />
Domitians bewusst erlebt haben. 143 In zeitlicher Distanz zu dieser verfasste er sein<br />
fast vollständig erhaltenes Werk De vita Caesarum, einen Sammelband von<br />
Biographien der zwölf römischen Alleinherrscher von Caesar bis Domitian in acht<br />
Büchern. Die einzelnen Kaiserviten folgen alle einem ähnlichen Schema: Der<br />
Beschreibung des Lebenslaufes von der Geburt bis zur Thronbesteigung folgt eine<br />
rubrizierende Darstellung der Charakterzüge, Lebensführung und politischen<br />
Leistungen, hierauf die Darstellung des nahenden Todes und des Ablebens der<br />
einzelnen Herrscher. 144<br />
139Plin. Paneg. 95,3. Zum Verhältnis Plinius – Domitian: Oertel (1939); Orentzel (1980); Giovannini (1986); Strobel<br />
(2003).<br />
140Eine Skizze der Diskussion, ob man in Plinius ein Opfer oder einen Opportunisten zu sehen hat, findet sich bei<br />
Urner (1994), S. 38ff. Neue politische Aspekte hat Beutel (2000) herausgearbeitet; Strobel (2003), S. 304, hat erneut<br />
mit Nachdruck den Vorwurf des Opportunismus bekräftigt: „Plinius zeigt sich uns als Karrierist und Opportunist.<br />
[...] Er strebte danach, sich als loyaler, ja dienstbeflissener Repräsentant des jeweiligen Regimes darzustellen.<strong>“</strong><br />
141Albrecht (1994), S. 914. Ausführlich zum Panegyricus vgl. Schillinger-Häfele (1958); Seelentag (2004), S. 214-<br />
297.<br />
142Plin. Paneg. 16,3.<br />
143Grundlegend Baldwin (1983), Wallace-Hadrill (1995); vgl. auch Sonnabend (2002), S. 168-182. Zu Leben und<br />
Karriere Suetons vgl. Baldwin (1975), einführend Grant (1973) S. 276-287. Die Einleitung zu Grant (1987), S. 9-40,<br />
ist – um im Vokabular des Faches zu bleiben – nur als panegyrisch zu beschreiben. Zur Einstellung Suetons' zum<br />
Principat vgl. Lambrecht (1982).<br />
144Für den heutigen Historiker relevante Kritikpunkte an der nach Rubriken geordneten Darstellungsweise liefert Mehl<br />
(2001), S. 144.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 24
Insgesamt legt Sueton in seiner Beschreibung mehr Wert auf die mores als auf die res<br />
gestae der Herrscher, was „ihm häufig den Vorwurf des `Klatschreporters´<br />
einbrachte.<strong>“</strong> 145 Wenn er sich auch „die tausend Kleinigkeiten, die Intimitäten des<br />
täglichen Lebens, die Bonmots, die Anekdoten und das Hofgeflüster [...] in reicher<br />
Fülle<strong>“</strong> 146 zum Thema nimmt und darüber die politische Dimension vernachlässigt,<br />
misst ihm die heutige Forschung einen höheren Stellenwert als ernstzunehmende<br />
Quelle bei, als sie dies lange Zeit getan hatte. 147 Dabei sind für Suetons Werk zwei<br />
Aspekte positiv hervorzustreichen: Erstens hatte er in seiner Funktion in der<br />
kaiserlichen Administration Zugriff auf alle wichtigen Archive Roms, dies zumindest<br />
bis zu seiner Entlassung. Für die späteren Viten war er daher mehr auf mündlich<br />
tradiertes Material angewiesen. 148 Zweitens vermittelt er – der Wahrheitsgehalt sei<br />
einmal dahingestellt – einen lebhaften Einblick, was über die Herrscher geredet<br />
wurde, welche Gerüchte und Anekdoten die Runde machten. Als problematisch<br />
anzumerken sind hingegen die, der Antike durchaus eigene, statische<br />
Charakterauffassung und die Tatsache, dass er seine Quellen, „egal ob Hofklatsch,<br />
Aktenstücke, Briefe, Reden oder Pamphletliteratur [...] gleichrangig nebeneinander<br />
stellt.<strong>“</strong> 149<br />
Der Germanienfeldzug des letzten Flaviers scheint Sueton nicht besonders<br />
interessiert zu haben: Die Motive Domitians für den Feldzug nennt er knapp, der<br />
Chatten- und Dakerkrieg und der damit verbundene Triumph sind ihm lediglich eine<br />
recht lapidare Zusammenfassung wert. 150<br />
145Pfeiffer (2009), S. 1f. Zum Stellenwert der Biographie gegenüber der Historiographie in der Antike vgl. einführend<br />
auch Grant (1973), S. 8f., S. 278f.; Mehl (2001), S. 142f.; Sonnabend (2002), S. 4ff.<br />
146Lambert (1983), S. 353.<br />
147Urner (1994), S. 45: Sueton sei als historische Quelle „inzwischen weitgehend rehabilitiert<strong>“</strong>; vgl. auch Bengtson<br />
(1979), S. 277f. Wegweisend war hier Steidle (1958), besonders S. 108; die Forschung zusammenfassend vgl.<br />
Lambrecht (1995), S. 508f. Zum Quellenwert Suetons weniger positiv urteilt Flach (1972), besonders S. 285.<br />
Einführend zum Themenkompl<strong>ex</strong> antike Biographie als historische Quelle vgl. Sonnabend (2002), S. 8ff.<br />
148Albrecht (1994), S. 1106f.; Suetons Verhältnis zu Tacitus ist ungeklärt.<br />
149Urner (1994), S. 46. Zum statischen Charakter bei Sueton vgl. Bradley (1991), S. 3703.<br />
150Suet. Dom. 6,1.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 25
3.1.2. Spätere antike Autoren<br />
3.1.2.1. Cassius Dio<br />
Die unter den späteren antiken Autoren bei Weitem ausführlichste Quelle über die<br />
domitianische Zeit und zugleich für die Tradierung des Domitianbildes wichtigster<br />
späterer antiker Autor ist L. Claudius Cassius Dio Cocceianus (um 155-164 bis um<br />
235). 151 Dio gehörte ebenfalls dem Senatorenstand an und teilte, wie Tacitus und<br />
Plinius, dessen Ansichten. 152 Insgesamt entfernt er sich bei der Beurteilung der<br />
einzelnen flavischen Principes „kaum von der zur communis opinio gewordenen<br />
senatorischen Interpretation der ersten Jahrhundertwende.<strong>“</strong> 153<br />
Ungeklärt ist weiterhin, wann genau er die, nach eigener Aussage rund 22 Jahre<br />
dauernde, 154 Arbeit an seiner zumindest der äußeren Form nach der annalistischen<br />
Tradition verpflichteten Historía Rhomaiké aufnahm. 155 In jener hat man das<br />
bedeutendste griechischsprachige Geschichtswerk über die Zeit des römischen<br />
Principats zu sehen, welches auch eine <strong>ex</strong>plizite Stellungnahme des Autors zur<br />
Monarchie seiner Zeit enthält. 156<br />
Cassius Dio schrieb mit einer zeitlichen Distanz von rund hundert Jahren zur<br />
Herrschaft des letzten Flaviers, wodurch die Frage nach den von ihm verwendeten<br />
Quellen relevant wird. Er hat eine Vielzahl an teilweise nicht mehr erhaltenen<br />
literarischen Quellen verarbeitet, dabei jedoch „Angaben bzw. Deutungen aus<br />
Quellen nicht mechanisch übernommen, sondern sie sich unter Refl<strong>ex</strong>ion zu eigen<br />
gemacht.<strong>“</strong> 157 Dieser gleichsam kreative Zug und die besonders schlechte<br />
Überlieferungslage erschweren die Aufgabe, festzustellen, welches seine Quellen<br />
sind und auf welche Quelle er sich im Einzelfall stützt. Umstritten ist besonders die<br />
Verwendung der Historiae und der Annales des Tacitus. Bei aller, durch den Verlust<br />
großer Teile beider Werke hervorgerufenen, Unklarheit scheint diese Frage<br />
letztendlich nicht befriedigend zu klären zu sein; man mag aber davon ausgehen,<br />
dass er „die einschlägige Literatur<strong>“</strong> kannte. 158<br />
151Er selbst nennt in seinem Werk Nicaea in Bithynien als seinen Geburtsort, vgl. Cass. Dio. Hist. Rom 75, 15, 3.<br />
152Einleitend vgl. Wirth (1985); grundlegend immer noch das Standardwerk von Millar (1964).<br />
153Urner (1994), S. 49.<br />
154Vgl. Cass. Dio Hist. Rom. 72,23; 74,3.<br />
155Zusammenfassend zur Datierungsfrage: Hose (1999), S. 424-427.<br />
156Vgl. hierzu: Bleicken (1968).<br />
157Hose (1999), S. 375.<br />
158Wirth (1985), S. 39ff.; Cass. Dio Hist. Rom. 1,2. Diesbezügliche Diskussion grundlegend bei Syme (1958), S. 688-<br />
Domitians erster Chattenkrieg 26
Von seinen ursprünglich 80 Büchern sind uns heute nur noch die Bücher 36-60 und<br />
78-79 erhalten, zudem einige Bücher fragmentarisch. Die Passagen zu den flavischen<br />
Kaisern (Buch 66-67, die domitianische Zeit wird im 67. Buch behandelt) liegen nur<br />
in byzantinischen Zusammenfassungen des Werkes durch Xiphilinos (11.<br />
Jahrhundert) und Zonaras (12. Jahrhundert) vor. 159 Im 67. Buch der Historía<br />
Rhomaiké findet der Chattenkrieg an zwei Stellen Erwähnung. 160<br />
3.1.2.2. Aurelius Victor<br />
S. Aurelius Victor lebte ungefähr von 320 bis 390. 161 Nach Selbstauskunft aus<br />
einfachen ländlichen Verhältnissen in Nordafrika stammend, wo er dennoch eine sehr<br />
gute Ausbildung erhalten haben wird, 162 arbeitete er sich in der kaiserlichen<br />
Verwaltung nach oben: Sein bemerkenswerter sozialer Aufstieg brachte ihn „durch<br />
Bildung, konkrete Kenntnisse und Zuverlässigkeit<strong>“</strong> bis in den Senatorenstand und die<br />
höchsten Ämter der imperialen Verwaltung; er verstand es, die Chancen zu nutzen,<br />
die sich in dieser Zeit ambitionierten Aufsteigern boten. 163 Neben seinen<br />
Amtspflichten verfasste und vollendete er vor 360 164 sein historisches Werk Historiae<br />
abbreviatae, auch Liber de Caeasaribus genannt, eine „eigenwillige<br />
Biographiensammlung<strong>“</strong> der römischen Kaiser von Augustus bis Constantin II. 165<br />
692: „Tacitus was a primary authority, and must have been used by Dio […], however faint be the traces.<strong>“</strong> Vgl.<br />
dagegen auch Schwarz (1899), Sp. 1714 und Borszák (1968), Sp. 479. Hose (1999), S. 412, zieht zudem in Betracht,<br />
dass „gewisse Gemeinsamkeiten (z.B. bei der Bewertung) zwischen Tacitus und Dio weniger Ausdruck einer […]<br />
Abhängigkeit von Quellen, denn Resultat einer Sichtweise sind, die durch die gleiche gesellschaftliche Position<br />
geprägt<strong>“</strong> sein könnte, ebenso äußert sich Mehl (2001), S. 32.<br />
159Millar (1964), S. 1-4.<br />
160Cass. Dio Hist. Rom. 67,3,5 (= Zonaras 11,19); 67,4,1 (= Xiphilinos 218, 22-29). Vgl. zu der letztgenannten Stelle<br />
auch Strobel (1987a), S. 424: Diese Stelle „setzt sich aus einer Kombination zweier sich teilweise überschneidender<br />
Exzerpte zusammen [...]; ganz entsprechend der Praxis des Xiphilinus sind die eigentlichen historischen Ereignisse<br />
in einer einzigen, überaus verkürzten Paraphrase zusammengefasst [...].<strong>“</strong> Im Zusammenhang mit der domitianischen<br />
Germanienpolitik ist weiterhin Cass. Dio. Hist. Rom 67,5,1 zu sehen.<br />
161Den Versuch einer Rekonstruktion von Herkunft und Werdegang Victors anhand der knappen erhaltenen<br />
Informationen unternimmt Bird (1984), S. 5-15, <strong>ex</strong>plizit auch ders. (1975); vgl. auch Schmidt (1978).<br />
162Aur. Vict. Caes. 20,5. Vgl. auch Sonnabend (2002), S. 201.<br />
163Christ (2005), S. 193; vgl. CIL VI 1186. Allgemein zu sozialer Mobilität im 4. nachchristlichen Jahrhundert: Alföldy<br />
(1984), S. 163.<br />
164Barnes (1969), S. 17; Starr (1955), S. 575.<br />
165Christ (2005), S. 177. Er konstatiert, dass die Kaiserbiographien des Victor in den letzten Jahrzehnten insbesondere<br />
unter „primär philologischen Fragestellungen<strong>“</strong> stärkere Beachtung gefunden hätten, die Alte Geschichte hingegen<br />
weniger Interesse gezeigt hätte. Die Forschungsdiskussion um Aurelius Victor im 20. Jahrhundert wird<br />
zusammenfassend dargestellt ebd., S. 194-198. Die Ausgabe von Pichlmayr (1911) fasst unter dem Obertitel<br />
„Aurelius Victor<strong>“</strong> insgesamt vier historiographische Werke der Spätantike zusammen, die teilweise<br />
überlieferungstechnisch und thematisch miteinander verbunden sind; vgl. dazu auch Sonnabend (2002), S. 200f. Zur<br />
eigenwilligen Betrachtungsweise Victors vgl. Starr (1955), S. 576; Nixon (1971), S. 398ff.; Bird (1984), S. 23.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 27
Der Autor selbst schreibt von einer breiten Quellenbasis. 166 Neben der nicht auf uns<br />
gekommenen, 1884 hypothetisch erschlossenen, sogenannten Enmannschen<br />
Kaisergeschichte 167 wurden die Kaiserbiographien des Marius Maximus, Suetons und<br />
möglicherweise auch die ebenfalls verlorenen Teile der taciteischen Historien<br />
verarbeitet. Die Forschung, die heute die Rolle der Enmannschen Kaisergeschichte<br />
bei der Entstehung der Caesares betont, geht für die beiden letzteren Autoren<br />
inzwischen eher von einer indirekten Benutzung aus. 168 Dennoch muss Suetons Werk<br />
zumindest in indirekter Weise Pate gestanden haben: Diejenigen Principes, die<br />
beiden Werken gemeinsam sind, sind bei Aurelius Victor stark an diesen angelehnt. 169<br />
Dennoch schafft es Aurelius Victor dem Material ein subjektives Gepräge zu geben.<br />
Fast ausnahmslos spart Victor Angaben zu Kindheit und Jugend der einzelnen<br />
Principes aus: „Er nimmt die Kaiser bei der Regierungsübernahme in Empfang,<br />
begleitet sie durch ihre Herrschaft, schildert den Tod und dann gleich wieder den<br />
Machtantritt des Nachfolgers.<strong>“</strong> 170 Die Vermittlung von reinen Fakten über die<br />
einzelnen Herrscher wird immer wieder unterbrochen von moralisierenden Exkursen,<br />
zudem bietet Victor „nach suetonischer Manier recht ausführliches<br />
Anekdotenmaterial.<strong>“</strong> 171<br />
Das victorsche Kaiserideal ist, auch durch die Abhängigkeit von den jeweils<br />
verwendeten Quellen begründet, von Widersprüchen und Spannungen gezeichnet, da<br />
„der Autor durchaus persönliche Akzente setzt [...]. Idealisierung begegnet bei ihm<br />
ebenso wie <strong>ex</strong>treme Herabsetzung.<strong>“</strong> 172 Wahrscheinlich durch seinen eigenen<br />
Werdegang beeinflusst, bewertet der „bildungsstolze Selfmademan aus<br />
Nordafrika<strong>“</strong> 173 die Principes interessanterweise vor allem nach ihrem Bildungsstand<br />
und ihrem sittlichen Verhalten, wobei sein Kaiserideal am ehesten dem Bild vom<br />
„kultivierten Römer<strong>“</strong> nahe kommen mag. 174 Zudem lässt Victor in sein Werk in nicht<br />
geringem Umfang traditionell senatorische Sichtweisen einfließen und bemisst den<br />
Herrscher demnach auch an seinem Verhalten gegenüber dem Senat und inwiefern er<br />
166Aur. Vict. Caes. 11,13.<br />
167Enmann (1884), vgl. hierzu auch Barnes (1969), besonders S. 14, 20; Bird (1981), S. 461; Schön (1953); Burgess<br />
(1993).<br />
168Bird (1984), S. 16ff.; Barnes (1970), S. 20; Schlumberger (1974), S. 9ff.<br />
169Starr (1955), S. 584; Nixon (1971), S. 149.<br />
170Sonnabend (2002), S. 202.<br />
171Witzmann (1999), S. 4. Vgl. auch Bird (1984), S. 3; S. 81; S. 100ff.<br />
172Christ (2005), S. 187.<br />
173Hohl (1955), S. 224.<br />
174Urner (1994), S. 53; Bird (1974), S. 71-80.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 28
„überhaupt Rücksicht auf die altehrwürdigen Traditionen nimmt.<strong>“</strong> 175 Aurelius Victor<br />
fasst an einer Stelle Domitians Feldzüge gegen Chatten und Daker zusammen. 176<br />
3.1.2.3. Epitomator de Caesaribus<br />
Der Libellus de vita et moribus imperatorum breviatus <strong>ex</strong> libris S. Aurelii Victoris,<br />
oder auch kurz Epitome de Caesaribus, stellt eine weitere spätantike Sammlung von<br />
Kaiserbiographien dar und behandelt die Principes von Augustus bis Theodosius I. 177<br />
Verfasst wurden die Epitome wahrscheinlich um 395; wer ihr paganer Autor ist,<br />
bleibt im Dunkeln. 178 Die Tatsache, dass für die ersten elf Viten, also bis Domitian,<br />
zahlreiche Passagen beinahe wortwörtlich aus dem Werk des Aurelius Victor<br />
übernommen wurden, hatte irrtümlicherweise zu der Annahme geführt, dass es sich<br />
nicht um ein eigenständiges Werk, sondern lediglich um einen Auszug aus den<br />
Caesares handele. 179 Dagegen spricht allein die recht einleuchtende Tatsache, dass<br />
ein Zeitraum behandelt wird, den Victor nicht mehr erlebt haben dürfte und zudem<br />
manche Kapitel wesentlich länger sind als in den Caesares. 180 Als Quellen wurden<br />
unter anderem Sueton und vermutlich auch die bereits erwähnte Enmannsche<br />
Kaisergeschichte verarbeitet. 181 Auch die zusammenfassende Erwähnung der<br />
domitianischen Kriegsführung in den Epitomen ist stark an die entsprechende<br />
Passage bei Aurelius Victor angelehnt. 182<br />
3.1.2.4. Orosius<br />
Paulus (?) Orosius ist der einzige christliche Autor unter den antiken Quellen, die<br />
sich zum Chattenkrieg Domitians äußern. 183 Zum ausgehenden vierten Jahrhundert<br />
im heutigen Portugal geboren, erhielt er eine gründliche theologische und rhetorische<br />
Ausbildung und war bereits in jungen Jahren Presbyter seiner Gemeinde. Im<br />
175Witzmann (1999), S. 7.<br />
176Aur. Vict. Caes. 11,3.<br />
177Die Literaturgrundlage zu den Epitomen ist insgesamt recht spärlich; an der bisher umfassendsten modernen Arbeit<br />
von Schlumberger (1974) kommt man auch heute nicht vorbei; vgl. weiterhin Schmidt (1978), Sp. 1671-1676;<br />
Schön (1953), S. 79-84; Cameron (2001); Sonnabend (2002), S. 201; Eigler (2003).<br />
178Das Todesjahr des Theodosius gibt diesen Zeitpunkt als terminus post quem vor.<br />
179Schlumberger (1974), S. 4ff., verweist darauf, dass die anonymen Epitome durch die handschriftliche Tradition und<br />
Editionsgeschichte bereits seit dem Übergang von der Spätantike zum Mittelalter mit den Caesares des Aurelius<br />
Victor verbunden worden waren.<br />
180Ein zusammenfassender stilistischer Vergleich beider Werke findet sich bei Schmidt (1978), Sp. 1672.<br />
181Schlumberger (1976), S. 206; Schön (1953), S. 79-84.<br />
182Epit. de Caes. 11,2; vgl. Aur. Vict. Caes. 11,3.<br />
183Die Namensform Paulus ist nicht eindeutig gesichert, vgl. Wotke (1939), S. 1185f. Grundlegend sind weiterhin<br />
folgende Arbeiten: Schöndorf (1952); Lippold (1969); Hingst (1972); Goetz (H. 1980); Andresen (1985), S. 5-48.<br />
Zum Werk des Orosius vgl. auch Hansen (1984), sowie den erst kürzlich erschienenen Artikel von Cobet (2009).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 29
nordafrikanischen Hippo Regius, wohin er vor den Wandalen fliehen musste, lernte<br />
er Aurelius Augustinus kennen; eine in dessen Auftrag unternommene Reise nach<br />
Palästina machte ihn darüber hinaus mit dem Kirchenvater Hieronymus bekannt. Auf<br />
Augustinus' Anregung hin 184 begann er die Arbeit an seinem bekanntesten Werk<br />
Historiarium adversos Paganos libri VII und hat diese „erste christliche<br />
Universalgeschichte<strong>“</strong>, welche die Zeit vom biblischen Sündenfall 185 bis zu Lebzeiten<br />
des Autors behandelt, innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes wohl bis spätestens<br />
418 beendet. 186 Als Quellen lagen ihm neben anderen nachweislich Suetons<br />
Kaiserviten und die taciteischen Historien vor. 187 Der weitere Verlauf seines Lebens,<br />
Datum und Umstände seines Todes sind ungeklärt. 188<br />
Sein Geschichtswerk liest sich im Wesentlichen als christlich-tendenziöse Schwarz-<br />
Weißmalerei mit der Intention, zu beweisen, dass das Erscheinen Jesu Christi die<br />
Zustände in der Welt gebessert habe. 189 Dies geschieht nicht zuletzt, um den von<br />
heidnischer Seite geäußerten Vorwurf zu entkräften, der Bruch mit den traditionellen<br />
Religionen habe erst zu den zeitgenössischen Übeln, wie der mit massiven<br />
Plünderungen verbundenen Einnahme Roms durch den Goten Alarich im Jahre 410,<br />
geführt. 190 Hierzu teilt Orosius die Geschichte der Menschheit trennscharf in zwei<br />
Epochen: Die Zeit vor dem Erscheinen des Messias, die sich als eine einzige Abfolge<br />
von „Katastrophen, Unglück und Leid<strong>“</strong> liest, 191 und die mit der Geburt Christi<br />
anbrechende tempora Christiana. Betont wird dabei der krasse Bruch zwischen<br />
düsterer heidnischer und geordneter christlicher Zeit, in welcher der göttliche<br />
Heilsplan sukzessive Gestalt annehme. 192 Seiner Argumentation ordnet er alles<br />
andere unter; er selektiert, manipuliert und gewichtet die Ereignisse so, dass sie das<br />
von ihm gewünschte Geschichtsbild ergeben. 193 Dem Principat selbst steht er<br />
184Oros. Hist. adv. Pag. 1, Prolog 1-2; 8-10. Sein Verhältnis zu Augustinus versucht Orosius mit dem Bild eines<br />
gehorsamen Hundes zu beschreiben, der aus Liebe zu seinem Herren gerne den an ihn gestellten Auftrag ausführt,<br />
aber damit auch einen gewissen Anspruch auf Erwiderung seiner Zuneigung begründet wissen will; vgl. Hist. adv.<br />
Pag. 1, Prolog, 3-5.<br />
185Oros. Hist. adv. Pag. 1, 1, 4.<br />
186Witzmann (1999), S. 8. Orosius wirkte speziell auf das römische Geschichtsbild des Mittelalters nachhaltig ein, vgl.<br />
Goetz (H. 1980), S. 11: „[...] eines der meistgelesenen Werke des Mittelalters.<strong>“</strong> Zum Fortwirken Orosius' vgl. ebd.,<br />
S. 148-165; Lippold (1985), S. 44-47; Albrecht (1994), S. 1100f.<br />
187Zur Frage, welche Quellen Orosius in welchem Ausmaß benutzte, sei auf die Diskussion in folgenden Werken<br />
verwiesen: Goetz (H. 1980), S. 25ff; Andresen (1985), S. 38ff.<br />
188Zu den wenigen gesicherten Fakten des Lebens des Orosius vgl. Lippold (1969), S. 92ff; Goetz (H. 1980), S. 9ff.;<br />
Hansen (1984), S. 613.<br />
189Zum christlich motivierten Fortschrittsglauben bei Orosius vgl. Herzog (2002), S. 293-320.<br />
190Oros. Hist. adv. Pag. 1, Prolog 9.<br />
191Mehl (2001), S. 193; vgl. auch Goetz (H. 1980), S. 30ff.<br />
192Oros. Hist. adv. Pag. 1, Prolog, 14; Schöndorf (1952), S. 46f.<br />
193Zu Orosius' Umgang mit Quellen vgl. auch Mehl (2001), S. 197.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 30
grundsätzlich positiv gegenüber; als ideale Regierungsform sieht er die Verbindung<br />
von dynastischem Kaisertum und christlich-monotheistischem Glauben. 194 Die<br />
Bewertung der einzelnen Kaiser erfolgt neben deren Leistungen für das Reich<br />
hauptsächlich anhand ihres Verhaltens gegenüber der christlichen Gemeinde, wobei<br />
Orosius oft „einseitig positiv oder negativ gezeichnete Kaiserbilder<strong>“</strong> liefert. 195<br />
Der erste Chattenkrieg findet bei Orosius eine zusammenfassende Erwähnung in<br />
Hist. adv. Pag. 7,10,3; das an dieser Stelle sehr negativ gezeichnete Bild der<br />
militärischen Fähigkeiten Domitians muss aber, wie dies auch weiter unten<br />
ausführlicher unternommen werden soll, stets vor dem Hintergrund des oben<br />
Gesagten verstanden werden. 196<br />
3.2. Nichtliterarische Quellen<br />
3.2.1. Archäologische Funde:<br />
Besonders seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ist von der<br />
provinzialrömischen Archäologie, namentlich der Limesforschung, hervorragende<br />
Arbeit geleistet worden, die nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, die uns<br />
erhaltenen literarischen Quellen zu Domitians Chattenkrieg zu komplementieren und<br />
teilweise auch zu kontrastieren. 197 Heute gilt die römische Kaiserzeit in den<br />
germanischen Provinzen als eine „relativ gut bekannte archäologische Periode<strong>“</strong>, was<br />
größtenteils forschungsgeschichtlichen Gründen zu verdanken ist. 198<br />
Der allgemeine Trend der letzten Jahre hat Becker zu der Aussage bewogen, dass es<br />
zuweilen scheinen möge, als sei „die Erforschung der vielfältigen Beziehungen<br />
zwischen Römern und Germanen von der Geschichtswissenschaft auf die<br />
Archäologie übergegangen<strong>“</strong>, wenn er auch im gleichen Atemzug relativiert, dass bei<br />
Letzterer die politische Geschichte zugunsten kultur- und alltagsgeschichtlicher<br />
Aspekte zurücktrete. 199 Zur Unterstützung dieser Feststellung ließen sich die<br />
194Oros. Hist. adv. Pag. 6, 17, 9f.; vgl. auch Goetz (H. 1980), S. 88ff.<br />
195Witzmann (1999), S. 11, listet überdies in Anlehnung an Goetz (H. 1980), S. 94-110, die von Orosius<br />
herangezogenen Eigenschaften zur Beurteilung eines Princeps auf.<br />
196Vgl. Kapitel 6.1.2.<br />
197Ein kurzer geschichtlicher Abriss der wissenschaftlichen Bodenkunde in Deutschland findet sich in: Imperium<br />
(2006), S. 22-27; Bechert (2003), S. 37-105. Eine prägnante Zusammenfassung der Forschungsgeschichte des Limes<br />
mit umfangreicher Bibliographie bieten Becker / Schallmayer (2001), S. 404-414.<br />
198Wendt (K. 2008), S. 192. Zu den Funden im chattischen Gebiet vgl. Becker (1992), S. 54-80, und aktueller den<br />
Ausstellungskatalog von Raetzel-Fabian (2001).<br />
199Becker (1992), S. 170. Zum aktuellen Verhältnis von (provinzialrömischer) Archäologie und Alter Geschichte vgl.<br />
Bechert (2003), S. 19ff.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 31
umfassenden Publikationen der provinzialrömischen Archäologie, die sich in den<br />
meisten Fällen auf die modernen Bundesländer beziehen, ebenso anführen wie die<br />
optisch opulent aufbereiteten Ausstellungskataloge der letzten Jahre. 200<br />
Vielfach ist in der Forschungsliteratur konstatiert worden, dass die Beiträge der<br />
Archäologie den Feldzug Domitians in ein neues Licht gerückt hätten. 201 Das ist<br />
grundsätzlich richtig, meines Erachtens ist dabei allerdings anzumerken, dass die<br />
Erkenntnisse der Bodenforschung zur Rekonstruktion des eigentlichen Feldzuges<br />
wenig beigetragen haben, sehr wohl aber das unmittelbare zeitliche Vorher und<br />
Nachher erhellt haben (gemeint ist hier die Eroberung des südwestdeutschen Raumes<br />
unter Vespasian sowie der weitere Ausbau von Stützpunktketten in Germanien unter<br />
Domitian und seinen Nachfolgern).<br />
3.2.2. Numismatische Funde<br />
Angesichts der schmalen und voreingenommenen literarischen Überlieferung kommt<br />
der so gut wie vollständig erfassten Münzprägung der flavischen Epoche ein<br />
besonderer Wert für die Untersuchung des Themas zu; 202 spielt doch im Gegensatz<br />
zur julisch-claudischen Dynastie der Themenkompl<strong>ex</strong> zeitgenössischer militärischer<br />
Aktivitäten und Erfolgsmeldungen in Germanien in Domitians Münzprägung<br />
während seiner gesamten Herrschaftszeit eine dominante Rolle. 203<br />
Dank der Tatsache, dass kaiserzeitliche Münzen auf ihrem Avers nicht nur die<br />
komplette Titulatur des jeweiligen Herrschers, sondern oft auch die Jahre der<br />
tribunicia potestas (TR P), die Anzahl der Konsulate (COS) und der empfangenen<br />
imperatorischen Akklamationen (IMP) angeben, sind Münzfunde „vital for<br />
reconstructing the chronology of this long reign, for which we lack sufficient<br />
historiographical evidence.<strong>“</strong> 204 Andererseits liegt der besondere Wert der Münzen im<br />
200Vgl. z.B. Filtzinger (1986); Baatz (2002); Bechert (1982). Ausstellungskataloge: Imperium (2006); Krieg und<br />
Frieden (2007); überdies Bechert (1999); Fischer (2001) .<br />
201So bereits Weynand (1909), Sp. 2555.<br />
202Der Münzprägung der Flavier ist der 2007 in zweiter, vollständig überarbeiteter Auflage, erschienene zweite Band<br />
der Roman Imperial Coinage gewidmet, der im folgenden mit RIC II (2007) zitiert werden soll. Generelle<br />
Überlegungen zu antiken Münzen als historische Quellen finden sich bei Bleckmann (2002), S. 26-29 und Günther<br />
(2001), S. 193-214.<br />
203Zur Refl<strong>ex</strong>ion militärischer Erfolge in Germanien in der kaiserzeitlich-römischen Münzprägung grundlegend und<br />
weiterhin unverzichtbar ist das Werk von Wolters (1989), zusammenfassend hier S. 68ff. Becker (1992), S. 5; S. 53,<br />
verweist darauf, dass sich die domitianische Münzprägung pauschal auf die „Germania<strong>“</strong> beziehe, also auf einzelne<br />
Stammesnamen wie den der Chatten nicht eingehe.<br />
204Griffith (2000), S. 56. Propädeutisch: Günther (2001), S. 208f. Kienast (1990), S. 12, betont, dass angesichts des<br />
begrenzten Raumes auf der Münze die Titulatur des Herrschers „meist abgekürzt und gelegentlich auch verkürzt<strong>“</strong><br />
sei, die Angaben aber zumindest für das erste und zweite Jahrhundert „von großer Zuverlässigkeit<strong>“</strong> sein. Zudem<br />
müsse man aber bei Münzen aus von Rom fernen Prägestatten damit rechnen, „daß sie nicht den aktuellen Stand der<br />
Domitians erster Chattenkrieg 32
speziellen Falle Domitians darin, dass sie ein seltenes Zeugnis kaiserlicher<br />
Selbstdarstellung und somit eine wichtige Ergänzung zu dem „mageren Bestand an<br />
erhaltenen offiziellen Schriftzeugnissen und Monumenten<strong>“</strong> darstellen. 205 So hatte<br />
Joseph Vogt bereits hervorgestrichen, dass die „Münzen durch ihren offiziellen<br />
Charakter und durch die Vielseitigkeit ihrer Darstellung ausgezeichnet<strong>“</strong> sind, stellen<br />
doch die „mannigfaltigen Bilder der Rückseiten [...] ungezählte Ereignisse der<br />
politischen Geschichte und Erscheinungen des kulturellen Lebens dar.<strong>“</strong> In sehr<br />
optimistischer Weise geht Vogt deshalb davon aus, dass sich die kaiserzeitliche<br />
Münzprägung dem Historiker ähnlich einer „reichhaltigen illustrierten Staatszeitung<strong>“</strong><br />
darstelle. 206<br />
In den letzten Jahrzehnten ist allerdings diese „Nachrichtenfunktion<strong>“</strong> der<br />
kaiserzeitlichen Münzen kontrovers diskutiert worden: 207 Inwieweit darf man<br />
Münzen als systematisches und bewusst genutztes Instrument kaiserlicher<br />
Propaganda mit weitreichender Wirkung sehen? 208 Inwiefern war der Kaiser selbst<br />
bei der Auswahl der Motive beteiligt? Wie war es um die Rezeptions- und<br />
Interpretationsfähigkeit des Publikums bestellt? Waren breitere Schichten auch<br />
außerhalb Roms überhaupt in der Lage, die Darstellungen auf dem Revers der<br />
Münzen lesen und verstehen zu können? 209<br />
Eine ausgewogene Bewertung der Lage liefert meines Erachtens nach Christopher<br />
Howgego: So könne kein Zweifel daran bestehen, dass „in gewissen Zeiten Münzen<br />
kaiserlichen Titulatur wiedergeben.<strong>“</strong> Zur Problematik der Angabe der tribunicia potestas auf Münzen vgl.<br />
differenziert ebd., S. 30-36; zu den imperatorischen Akklamationen S. 39-42.<br />
205Howgego (2000), S. 71.<br />
206Vogt (1924), S. 1.<br />
207Wolters (1989), S. 8. Eine kurze Zusammenfassung der Positionen findet sich bei Duncan-Jones (2005), S. 460,<br />
ausführlicher: Noreña (2001).<br />
208Sutherland (1976), S. 107, hatte den Akzent eher auf die Informations- als auf die Propagandafunktion der<br />
kaiserlichen Münzen gelegt. Levick (1982a), besonders S. 108, hatte den Wirkungsgrad der kaiserlichen<br />
Münzprägung auf die öffentliche Meinung relativiert und in der Wahl der Darstellungen eher einen Selbstzweck des<br />
Hofes gesehen: „intended not as publicity but for internal, domestic, Palace consumption.<strong>“</strong> Mit Nachdruck ist ihr<br />
von Strobel (1987a), S. 439, widersprochen worden: „Die Außenwirkung und die Verständlichkeit ihrer inhaltlichen<br />
Aussagen [...] war nicht nur erwünscht, sondern gezielt angestrebt.<strong>“</strong><br />
Die Propagandafunktion von Münzen wird weitgehend geleugnet von Jones (A. 1974), S. 61-81, und Duncan-Jones<br />
(2005), besonders S. 485. Duncan-Jones hatte aufgrund statistischer Untersuchungen für die Regierungszeit Trajans<br />
die These aufgestellt, dass dessen Münzprägung hauptsächlich aus ähnlichen, immer wieder aufgegriffenen,<br />
hauptsächlich religiösen Motiven ohne Bezug zum politischen Tagesgeschäft bestanden habe; zumindest für die<br />
trajanische Münzprägung bezweifelt Duncan-Jones daher die Propagandafunktion der Münzprägung als Ganzes.<br />
Beckmann (2009) wendet sich in seinem Aufsatz direkt gegen diese von Duncan-Jones vertretene Auffassung und<br />
kommt ebenfalls für die Regierungszeit Trajans zu einem differenzierterem Bild: Während die Gold- und<br />
Bronzemünzen durchaus Bezug zu aktuellen politischen Ereignissen aufwiesen („substantial news content<strong>“</strong>, S. 155)<br />
und ihnen somit durchaus Propagandafunktion zukäme, seien es lediglich die Silberprägungen, die diesen aktuellen<br />
Bezug nicht aufwiesen.<br />
209Howgego (2000), S. 84. Skeptisch in Bezug auf das Verständnis der meisten Münzbenutzer äußert sich Jones (A.<br />
1974), S. 62f.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 33
mit politischen Inhalten befrachtet<strong>“</strong> wurden. 210 Wenn er auch den Begriff Propaganda<br />
für einen, in seinem modernen Verständnis zu weitgreifenden und daher nicht<br />
treffenden, Anachronismus hält, könne man dennoch „ein gewisses Maß an<br />
Absichten über die reine Ehrenfunktion hinaus und gewisse Rücksichten auf die<br />
Wirkung [...] nicht für bestreitbare Hypothesen halten.<strong>“</strong> 211 Die Frage ob der Princeps<br />
selbst auf die Münzprägung eingewirkt hat oder ob sie in schmeichlerischer Absicht<br />
von subalternen Beamten veranlasst wurde, scheint für ihn nicht der entscheidende<br />
Punkt zu sein: „Die Münzen zeigten, was dem Regime erwünscht war, und nur<br />
darauf kam es an.<strong>“</strong> 212 Was die Rezeption der Münzen angeht, hebt er hervor, dass<br />
man mit großer Sicherheit davon ausgehen könne, dass auch der Rückseite der<br />
Münzen Beachtung geschenkt wurde. 213 Die Darstellungen auf dem Münzrevers<br />
würden dabei durch die einfache und gängige Symbolik der antiken Bildsprache – in<br />
Personifikationen und erklärenden Legenden habe man die „wesentlichen<br />
Komponenten der kaiserlichen Münzprägung<strong>“</strong> zu sehen – in gewisser Weise<br />
standardisiert und so ihr Verständnis erleichtert, was es wahrscheinlich macht, „daß<br />
einige soziale Gruppen, vor allem in Rom in der Lage waren, das Bildrepertoire von<br />
Münzen richtig zu lesen.<strong>“</strong> 214<br />
3.2.3. Epigraphische Funde<br />
Eine weitere Hilfswissenschaft der Alten Geschichte, die wichtige Erkenntnisse zum<br />
Verständnis des gewählten Themas beigetragen hat, ist die Epigraphik oder auch<br />
Inschriftenkunde. Die Epigraphik befasst sich grundsätzlich mit allem auf<br />
dauerhaftem Material wie Stein, Metall und Holz, angebrachten Geschriebenen, „d.h.<br />
dem gesamten nicht durch mittelalterliche Handschriften überliefertem Schrifttum<br />
der Antike, gleichgültig, ob gemeißelt, gepunktet, aufgestiftet, geritzt oder gemalt.<strong>“</strong> 215<br />
210Howgego (2000), S. 82.<br />
211Ebd., S. 81.<br />
212Ebd., S. 80. Zustimmend Strobel (1987a), S. 439: „Typen- und Legendenauswahl spiegeln ohne Zweifel das Bild<br />
und die Würdigung wider, die der Herrscher für sich, seine res gestae und seine Politik in der Öffentlichkeit<br />
wünschte und auch durch dieses Medium [...] zum Ausdruck bringen wollte.<strong>“</strong><br />
213Howgego (2000), S. 85.<br />
214Ebd., S. 88. Strobel (1987a), S. 439, sieht in diesen Gruppen „Oberschichten, hauptstädtische und städtische<br />
Bevölkerung, Militär<strong>“</strong> und bezweifelt, dass man sich beim Entwurf der Münzen konkrete Gedanken gemacht habe,<br />
ob die Inhalte der Münzen von breiteren, über diese als relevant erachteten Gruppen hinausgehenden<br />
Personenkreisen verstanden wurden.<br />
215Günther (2001), S. 172, hiervon abzugrenzen seien aus methodischen Gesichtspunkten die eigenständigen<br />
Hilfswissenschaften der Numismatik und der Papyrologie. Eine gewisse Sensibilisierung für die Repräsentativität<br />
der auf uns gekommenen kaiserzeitlichen epigraphischen Zeugnisse versucht überzeugend Eck (2007) zu vermitteln.<br />
Die weitreichenden Auswirkungen von Neufunden führt in durchaus spannender Weise derselbe (2004b)<br />
<strong>ex</strong>emplarisch vor. Ein übersichtliche Einführung zur lateinischen Epigraphik findet sich bei Schumacher (1988), S.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 34
Dem heutigen Althistoriker steht das überlieferte lateinische Inschriftenmaterial in<br />
der von Theodor Mommsen begründeten Inschriftenedition des nach Regionen<br />
geordneten Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) zur Verfügung, das bis heute<br />
durch ergänzende Publikationsorgane regelmäßig erweitert wird. 216 Eine<br />
Erleichterung für die Arbeit mit epigraphischem Material stellen die mit<br />
Übersetzungen und teilweise auch Kommentaren versehenen Inschriftensammlungen<br />
neueren Datums dar. Hier sind besonders die Werke von Helmut Freis, Leonhard<br />
Schumacher (mit prägnanter Einführung) und Gerold Walser (Abbildung in guter<br />
Qualität zu jeder Inschrift) zu nennen; 217 erwähnt werden soll zudem die<br />
Auswahlsammlung Inscriptiones Latinae Selectae (ILS) von Hermann Dessau. 218<br />
Für die domitianische Herrschaft stellt sich für die Epigraphik als besonderes<br />
Problem dar, dass aufgrund der, nach seiner Ermordung einsetzenden, damnatio<br />
memoriae 219 relativ wenig inschriftliches Material vorhanden ist, wenn dieses auch<br />
durch systematische Ausgrabungen in den letzten hundert Jahren mengenmäßig<br />
etwas zugenommen hat und diese Funde von der Forschung besonders seit den<br />
1970er und 1980er Jahren in verstärktem Maße beachtet wurden. 220<br />
1-44.<br />
216CIL (1863-); bemüht um die Ergänzung der lateinischen Inschriften ist die jährlich erscheinende Publikation Année<br />
Épigraphique (AE 1889-).<br />
217Freis (1984); Schumacher (1988); Walser (1993).<br />
218ILS (1892-1916).<br />
219Vgl. Suet. Dom. 23, 1; Plin. Paneg. 52. Kienast (1990), S. 52f.: „Die Bezeichnung als solche ist nicht antik [...]. In<br />
der Antike sprach man von der abolitio nominis. Deren wichtigste Folgen waren die Umstürzung bzw. Zerstörung<br />
der Statuen und Bildnisse des Toten (Bildnisstrafe) und die Tilgung seines Namens auf den Denkmälern (erasio<br />
nominis).<strong>“</strong> Vgl. grundlegend auch Vittinghoff (1936).<br />
220Urner (1994), S. 1; S. 22. So sei bereits Theodor Mommsen (1885) durch die Integration epigraphischer Studien zu<br />
einem, verglichen mit der zeitgenössischen communis opinio, auffallend positiven Bild der Verwaltung Domitians<br />
gelangt. Ausschließlich auf epigraphische Erkenntnisse stützt sich der Artikel von Levick (1982b), speziell zum<br />
epigraphischen Material der domitianischen Zeit seien weiterhin die Arbeiten von Merkelbach (1979) und Martin<br />
(1987a; 1987b) zu nennen.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 35
4. Die Germanienpolitik der Flavier bis Domitian<br />
Im Jahre 69 entstand für die Römer am Rhein eine nicht ungefährliche Situation:<br />
Innerhalb des Imperiums kämpften die Prätendenten der einzelnen Heeresgruppen<br />
um die Nachfolge Neros, der nach für Staatskasse, Rechtssprechung und Verwaltung<br />
katastrophalen Regierungsjahren vom Senat zum Staatsfeind erklärt worden war und<br />
sich der Verantwortung durch Selbstmord entzogen hatte. 221 Vitellius, militärischer<br />
Oberbefehlshaber der Truppen am Niederrhein, ließ sich am Neujahrstag 69 von der<br />
Rheinarmee zum Imperator proklamieren. 222 Dadurch, dass er mit den<br />
kampfstärksten Truppenteilen zur Durchsetzung seines Anspruches gegenüber Otho<br />
nach Rom eilte, blieb die Rheingrenze entblößt zurück. 223 Das hierdurch und durch<br />
die generell verworrene politische Situation entstandene „Machtvakuum<strong>“</strong> machten<br />
sich mehrere germanische und später auch gallische Stämme unter der Führung des<br />
Iulius Civilis, eines römischen Kohortenpräfekten batavischer Abstammung, für<br />
einen Aufstand zu Nutze. 224 Hatte seit Augustus „im Prinzip das Gesetz des<br />
Handelns<strong>“</strong> bei den Römern gelegen, so mochte dieser sogenannte Bataveraufstand<br />
demonstrieren, dass die Germanenstämme jenseits der Ströme Rhein und Donau<br />
weiterhin ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential für die Herrschaft der<br />
Römer in der Region darstellten. 225 In den bürgerkriegsähnlichen Kampfhandlungen<br />
der folgenden Monate meuterten reguläre römische Truppenteile offen und schlossen<br />
sich den Aufständischen an. Die römische Rheinlinie brach beinahe vollständig<br />
zusammen 226 und auch der, seit claudischer Zeit von den Kastellen in Wiesbaden und<br />
Hofheim gebildete, Brückenkopf der Römer gegenüber von Mainz (Mogontiacum)<br />
ging verloren. 227<br />
221Suet. Dom. 48f. Zum Tode Neros vgl. zudem Malitz (1999), S. 103ff.<br />
222Tac. Hist. 1, 52,1; 1,55ff.<br />
223Tac. Hist. 4, 15, 3; 1, 62, 2; 1, 77,1.<br />
224Schönberger (1985), S. 357. Zum Beginn der Erhebung vgl. Tac. Hist. 4, 13ff; zum Bataveraufstand selbst vgl.<br />
Merkel (1966); Urban (1985); Timpe (2005); zu den mutmaßlichen Motiven der Aufständischen vgl.<br />
zusammenfassend Raepsaet-Charlier (2001), S. 168; zur Darstellungsweise des Tacitus vgl. Daumer (2005), S. 208-<br />
218, und Timpe (2008), S. 180.<br />
225Wolters (2000), S. 64.<br />
226Filtzinger (1986), S. 47: „Es besteht berechtigter Anlaß zur Annahme, daß spätestens seit dem Frühjahr 70 n. Chr.<br />
nördlich der Nahe kein Rheinkastell mehr von regulären römischen Einheiten besetzt war.<strong>“</strong><br />
227Becker / Schallmayer (2001), S. 416: „Großflächige Brandschichten dokumentieren die Zerstörung dieser Lager.<strong>“</strong><br />
Tacitus berichtet hierzu, dass das Legionslager in Mainz zwar von Chatten, Usipeten und Mattiakern angegriffen<br />
worden (Tac. Hist. 4,37), aber nicht abgebrannt war (Tac. Hist. 4,61). Baatz (2002), S. 69, geht aufgrund von<br />
Ausgrabungsergebnissen davon aus, dass es dennoch nicht unerheblichen Schaden genommen habe. Zu Wiesbaden<br />
vgl. Baatz (2002), S. 485-495; zu Hofheim ebd, S. 350-357.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 36
Nachdem sich der Flavier Vespasian bis zum Jahre 70 in Rom als Princeps hatte<br />
durchsetzen können, „erreichte der Bataveraufstand gerade seinen Höhepunkt.<strong>“</strong> 228<br />
Sein außenpolitisches Hauptaugenmerk musste auf der Sicherung und<br />
Wiederherstellung der Rheinlinie liegen, und das nicht nur weil seine Legitimation<br />
als Herrscher „eindeutig auf einem militärischen Hintergrund<strong>“</strong> ruhte. 229 Eine starke<br />
Heeressäule aus fünf Legionen aus Italien, ergänzt durch drei weitere Legionen aus<br />
Spanien und Britannien, wurde unter der Führung der Legaten Petillius Cerialis 230<br />
und Annius Gallus 231 nach Germanien entsandt, um den Aufstand niederzuwerfen. 232<br />
Dies wurde gegen den zähen Widerstand der Bataver 233 wohl auch bis zum<br />
Spätherbst 70 erreicht; recht lapidar vermerkt Cassius Dio, dass Cerialis die Dinge<br />
durch viele Kämpfe wieder in Ordnung gebracht habe. 234 Die uns erhaltenen Teile der<br />
Historiae des Tacitus, die detailliertere Informationen über die Beilegung des<br />
Bataveraufstandes hätten liefern können, brechen inmitten der Verhandlungen des<br />
Cerialis mit den Aufständischen ab. 235 Man kann davon ausgehen, dass es zu einem<br />
„Kompromissfrieden<strong>“</strong> gekommen sein wird; das bellum <strong>ex</strong>ternum wird als Teil der<br />
innerrömischen Wirren um die Nachfolge Neros als bellum internum umgedeutet<br />
worden und den Aufständischen somit in der Folge keine Nachteile entstanden<br />
sein. 236<br />
Die Folgen des Aufstandes waren gravierend: Neben den immensen materiellen<br />
Schäden – „alle Legionslager nördlich von Mainz gingen in Flammen auf<strong>“</strong> 237 – hatte<br />
228Filtzinger (1986), S. 47; vgl. Tac. Hist. 4, 54, 1. Wolters (2000), S. 65, verweist darauf, dass dieser Konfliktherd<br />
dem im Ägypten zum Imperator ausgerufenen Vespasian nicht ganz ungelegen kam und möglicherweise auch von<br />
ihm unterstützt wurde, da er logischerweise die Kräfte seines Gegners Vitellius binden musste, vgl. hierzu auch Tac.<br />
Hist. 4, 12; 4, 13; 4, 21; 4, 54,1 und Urban (1985), S. 26ff.<br />
229Wolters (2008), S. 89.<br />
230Eck (1985), S. 35f.<br />
231Ebd., S. 33f.<br />
232Tac. Hist. 4,68,1; 4,68,4.<br />
233Tac. Hist. 5, 14-23.<br />
234Cass. Dio Hist. Rom. 66,3,1. Baatz (2002), S. 68, verweist hier auf die „ungeheuren Ressourcen des Römerreiches<strong>“</strong>,<br />
das entschiedene und tatkräftige Vorgehen Vespasians und das Unvermögen der Aufständischen, gemeinsames<br />
Vorgehen zu koordinieren. Die Entschlusskraft des wieder unter einem Herrscher vereinten Imperium betonen auch<br />
Schönberger (1985), S. 358; Wolters (2000), S. 64; Schallmayer (2000), S. 64. Zum Ende des Bataveraufstandes in<br />
den literarischen Quellen vgl. auch Malloch (2004).<br />
235Tac. Hist. 5, 26.<br />
236Wolters (1989), S. 55; Becker (1992), S. 248, geht angesichts der taciteischen Schilderung (Tac. Hist. 5, 24; 5, 26)<br />
davon aus, dass es Cerialis gelang, den Bataver unter Zusicherung seiner persönlichen Freiheit zur Aufgabe zu<br />
bewegen. Eck (2004a), S. 212, nimmt an, dass der römische Legat dem Stamm sogar die Fortführung des Bundes<br />
und zumindest teilweise die daraus resultierende besondere Rechtsstellung gesichert haben wird.<br />
Insgesamt scheint, als ob Tacitus bei der Frage, ob der Bataveraufstand innen- oder außenpolitischer Konflikt war,<br />
einander widersprechende Quellen verarbeitet habe, vgl. Tac. Hist. 2,69,1; 2,34,1; 3,72,1 sowie Daumer (2005), S.<br />
216-218.<br />
237Baatz (2002), S. 68.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 37
der Bataveraufstand schonungslos die erschreckende Führungslosigkeit des<br />
römischen Heeres offengelegt, dies konnte auch den angrenzenden<br />
Germanenstämmen nicht verborgen geblieben sein. Somit durften sich römische<br />
Aktivitäten nicht auf den materiellen Wiederaufbau der in Mitleidenschaft gezogenen<br />
Legionslager beschränken. Benötigt wurde nicht nur ein neues militärisches Konzept,<br />
das in Zukunft ähnlich gefährliche Situationen verhindern helfen sollte, sondern es<br />
musste auch der unbedingte Wille zur Grenzverteidigung und die ungebrochene<br />
Stärke des Imperium Romanum demonstriert werden: 238 „Was sich an der<br />
Rheingrenze abgespielt hatte, durfte sich nicht wiederholen.<strong>“</strong> 239<br />
So kam es zu Beginn der Herrschaft Vespasians in Germanien vor allem zu<br />
Reorganisations- und Konsolidierungsmaßnahmen, die sich am deutlichsten in der<br />
gründlichen Umstrukturierung der dort stationierten Truppen nach dem<br />
Bataveraufstand fassen lassen: Die militärische Besetzung der Rheingrenze wurde<br />
verstärkt; belastete Truppenteile, die in der Zeit des Bürgerkrieges mit Germanen und<br />
Galliern paktiert hatten, wurden versetzt oder aufgelöst. Die zerstörten Legionslager<br />
wurden wieder aufgebaut, zudem neue oder vormals aufgelassene Lager wieder<br />
errichtet. Als Doppellegionslager blieb lediglich Mainz bestehen, hier waren in der<br />
Folgezeit die legio I adiutrix und die legio XIV gemina Martia victrix stationiert. 240<br />
Auch bei den Auxiliartruppen folgte ein großes Revirement. Aus den Ereignissen des<br />
Aufstandes skeptisch geworden, hütete man sich in Zukunft vor „ethnisch<br />
homogenen Gruppen<strong>“</strong>; 241 in flavisch-trajanischer Zeit wurden die Auxilien nicht<br />
mehr in der Provinz stationiert, in der sie rekrutiert worden waren. Zudem wurden<br />
einheimische Adelige nicht mehr mit dem Kommando über die Hilfstruppen betraut,<br />
an ihre Stelle traten nun regelmäßig römische praefecti. 242<br />
Im niedergermanischen <strong>ex</strong>ercitus wurde unter Vespasian nicht nur das Legionslager<br />
238Strobel (1987a), S. 426.<br />
239Bengtson (1979), S. 93.<br />
240Detaillierter zu den Reorganisations- und Sanierungsarbeiten in der Folge des Bataveraufstandes vgl. Becker (1992),<br />
S. 249f., der in der Neuordnung der germanischen Legionen durch Vespasian einen bedeutenden, den<br />
„Traditionszusammenhang mit dem Heer der julisch-claudischen Zeit<strong>“</strong> unterbrechenden, Einschnitt sieht. Die<br />
Kontinuität der Germanienpolitik der vorigen Regierungen betont hingegen Rüger (2000), S. 496ff. In dem<br />
Weiterbestand des Doppellegionslagers Mainz sieht Becker (1992), S. 251, überdies eine weitere Bedrohung des<br />
Mittelrheins durch die Chatten begründet. Grundlegend weiterhin Schönberger (1985); Oldenstein-Pferdehirt<br />
(1983).<br />
241Raepsaet-Charlier (2001), S. 169.<br />
242Dies hat zumindest für den niedergermanischen <strong>ex</strong>ercitus Alföldy (1968), S. 115f., S. 148f., nachgewiesen; dagegen<br />
Strobel (1987b).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 38
Vetera wiederaufgebaut (nun allerdings als Einzellegionslager), sondern auch mit<br />
Nijmegen (Noviomagus) ein neues Legionslager errichtet. Zur Überwachung des<br />
Gebiets ist im Bereich der insula batavorum wohl auch in dieser Zeit eine Kette von<br />
Auxiliarkastellen angelegt worden. 243<br />
Der Schwerpunkt der umsichtigen vespasianischen Aktionen in Germanien ist aber<br />
im Bereich des heutigen Südwestdeutschland zu suchen. 244 Dabei fiel der am Rhein<br />
konzentrierten Militärmacht nicht nur die Aufgabe zu, der stark in Mitleidenschaft<br />
gezogenen Rheingrenze wieder Stabilität zu verleihen. Wahrscheinlich in den Jahren<br />
73 und 74 kam es unter der Führung des Pinarius Clemens darüber hinaus wieder zu<br />
einer Okkupation von Gebieten jenseits des Stromes. All diese Operationen haben<br />
jedoch in den literarischen Zeugnissen der Zeit keinerlei Spuren hinterlassen und<br />
sind somit hauptsächlich archäologisch fassbar. 245 Für diese frühflavische<br />
Okkupation Obergermaniens sind dabei drei regionale Schwerpunkte auszumachen:<br />
Erstens galt mit dem oberen Neckargebiet und dem Schwarzwald einer Gegend<br />
besondere Aufmerksamkeit, in die germanisches Land „wie ein Keil<strong>“</strong> in römisches<br />
Territorium hineinragte. 246 Hier hatte sich der römischen Heeresführung während der<br />
vergangenen militärischen Ereignisse das „Verkehrshandicap<strong>“</strong> nur allzu deutlich<br />
offenbart: Schnelle Truppenbewegungen von der Donau an den Rhein waren nicht<br />
möglich gewesen, da stets der Umweg um das Rheinknie bei Basel herum<br />
genommen worden musste. 247 Um diesen unnötig langen Weg abzukürzen, wurde<br />
nun eine durch Kastelle gesicherte Straße vom Legionslager Straßburg (Argentorate)<br />
an die obere Donau angelegt.<br />
243Schönberger (1985), S. 359. Zum niedergermanischen <strong>ex</strong>ercitus vgl. ausführlich Bechert (1982; 1995; 2007)<br />
244Christ (1983c), S. 91. Anschauliches Kartenmaterial, in welchem die vespasianische Expansion in Germanien<br />
gegenüber der seines Sohnes Domitian abgegrenzt wird, findet sich z.B. in Imperium (2006), S. 47f.<br />
245Dies ist das traditionelle Datum für die dem Clemens zugeschriebenen Maßnahmen in Obergermanien. Dadurch,<br />
dass die <strong>ex</strong>akte Titulatur Vespasians im Offenburger Meilenstein (CIL 13, 9082) nicht erhalten geblieben ist, wird<br />
sie gemeinhin mithilfe der Statthalterschaft des Clemens datiert, die Eck (1985), S. 36, in die Jahre 72-74 ansetzt.<br />
Vgl. auch Zimmermann (1992), S. 289ff.; Lieb (1967). Kortüm (1998) versucht mithilfe numismatischer Funde die<br />
römischen Wehranlagen in Obergermanien zu datieren und kommt zu dem Schluss, dass die vermutete Okkupation<br />
auch aus numismatischer Sicht eindeutig zu belegen sei (S. 49).<br />
246Baatz (2002), S. 69; einschränkend hingegen Becker (1992), S. 259. Probleme bieten der Forschung weiterhin die<br />
ausschließlich bei Tac. Germ. 29,3 genannten decumates agri, die man wohl im Südwesten des heutigen<br />
Bundeslandes Baden-Württemberg zu suchen hat. Über die Frage, inwiefern damit hierüber hinausgehende<br />
Landstriche gemeint sein könnten, besteht Unklarheit; vgl. hierzu Dietz (1997), Sp. 355: „Die teilweise<br />
phantasievolle Diskussion dieser sprachlich und sachlich schwierigen Stelle ist so umfangreich wie ergebnislos.<strong>“</strong><br />
247Filtzinger (1986), S. 416.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 39
Neben den archäologischen Funden der Lager Offenburg, Rottweil, Sulz 248 und<br />
Waldmössigen hilft vor allem der sogenannte Offenburger Meilenstein, den Bau<br />
dieser Militärstraße zu belegen. 249 Dem an dieser Straße angelegten Rottweil (Arae<br />
Flaviae) 250 war wohl eine hervorgehobene Stellung als militärischer Knotenpunkt<br />
und kulturellem Zentrum in Südwestdeutschland zugedacht worden. 251<br />
Zweitens kam auch der Oberrheingraben fest in römische Hand, wo die Ansiedlung<br />
von germanischen Volksgruppen für eine gewisse Vorfeldsicherung sorgen sollte. 252<br />
Eine in den folgenden Jahren angelegte und an die erwähnte Militärstraße im<br />
Schwarzwald angeschlossene Straße stellte eine direkte Verbindung von Mainz nach<br />
Augsburg (Augusta Vindelicorum) her. Archäologisch fassbar sind hier die Kastelle<br />
in Groß-Gerau, Ladenburg, Heidelberg-Neuheim, möglicherweise auch<br />
Gernsheim. 253<br />
Drittens ist unter Vespasian anhand archäologischer Spuren „ein sukzessives<br />
Vorschieben von Positionen auf einer mittleren Linie durch die Wetterau<br />
feststellbar.<strong>“</strong> 254 Als zu dieser Zeit angelegte Kastelle und Stützpunkte kommen jene<br />
auf der „Dominsel<strong>“</strong> in Frankfurt, in Frankfurt-Heddernheim, Okarben und Friedberg<br />
in Frage; vielleicht gab es auch schon in Frankfurt-Höchst ein römisches Lager. 255<br />
Diskutiert wurde in der Forschung das Ausmaß der militärischen Aktionen während<br />
der vespasianischen Okkupation Obergermaniens. Die Verleihung der ornamenta<br />
248Während die anderen Lager sich recht eindeutig in die Jahre 73/74 datieren lassen, ist die genaue Datierung des<br />
Lagers in Sulz nicht ganz gesichert. Heiligmann (1990), S. 191, zieht eine Gründung erst in spätvespasianischer Zeit<br />
oder auch erst in der Zeit des Titus in Erwägung. Dennoch sieht er, S. 192, eine einheitliche Konzeption zu Grunde<br />
liegen, deren Durchführung 72/73 begann und „spätestens gegen 80 n. Chr. erfolgreich abgeschlossen wurde.<strong>“</strong><br />
249CIL 13, 9082: iter de[rectum ab Arge]ntorate / in R[---]. Die Inschrift lässt sowohl die Interpretation „in Raetiam<strong>“</strong><br />
als auch „in Ripam Danuvii<strong>“</strong> zu; vgl. auch Becker / Schallmayer (2001), S. 416. Zu Offenburg vgl. Filtzinger<br />
(1986), S. 466f.; zu Rottweil ebd., S. 521-534; zu Sulz ebd., S. 579-582; zu Waldmössingen ebd., S. 544-546.<br />
250Vgl. ausführlicher Franke (2003); Rüsch (1976).<br />
251Zuerst Mommsen (1885), S. 139f. Zustimmend: Filtzinger (1986), S. 48; mit gewissen Einschränkungen stimmt<br />
auch Becker (1992), S. 259, zu. Kritisch hingegen Becker / Schallmeyer (2001), S. 434. Kortüm (1998), S. 16f.,<br />
spricht sich auf der Basis numismatischer Funde gegen den oftmals angenommen, raschen Bedeutungsrückgang<br />
Rottweils durch die weitere Grenzverschiebung in spätflavischer Zeit aus.<br />
252Schallmayer (2000), S. 64, spricht zumindest Teilen dieser Gruppen elbgermanischen Charakter zu.<br />
253Schönberger (1985), S. 361. Zu Groß-Gerau vgl. Baatz (2002), S. 322; Ladenburg vgl. Filtzinger (1986), S. 383-<br />
396; Heidelberg-Neuheim, ebd. S. 383-396; zu Gernsheim vgl. Baatz (2001), S. 315f.<br />
254Wolters (2008), S. 89. Baatz (2002), S. 70, verweist darauf, dass die dort angelegten Kastelle noch nicht wie später<br />
an der direkten Grenzlinie aufgereiht waren, sondern „in die Mittelpunkte der damaligen Bevölkerung angelegt<br />
wurden.<strong>“</strong> Für eine flächige Besetzung der Wetterau unter Vespasian sprechen sich etwa Schönberger (1985), S. 360,<br />
und Baatz (2000), S. 66 aus. Becker (1992), S. 259, Anm. 62, geht hingegen davon aus, dass man erst in den Jahren<br />
nach dem Chattenkrieg Domitians von einer solchen flächigen Besetzung ausgehen könne.<br />
255Baatz (2002), S. 70.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 40
triumphalia an Pinarius Clemens, 256 der für ihn höchstmöglichen militärischen<br />
Auszeichnung, hat teilweise zur Annahme größerer militärischer<br />
Auseinandersetzungen geführt. 257 Strobel hielt gar einen Feldzug gegen die Chatten<br />
für „nicht zu gewagt.<strong>“</strong> 258 Treffender scheint hingegen Beckers Argumentation: Die<br />
Einbindung der einzelnen Legionen in Okkupationsmaßnahmen an verschiedenen<br />
Stellen Obergermaniens spreche eindeutig gegen ein dezidiert offensives und<br />
raumgreifendes Vorgehen in Gebiete nördlich der Wetterau. Solch einen Vorstoß<br />
hätte man nur mit gebündelter Kraft unternehmen können, da er wohl auf<br />
entschiedenen Widerstand der Chatten hätte stoßen müssen, die ihre militärische<br />
Schlagkraft ja erst wenige Jahre zuvor im Bataveraufstand unter Beweis gestellt<br />
hätten. Die Tatsache, dass in den literarischen Quellen von alledem nichts verbürgt<br />
sei, lasse ein solches Unternehmen noch unwahrscheinlicher erscheinen. 259<br />
Dennoch soll der militärische Wert der Auszeichnung auch nicht unterschätzt<br />
werden, daher darf man wohl von vereinzelten Kampfhandlungen ausgehen, auf<br />
größeren militärischen Widerstand wird man in dem größtenteils dünn besiedelten<br />
Gebiet allerdings nicht gestoßen sein. Vielmehr werden Gebiete, die schon vorher<br />
unter „sporadischer<strong>“</strong> römischer Kontrolle gestanden hatten, zur Sicherung der<br />
Rheinlinie und einer Verkürzung der Wegstrecken direkt dem Imperium einverleibt<br />
worden sein: 260<br />
„Die beachtlichen Gebietsgewinne östlich von Ober- und Mittelrhein unter der Regierung des<br />
Vespasian sind anscheinend mehr durch den zähen und umsichtigen Arbeitseinsatz der<br />
Legionen und Hilfstruppen errungen worden, [...] als durch Kämpfe oder gar große<br />
Schlachten.<strong>“</strong> 261<br />
256CIL XI 5271.<br />
257Der ältere Standpunkt ist zusammengefasst bei Nesselhauf (1960), S. 160f.; Nuber (1984), S. 281f.<br />
258Strobel (1987a), S. 425. Vgl. hierzu die zurückhaltende Formulierung bei Heiligmann (1990), S. 190f. und die<br />
kritisch-ablehnende Sicht bei Becker (1992), S. 263. Filtzinger (1986), S. 48, verweist darauf, dass Vespasian<br />
derartige Ehrungen nur nach erfolgreichen Kriegen verliehen habe und sieht in Clemens' Operationen den „erste[n]<br />
militärische[n] Erfolg rechts des Rheines nach der Varuskatastrophe.<strong>“</strong> Laut Schönberger (1985), S 362, und Becker<br />
(1992), S. 260f., seien die Leistungen des Clemens auch ohne größeren Feldzug vollkommen ausreichend zur<br />
Verleihung der Triumphalinsignien. Timpe (1998), S. 229, konstatiert, dass die Unsicherheiten in der Bewertung der<br />
Operationen des Clemens mit der unklaren Bevölkerungssituation in der Region zusammenhingen, spricht sich aber<br />
ebenfalls gegen „erhebliche militärische Auseinandersetzungen und ernsthafte Gegner<strong>“</strong> aus. Recht bildlich spricht<br />
ders. (2008), S. 181, daher auch von der „lautlosen Besetzung des südwestdeutschen Winkels<strong>“</strong>.<br />
259Becker (1992), S. 263. Fraglich scheint meines Erachtens auch eine, durch die Verleihung der Triumphalinsignien<br />
vorgenommene, nachträgliche propagandistische Aufwertung der Operationen des Clemens in Germanien, da<br />
Wolters (1989), S. 57, darauf hinweist, dass Vespasian im Gegensatz zu seinem jüngeren Sohn die zweifellos<br />
erfolgreichen Maßnahmen in Germanien nicht für Propagandazwecke benutzt habe.<br />
260Ebd., S. 256.<br />
261Baatz (2002), S. 71.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 41
Nachdem sich die Römer seit der Abberufung des Germanicus durch Tiberius im<br />
Wesentlichen auf die Positionen an der Rheingrenze zurückgezogen hatten, 262 wurde<br />
unter Vespasian zweifellos eine „neue Epoche der Germanienpolitik inauguriert.<strong>“</strong> 263<br />
Durch seine Maßnahmen hatte er so ein Glacis für weitere Operationen geschaffen,<br />
offensivere Schritte sollten jedoch seinen Nachfolgern vorbehalten bleiben. 264<br />
Während der Herrschaftszeit seines Sohnes Titus – außenpolitisch „eine Zeit der<br />
Ruhe und Regeneration<strong>“</strong> – wurde die von Vespasian eingeschlagene Linie im<br />
begrenzten Umfang fortgeführt, insgesamt war seine Herrschaft jedoch zu kurz, um<br />
eine wirklich stringente, eigenständige Linie in der Germanienpolitik ausmachen zu<br />
können. 265<br />
262Lehmann (1989), S. 230.<br />
263Bengtson (1979), S. 98.<br />
264Ausführlicher zum Verhältnis der frühflavischen zur domitianischen Germanienpolitik sowie dem Verhältnis der<br />
flavischen zur kaiserzeitlich-römischen Germanienpolitik insgesamt vgl. Kapitel 8.<br />
265Bengtson (1979), S. 174. Über die außenpolitischen Aktivitäten des Titus in Germanien informieren uns weder<br />
Sueton noch Cassius Dio, weswegen man hauptsächlich auf archäologische Zeugnisse angewiesen ist.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 42
5. Domitians erster Chattenkrieg<br />
5.1. Die Chronologie des Feldzuges<br />
Ein sicheres direktes Schriftzeugnis für die Chronologie des Feldzuges gibt es nicht,<br />
verwertbare Details über die Kampfhandlungen bietet ausschließlich der Bericht<br />
Frontins. 266 Quellen numismatischer und epigraphischer Natur konnten als wertvolle<br />
Indizien zur Erstellung einer Chronologie nutzbar gemacht werden; archäologische<br />
Funde tragen zur Rekonstruktion der Datierung und des Verlaufs des Feldzuges<br />
hingegen wenig bei. 267 Insgesamt kann aber die Chronologie des ersten<br />
Chattenkrieges inzwischen als einigermaßen gesichert gelten, wenn sie auch<br />
durchaus nicht unangefochten ist.<br />
Was den Beginn der Kampfhandlungen angeht, so lassen hier literarische Zeugnisse<br />
keinerlei Rückschlüsse zu. Theoretisch ließen sich mithilfe der chronologischen<br />
Anordnung der Ereignisse im Bericht des Cassius Dio die Aktivitäten Domitians in<br />
Germanien zeitlich weiter eingrenzen. Problematisch ist hier jedoch, dass die<br />
relevanten Teile seines Werkes nicht im Original erhalten sind und die verschiedenen<br />
Überlieferungslinien verschiedene Versionen anbieten. Allein Dios Epitomator<br />
Xiphilinos lässt der Nachricht über den Chattenkrieg Domitians den Bericht über die<br />
Bestrafung der vestalischen Jungfrauen vorangehen, der sich laut Jones über den<br />
Vergleich mit der armenischen Version des Eusebius in die Jahre 81/82 datieren<br />
ließe. 268<br />
Asbach hatte bereits 1884 auf die rapide Zunahme der imperatorischen<br />
Akklamationen Domitians in den Jahren 83-84 hingewiesen und aufgrund dieser<br />
Überlegungen den Beginn der Kampfhandlungen für das Frühjahr 83 angesetzt, was<br />
sich als Art traditionelles Datum mit großer Wahrscheinlichkeit hat durchsetzen<br />
können. 269 Mit guten Gründen hingegen ist der von Jones mehrfach unternommene<br />
266Front. Strat. 1,1,8; 1,3,10; 2,11,7; 2,3,23.<br />
267Vgl. Becker (1992), S. 79.<br />
268Jones (1992), S. 128f. Vgl. Xiphilinos 218, 22-9 (= Cass. Dio Hist. Rom. 67,3,4). Die Bestrafung der Vestalinnen<br />
nennt auch Suet. Dom. 8,4.<br />
269Asbach (1884), S. 5 Anm. 7. Die maßgeblichen älteren Darstellungen sind Asbach hier gefolgt, eine<br />
Zusammenfassung der älteren Positionen findet sich bei Braunert (1953), S. 98, Anm. 11. Für Frühjahr oder<br />
spätestens Frühsommer 83 sprechen sich ferner aus: Kneißl (1969), S. 44; Evans (1975), S. 124; Bengtson (1979), S.<br />
196; Perl (1981), S. 571f.; Christ (1983c), S. 92; Walser (1984), S. 452; Strobel (1987a), S. 427; Wolters (1989), S.<br />
57; Eck (1997), S. 748; Eck (2004a), S. 214. Alle sich auf eine Überblicksdarstellung beschränkenden Werken<br />
verwenden dieses Datum ebenfalls: Garzetti (1974), S. 286; Christ (1995), S. 266; Bellen (1998), S. 105;<br />
Schallmayer (2000), S. 67; Baatz (2002), S. 73; Wolters (2008), S. 90; Pfeiffer (2009), S. 89.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 43
Versuch, den Beginn des Feldzuges ins Jahr 82 vorzudatieren, zurückgewiesen<br />
worden. 270 Ein Militärdiplom vom 20. September 82 über die Entlassung von<br />
Veteranen des obergermanischen Heeres und die Verlegung von mindestens drei<br />
Auxiliareinheiten von Germanien nach Moesien, 271 und nicht zuletzt der nahende<br />
Winter lassen den Herbst 82 als Anfangstermin ebenfalls unwahrscheinlich<br />
erscheinen. 272 Becker, der den Versuch unternimmt, die imperatorischen<br />
Akklamationen den verschiedenen Kriegsschauplätzen dieser Jahre zuzuordnen – im<br />
in Frage kommenden Zeitraum seien neben Germanien in Britannien und<br />
Mauretanien Kampfhandlungen gesichert – schlägt als möglichen Termin für den<br />
Ausbruch des Krieges den März 83 vor. Dieser Logik folgend, käme ein späterer<br />
Termin nicht in Frage, da sich dann die imperatorischen Akklamationen den anderen<br />
Kriegsschauplätzen nicht zuordnen ließen. 273<br />
Kontrovers ist weiterhin auch die Dauer der Kampfhandlungen, „the end of the war<br />
is just as problematic as the start<strong>“</strong>: Weder in den literarischen noch in den<br />
inschriftlichen Quellen findet sich ein Hinweis auf eine abschließende<br />
Entscheidungsschlacht, wie sie etwa für die Schlachten am Mons Graupius in<br />
Britannien oder bei Tapae in Dakien belegt ist. 274 Eine solche wird angesichts der bei<br />
Frontin geschilderten Kampfweise mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht<br />
stattgefunden haben. 275 In der Forschung besteht nicht mal Konsens bezüglich der<br />
Frage, ob der Feldzug Domitians gegen die Chatten als ein zusammenhängender<br />
Krieg oder als zwei unabhängige Kampagnen interpretiert werden kann; die<br />
Ansichten schwanken, ob der 83 begonnene Feldzug bereits im selben Jahr, im<br />
Spätsommer bis Herbst 84 oder erst zu Beginn des Jahres 85 abgeschlossen wurde. 276<br />
270Jones (1973; 1979, S. 13 m. Anm. 56; 1984; 1992, S. 128f.); Jones (1973), S. 80, war aufgrund durchaus<br />
eigenwilliger Neudatierungen der traditionellerweise für den Beginn des Feldzuges herangezogenen Indizien zu der<br />
Ansicht gelangt, dass der Krieg gegen die Chatten „was undertaken early in 82, virtually won by the summer of 83<br />
when Domitian became Germanicus, and then followed by a period of reorganization and pacification.<strong>“</strong> Dagegen<br />
Evans (1975), S. 121ff.; Perl (1981), S. 571ff.<br />
271CIL XVI, 28 = ILS 1995. Gsell (1894), S. 184; Weynand (1909), Sp. 2556; Henderson (1927), S. 100, hatten<br />
angemerkt, dass man während einer laufenden Kampagne wohl kaum Soldaten entlasse. Jones (1992), S. 129f., hatte<br />
in Betracht gezogen, diese Maßnahmen bereits als Abschluss des Chattenkrieges zu interpretieren: „The diploma of<br />
September 82, then, provides solid evidence that the Chattan war began before 83.<strong>“</strong><br />
272Southern (1997), S. 37, diskutiert immerhin die Möglichkeit einer Winterkampagne, die ihrer Ansicht nach bei guter<br />
Vorbereitung durchaus Vorteile für die Römer geboten hätte.<br />
273Becker (1992), S. 285. Für März mag weiterhin sprechen, dass dieser, dem Kriegsgott Mars geweihte, Monat der<br />
traditionelle Monat für den Beginn von militärischen Kampagnen war, vgl. Günther (2001), S. 134 mit Anm. 115.<br />
274Southern (1997), S. 81.<br />
275Vgl. Front. Strat. 1,3,10; 2,3,23. Die moderne Forschung ist sich im Wesentlichen einig, dass der Sieg über die<br />
Chatten „nicht in der gängigen Art eines großen Schlachtensieges<strong>“</strong> errungen wurde, vgl. Urner (1994), S. 285.<br />
276Außen vor gelassen werden soll der bereits erwähnte Versuch von Jones, den Chattenkrieg vorzudatieren. Für eine<br />
Beendigung der Kämpfe im Jahre 83 sprechen sich aus: Asbach (1884), S. 6f.; Vogt (1924), S. 50; Nesselhauf<br />
(1952), S. 239; Christ (1957), S. 519ff.; Filtzinger (1986), S. 52; Strobel (1987a), S. 444f.; Wolters (1989), S. 60;<br />
Domitians erster Chattenkrieg 44
Strobel hatte einen vollständigen militärischen Erfolg der Römer innerhalb weniger<br />
Monate bis zum Juli / August 83 angenommen und sah in der darauf folgenden<br />
„zweiten Phase des bellum Germanicum<strong>“</strong> im Jahre 84 lediglich abschließende<br />
Grenzsicherungs- und Truppenrückführungsmaßnahmen sowie die Umwandlung der<br />
beiden germanischen Heeresbezirke in eine Provinz, auf welche sich die 85<br />
einsetzenden „GERMANIA CAPTA<strong>“</strong>-Prägungen Domitians beriefen. 277 Die bei<br />
Frontin beschriebene, mit sich wohl länger hinziehenden Rodungsarbeiten<br />
verbundene, Kampfesweise der Römer 278 und die Tatsache, dass „die<br />
Akklamationsreihe auch in den folgenden Jahren [84 und 85] nicht abbricht<strong>“</strong>,<br />
scheinen eindeutig für ein Andauern der Kampfhandlungen in Germanien zu<br />
sprechen. 279<br />
Die Annahme einer Wiederaufnahme der Kampfhandlungen im Jahre 85 nach vorher<br />
deklarierter Beendigung des Feldzuges scheint ebenfalls nicht wahrscheinlich. 280<br />
Diese Vorstellung muss nämlich folgendes Szenario implizieren: Im Glauben, die<br />
Chatten im Jahre 83 vollends besiegt zu haben, war Domitian nach Rom<br />
zurückgekehrt, um seinen Triumph abzuhalten. In den nun folgenden Monaten<br />
musste er aber erkennen, dass neuere militärischen Anstrengungen in Germanien<br />
nötig waren. Er hätte also seine Truppen erneut sammeln und gegen die Chatten<br />
ziehen müssen; dieses Mal wurde der Feldzug allerdings ohne seine Anwesenheit<br />
durchgeführt, was im schließlich eingetretenen Erfolgsfall ein negatives Licht auf<br />
seine Fähigkeiten als Heerführer werfen musste: Offensichtlich wären dann seine<br />
legati legionis fähiger und am Ende erfolgreicher gewesen als der Princeps selbst. 281<br />
In aller Deutlichkeit spricht sich gegen diese Vorstellung Becker aus:<br />
„Bezieht man die Münzprägung des Jahres 85 n. Chr. dagegen auf erneute Kämpfe, so<br />
würde sie ein offizielles Eingeständnis bedeuten, dass der Triumph 83/84 verfrüht war. Daß<br />
Domitian sich angesichts der Bedeutung, die der Propagierung des Germanensiegs für<br />
seine eigene Herrscherlegitimation zukam, in derartige Widersprüche verwickelt hat, ist<br />
Pfeiffer (2009), S. 91. Für eine Fortdauer der Kämpfe: Gsell (1984), S. 189; Weynand (1909), Sp. 2559; Braunert<br />
(1953), S. 100; Garzetti (1974), S. 287; Evans (1975), S. 124; Bengtson (1979), S. 196; Perl (1981), S. 563; Christ<br />
(1983c), S. 94; Schönberger (1985), S. 369; Becker (1992), S. 285; Southern (1997), S. 82; Baatz (2002), S. 73f.<br />
Beide Szenarien diskutiert Kneißl (1969), S. 47f., und zieht daraus Schlüsse, wie erfolgreich die Kampagne des<br />
Jahres 83 gewesen sein könnte.<br />
277Strobel (1987a), S. 444f; zur Provinzgründung ebd., S. 437; S. 445; S. 449. Vgl. hierzu ausführlicher auch Kapitel<br />
5.5 und 5.6.<br />
278Front. Strat. 1,3,10.<br />
279Christ (1983c), S. 94. Vgl. RIC II (2007), S. 237.<br />
280So geschehen bei Gsell (1894), S. 196; Vogt (1924), S. 50; Wolters (1989), S. 58; Eck (1997), Sp. 748; sowie ohne<br />
weitere Erläuterung Pfeiffer (2009), S. 91. Dagegen bereits Braunert (1953), S. 100 mit Anm. 38.<br />
281Southern (1997), S. 81.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 45
nicht anzunehmen.<strong>“</strong> 282<br />
Mit dem Bericht Frontins und den imperatorischen Akklamationen Domitians in<br />
Einklang bringen lässt sich hingegen folgendes Szenario: Angesichts der<br />
konzentrierten und kämpferisch überlegenen Heeresmacht wird es in Germanien zu<br />
„schnellen Anfangserfolgen<strong>“</strong> gekommen sein, 283 worauf auch die Akklamationen III-<br />
V zu beziehen sind. 284 Daraufhin mag es jedoch durch den erstarkenden Widerstand<br />
des Gegners zu einer „Versteifung der Lage in Germanien<strong>“</strong> gekommen sein: 285 Durch<br />
„das möglicherweise langwierige Realisieren der bekannten fortifikatorischen,<br />
logistischen und taktischen Maßnahmen<strong>“</strong> werden die Kämpfe das ganze Jahr 84<br />
angedauert haben; in diesem Zusammenhang ist die sechste Akklamation Domitians<br />
gesehen worden. 286<br />
Der endgültige Abschluss des Feldzuges wird allgemein auf Spätsommer / Herbst 84<br />
oder spätestens Anfang des Jahres 85 datiert, zu letzterem Zeitpunkt setzte die<br />
Münzprägung voll ein, die den Sieg über Germanien in massiver Form verkündete. 287<br />
Als allerspätester Zeitpunkt für den Abschluss des Chattenkrieges ist der Sommer 85<br />
zu sehen. Durch den Einfall der Daker in die Provinz Moesia ergab sich für die<br />
Römer an der unteren Donau eine prekäre Lage, die für die folgenden Dekaden die<br />
militärischen Kräfte des Imperiums in dieser Region binden sollte. An eine<br />
Weiterführung der Operationen in Germanien wird keineswegs mehr zu denken<br />
gewesen sein; spätestens zu diesem Zeitpunkt wird der Feldzug in Germanien<br />
beendet worden sein. 288 Auch die Errichtung der beiden germanischen Provinzen<br />
Germania superior und Germania inferior, die eine vorherige Beendigung der<br />
Kampfhandlungen nahe legt, ist mit diesem Datum in Verbindung gebracht<br />
worden. 289<br />
Gewiss hat man aber im Sommer 83 eine wichtige Zäsur des Feldzuges zu sehen:<br />
Der Princeps verließ nämlich den Kriegsschauplatz in Germanien in Richtung Rom;<br />
282Becker (1992), S. 268 Anm. 12.<br />
283Braunert (1953), S. 94; S. 100, sieht in den Meldungen bei Aur. Vict. Caes. 11,3 und Epit. de Caes. 11,2,<br />
Anspielungen hierauf.<br />
284Becker (1992), S. 285.<br />
285Baatz (2002), S. 74, hat die von Cass. Dio. Hist. Rom. 67,5,1 berichtete Vetreibung des romfreundlichen<br />
Cheruskerfürsten Chariomerus ins Jahr 84 datiert und daraus auf einen weiterhin ungebrochenen Kampfeswillen der<br />
Chatten geschlossen.<br />
286Christ (1983c), S. 94.<br />
287Wolters (1989), S. 62f.; RIC II (2007), S. 284f.<br />
288Oldenstein-Pferdehirt (1983), S. 311; Schönberger (1985), S. 371; Baatz (2002), S. 74f. Vgl. hierzu auch Kapitel 8.<br />
289Christ (1983c), S. 94.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 46
in Vertrauen auf die zahlenmäßige und technische Überlegenheit der Römer genügte<br />
ihm das Erreichte, um sich vom Senat den Ehrenbeinamen Germanicus und einen<br />
Triumphzug zusichern zu lassen. 290 Intensiv diskutiert worden ist der genaue Termin<br />
der Annahme dieses Siegerbeinamens, hat doch „die Forschung daran anschließend<br />
weitgehende Schlussfolgerungen gezogen<strong>“</strong>. 291<br />
Dieser Termin ist für die Chronologie des Feldzuges herangezogen worden, das erste<br />
überlieferte Datum für die Nennung des Titels würde einen terminus ante quem für<br />
die Beendigung des Feldzuges liefern. 292 Hier mag allerdings die oben erwähnte<br />
Annahme zugrunde gelegen haben, dass der Feldzug bei Verleihung von Cognomen<br />
und Triumph bereits endgültig erfolgreich abgeschlossen gewesen war und die<br />
Kampfhandlungen später noch mal aufgeflammt seien. 293 Geht man hingegen davon<br />
aus, dass Domitian eben nicht das endgültig Ende des Feldzuges abwartete, sondern<br />
Siegerbeinamen und die vielfältigen Ehrungen verfrüht angenommen hat – während<br />
die Kampfhandlungen aber sehr wohl noch weiter liefen – bildet die Erstnennung des<br />
Siegesbeinames logischerweise nicht mehr den terminus ante quem für die<br />
Beendigung der Kriegshandlungen. 294 Auch wenn man heute die Annahme des<br />
Siegerbeinamens Germanicus nicht mehr mit der endgültigen Beendigung des<br />
Feldzuges identifizieren muss, so wirft meines Erachtens der verfrühte Triumph auch<br />
weiterhin ein bezeichnetes Licht darauf, worum es Domitian beim Feldzug gegen die<br />
Chatten ging. 295<br />
In der Diskussion um die Annahme des Cognomen Germanicus wurden<br />
epigraphische, numismatische und papyrologische Belege angeführt. Die Ansichten<br />
der Forschung, wann der Ehrenname angenommen wurde, schwanken dabei<br />
traditionell zwischen Sommer 83 und Anfang 84. 296 Der Versuch Braunerts, den<br />
Termin der Annahme des Beinamens durch „mindestens eine Münze, eine Inschrift,<br />
und zwei Papyri<strong>“</strong> bereits vor den 29. August 83 zu datieren, wurde mit guten<br />
290Triumph: Tac. Agr. 39,1; Tac. Germ. 37,6; Plin. Paneg. 11,4; 16,3; Mart. 1,4,3; 6,4,2; Orosius 7,10,4. Verleihung des<br />
Siegesbeinamens: Frontin 1,1,8; Martial 2,2. Eine Zusammenstellung der inschriftlichen Belege zum Germanicus-<br />
Titel findet sich bei Kneißl (1969), S. 186; grundlegend zu Bedeutung und Wandel des Siegerbeinamens in<br />
römischer Kaiserzeit vgl. ebd., S. 20-26; S. 43; S. 181-185; Kienast (1990), S. 39ff.<br />
291Kneißl (1969), S. 43.<br />
292Christ (1957), S. 520. Verschiedene mögliche Bewertungen der militärischen Operationen hat zudem Kneißl (1969),<br />
S. 47ff., überlegt.<br />
293So z.B. Wolters (1989), S. 58.<br />
294Braunert (1953), S. 99.<br />
295Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 5.4.<br />
296Der ältere Standpunkt ist zusammengefasst bei Braunert (1953), S. 98 Anm. 11; mit Ergänzungen Kneißl (1969), S.<br />
44. Jones (1992), S. 129: Annahme des Titels im Juli / August 83; Strobel (1987a), S. 434, hingegen plädiert für<br />
Herbst 83. Kneißl (1969), S. 48; Perl (1981), S. 571f.; Becker (1992), S. 266f., sprechen sich für den Zeitraum<br />
zwischen Herbst 83 und Anfang 84 aus.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 47
Einwänden gegen die Aussagekraft der herangezogenen Funde zurückgewiesen. 297<br />
Unsicher ist auch der Versuch Theodore Buttreys mithilfe einer Münze aus der<br />
kaiserlichen Prägestätte in Al<strong>ex</strong>andria die Annahme des Titels bereits für „some time<br />
between 9 June 83 (CIL 16.29) and 28 August 83 (Dattari 618)<strong>“</strong> belegen zu<br />
können. 298 In der neuesten Auflage des Kataloges Roman Imperial Coinage sehen die<br />
beiden Herausgeber „so far no epigraphic or verifiable papyrological evidence for the<br />
title in 83.<strong>“</strong> So wird man sich bei der Suche nach einem Termin für die<br />
Ersterwähnung des Titels Germanicus allein auf einen einzelnen Aureus zu stützen<br />
haben, der sich anhand anderer Angaben (TR III) auf den Zeitraum zwischen 14.<br />
September und 31. Dezember 83 datieren lässt. 299<br />
5.2. Der Verlauf des Feldzuges<br />
Die kontroverse Beschäftigung mit Fragen der Datierung des Chattenkrieges und des<br />
Zeitpunktes der Annahme des Siegerbeinamens Germanicus hat die Frage nach den<br />
eigentlichen Ereignissen des Feldzuges stets etwas in den Schatten gestellt. 300 Wie<br />
bereits erwähnt, ist Frontin alleiniger Gewährsmann für verwertbare Nachrichten<br />
über Einzelheiten der Kämpfe, wobei er sie uns gewiss in sparsamster Dosierung<br />
präsentiert. 301<br />
Die Anwesenheit Frontins vor Ort – nach seinen erfolgreichen Feldzügen in<br />
Britannien wird er als „Experte für eine Kriegführung in einem reich gegliederten<br />
und bewaldeten Raume<strong>“</strong> gegolten haben – kann als Indiz für die sorgfältige<br />
Vorbereitung des Kriegszuges durch Domitian und seines consilium interpretiert<br />
werden. 302 Im Kapitel „De occultandis consiliis<strong>“</strong> berichtet Frontin zudem von einem<br />
sorgfältig geplanten Täuschungsmanöver seines Princeps: Domitian habe unter dem<br />
Vorwand, in Gallien einen Census abhalten zu wollen (profectionis suae census<br />
obt<strong>ex</strong>uit Galliarum) seine Truppen gesammelt und sei dann überraschend gegen die,<br />
297Braunert (1953), S. 98; dagegen Kneißl (1969), S. 44ff. Einwände gegen die von Braunert angeführten Münzen<br />
erheben Kraay (1960), S. 112; Buttrey (1980), S. 54f.; Perl (1981), S. 571. Zu den Inschriften und Papyri vgl. Martin<br />
(1987a, S. 7-10, S. 182-187; 1987b, S. 73ff).<br />
298Buttrey (1980), S. 56; die gegen die al<strong>ex</strong>andrinischen Prägungen sprechenden Bedenken finden sich<br />
zusammengefasst bei Kneißl (1983) und Becker (1992), S. 266 Anm. 8. Zu Buttreys Vorschlag vgl. ebd.: „Buttreys<br />
Datierungsvorschlag ist somit zwar nicht ausgeschlossen, zwingend erscheint er jedoch keineswegs.<strong>“</strong> Zu den<br />
al<strong>ex</strong>andrinischen Münzen vgl. grundlegend Vogt (1924).<br />
299RIC II (2007), S. 244 mit Anm. 14. Bei der Münze handelt es sich um RIC II (2007) Dom. 171.<br />
300Southern (1997), S. 82.<br />
301Front. Strat. 1,1,8; 1,3,10; 2,3,23; 2,11,7.<br />
302Strobel (1987a), S. 424.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 48
sich in Rüstungsbemühungen befindenden, Chatten (qui in armis erant)<br />
vorgegangen. 303 Domitian wird hier als ein „Mann von raffinierter Kriegstaktik<strong>“</strong><br />
gezeichnet, der es versteht, geschickt seine Pläne zu tarnen. 304<br />
Die immense Stärke des aufgebotenen Heeres zeugt ebenfalls von umsichtiger<br />
Vorbereitung und zeigt, wie sehr Domitian daran gelegen war, für „seinen<br />
Prestigefeldzug wohl kaum irgendein Risiko<strong>“</strong> einzugehen: 305 Das römische<br />
Berufsheer war mit einer Stärke von rund 30'000 Legionären und einem großen<br />
Kontingent an Hilfstruppen dem hauptsächlich zu Fuß kämpfenden chattischen<br />
Bauernaufgebot nicht nur zahlenmäßig, sondern auch durch Ausbildung und<br />
Bewaffnung weit überlegen. 306 Beteiligt waren die vier obergermanischen Legionen,<br />
zusätzlich noch die Bonner legio XXI Rapax und eine Abordnung der in Britannien<br />
stationierten legio IX Hispana. 307 Unsicher ist hingegen, ob die neuausgehobene<br />
legio I Flavia Minervia bereits am Kampfeinsatz teilnahm, da „die größtenteils aus<br />
Rekruten bestehende Einheit den übrigen Legionen an Kampfkraft kaum<br />
gleichkam.<strong>“</strong> 308<br />
Wie bereits oben erwähnt, nahm Domitian zumindest für einen begrenzten Zeitraum<br />
persönlich am Feldzug teil. Das impliziert natürlich nicht, dass er selbst an vorderster<br />
Front in die Kampfhandlungen involviert war, selbstverständlich hielt er sich als<br />
Oberkommandierender mit seinem consilium im „rückwärtigen Hauptquartier<strong>“</strong> auf<br />
und überließ seinen Legaten die Führung der Truppen im Felde. 309<br />
303Front. Strat. 1,1,8. Southern (1997), S. 80, zieht in Erwägung, dass die oben erwähnte, durch CIL XVI, 28 = ILS<br />
1995 belegte, Entlassung der germanischen Auxiliarkohorten im September 82 Teil dieser Verschleierungstaktik<br />
gewesen sei, „to convey the impression of normality [...], so that gossip could be curtailed and no hint of the<br />
impending attack to leak out.<strong>“</strong> Zu einer angeblichen Kriegsbereitschaft der Chatten, die einen gerechten<br />
Angriffskrieg (bellum iustum) der Römer legitimierte und somit möglicherweise auch erst im Nachhinein konstruiert<br />
worden sein könnte vgl. auch Strobel (1987a), S. 428. Zum Census vgl. Jacques / Scheid (1998), S. 173f.<br />
304Urner (1994), S. 66.<br />
305Strobel (1987a), S. 442.<br />
306Baatz (2002), S. 73. Southern (1997), S. 83, spricht von „about 30.000 legionaries and an unknown number of<br />
auxiliaries<strong>“</strong>. Strobel (1987a), S. 441, geht von einer Gesamtstärke des römischen Heeres „von rund 50.000 oder<br />
vielleicht eher 60.000 Mann<strong>“</strong> aus, vgl. ebd. auch Anm. 124. Zu den in diesem Zusammenhang kontrovers<br />
diskutierten Legionsv<strong>ex</strong>illationen von Mirebeau-sur-Brèze vgl. Southern (1997), S. 83; Strobel (1986b), S. 257-264.<br />
Anschaulich und prägnant wird das römische Militärwesen zusammengefasst bei Fischer (2001), S. 34-49,<br />
ausführlicher vgl. auch Jacques / Scheid (1998), S. 139-172. Zur Kampfesweise und Organisation der Chatten vgl.<br />
Petrikovits (1981); Krause (2002), S. 87f.<br />
307Schönberger (1985), S. 367. Zur von Tac. Agr. 28 überlieferten und oftmals in diesem Kont<strong>ex</strong>t gesehenen<br />
Aushebung einer Usipetenkohorte vgl. Nesselhauf (1952), S. 237 Anm. 3; Becker (1992), S. 279f.<br />
308Becker (1992), S. 273. Ähnlich äußert sich Southern (1997), S. 84.<br />
309Kneißl (1969), S. 48; Bengtson (1979), S. 198. Vgl. hierzu auch die Polemik bei Cass. Dio Hist. Rom. 67,4,1 und<br />
Oros. Hist. adv. Pag. 7,10,3.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 49
310Baatz (2002), S. 72.<br />
311Front. Strat. 1,3,10.<br />
312Front. Strat. 2,3,23.<br />
313Front. Strat. 2,3,23.<br />
Ein paar Worte zu den besonderen topographischen Gegebenheit der Region seien<br />
der Darstellung der Kampfhandlungen vorausgeschickt: Noch heute sind die<br />
hessischen Mittelgebirge alles andere als waldarm, die zeitgenössischen Verhältnisse<br />
und die daraus resultierenden Schwierigkeiten für die römische Kriegsführung fasst<br />
Baatz prägnant zusammen:<br />
„Wer sich die Landschaft jener Zeit vorstellen möchte, muß sich die Wälder [...] weit<br />
umfangreicher und unzugänglicher vorstellen als heute. Erst durch die großen<br />
mittelalterlichen und neuzeitlichen Rodungen ist die heutige, offenere Landschaft<br />
entstanden. [...] Die Siedlungskammern waren durch ausgedehnte Mittelgebirgswälder<br />
voneinander getrennt, und es gab nur wenige einfache Wege und Pfade, die sie verbanden.<br />
Darin lag eine große Schwierigkeit für das römische Heer, dessen taktische Ordnung für den<br />
taktischen Kampf im freien Gelände ausgebildet war.<strong>“</strong> 310<br />
Bei ihrem Vordringen werden die Römer bereits früh von den, sich nach der Notiz<br />
Frontins, bereits in Waffen befindenden Chatten angegriffen worden sein. Frontin<br />
berichtet weiterhin, dass die Chatten – wissend, dass sie einem offenen Kampf mit<br />
den römischen Legionen nicht gewachsen waren – sich einer Entscheidungsschlacht<br />
fortwährend in die Tiefe der Wälder (in profunda silvarum) entzogen und stattdessen<br />
den vorrückenden römischen Marschkolonnen in überraschenden, nadelstichartigen<br />
Überfällen, ganz nach ihrer üblichen Kampfesweise aus den Waldschluchten und<br />
versteckten Schlupfwinkeln heraus (Germani more suo e saltibus et obscuris<br />
latebris), immer wieder zugesetzt hätten. 311 Die Römer werden auf diese<br />
Guerrillataktik der Chatten mit dem Einsatz der Kavallerie reagiert haben, die bei der<br />
Verfolgung der fliehenden Germanen jedoch in die Wälder gezogen wurde (Chatti<br />
equestre proelium in silvas deducerent). 312 Laut Frontin habe es Domitian aber<br />
verstanden, die Ordnung seiner Truppen an die topographischen Gegebenheiten und<br />
die Kampfesweise der Gegner anzupassen, indem er seine Reiterei absitzen und zu<br />
Fuß kämpfen hieß, sobald sie in unwegsames Gebiet kam (iussit suos equites,<br />
simulatque ad impedia ventum esset, equis desilire pedestrique pugna confligere), so<br />
dass seinem Sieg keine Geländeschwierigkeiten mehr im Wege gestanden hätten (ne<br />
quis iam locus victoriam eius moraretur). 313<br />
Domitians erster Chattenkrieg 50
Wenn diese Stelle auch zeigen mag, dass Domitian als Oberbefehlshaber seiner<br />
Truppen fl<strong>ex</strong>ibel auf die naturgegebenen Bedingungen des Kriegsschauplatzes<br />
reagieren konnte, will Becker diese Stelle jedoch nicht zu positiv, d.h. als endgültig<br />
die Kämpfe entscheidend, bewertet wissen: Die weiteren Berichte Frontins wiesen<br />
eindeutig darauf hin, dass es nicht das Absitzen der Reiterei, sondern erst die<br />
grundlegende Änderung der Kriegsführung gewesen sei, welche letztendlich die<br />
Aufgabe der Chatten herbeigeführt habe. 314 Frontin berichtet nämlich, dass Domitan<br />
seinen Soldaten befahl, Schneisen von 120 römischen Meilen Länge (limitibus per<br />
centum vigintia passuum) anzulegen, um das Land besser kontrollieren zu können<br />
und an die Schlupfwinkel der Chatten heranzukommen. 315 In der Forschung haben<br />
diese limites durchaus unterschiedliche Interpretationen provoziert: Der ältere<br />
Standpunkt hat in ihnen oft die Anfänge der späteren Befestigungsanlagen des<br />
obergermanischen Limes im Taunus sehen wollen. 316 Verwirrung gestiftet hat hier,<br />
neben der Mehrdeutigkeit des lateinischen Wortes limes, die im letzten Viertel des<br />
19. Jahrhunderts sich entfaltende Archäologie, die in den frontinschen Mitteilungen<br />
die, durch eine literarische Quelle genannte, Bestätigung ihrer Bodenfunde sehen<br />
wollte. 317 In der Bedeutung „feste Grenzanlage<strong>“</strong> begegnet uns das Wort jedoch erst<br />
bei Tacitus, d.h. mehr als zehn Jahre nach der Veröffentlichung der Strategemata. 318<br />
Die neuere Forschung hat, besonders in der Person Gerhard Perls, mit Nachdruck<br />
darauf hingewiesen, dass die limites bei Frontin die Bedeutung „in Feindesland<br />
geschlagene Bahnen<strong>“</strong> tragen und ist somit der älteren Position entschieden<br />
entgegengetreten, die hier fälschlicherweise zwei verschiedene Sachverhalte<br />
vermischt hatte: 319 „It can only be said that Frontinus' limites and the establishment of<br />
the frontier were two separate concepts, one referring to the course of war and the<br />
other a result of it.<strong>“</strong> 320 Zurückgewiesen wurde auch die teilweise geäußerte Annahme,<br />
es handele sich bei den limites um ein Mittel der operativen Kriegführung, was<br />
implizieren muss, dass „die Anlage einer solchen Schneise relativ relativ rasch<br />
vonstatten ging<strong>“</strong>. 321 Nicht nur spreche das Aufführen dieser Maßnahme unter der<br />
314Becker (1992), S. 281.<br />
315Front. Strat. 1,3,10.<br />
316Dieser ältere Standpunkt ist zusammengefasst bei Perl (1981), S. 565ff. und klingt weiterhin an bei Bengtson<br />
(1979), S. 197; Filtzinger (1986), S. 56; Jones (1992), S. 130.<br />
317Perl (1981), S. 566.<br />
318Vgl. Tac. Agr. 41,2; Tac. Germ. 29,3.<br />
319Zum Limesbegriff vgl. Becker / Schallmayer (2001), S. 403f.<br />
320Southern (1997), S. 85. Ebenso deutlich Becker / Schallmayer (2001), S. 404.<br />
321Strobel (1987a), S. 443f.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 51
Überschrift „De constituendo statu belli<strong>“</strong> – also Maßnahmen, die vor dem Kampf<br />
getroffen werden – hiergegen, sondern wären dieser unglaubwürdigen Vorstellung<br />
nach „die Römer schneller in der Lage gewesen, Schneisen durch den Wald und<br />
unwegsames Gelände anzulegen, als sich die Germanen zurückziehen konnten.<strong>“</strong> 322<br />
Vielmehr haben wir uns die bei Frontin erwähnten limites des Chattenkrieges als<br />
System von überwachten Schneisen vorzustellen, die helfen sollten, die<br />
Kampfesweise zugunsten der Legionen zu verändern (mutavit [...] statum belli),<br />
indem sie die Positionen des Feindes aufdeckten und den römischen Legionären<br />
zugänglich machten. Hierdurch seien die ihrer Verstecke beraubten Chatten endgültig<br />
zur Aufgabe gezwungen worden (subiecit dicioni suae hostes, quorum refugia<br />
nudaverat). 323 Insgesamt war dies allerdings eine Strategie, die, durch die Umstände<br />
gezwungen, auf glorreiche und kriegsentscheidende Feldschlachten verzichtete und<br />
stattdessen sich der länger hinziehenden Anlage von Überwachungs- und<br />
Befestigungssystemen widmete: „Mühselige Arbeitsaufgaben, chattische Überfälle,<br />
jedoch keine größeren Gefechte und auch kaum Beute für die Soldaten.<strong>“</strong> 324<br />
Ob der Feldzug der Römer seinen Abschluss in einem foedus mit den Chatten fand,<br />
in welchem diese ihren Verzicht auf die Wetterau und die Beschränkung auf ihr<br />
ursprüngliches Siedlungsgebiet in Nordhessen erklärten, ist letztendlich nicht zu<br />
klären. 325 Eine „großartige Unterwerfungsszene chattischer Stammesführer<strong>“</strong>, wie<br />
Strobel sie sich ausgemalt hatte, 326 ist zu Recht als pathetisch überzeichnet<br />
zurückgewiesen worden. 327 Mit einer vollständigen militärischen Vernichtung des<br />
Gegners ist nicht zu rechnen, Domitian scheint die Unterlegenen wahrscheinlich<br />
„politisch glimpflich behandelt zu haben, denn sie bleiben militärisch anscheinend<br />
ungeschwächt<strong>“</strong>, wie ihre Beteiligung am Aufstand des germanischen Statthalters<br />
Antonius Saturninus im Winter 88/89 zeigen sollte. 328<br />
322Becker (1992), S. 277.<br />
323Front. Strat. 1,3,10. In den refugia der Chatten sind teilweise die, zur Zeit des Chattenkrieges wahrscheinlich bereits<br />
verlassenen, Ringwälle am Taunus gesehen worden; vgl. hierzu Schönberger (1985), S. 370; Strobel (1987a), S. 444.<br />
Becker (1992), S. 278f., sieht hierin schlicht und einfach die natürlichen Gegebenheiten des Gebietes, die den<br />
Germanen Schutz boten und durch die Anlage von Schneisen durch die römischen Legionäre für sie wertlos wurden.<br />
324Becker (1992), S. 283.<br />
325Dafür Becker (1992), S. 285 mit Anm. 75. Skeptisch hingegen Timpe (2008), S. 191, der die Äußerungen bei Stat.<br />
Silv. 1,1,27; 3,3,168 wegen der Verbindung von Chatten und Dakern eher auf das Jahr 89 bezieht. Zudem hatte<br />
bereits Pichlmayr (1889), S. 23, in Betracht gezogen, dass es sich bei den Äußerungen des Statius um „eine<br />
poetische Hyperbel<strong>“</strong> handeln könnte. Allgemeiner zum römischen Friedensvertrag vgl. Baldus (2002).<br />
326Strobel (1987a), S. 444.<br />
327Becker (1992), S. 274; 285; unterstützend Kehne (1997), S. 280.<br />
328Timpe (2008), S. 191. Vgl. auch den Exkurs zum zweiten Chattenkrieg in Kapitel 7.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 52
5.3. Die Lokalisierung des Feldzuges<br />
Lediglich spekulieren lässt sich ebenfalls über die genaue Lokalisierung des<br />
Feldzuges. In Frontins knappen Notizen sind jedenfalls keine Ortsnamen angegeben<br />
– wahrscheinlich hätten sie ein römisches Publikum auch gar nicht interessiert. 329 Als<br />
Aufmarschbasen für die am Feldzug beteiligten Truppen kommen sehr<br />
wahrscheinlich die vespasianischen Kastellbauten in der Rhein-Main-Region in<br />
Frage. 330 In der Forschung ist insbesondere die Frage kontrovers diskutiert worden,<br />
inwieweit die Römer direkt in das ursprüngliche chattische Siedlungsgebiet in den<br />
Beckenlandschaften um Fulda, Eder und Schwalm im heutigen Nordhessen<br />
vorgestoßen sind. 331 Strobel, der sich in seinem Aufsatz auch eingehend mit dem<br />
Verlauf und der Lokalisierung der Kämpfe beschäftigt hat, hatte angenommen, dass<br />
die Wetterau schon unter Vespasian flächig von den Römern besetzt gewesen sei.<br />
Daher habe man die Kampfhandlungen nicht dort zu lokalisieren, sondern es müsse<br />
das „Ziel eines römischen Angriffes auf den Stammesverband der Chatten [...]<br />
vielmehr in dessen Siedlungsgebieten gesucht werden.<strong>“</strong> 332 Dieser Annahme<br />
widerspricht mit Nachdruck Becker; gerade die endgültige Inbesitznahme und<br />
Sicherung der Wetterau habe ein Ziel des domitianischen Feldzuges dargestellt. 333<br />
Weiterhin argumentiert er mit Zweck und Funktion der von Frontin erwähnten<br />
limites: Man habe zuerst die Wetterau und das Neuwieder Becken vollständig<br />
besetzen und dort fortifikatorische Maßnahmen treffen müssen. Von dort sei man<br />
weiter nach Norden und Nordosten vorgestoßen, „es folgte der Kleinkrieg gegen die<br />
Chatten und die Anlage der limites<strong>“</strong> im Raum zwischen Gießen, Wetzlar und dem<br />
Vogelsberg, der aufgrund seiner Topographie allein für die Anlage der Schneisen in<br />
Frage käme. 334 Nur hier seien die limites vom Gegner nicht zu umgehen gewesen –<br />
jedes weitere Ausgreifen hingegen hätte die Überwachungslinie durch das<br />
Einbeziehen weiterer Waldgebiete unnötig verlängert. Nesselhauf führt weiterhin an,<br />
dass im Falle eines tiefen Vorstoßes nach Nordhessen das Fehlen einer, von<br />
329Southern (1997), S. 84.<br />
330Schallmayer (2000), S. 67.<br />
331Einen archäologischen Exkurs zum Siedlungsgebiet der Chatten bietet Becker (1992), S. 54-86; als Kerngebiet des<br />
Stammes sieht er die Senken um Fritzlar, Kassel und Hofgeismar; gestützt durch vereinzelte Funde könne man<br />
zudem annehmen, dass auch das Gebiet um Eschwege, das Amöneburger Becken und Teile des Lahntales in<br />
Oberhessen zum Einflussgebiet des Stammes gehört haben.<br />
332Strobel (1987a), S. 440.<br />
333Becker (1992), S. 276.<br />
334Ebd., S. 282.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 53
Niedergermanien vorrückenden, zweiten Heeresgruppe nicht zu erklären sei. 335 Vor<br />
dem Hintergrund der Motive Domitians für seinen Feldzug bezweifelt auch Christ<br />
ein weites Ausgreifen nach Nordhessen. Domitian sei es in Germanien ebenso wenig<br />
„um ein Maximum territorialer Ann<strong>ex</strong>ion<strong>“</strong> gegangen wie in Britannien; im<br />
Vordergrund habe vielmehr eine gewisse „Ökonomie der Expansion [gestanden], die<br />
dazu führt, daß nach der Bereinigung der Chattengefahr gleich das ganze<br />
germanische Problem für gelöst erklärt wurde.<strong>“</strong> 336 Und tatsächlich wurden im<br />
Chattenkrieg, gemessen am eigentlich weiter gefassten Germanienbegriff, keine<br />
großen Gebietsgewinne erzielt: Das in territorialer Hinsicht greifbare Ergebnis des<br />
ersten domitianischen Chattenkrieges wird sich auf die Arrondierung und endgültige<br />
Sicherung der römischen Positionen in der fruchtbaren und strategisch wichtigen<br />
Wetterau beschränkt haben. 337<br />
5.4. Die Motive Domitians<br />
In den schriftlichen antiken Quellen ebenfalls nicht überliefert sind die Gründe, die<br />
Domitian zu dem militärischen Vorgehen gegen die Chatten veranlasst haben.<br />
Vielmehr liefern diese Quellen auf den ersten Blick widersprüchliche Aussagen:<br />
Nach Sueton habe Domitian den Feldzug aus eigenem Antrieb (sponte), also im<br />
Gegensatz zu den Kämpfen an der unteren Donau ohne zwingende militärische<br />
Notwendigkeit begonnen. 338 Der Bericht Frontins hingegen erwähnt, dass die Chatten<br />
bereits in Waffen (in armis) gestanden hätten, Domitian weiteren Kriegsrüstungen<br />
habe zuvorkommen wollen und auf diese Bedrohung hin einen Präventivkrieg<br />
initiiert habe. 339 Eine mögliche drohende Haltung des Stammes und damit<br />
verbundene Kriegsvorbereitungen dürften aber lediglich Anlass und nicht Ursache<br />
des militärischen Engagements Domitians gewesen sein; die tieferen Motive hat man<br />
wohl in der römischen Innenpolitik zu suchen. 340<br />
335Nesselhauf (1960), S. 163; ebenso Schönberger (1985), S. 369f. Vgl. auch Wolters (2008), S. 87.<br />
336Christ (1983c), S. 96. Vgl. auch Christ (1995), S. 270; zu den Motiven Domitians vgl. Kapitel 5.4.<br />
337Wolters (2008), S. 90.<br />
338Suet. Dom. 6,1.<br />
339Front. Strat. 1,1,8.<br />
340Insgesamt ist dies als ein Ertrag der neueren Forschung zu bezeichnen: vgl. Christ (1957), S. 519f.; Nesselhauf<br />
(1960), S. 162f.; Kneißl (1969), S. 48f.; Christ (1983c), S. 92; Schönberger (1985), S. 369; Strobel (1987a), S. 427f.;<br />
Becker (1992), S. 268f.; Wolters (2000), S. 58f.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 54
Bis zu seiner Thronbesteigung hatte Domitian gewissermaßen im Schatten seines<br />
Bruders Titus gestanden, den Sueton gar als Freude und Liebling des<br />
Menschengeschlechtes (amor ac deliciae generis humani) bezeichnet hat. 341 Im<br />
Gegensatz zu Titus konnte der um zwölf Jahre jüngere Domitian bei seiner<br />
Thronbesteigung nur geringe militärische Erfahrung und schon gar nicht einen Erfolg<br />
wie den öffentlich groß herausgestellten Triumph über Judäa im Jahre 71<br />
vorweisen. 342 Einem eigenmächtigen militärischen Vorgehen Domitians in<br />
Germanien und Gallien zur Zeit des Bürgerkrieges unterstellt Sueton die alleinige<br />
Absicht, dem Bruder an Würde gleichzuziehen (tantum ut fratri se et opibus et<br />
dignatione adaequaret); dieses war aber von Vespasian sanktioniert worden. 343 Der<br />
Biograph berichtet, dass Domitian in der Folge in der Öffentlichkeit in einer Sänfte<br />
dem Tragesessel Vespasians zu folgen hatte, den großartigen Triumph seines älteren<br />
Bruders durfte er lediglich auf einem Schimmel reitend begleiten (una sellamque<br />
eius ac fratris, quotiens prodirent, lectica sequebatur ac triumphum utriusque<br />
Iudaicum equo albo comitatus est.) 344<br />
Ostentativ hatte Vespasian von Beginn seiner Herrschaft an Titus als seinen<br />
Mitregenten und Nachfolger (consors et successor) 345 an seine Seite gestellt, im<br />
Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder erhielt dieser den Titel imperator. 346 In<br />
Abwesenheit von Vater und Bruder war Domitian nach der Besiegung der Vitellianer<br />
zum Caesar ausgerufen worden, praetor urbanus consulari potestate und somit für<br />
kurze Zeit der höchste Repräsentant der kaiserlichen Familie in Rom gewesen – die<br />
faktische Macht in dieser Zeit hatte jedoch bei Licinius Mucianus gelegen. 347 Bei der<br />
Rückkehr Vespasians nach Rom musste Domitian aber wieder „ins zweite Glied<br />
341Suet. Tit. 1,1. Suet. Dom. 1,1 berichtet, dass Domitian seine Jugend in ärmlichen Umständen verbracht habe;<br />
dagegen Jones (1992), S. 1: „The family's 'poverty' is a myth.<strong>“</strong> Suet. Vesp. 25, mag darauf verweisen, dass Domitian<br />
trotz aller Zurücksetzung dennoch Teil der dynastischen Pläne Vespasians gewesen sein wird; vgl. auch Eck (1997),<br />
Sp. 746; Pfeiffer (2009), S. 32ff.<br />
342Vgl. Suet. Vesp. 8,1; Tit. 6,1. Sueton beschreibt in mehreren Episoden die Eifersucht Domitians auf Titus, welcher<br />
seinem jüngeren Bruder trotz der ständigen Intrigen ausschließlich gönnerhaft gewogen gewesen sei, vgl. Suet.<br />
Dom. 2; 13,1; Tit. 9,3. Über die Ermordung des Titus durch Domitian ist in der antiken Literatur spekuliert worden<br />
(Aur. Vict. Caes. 11,1; vgl. auch Cassius Dio, 66, 26, 2f.), eindeutig zu beweisen sein werden diese<br />
Anschuldigungen freilich nicht. Vgl. auch Pfeiffer (2009), S. 55: „Die Forschung geht trotz dieser Schilderungen der<br />
antiken Historiker davon aus, dass es nicht zu allzu großen Spannungen zwischen Titus und Domitian gekommen sei<br />
und die beiden sich eher mit gegenseitiger Ignoranz begegneten.<strong>“</strong> Zum Verhältnis der beiden Söhne des Vespasian<br />
vgl. auch Jones (1984), S. 117-120; Bengtson (1979), S. 160ff.<br />
343Suet. Dom. 2,1.<br />
344Suet. Dom. 2,1.<br />
345Vgl. Suet. Tit. 9.<br />
346Suet. Tit. 6. Skeptisch Bengtson (1979), S. 156f.<br />
347Suet. Dom. 1,2-2,1; Tac. Hist. 4,39,2, vgl. auch Tac. Hist. 3,86,3 und Jones (1992), S. 14f.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 55
zurücktreten<strong>“</strong>: 348 Zwar wurde er zum princeps iuventutis 349 ernannt und erhielt<br />
insgesamt sechs Konsulate, die Übernahme ernsthafter militärischer und politischer<br />
Aufgaben wurde ihm aber auch in Zukunft vorenthalten. 350 Mit dem militärischen<br />
Kommando in Germanien während des Bataveraufstandes wurden stattdessen<br />
Petillius Cerialis und Annius Gallus betraut 351 und auch Domitians Bemühungen um<br />
ein Kommando gegen den Partherkönig Vologaeses wurden von Vespasian nicht<br />
aufgenommen. 352<br />
Somit wird man in Domitians „burning desire for military glory<strong>“</strong> einen Schlüssel<br />
zum Verständnis seines militärischen Engagements in Germanien sehen müssen. 353<br />
Welch grundlegende Wichtigkeit dem Nachweis der Befähigung zum Feldherr<br />
(virtus imperatoria) zugemessen wurde, hatten schon die, im Nachhinein so<br />
verlachten, militärischen Operationen des Caligula im Norden des Reiches und der<br />
Feldzug des Claudius gegen Britannien gezeigt: 354<br />
„Der Nachweis seiner virtus imperatoria war für den Princeps nicht bloß ein zusätzliches<br />
Propagandaelement, sondern in ihr lag letztendlich der Anspruch auf den ausschließlichen<br />
Oberbefehl über das Heer begründet. Die Kontrolle über die Armee war ein <strong>ex</strong>istenzieller<br />
Bestandteil des römischen Kaisertums, als sich dieses Band in der Spätantike lockerte, war<br />
das der Anfang vom Ende des weströmischen Reiches.<strong>“</strong> 355<br />
Die, noch vor dem endgültigen Abschluss der Kampfhandlungen in penetrantester<br />
Weise einsetzende, Inszenierung des Princeps als domitor Germaniae mag die<br />
Überlegung, dass das Unternehmen gegen die Chatten ganz im Dienste der<br />
angestrebten Herrschaftslegitimation stand, am deutlichsten stützen. 356 Insgesamt<br />
348Pfeiffer (2009), S. 54.<br />
349Numismatische Belege: RIC II (2007), Vesp. 662; 719; 835; 931; 1029; 1052; 1102; Dom. 292.<br />
350Zu Vespasian und Titus vgl. Pfeiffer (2009), S. 32f. Suet. Dom. 2,3 berichtet, dass Domitian nach dem Tode seines<br />
Vaters mit dem Gedanken gespielt hätte, die Soldaten durch ein doppeltes Donativ auf seine Seite zu ziehen, was<br />
einem Staatsstreich gleichgekommen wäre. Zur offiziellen Stellung der beiden Brüder während der Herrschaft<br />
Vespasians vgl. Weynand (1909), Sp. 2546-2549; Urban (1971), S. 84-128; Christ (1983a), S. 4ff.; Levick (1999), S.<br />
184-195.<br />
351Tac. Hist. 4,68.<br />
352Suet. Dom. 2,2.<br />
353Southern (1997), S. 85. Vgl. auch Strobel (1987a), S. 427; Wolters (2008), S. 91. Beinahe unerträglich<br />
psychologisierend bei Bengtson (1979), S. 247ff.<br />
354Die Überlieferung des Feldzuges des Caligula ist völlig verzerrt; Hauptquellen hierfür: Suet. Cal. 43-47; 51,2f.;<br />
Cass. Dio Hist. Rom. 59,21,1-3; vgl. auch Wolters (1989), S. 46ff.; Becker (1992), S. 224ff.; Winterling (2003), S.<br />
103ff. Für den Britannienzug des Claudius vgl. Suet. Claud. 17; Tac. Ann. 11,19f. Zur Wichtigkeit militärischer<br />
Sieghaftigkeit des Kaisers vgl. grundlegend Kneißl (1969), S. 20-26.<br />
355Becker (1992), S. 270.<br />
356Wolters (2008), S. 90.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 56
kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass Domitian „sich von allem<br />
Anfang an bewußt und konsequent den germanischen Raum zum Schauplatz seines<br />
Wirkens ausersehen hat [...], [als] das Feld der Bewährung und Leistung, Ort seiner<br />
Siege und seiner Herrschaftsqualifikation.<strong>“</strong> 357<br />
Wenn man Domitian als hauptsächliches Motiv für den Chattenfeldzug<br />
innenpolitisches Kalkül in Rechnung stellen muss, so dürfen dennoch auch durchaus<br />
ernsthafte außenpolitische Motive nicht außer Acht gelassen werden. 358 Die Wahl des<br />
Gegners, mit dessen Bekämpfung er seine noch junge Regierung durch den noch<br />
ausstehenden Beweis seiner virtus imperatoria zu legitimieren suchte, war weder<br />
eine zufällige noch eine schlechte. Ganz im Gegenteil zeugt sie von sorgfältiger<br />
Überlegung und Planung: Wenn man auch in Betracht ziehen muss, dass die von<br />
Frontin angesprochene Kriegsbereitschaft der Chatten im Nachhinein als<br />
Legitimation für ein bellum iustum konstruiert worden sein könnte, 359 darf diese vor<br />
dem Hintergrund der wechselseitigen Beziehungen der vergangenen Jahrzehnte als<br />
nicht allzu unwahrscheinlich erscheinen. Eine mögliche feindliche Haltung der<br />
Chatten könnte als Reaktion auf das sukzessive Vordringen der Römer in der<br />
Wetterau hervorgerufen worden sein, welche der eigentlich im heutigen Nordhessen<br />
siedelnde Stamm zu seiner Einflusssphäre gezählt haben könnte. Zu diesem<br />
Zeitpunkt stellten die Chatten den einzigen ernstzunehmenden Gegner Roms an der<br />
Grenze zu Germanien dar, 360 wenn man auch im selbem Atemzug sagen muss, dass<br />
die Bedrohung für die generelle römische Herrschaft in der Region realistischerweise<br />
als nicht zu hoch angesetzt werden darf. 361<br />
357Christ (1957), S. 520. Zur Legitimation Vespasians durch militärische Sieghaftigkeit vgl. Pfeiffer (2009), S. 19.<br />
358So geschehen z.B. bei Wolters (2008), S. 90, der die Frontinsche Nachricht über die Rüstungen der Chatten allzu<br />
leichtfertig außen vor lässt: „Eine gesteigerte sicherheitsrelevante Erfordernis für diesen Krieg ist nicht erkennbar.<strong>“</strong><br />
Die römische Initiative betonen weiterhin: Beulé (1875), S. 131; Gsell (1894), 176; Mommsen (1885), S. 140;<br />
Asbach (1884), S. 5; Schiller (1883), S. 525; Grant (1987), S. 300; Wolters (1989), S. 57; Jones (1992), S. 131;<br />
Urner (1994), S. 65; Schallmayer (2000), S. 67; Becker / Schallmayer (2001), S. 418; Bechert (2003), S. 128; Timpe<br />
(2008), S. 180. Den präventiven Charakter streichen hingegen hervor: Birt (1922), S. 261; Vieze (1902), S. 6; Kraus<br />
(1876), S. 16; Henderson (1927), S. 98; Braunert (1953), S. 101; Kneißl (1969), S. 49; Garzetti (1974), S. 286;<br />
Bengtson (1979), S. 197; Perl (1981), S. 573; Southern (1997), S. 79f.; Baatz (2002), S. 71f. Insgesamt ist<br />
festzustellen, dass der Kaiser in der neueren Literatur weniger durch emotionalen Ehrgeiz gelenkt als durch rationale<br />
Überlegungen bei der Aufnahme des Krieges erscheint, was in der älteren Literatur eher die Ausnahme gewesen war.<br />
359Strobel (1987a), S. 428. Mit dem ebenfalls bei Front. Strat. 1,1,8 genannten Motiv, der Kaiser sei um das Wohl und<br />
die Sicherheit der Provinzen besorgt, habe man zudem ein „stets wiederkehrendes Standardmotiv offizieller<br />
römischer Kriegspropaganda gewählt.<strong>“</strong><br />
360Becker (1992), S. 79, konstatiert, dass sich die, aus den schriftlichen Quellen sich ergebende, starke politische<br />
Aktivität der Chatten in der zweiten Hälfte des 1. nachchristlichen Jahrhunderts in den Bodenfunden nicht<br />
abzeichne.<br />
361Witschel (1997), S. 100.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 57
Im Jahre 50 nach Christus hatten die Chatten einen scheinbar groß angelegten<br />
Raubzug gegen die römischen Positionen in der Wetterau unternommen 362 und auch<br />
im Bataveraufstand hatten sie – wenn auch nur als „Trittbrettfahrer<strong>“</strong> – ihre Stärke<br />
und Romfeindlichkeit bei der Belagerung von Mainz demonstriert. 363 Tacitus<br />
schildert sie wenige Jahre nach dem Chattenkrieg Domitians als schlagkräftigen<br />
Verband, dessen Disziplin nur mit der Romana disciplina vergleichbar sei und dem<br />
man größere militärische Operation durchaus zutrauen mochte: Andere Stämme sehe<br />
man in die Schlacht ziehen, die Chatten hingegen in einen Krieg (alios ad proelium<br />
ire videas, Chattos ad bellum). 364<br />
Insgesamt darf man also konstatieren, dass Domitians Feldzug gegen die Chatten<br />
zwar in der Hauptsache als ein durch innenpolitische Erfordernisse motivierter<br />
Angriffskrieg interpretiert werden muss; ein unnötig vom Zaun gebrochener Krieg<br />
war er angesichts der Bedrohung der römischen Positionen in der Region durch die<br />
Chatten aber ebenso wenig wie ein „bloßer Präventivkrieg gegen eine kurzfristige<br />
Bedrohung<strong>“</strong>. 365 So ließen sich die literarischen Mitteilungen eines Sueton und eines<br />
Frontin im Wesentlichen in Einklang bringen: Im Gegensatz zum Dakerkrieg sei der<br />
Chattenfeldzug ohne Zwang geführt worden, 366 aber angesichts der sich in<br />
Rüstungsbemühungen befindlichen Chatten sei der Wunsch des Princeps, diese<br />
militärisch niederwerfen zu wollen (vellet opprimere) auch nicht ohne<br />
nachvollziehbaren Grund geblieben. 367<br />
5.5. Siegespropaganda und Ehrungen für Domitian<br />
Eng verknüpft mit den kriegerischen Ereignissen in Germanien und der eben<br />
besprochenen Motivation des Princeps ist die völlig überschwängliche Propaganda,<br />
362Tac. Ann. 12,27,2-28,2.<br />
363Wolters (2008), S. 88f. Vgl. Tac. Hist. 4,39,3.<br />
364Tac. Germ. 30,3. Dieser Hinweis führt Southern (1997), S. 82, zu ihrer Einschätzung des militärischen Potentials der<br />
Chatten: „All in all they were not a tribe to be dismissed lightly on the doorstep of Roman territory.<strong>“</strong> Die Frage ist<br />
dabei allerdings, inwieweit das taciteische Germanenbild zu diesem Zeitpunkt noch aktuell gewesen sein mag und<br />
inwiefern er mit der genüsslichen Schilderung der ungebrochenen Kampfkraft des Stammes eine politische Aussage<br />
verfolgte. Trotz all dieser Schwierigkeiten bei der Interpretation dieser Stelle wird man dennoch in den Chatten den<br />
militärisch schlagkräftigsten Gegner Roms in der Region zu sehen haben.<br />
365Becker (1992), S. 271. Diese ausgewogene Bewertung findet sich auch bei Christ (1957), S. 519ff.; Nesselhauf<br />
(1960), S. 163; Christ (1983a), S. 96; Schönberger (1985), S. 369; Witschel (1997), S. 100.<br />
366Suet. Dom. 6,1.<br />
367Front. Strat. 1,1,8.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 58
mit der Domitian sich als Germaniensieger feiern ließ. Die öffentliche<br />
Herausstellung des Sieges über die Germanen erreichte ein bisher nicht gekanntes<br />
Ausmaß: „Nie zuvor ist ein römischer Sieg über Barbaren mit größerem Gepränge<br />
und mächtigerem Pathos gefeiert worden als der Germanienkrieg Domitians. [...]<br />
Man kann sich diese Propaganda nicht laut und aufdringlich genug vorstellen.<strong>“</strong> 368<br />
Wie bereits erwähnt, wartete der Princeps nicht den vollständigen Abschluss der<br />
Kampfhandlungen ab, sondern zog bereits im Sommer 83, „als der Krieg selbst kaum<br />
über sein Anfangsstadium hinausgekommen war<strong>“</strong>, nach Rom und hielt dort einen<br />
Triumph ab. 369 Die Hoffnung auf einen schnellen und vollständigen Sieg hatte sich<br />
angesichts der Geländeschwierigkeiten und der Kampfweise des Gegners nicht<br />
erfüllen können, dennoch schien aufgrund der generellen Überlegenheit ein<br />
endgültiger Erfolg der Römer nicht in Frage gestanden zu haben. 370<br />
Mit der Annahme des Siegerbeinamens Germanicus hatte zum ersten Mal ein<br />
Princeps diesen Titel nicht geerbt, sondern aufgrund militärischer Erfolge selbst für<br />
sich beansprucht; 371 Drusus war derselbe Siegesbeiname aufgrund seiner<br />
militärischen Verdienste erst posthum verliehen worden, sein Sohn Germanicus hatte<br />
ihn dann geerbt. 372 Domitian konnte für seine Propaganda somit einen in römischen<br />
Ohren wohlklingenden Namen aufgreifen und zudem den Eindruck erwecken,<br />
persönlich das Germanienproblem gelöst zu haben. 373 Für ihn wurde das Cognomen<br />
zudem zu einem integralen Bestandteil der Titulatur, 374 fortan sollte der<br />
Siegerbeiname, der den militärischen Erfolg aufs engste mit der Person des Princeps<br />
verknüpfte, „zum wesentlichen Element kaiserlicher Propaganda<strong>“</strong> werden. 375<br />
Mit der Verleihung des Ehrenbeinamens war die Zuerkennung eines Triumphzuges in<br />
368Nesselhauf (1952), S. 231f.<br />
369Wolters (2008), S. 90. Vgl. Mart. Epigr. 1,4,3; 6,4,2; Tac. Agr. 39,1; Cass. Dio Hist. Rom., 67, 4; Suet. Dom. 6,1<br />
erwähnt lediglich den Doppeltriumph über Chatten und Daker von 89.<br />
370Baatz (2002), S. 73.<br />
371Southern (1997), S. 82: „a revolutionary concept<strong>“</strong>; Kneißl (1969), S. 50, bezweifelt mit Hinweis auf das angeblich<br />
gespannte Verhältnis zum Senat einen förmlichen Beschluss des Gremiums zur Annahme des Siegertitels. Walser<br />
(1968), S. 452 mit Anm. 22, hingegen stützt sich auf die bereits von Gsell (1894), S. 223, geäußerte Ansicht, dass<br />
ein Senatsbeschluss die Annahme des Titels unmittelbar bedinge: „Es ist nicht wahrscheinlich, daß der in<br />
staatsrechtlichen Dingen <strong>ex</strong>akte Kaiser die alte Regel: imperatorische Akklamationen durch das Heer,<br />
Ehrenbeschlüsse durch den Senat, verletzt haben soll. [...] Eine Annahme des Cognomens ohne ausführliche<br />
rhetorische Vorbereitung im Senat scheint mir ausgeschlossen, ebenso der Senatsbeschluß in absentia des Kaisers.<strong>“</strong><br />
372Suet. Claud. 1.<br />
373Strobel (1987a), S. 433.<br />
374 Kneißl (1969), S. 53, hält fest, dass für die Herrscher der julisch-claudischen Dynastie der Titel noch keine so<br />
wichtige Bedeutung gehabt habe und daher vielfach weggelassen wurde; Domitian hingegen habe diesen Titel seit<br />
der Annahme auf allen offiziellen Inschriften und in allen Münztitulaturen geführt.<br />
375Kneißl (1969), S. 43.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 59
Rom durch den Senat unmittelbar verbunden. 376 Ein ganzes „Paket<strong>“</strong> an weiteren<br />
Ehrungen für Domitian folgten: Der Senat gewährte ihm die Begleitung von 24<br />
Liktoren und dekretierte, dass Domitian in der purpurnen Triumphaltoga zu<br />
Senatssitzungen erscheinen dürfe; ferner wurde er für zehn Amtsperioden zum<br />
Consul designiert und erhielt im Laufe des Jahres die Zensur auf Lebenszeit (censor<br />
perpetuus), wodurch er das Recht erhielt, Senatoren zu ernennen und zu entlassen. 377<br />
Alle diese Ehrungen wurden wahrscheinlich nach der Rückkehr des Kaiser in die<br />
Hauptstadt, also wahrscheinlich im Herbst 83, oder aber spätestens zu Beginn des<br />
Jahres 84 stattgefunden haben. 378 Zwar naheliegend, aber letztlich nicht geklärt ist, ob<br />
die Erhöhung des Soldes um ein Drittel des vorher üblichen Betrages mit dem<br />
Triumph zeitlich zusammenfällt. 379<br />
Ferner wurde beschlossen, dass, angelehnt an die Vorbilder Caesar und Augustus,<br />
der Monat der Thronbesteigung Domitians in Germanicus und der Monat seiner<br />
Geburt in Domitianus umzubenennen sei (Germanici cognomine assumpto<br />
Septembrem mensem et Octobrem <strong>ex</strong> appellationibus suis Germanico<br />
Domitianumque transnominavit, quod altero suscepisset imperium, altero natus<br />
esset). 380 Aufgrund der Mitteilung Suetons, dass diese Umbenennung nach Domitians<br />
zwei Triumphen (post [...] duos triumphos) erfolgte, 381 hat Eck diese ins Jahr des<br />
Triumphes über die Daker, also ins Jahr 86, datiert. 382 Perl hingegen bezieht sich auf<br />
das erstmalige Auftauchen der neuen Monatsbezeichnungen in inschriftlichen<br />
Belegen und hat daher das Ereignis in das Jahr 89 gesetzt, das zugleich das Jahr des<br />
zweiten Chattentriumphes war. 383<br />
376Southern (1997), S. 81. Die Voraussetzungen für einen Triumph waren neben einem bellum iustum mindestens 5000<br />
getötete Feinde in einem außenpolitischen Konflikt, wenn auch dahingestellt sei, wie diese Zahl zu kontrollieren<br />
sein mag. Sowohl Künzl (1988), S. 30, als auch Eder (2002), S. 837 weisen darauf hin, dass im Regelfall die<br />
Genehmigung des Senates vonnöten war, der auch die Gelder für den Triumphzug bewilligte.<br />
377Cass. Dio Hist. Rom. 4,3; Weynand (1909), Sp. 2559. Nach Suet. Dom. 13,3 habe Domitian die Konsulate aber nur<br />
symbolisch bekleidet, viele nur bis Anfang Mai, die meisten aber lediglich bis zum 13. Januar. Zu den<br />
numismatischen Belegen des Titels censor perpetuus vgl. RIC II (2007), S. 247f.<br />
378Zur Datierung ließe sich die Nachricht bei Tac. Agr. 39,1 heranziehen, dass Domitian die Meldung des Sieges am<br />
Mons Graupius nach seinem kürzlich abgehaltenen (nuper) Triumph erreicht habe. Strobel (1987a), S. 434, und<br />
Walser (1968), S. 455, sprechen sich für Herbst 83 aus; Kneißl (1969), S. 48, und Perl (1981), S. 572, gehen eher<br />
von Ende 83 oder Anfang 84 aus. Vgl. auch Southern (1997), S. 83.<br />
379Suet. Dom. 7,3; Cass. Dio. Hist. Rom. 67,3,5. Zur Datierung zusammenfassend bei Jones (1992), S. 224 Anm.31.<br />
Southern (1997), S. 81: „[...] the two [Triumph und Solderhöhung] were not necessarily contemporaneous.<strong>“</strong><br />
380Suet. Dom. 13,3; Cass. Dio Hist. Rom. 67, 4, 4 nennt nur die Umbenennung des Monats Oktober; Mart. Epigr. 4,1;<br />
Aur. Vic. Caes. 11,3; Epit. de Caes. 11,2; als inschriftliche Belege CIL XI 5745; CIL XVI 39. Die Umbenennung des<br />
Monats September zeigt zudem, dass die von Caligula zu Ehren seines Vaters durchgeführte Umbennunng desselben<br />
Monats in Germanicus seine Regierungszeit nicht überlebt hat (vgl. Suet. Cal. 15,2).<br />
381Suet. Dom. 13,3.<br />
382Eck (1997), Sp. 747, ebenso Kienast (1990), S. 115.<br />
383Perl (1981), S. 572 mit Anm. 52; auf Papyri erscheint die Monatsumnennung bereits im Herbst 88, vgl. Martin<br />
Domitians erster Chattenkrieg 60
Auch architektonisch wurde der Princeps als Bezwinger der Germanen in Szene<br />
gesetzt. An verschiedenen Stellen des Imperiums wurden Ehrenbögen und<br />
Siegesmonumente errichtet. 384 In der Mitte des Forum Romanum, dem wichtigsten<br />
öffentlichen Platz der Stadt und zugleich „von jeher Repräsentationsplatz der res<br />
publica<strong>“</strong>, 385 wurde wohl im Jahre 92 ein monumentales Bronzestandbild (equus<br />
Domitiani) errichtet, das den reitenden Princeps über dem am Boden liegenden<br />
personifizierten Rhein zeigt. 386 Dieses Reiterstandbild ist heute nicht mehr erhalten,<br />
das Fundament ist jedoch archäologisch erschlossen worden und sein Aussehen lässt<br />
sich aus einem Lobgedicht des Dichters Statius rekonstruieren. 387<br />
Ferner kündete eine reiche Münzprägung, die „in seltener Eindrücklichkeit<strong>“</strong> bewusst<br />
und sehr eindeutig Motive aufgriff, die Vespasian nach seinem Sieg in Judäa<br />
herausgegeben hatte, 388 von einem großen Sieg Domitians über die Germanen. 389<br />
Dieser Germanensieg sollte für seine gesamte Herrschaftszeit ein wichtiges Thema<br />
der Münzprägung bleiben, das mit einer kurzen Verzögerung auch von der<br />
kaiserlichen Münzprägestätte in Al<strong>ex</strong>andria aufgegriffen wurde. 390 Es dominieren die<br />
trauernde Germania auf zerbrochenem Speer, 391 Darstellungen gefesselter<br />
germanischer Kriegsgefangener 392 und auch der Princeps selbst, der, auf einem Pferd<br />
(1987a), S. 9 Anm. 36. Weynand (1909), Sp. 2559, datierte dieses Ereignis mittels einer Mitteilung des Eusebius in<br />
den Zeitraum von Oktober 86-September 87.<br />
384Vogt (1924), S. 50, geht aufgrund einer Darstellung auf einer Münze aus Ägypten davon aus, dass auch in<br />
Al<strong>ex</strong>andria ein Triumphbogen gestanden habe, „denn der römische Bogen zeigt eine ganz andere Bauart<strong>“</strong> als der auf<br />
der al<strong>ex</strong>andrinischen Münze abgebildete. Die Fundamente eines gegenüber von Mainz auf der rechten Rheinseite<br />
errichteten Triumphbogens für Domitian kamen 1986 zu Tage, vgl. Archäologisches Korrespondenzblatt 19 (1989),<br />
S. 69-84.<br />
385Klodt (1998), S. 22.<br />
386Ebd., S. 22. Zur Einordnung der zeitgenössischen politischen Bedeutung der Monumentalstatue vgl. ebd., S. 22-37.<br />
Man mag diesen Eingriff in die bauliche Gestaltung des Forum Romanum als Beleg dafür anführen, wie wenig Wert<br />
Domitian darauf legte, Rücksicht auf republikanische Traditionen zu nehmen; vgl. besonders S. 28: „Die Aussage<br />
der Neugestaltung des Forum Romanum durch Domitian ist klar. Domitian durchbrach das Konzept des Augustus<br />
und seiner Nachfolger, die zumindest dem Schein nach die Traditionen der Republik respektiert hatten. Er machte<br />
durch die aufdringliche Dokumentation seines Alleinherrschertums mitten auf dem uralten Zentrum<br />
republikanischen Selbstverständnisses dieses als Ganzes zum kaiserlichen Repräsentationsmonument; die<br />
ehrwürdigen Heiligtümer, Basiliken und das Senatshaus degradierte er zur Kulisse.<strong>“</strong><br />
387Stat. Silvae 1,1; vgl. Pfeiffer (2009), S. 64. Scheithauer (2000), S. 149ff., betont, dass Statius mit seiner<br />
Beschreibung des Standbildes neben des sieghaften militärischen Image des Princeps zugleich sehr treffend den<br />
Aspekt seiner Göttlichkeit eingefangen habe.<br />
388Vgl. RIC II (2007), Vesp. 51; 59; 68; 81; 134; 159-169; 233-236; 271; 303-308; 375-375; 422; 495; 562; 1115;<br />
1117; 1119; 1134; 1179; 1181; 1204-1205; 1245-1246; 1268; 1315; 1332; 1535-1536. Zudem ebd., Tit. 57; 133;<br />
149-153; 369.<br />
389Wolters (2008), S. 90; grundlegend weiterhin auch ders. (1989), S. 56ff.<br />
390Vogt (1924), S. 50.<br />
391RIC II (2007), Dom. 201; 325-326; 330-331; 340-341; 346-347; 394; 432; 442; 449; 461; 513; 522; 560; 586-7;<br />
699; 747; 781-782.<br />
392RIC II (2007), Dom. 202; 274; 295; 351; 397; 463.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 61
eitend dargestellt, einen stürzenden Germanen niedersticht. 393 An die Stelle der<br />
vespasianischen Legende „IUDEA CAPTA<strong>“</strong> trat nun analog die „GERMANIA<br />
CAPTA<strong>“</strong>, die für jedermann sichtbar den Anspruch propagieren sollte, dass<br />
Germanien endgültig besiegt worden sei. 394 Dieses bewusste Aufgreifen der bei<br />
Vespasian und Titus verwendeten Inszenierung der militärischen Sieghaftigkeit zur<br />
Herrschaftslegitimation muss zu der Feststellung führen, dass Domitians<br />
Münzprägung „in einer festen Tradition stand und einem bestimmten Vorbild folgte.<br />
Bis in die Auswahl der Münztypen hinein lehnte er sich an die Verkündung des<br />
Sieges über Judea durch Vespasian und Titus an.<strong>“</strong> 395<br />
5.6. Die Gründung der beiden germanischen Provinzen<br />
In Zusammenhang mit den militärischen Aktivitäten Domitians in Germanien steht<br />
auch die Umwandlung der unter Augustus eingerichteten germanischen<br />
Heeresbezirke (<strong>ex</strong>ercitus superior und <strong>ex</strong>ercitus inferior), die gleichsam symbolisch<br />
seit „beinahe einem Jahrhundert in einem gänzlich unüblichen Provisorium<strong>“</strong><br />
geblieben waren, in die kaiserlichen Provinzen Germania superior und Germania<br />
inferior. 396 Dieses Faktum selbst ist in den Quellen nicht direkt belegt, sondern kann<br />
nur mithilfe epigraphischer Zeugnisse und allgemeiner Überlegungen erschlossen<br />
werden: Zwei Militärdiplome, in denen der Name der Provinz noch nicht bzw. schon<br />
genannt wird, legen als terminus post quem den 20. September 82 397 und als terminus<br />
ante quem den Oktober 90 fest. 398 Zwei mögliche Termine, die als Anlass für eine<br />
Umwandlung der <strong>ex</strong>ercitus in Provinzen naheliegen, sind einerseits das Ende des<br />
ersten Chattenkrieges (84/85) und andererseits die Niederwerfung des Saturninus-<br />
Aufstandes (89). 399<br />
Karl Christ hat die im Jahre 85 voll einsetzende Münzprägung der „GERMANIA<br />
CAPTA<strong>“</strong>-Typen als klares Indiz für die „endgültige Ordnung der germanischen<br />
393RIC II (2007), Dom. 205. Vgl. die auffallende Ähnlichkeit mit einer Prägung Vespasians, die Titus in ähnlicher Pose<br />
darstellt: RIC II (2007), Vesp. 564.<br />
394RIC II (2007), Dom. 274; 351; 397; 463; 525; 632.<br />
395Wolters (1989), S. 62.<br />
396Ders. (2000), S. 60.<br />
397CIL XVI 28: „et sunt in Germania sub Q(uinto) Corellio Rufo<strong>“</strong>.<br />
398CIL XVI 36: „quae sunt in Germania superiore sub L(ucio) Iavoleno Prisco<strong>“</strong>.<br />
399Becker (1992), S. 299. Vgl. zu Letzterem auch Kapitel 7.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 62
Provinzen<strong>“</strong> interpretiert. 400 Für dieses Datum mag zudem sprechen, dass die massive<br />
Propagierung der endgültigen Unterwerfung Germaniens deutlich mache, dass man<br />
hier in näherer Zukunft keine weiteren militärischen Aktionen plane, „ein<br />
Weiterbestehen der germanischen Heeresbezirke entsprach diesem Konzept nicht.<strong>“</strong> 401<br />
Als zweiter Termin für die Provinzgründung war die Niederschlagung des<br />
Saturninus-Aufstandes im Jahre 89 vorgeschlagen worden. Theoretisch ließe sich<br />
hier die Titulatur der beiden im Kont<strong>ex</strong>t dieser Auseinandersetzung genannten<br />
Heerführer in Germanien in gewinnbringender Weise heranziehen. Jedoch sind die<br />
Notizen in der antiken Literatur sowohl für Antoninus Saturninus, den Befehlshaber<br />
der aufständischen obergermanischen Legionen, als auch für Bucius Lappius<br />
Maximus, den sich den Insurgenten entgegenstellenden Legaten des<br />
untergermanischen Heeres, in diesem Punkt zu unspezifisch. 402 Als Argument für den<br />
späteren Termin ist die Laufbahn des, durch das Diplom von 90 403 namentlich<br />
bekannten, Statthalters L. Iavolenus Priscus 404 angeführt worden, der aufgrund seiner<br />
bisherigen Karriere als iuridicus für den Verwaltungsaufbau in der Provinz in<br />
besonderer Form qualifiziert gewesen sei. 405 Hiergegen spricht sich Becker mit dem<br />
Verweis darauf aus, dass Priscus sich ebenso gut auf militärischem Gebiet<br />
hervorgetan habe und sich der Verwaltungsaufbau in den germanischen Provinzen<br />
wohl erst in trajanischer Zeit vollzogen habe. 406<br />
Wenn sich also bei der Frage nach dem Termin der Provinzgründung in Germanien<br />
weiterhin kein unzweifelhaft nachweisbares Datum liefern lässt, tendiert die<br />
Forschung derzeit eher zu dem früheren Termin. 407 Aber selbst wenn die Gründung<br />
tatsächlich erst im Jahre 89 durchgeführt worden sein sollte, muss man eine<br />
400Christ (1983c), S. 94. Ders. (1957), S. 526, hatte der Legende „GERMANIA CAPTA<strong>“</strong> eine besondere Rolle bei der<br />
Datierung der Provinzgründung zugesprochen. Die Bezeichnung CAPTA beziehe sich stets auf „eine territoriale<br />
Einverleibung<strong>“</strong>, ebenso enthalte sie unterschwellig eine „eine echte und wirksame kriegerische Entscheidung<strong>“</strong> und<br />
„einen starken persönlichen Bezug zum Herrscher<strong>“</strong>. Skeptischer Wolters (1989), S. 90 Anm. 204.<br />
401Becker (1992), S. 300.<br />
402Suet. Dom. 6,2 (superioris Germaniae praeside); Epit. de Caes. 11,9 (Antonius, curans Germaniam superiorem);<br />
Cass. Dio Hist. Rom. 67,11,1. Vgl. zusammenfassend auch Eck (1985), S. 40f.; S. 149f.<br />
403CIL XVI 36. Vgl. überdies CIL III 9960.<br />
404Vgl. Eck (1985), S. 42f.<br />
405Zuletzt bei Rüger (2000), S. 498. Baatz (2002), S. 82, sieht in der Berufung des erfahrenen Juristen zumindest ein<br />
Indiz für die „Abkehr von der Eroberungspolitik an der germanischen Grenze.<strong>“</strong><br />
406Becker (1992), S. 300.<br />
407Für den frühen Termin sprechen sich u.a. aus: Christ (1983c), S. 94; Becker (1992), S. 300; Raepsaet-Charlier<br />
(2001), S. 169; Eck (2004a), S. 218: „der einzig logisch nachvollziehbare Zeitpunkt<strong>“</strong>. Für 89 sprechen sich hingegen<br />
aus: Walser (1968), S. 507; Bengtson (1979), S. 207 Anm. 7; Rüger (2000), S. 499. Beide Daten in Erwägung zieht<br />
Southern (1997), S. 90, mag sich aber nicht letztendlich entscheiden.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 63
langfristige Planung unterstellen: „Zumindest war sie keine ad hoc Entscheidung, die<br />
auf Grund der Empörung eines Statthalters gefällt wurde.<strong>“</strong> 408<br />
Territorial bildeten sich die beiden Provinzen im Wesentlichen aus den <strong>ex</strong>ercitus der<br />
beiden germanischen Heeresgruppen, lediglich die während des Chattenkrieges<br />
gemachten Gewinne wurden als schmale territoriale Erweiterung der Provinz<br />
Obergermanien zugeschlagen. Hinter dieser Umwandlung „verbarg sich im Prinzip<br />
nur ein Übergang zur zivilen Verwaltung eines über Jahrzehnte vom Militär<br />
genutzten Gebietes, keine wirkliche Mehrung des Reiches.<strong>“</strong> 409 Durch die Verleihung<br />
der l<strong>ex</strong> provinciae – eine Art Grundgesetz, welches in Zukunft alle Fragen der<br />
Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Steuergesetzgebung regeln sollte 410 – wurden die<br />
römischen Gebiete am Rhein jetzt „in die im Römischen Reich übliche<br />
Verwaltungsform übergeführt.<strong>“</strong> 411 Es ist aber auch gleich darauf hinzuweisen, dass es<br />
sich bei der Errichtung der Provinzen primär um einen „Rechtsakt in Rom<strong>“</strong> handelte,<br />
der an den Verhältnissen der Provinzbewohner und der lokalen Verwaltung zu diesem<br />
Zeitpunkt insgesamt wenig änderte. 412<br />
Die Provinz Niedergermanien (Germania inferior) 413 mit dem Hauptort Köln<br />
(Colonia Claudia Ara Agrippinensium) erstreckte sich von der Mündung des Rheins<br />
bis zum kleinen Vinxtbach. 414 Hieran schloss sich die Provinz Obergermanien<br />
(Germania superior) mit dem Hauptort Mainz (Mogontiacum) an, die sich von hier<br />
bis zum Kamm der Alpen und zum Genfer See erstreckte. 415 Die Kommandeure der<br />
vormaligen Heeresbezirke wurden jetzt zu Statthaltern konsularischen Ranges; ihr<br />
Titel änderte sich nur geringfügig in legatus Augusti pro praetore provinciae<br />
Germaniae inferioris bzw. superioris. 416<br />
Nicht unter römischer Herrschaft stand weiterhin die, sich nordöstlich der beiden<br />
408Becker (1992), S. 300.<br />
409Wolters (2008), S. 91.<br />
410Jacques / Scheid (1998), S. 181. Dies nehmen Schönberger (1985), S. 366, und Bechert (1999), S. 191, an; skeptisch<br />
in Bezug auf die mit weitreichenden Folgen verbundene Verleihung der l<strong>ex</strong> provincia für Germanien zu diesem<br />
Zeitpunkt ist Eck (2004a), S. 218.<br />
411Wolters (2000), S. 60.<br />
412Ders. (1989), S. 64. Zu Aspekten des zivilen Lebens in den germanischen Provinzen vgl. Baatz (2002), S. 84-156;<br />
Wendt (K. 2008).<br />
413Vgl. umfassend zur Germania Inferior: Bechert (1982; 1995; 2007).<br />
414Diese Grenze ist durch einen, den Grenzgottheiten gewidmeten, Altar belegt. Hierzu und zur Problematik der<br />
Abgrenzung der niedergermanischen Provinz gegenüber der Provinz Belgica, vgl. Timpe (1998), S. 250.<br />
415Bechert (1999), S. 191. Ausführlich und mit reichem Kartenmaterial Ternes (1976), S. 740ff.<br />
416Eck (2004a), S. 217. Zu den Statthaltern vgl. grundlegend auch Eck (1985), ferner Baatz (2002), S. 90f.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 64
neugegründeten Provinzen erstreckende, Germania Magna – der weitaus größere<br />
Teil des rechtsrheinischen Germaniens. 417 Mit der Gründung der beiden<br />
germanischen Provinzen versuchte man aber über dieses Faktum hinwegzutäuschen,<br />
der auf den kaiserlichen Münzen propagierte Slogan „GERMANIA CAPTA<strong>“</strong> mag<br />
ganz im Gegenteil einen großen territorialen Zugewinn suggerieren. 418 Und in der Tat<br />
schien die offizielle Propaganda Domitians keinerlei Zweifel daran zuzulassen, dass<br />
für ihn die seit Augustus im Raum stehende Frage, wie man den Anspruch auf die<br />
Herrschaft über Germanien umsetzen sollte, nun endgültig als im römischen Sinne<br />
erfolgreich gelöst worden war. 419<br />
Die Notwendigkeit, das im ersten Chattenkrieg hinzugewonnene rechtsrheinische<br />
Territorium vor weiteren Einfällen der Germanen zu schützen und die Grenze der<br />
römischen Provinz in Obergermanien sichtbar zu markieren, 420 wurde unter Domitian<br />
der von seinem Vater begonnene Ausbau einer, von Kastellketten gesicherten,<br />
Grenzlinie in Wetterau und Taunus systematisch vorangetrieben, wofür sich Teile der<br />
bei Frontin genannten limites als Postenwege verwenden ließen. 421 Hierin haben wir<br />
die ersten einfachen Anfänge des obergermanischen Limes zu sehen, dessen Ausbau<br />
von Domitians Nachfolgern in recht konsequenter Weise fortgeführt werden sollte. 422<br />
Man darf sich aber unter dieser ersten Ausbaustufe des Limes nichts allzu Großes<br />
vorstellen, es handelte sich wohl um einen freigeschlagenen Patrouillenweg, an dem<br />
in regelmäßigen Abständen hölzerne Wachtürme standen; im Wesentlichen „a tactical<br />
device to avoid suprise raids<strong>“</strong>. 423 Die Sicherung der direkten Grenzlinie wurde von<br />
417Krause (2002), S. 118f. Zum antiken Sprachgebrauch vgl. Alföldi (1997).<br />
418Wolters (2008), S. 91, nimmt an, dass sich zumindest das stadtrömische Publikum durch die Propaganda über die<br />
tatsächlich beschränkten territorialen Gebietsgewinne in Germanien habe täuschen lassen. Dass sich Domitian hier<br />
durch „die unmittelbare Machtausübung über einen Teil mit der Beherrschung des Ganzen gleichzusetzen<strong>“</strong> durchaus<br />
im Anschluss an die römische Tradition bewegte, hat Ungern-Sternberg (1989), besonders S. 165f., hervorgehoben.<br />
419Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 8.<br />
420Zum römischen Konzept von Herrschaftsbereich und Grenzen vgl. Vergil, Aeneis 1, 280; Whittaker (2000);<br />
Deininger (2000), S. 757 Anm. 51. Prägnant bei Klee (2006), S. 7: „Das Gebiet des Imperium Romanum endete nie<br />
an einer eindeutig festgelegten und klar bezeichneten Demarkationslinie, die das Territorium zweier Staaten<br />
voneinander trennte. […] Keine römische Außengrenze war mit Grenzsteinen versehen oder findet sich auf einer<br />
antiken Karte, während innerhalb des Reiches Zoll- und Verwaltungsgrenzen genau festgelegt wurden.<strong>“</strong><br />
421Bellen (1998), S. 106. Grundlegend Schönberger (1985), S. 370ff. Unklar ist weiterhin, ob die Anlagen des<br />
Odenwaldlimes ebenfalls bereits unter Domitian errichtet wurden, ebd., S. 385, vgl. auch Baatz (2002), S.81, der<br />
davon ausgeht, dass dieser Teilabschnitt erst unter Trajan errichtet wurde. Timpe (1998), S. 249, sieht zudem in den<br />
von Cass. Dio Hist. Rom. 67,5,1; 67,5,3 beschriebenen Episoden über Cherusker und Semnonen eine, die römischen<br />
Zugewinne sichernde, „aktive und weitreichende Außenpolitik<strong>“</strong> Domitians begründet.<br />
422Grundlegend weiterhin die Arbeiten von Baatz (1993; 2002); Schönberger (1985); sowie der umfangreiche<br />
L<strong>ex</strong>ikonartikel von Becker / Schallmayer (2001), S. 419ff.<br />
423Whittaker (2000), S. 303. Vgl. Klee (2006), S. 40: „Obwohl der obergermanische Limes nur einen kleinen Teil der<br />
Grenze des Imperium Romanum bildete, prägt das hier entwickelte Befestigungssystem […] weithin die Vorstellung<br />
vom 'römischen Limes'.<strong>“</strong><br />
Domitians erster Chattenkrieg 65
Auxiliartruppen übernommen, an besonders gefährdeten Stellen wurden kleine<br />
Garnisonen von 100-200 Mann stationiert, in einigen wenigen Fällen auch eine etwa<br />
500 Mann starke Kohorte der Infanterie oder Kavallerie; die Legionen blieben<br />
weiterhin in ihren Lagern im Hinterland stationiert. 424<br />
424Gehrke (2006), S. 350. Zu den Truppen der Germania superior vgl. Ternes (1976), S. 843ff.; zur Germania inferior,<br />
wo der Rhein ein natürliches Annäherungshindernis bildete, vgl. Alföldy (1968), S. 84ff.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 66
6. Die Bewertung des Chattenkrieges<br />
6.1. Die Bewertung in der antiken Literatur<br />
6.1.1. Zeitgenössische Autoren<br />
Jede Beschäftigung mit Domitians Chattenkrieg sieht sich mit dem Problem<br />
konfrontiert, dass die antiken literarischen Quellen zum Thema nicht nur sparsam,<br />
sondern darüber hinaus mit dem Mangel behaftet sind, äußerst tendenziös zu sein. Im<br />
Folgenden soll nicht nur dargestellt werden, wie die einzelnen antiken Autoren<br />
diesen Feldzug bewertet haben, sondern zudem kritisch diskutiert werden, wodurch<br />
diese Bewertung beeinflusst worden sein wird.<br />
Martials Epigramm 2,2 ist sein erstes Stück militärischen Inhalts. Während in seinen<br />
frühen Epigrammen das militärische Image seines Princeps noch keine große Rolle<br />
spielte, wandelte sich dieses Bild analog zu den immer unverhohlener werdenden<br />
Schmeicheleien in seinem Werk. 425 Für das militärische Engagement seines Princeps<br />
in Germanien findet der Dichter im erwähnten Epigramm ausschließlich lobende<br />
Worte: Ausgangspunkt ist der Vergleich mit den zwei illustren historischen<br />
Vorbildern Metellus Creticus und Scipio Africanus, die beide nach erfolgreichen<br />
Schlachten römische Provinzen auf dem Boden unterworfener Völker errichtet<br />
hatten. 426 Als Aufhänger für die Panegyrik Martials dienen die durch militärischen<br />
Erfolg errungenen Siegerbeinamen, die sich auf die jeweils personifizierten<br />
Kampfschauplätze beziehen (Creta dedit magnum, maius dedit Africa nomen / Scipio<br />
quod victor quodque Metellus habet). 427 Germanien habe dabei Domitian einen noch<br />
edleren Namen verliehen als Creta dem Metellus und Africa dem Scipio gegeben<br />
hatte (nobilius domito tribuit Germania Rheno). 428 Martial preist hier Domitian<br />
„nicht einfach nur als Germanenbezwinger, sondern verarbeitet ein prominentes<br />
Element der Expression poetisch weiter und veredelt so sein Herrscherlob.<strong>“</strong> 429<br />
425Leberl (2004), S. 265:„Die Kriegszüge und die Sieghaftigkeit des Kaisers hat Martial erst spät entdeckt. [...] Dann<br />
allerdings mit Macht. [...] Der Anstieg militärischer Inhalte verlief parallel mit einer erhöhten Anzahl panegyrischer<br />
Gedichte allgemein in den Epigrammbüchern.<strong>“</strong><br />
426Ebd., S. 246, betont, dass Martial an dieser Stelle noch auf Vergleiche mit mythischen Figuren verzichte, „die<br />
Kaiserverherrlichung ist hier also noch nicht ins Extreme gesteigert.<strong>“</strong> Zur Funktion der martialschen Epigramme<br />
vgl. Nauta (2002), S. 142-192.<br />
427Mart. Epigr. 2,2,1f.<br />
428Mart. Epigr. 2,2,3.<br />
429Leberl (2004), S. 246.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 67
Der Mittelteil leitet auf das eigentliche Thema des Epigrammes hin, hier findet sich<br />
eine verherrlichende Anspielung auf die militärischen Aktivitäten Domitians als<br />
junger Mann im Bataveraufstand (et puer hoc dignus nomine, Caesar, eras), der<br />
geographische Fokus wird von den anderen beiden Kampfschauplätzen auf die<br />
Rheinregion bewegt. 430<br />
Die nächsten beiden Zeilen schließlich liefern die Kernaussage des Epigrammes 2,2<br />
und lassen die eigentliche Absicht des Dichters erkennen: Er möchte eine Analogie<br />
herstellen zwischen dem Chattenkrieg Domitians und dem für Vespasian so<br />
wichtigen Sieg über die Aufständischen in Judäa, mit dem es dem flavischen<br />
Herrscherhaus gelungen war, zu einem recht frühen Zeitpunkt seine<br />
Leistungsfähigkeit zu demonstrieren. 431 In den Augen des Dichters sei der im<br />
Chattenland erworbene Lorbeer – Symbol für den militärischen Erfolg – in seiner<br />
Wertigkeit sogar noch über Titus' strahlendem Triumph einzuordnen, da Domitian<br />
ihn alleine errungen habe und so weder dem Vater noch dem illustren Bruder als<br />
Heerführer nachstehe (frater Idumaeos meruit cum patre triumphos / quae <strong>datur</strong> <strong>ex</strong><br />
<strong>Chattis</strong> <strong>laurea</strong>, tota tua est). 432 Weiterhin mag der Begriff <strong>ex</strong> <strong>Chattis</strong> suggerieren,<br />
dass man weit in das Siedlungsgebiet der Chatten vorgedrungen sei und beträchtliche<br />
Gebietsgewinne vorweisen könne. Martial stellt in diesem Epigramm also den<br />
Chattenkrieg als vollen Erfolg dar, der dem Kaiser zudem höchstpersönlich<br />
zuzuschreiben ist, wodurch dessen Fähigkeit als militärischer Führer weiter<br />
hervorgestrichen werden soll. 433<br />
Eine weitere Anspielung auf Domitians militärischen Sieg über die Chatten in der<br />
Dichtung findet sich in den Punica des Silius Italicus, hier ist von Triumphwagen die<br />
Rede, die Domitian vom arktischen Pol durch die Stadt führe (hic et ab Arctoo<br />
currus aget axe per urbem). 434 Hier wird knapp der domitianische Triumph über die<br />
Chatten (83/84) erwähnt, wobei man die Anspielung auf die kalten Regionen<br />
Europas auf Germanien zu beziehen haben wird. 435 Die Nennung zeitgenössischer<br />
Ereignisse scheint umso erstaunlicher, da die Punica inhaltlich sonst im<br />
Wesentlichen der Gegenwart abgewandt scheinen. Dass diese Notiz in einem Kapitel<br />
430Mart. Epigr. 2,2,4. Vgl. auch Suet. Dom 2,1.<br />
431Die Wichtigkeit dieses Triumphes in Judäa betonen u.a.: Kneißl (1969), S. 49.<br />
432Mart. Epigr. 2,2,5f.<br />
433Kneißl (1969), S. 49.<br />
434Sil. Ital. Pun. 3, 614.<br />
435Urner (1994), S. 68.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 68
angeführt ist, in welchem die militärische Sieghaftigkeit Domitians insgesamt gelobt<br />
wird, 436 mag ein bezeichnendes Licht auf den panegyrischen Charakter dieser<br />
Nachricht werfen.<br />
Insgesamt werden in der Forschung die Erwähnungen des Chattenkrieges in der<br />
Dichtung als „problematisch<strong>“</strong> bezeichnet. 437 Ihr besonderer Wert liegt darin, dass sie<br />
von der, Domitian im Nachhinein so verschmähenden, senatorischen Tradition<br />
gänzlich unbeeinflusst sind und somit gewissermaßen ein – wenn auch mit der<br />
nötigen Vorsicht zu genießendes – Korrektiv zu dieser darstellen. Insgesamt<br />
reflektieren diese Erwähnungen aber wohl eher kaiserliche Propaganda, als dass sie<br />
auf Kenntnis der tatsächlichen Ereignisse beruhen. 438 Die Wiedergabe von möglichst<br />
objektiven historischen Fakten war von Seiten der Dichter aber auch gar nicht<br />
intendiert, ging es ihnen ja gerade um die Verherrlichung des militärischen Image<br />
Domitians. 439<br />
Der „kühle Geist der Sachlichkeit<strong>“</strong> regiert hingegen den Bericht Frontins, den man<br />
als, von einem militärischen Fachmann geäußertes, sachliches Lob der<br />
Feldherrenleistung seines Princeps charakterisieren mag. 440 Frontin spricht <strong>ex</strong>plizit<br />
von einem Sieg Domitians (victoriam), 441 durch das Besiegen der Feinde (victis<br />
hostibus) habe sich dieser nicht nur den Ehrenbeinamen Germanicus verdient,<br />
sondern, durch sein faires Verhalten gegenüber dem Stamm der Cubier, zusätzlich<br />
den Ruf der Gerechtigkeit und das Vertrauen Aller (iustitiae fama omnium fidem). 442<br />
Verglichen mit den Erwähnungen in der Dichtung zeigt Frontins Werk „inhaltlich<br />
keinerlei panegyrische Tendenzen<strong>“</strong>, 443 was gewiss auch dem Frontinschen Schreibstil<br />
geschuldet sein wird:<br />
436Vgl. Sil. Ital. Pun. 3, 594-629.<br />
437Dieses Wort verwenden sowohl Becker (1992), S. 27, als auch Urner (1994), S. 30.<br />
438Becker (1992), S. 28. Grant (1987) S. 301, hatte hingegen die Nachrichten der Dichter als nicht zu unwahrscheinlich<br />
angesehen.<br />
439Schneider (C. 2002), S. 123f.<br />
440Christ (1989), S. 149.<br />
441Front. Strat. 2, 3, 23. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang weiterhin die Rolle des nur bei Frontin genannten<br />
Stammes der Cubier. Vgl. hierzu Eck (2004a), S. 215: „Es ist nicht unwahrscheinlich, daß man an dieser Stelle statt<br />
Cubii richtig Ubii lesen sollte. Es waren wohl ehemalige Stammesverwandte der jetzigen Agrippinenser, die unter<br />
Agrippa die Heimat nicht verlassen hatten.<strong>“</strong> Baatz (2002), S. 77, sieht aufgrund der frontinschen Mitteilung die<br />
Cubier in jenem Landstrich siedelnd, wo Domitian Kastelle angelegt hatte, also wahrscheinlich in den neu<br />
gewonnenen Gebieten in der Wetterau.<br />
442Front. Strat. 2,11,7.<br />
443Urner (1994), S. 66.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 69
„Die nüchterne Sachlichkeit, die Frontin in seiner beruflichen Tätigkeit an den Tag legte,<br />
kennzeichnet auch seinen literarischen Stil. […] Als Fachschriftsteller widmet er dem Stoff<br />
ein größeres Interesse als der Form und kann überhaupt irgendwelche Ansprüche auf<br />
stilistische Meisterschaft nicht erheben. […] Bei alledem liest er sich ganz angenehm, da<br />
sein Stil, wie der Verfasser selbst, unbefangen und schlicht, sachlich und nüchtern ist.<strong>“</strong> 444<br />
Dennoch muss meines Erachtens die Tatsache, dass der Kaiser als pragmatisch<br />
denkender und fl<strong>ex</strong>ibel reagierender Feldherr beschrieben wird und in den<br />
Strategemata in der illustren Gesellschaft antiker Kriegsführer überhaupt aufgeführt<br />
ist, als durchaus positive Bewertung gesehen werden – wenn man hier auch eine<br />
pflichtgemäße Huldigung zu Lebzeiten des letzten Flaviers zumindest in Erwägung<br />
ziehen muss. 445<br />
Tacitus schreibt in seiner Germania, dass Rom bereits seit rund 250 Jahren in<br />
kriegerische Auseinandersetzungen mit den Germanen verwickelt sei: Seit so langer<br />
Zeit werde Germanien bereits besiegt (tam diu Germania vincitur)! 446 Am Ende einer<br />
aneinandergereihten Serie von, nicht unbedingt miteinander vergleichbaren,<br />
historischen Beispielen konstatiert er, in jüngster Zeit seien Siege über die Germanen<br />
mehr gefeiert als tatsächlich errungen worden (triumphati magis quam victi sunt). 447<br />
Ein Vorhandensein von militärischen Erfolgen aus letzter Zeit wird von ihm also<br />
abgelehnt: „Die prahlerische Behauptung Domitians, das außenpolitische Problem<br />
[...] gelöst zu haben, wird scharf zurückgewiesen; die Dinge stünden vielmehr [...] in<br />
Wahrheit noch ebenso, wie sie immer gestanden haben.<strong>“</strong> 448 Hierzu ist anzumerken,<br />
dass den Zeitgenossen die Diskrepanz zwischen den realen Gebietsgewinnen und der<br />
von kaiserlichen Seite inszenierten Propaganda durchaus bewusst gewesen sind wird.<br />
Es konnte nicht verborgen bleiben, dass die in Germanien, im Wesentlichen auf dem<br />
444Bendz (1969), S. 3.<br />
445So bei Perl (1981), S. 563.<br />
446Tac. Germ. 37,2. Vgl. die prägnante Einschätzung bei Timpe (2008), S. 182: „Der Historiker versteht das Verhältnis<br />
zu den germanischen Nachbarn [...] generalisierend und schematisch als eine seit Jahrhunderten [...] bestehende und<br />
nie wirklich, d.h. durch definitive Unterwerfung, bewältigte Dauerkonfrontation. Die römisch-germanischen<br />
Beziehungen sind für ihn mehr durch Konstanz als durch historischen Wandel gekennzeichnet, eher durch die gleich<br />
bleibend unsichere Machtlage bestimmt als durch wechselnde Interessen, Schauplätze und Akteure. [...] Begrenzte<br />
Erfolge beenden die römische Herrschaftsaufgabe nicht, Niederlagen vereiteln sie nicht auf Dauer; der römische<br />
Herrschaftsanspruch bleibt trotz anders lautender Propagandabehauptungen uneingelöst.<strong>“</strong><br />
447Tac. Germ. 37,5. Daumer (2005), S. 252, ist der Ansicht, dass Tacitus sich mit dieser Aussage hauptsächlich auf den<br />
zweiten Chattenkrieg (vgl. Kapitel 7) beziehe. Insgesamt hat sich in der Forschung über die Funktion der<br />
taciteischen Germania bisher keine communis opinio herausbilden können, vgl. hierzu Timpe (2008); Schmal<br />
(2005), S. 39ff. Die zuweilen geäußerte Vermutung, in Tacitus Aussage in Germ. 37 habe man einen – wenn auch<br />
vergeblichen – Apell an den neuen Princeps Trajan zu sehen, die Eroberungspolitik in Germanien wieder<br />
aufzugreifen (so geschehen z.B. bei Ungern-Sternberg (1989), S. 161.), weisen entschieden zurück: Beck (1998), S.<br />
41ff; Schmal (2005), S. 41; Timpe (2008), S. 183f.<br />
448Timpe (2008), S. 190.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 70
Gebiet der vormaligen <strong>ex</strong>ercitus der beiden Heeresgruppen, errichteten Provinzen<br />
„wenig mit dem Germanienbegriff zu tun [hatten], der in der Okkupationszeit<br />
vorherrschte.<strong>“</strong> 449<br />
Einen Angriffspunkt für die Polemiken der „nachdomitianischen<br />
Abrechnungsliteratur<strong>“</strong>, zu der auch insbesondere Tacitus zu zählen ist, bot dabei vor<br />
allem die überschwängliche kaiserliche Propaganda. 450 Den in deren Rahmen<br />
abgehaltenen Triumphzug verunglimpft Tacitus in seinem Agricola als falschen, da<br />
inszenierten Triumph (falsum e Germania triumphum), der mithilfe gekaufter und als<br />
Kriegsgefangener verkleideter Germanen durchgeführt worden sei (emptis per<br />
commercia, quorum habitus et crines in captivorum speciem formarentur). 451 Bei der<br />
Verkleidungsgeschichte handelt es sich allerdings um die „boshafte Dublette einer<br />
Maskerade<strong>“</strong>, die Sueton bereits Caligula zugeschrieben hatte: Jener habe, in<br />
Ermangelung von echten Kriegsgefangenen, für seinen Triumphzug gefangene<br />
Gallier dazu gezwungen, sich als Germanen auszugeben. 452<br />
Ein scheinbar erschreckendes Bild liefert Tacitus, wenn er sich zur Kriegführung<br />
Domitians im Allgemeinen äußert: Durch Leichtfertigkeit oder Feigheit der<br />
Kommandierenden seien viele Legionen in Moesien, Dakien, Germanien und<br />
Pannonien untergegangen (tot <strong>ex</strong>ercitus in Moesia Daciaque et Germania et<br />
Pannonia temeritate aut per ignaviam ducum amissi) und viele Offiziere mit ihren<br />
Kohorten überwunden und gefangen gesetzt worden (tot militares viri cum tot<br />
cohortibus <strong>ex</strong>pugnavi et capti). 453 Bereits gefährdet seien zudem die Befestigungen<br />
der Grenzen, das Ufer der Donau, die Winterlager der Legionen und der gesamte<br />
Besitz (nec iam de limite imperii et ripa, sed de hibernis legionum et possessione<br />
dubitatum) 454 und jedes Jahr sei durch den Tod bedeutender Männer und Niederlagen<br />
gezeichnet (omnis annus funeribus et cladibus insigniretur). 455 Angesichts dieser<br />
überaus brenzligen Situation habe die Stimme des Volkes seinen Schwiegervater<br />
Agricola als Heerführer gefordert, indem jedermann seine Tatkraft, seine Festigkeit,<br />
seinen in Kriegen erprobten Mut mit der Schlaffheit und Furchtsamkeit aller übrigen<br />
449Wolters (2000), S. 69; ders. (2008), S. 91.<br />
450Flach (1973), S. 109.<br />
451Tac. Agr. 39,1.<br />
452Heubner (1984), S. 113; vgl. Suet. Cal. 47.<br />
453Tac. Agr. 41,2.<br />
454Tac. Agr. 41,2.<br />
455Tac. Agr. 41,3.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 71
verglich (poscebatur ore vulgi dux Agricola, comparantibus cunctis vigorem,<br />
constantiam et <strong>ex</strong>pertum bellis animum cum inertia et formidine aliorum). 456<br />
Beim Lesen dieser Nachrichten muss man jedoch stets bedenken, dass Tacitus –<br />
entgegen seiner bekannten Äußerung, er wolle geschichtliche Ereignisse sine ira et<br />
studio, 457 d.h. wertfrei und ohne Parteinahme wiedergeben – mit seiner Darstellung<br />
der angeblich katastrophalen militärischen Lage des Imperiums durchaus eine<br />
Intention verfolgt: Domitian selbst wird als möglichst unzureichender militärischer<br />
Führer porträtiert, zugleich habe er aber Agricola aus purer Eifersucht auf dessen<br />
Tüchtigkeit und Popularität nicht zum Zuge kommen lassen können. Die im<br />
Dakerkrieg tatsächlich vorhandenen verlustreichen Niederlagen werden auf<br />
Domitians Kriegführung allgemein ausgeweitet, von untergegangen Legionen kann<br />
im Chattenkrieg aber nun wirklich keine Rede sein. 458<br />
Insgesamt bedürfen die Äußerungen des Tacitus einiger interpretierender<br />
Anmerkungen. Natürlich spiegelt Tacitus in den oben angeführten Äußerungen<br />
durchaus historische Tatsachen: Den Triumph, die überzogene kaiserliche<br />
Propaganda, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Erreichtem in territorialer<br />
Hinsicht. Insgesamt aber sagt seine „verzerrte Sicht über die kaiserzeitliche<br />
Gegenwart und die senatorische Kritik an Domitianus mehr aus als über die<br />
wirklichen Gründe und den historischen Verlauf der römisch-germanischen<br />
Nachbarfeindschaft.<strong>“</strong> 459<br />
Daher sind es für seinen Agricola verschiedene Punkte, die zu beachten sind, will<br />
man seine Äußerungen einordnen: Erstens sind diese stark durch persönliche<br />
Animositäten zum verblichenen Kaiser gefärbt, dessen Regierungszeit Tacitus von<br />
seinem senatorischen Standpunkt (trotz seines karrieremäßigen Vorankommens)<br />
subjektiv als Regime der Unterdrückung wahrgenommen hatte. 460 So stellt sein<br />
Agricola eine „erste Abrechnung des Verfassers mit der Vergangenheit nach dem<br />
Ende der vorausgegangenen Tyrannei Domitians<strong>“</strong> dar. 461 Das Bemühen, Domitians<br />
456Tac. Agr. 41,3.<br />
457Tac. Ann. 1,1,3.<br />
458Urner (1994), S. 71.<br />
459Timpe (2008), S. 182.<br />
460Albrecht (1994), S. 893: „Neusenatoren übernehmen vielfach mit besonderer Entschiedenheit die Sehweise der<br />
Aristokratie.<strong>“</strong><br />
461Beck (1998), S. 69: „[...] ein erster und noch auf einer ganz persönlichen Ebene gehaltener Schritt zur<br />
Vergangenheitsbewältigung.<strong>“</strong> Beck erkennt aber trotz der Akzentsetzung auf den privaten Charakter der Schrift an,<br />
Domitians erster Chattenkrieg 72
militärische Erfolge herunterzuspielen und der wiederholte Verweis auf die falschen<br />
Germanienlorbeeren sind somit als Teil des größeren Programms zu verstehen, das<br />
Domitianerlebnis zu verarbeiten, d.h. die vergangene Zeit in krassem Kontrast zur<br />
glücklichen Gegenwart (praesentium bonorum) in negativstem Licht erscheinen zu<br />
lassen. 462<br />
Zweitens hat Tacitus versucht, seinem Schwiegervater und dessen virtus ein ehrendes<br />
literarisches Denkmal zu setzen – nicht zuletzt aus familiärer Verbundenheit. 463<br />
Durch die Herausstellung der mangelnden Eignung Domitians zum Feldherren sollen<br />
die militärischen Taten Agricolas glorifiziert und letztlich der angebliche Neid des<br />
Princeps begründet werden, mit dem Tacitus die Abberufung seines Schwiegervaters<br />
aus Britannien und den vom Kaiser gleichsam erzwungenen Rückzug ins Privatleben<br />
zu erklären versucht. 464 Es ist ihm also an der „Aufdeckung der 'wahren<br />
Hintergründe' des Agricola-Karriereknicks gelegen.<strong>“</strong> 465<br />
Unterschwellig schwingt hier die, von senatorischer Seite getragene, pauschale<br />
Unterstellung mit, es sei allein die Furcht des Tyrannen vor der Popularität anderer<br />
Feldherren, die dazu führe, dass jenen die als materias gloriae wahrgenommene<br />
Außenpolitik vorenthalten werde. In der Praxis allerdings brachte die Tatsache, dass<br />
der Princeps dauerhaft das oberste Befehlskommando über die Truppen innehatte<br />
„die Notwendigkeit mit sich, alle Grenzen, militärischen Ressourcen und<br />
außenpolitischen Problemfelder gleichzeitig zu überblicken, übergeordnete<br />
Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen und Prioritäten zu bestimmen.<strong>“</strong> 466 Das<br />
derlei Sachzwänge ebenfalls zur Abberufung Agricolas geführt haben könnten, kann<br />
Tacitus natürlich nicht einsehen: „Ihm sind die kaiserlichen Entscheidungen [...] nur<br />
dass das Werk „angesichts von Tätigkeit und Lebensumständen der darzustellenden Person notwendigerweise zu<br />
einer politisch relevanten Schrift [wird], die in ihrem Urteil über Agricola und seine Zeit politische Aussagen und<br />
Wertungen enthalten muss.<strong>“</strong> Von einer vorrangig politischen Motivation des Tacitus gehen aus: Syme (1958), S. 26;<br />
Urban (1971); Schwarte (1979); Städele (1988), S. 233; Petersmann (1991), S. 1790f. Nesselhauf (1952), S. 222f.,<br />
hatte im Agricola hauptsächlich den Versuch gesehen, das durch die offizielle Propaganda gezeichnete Bild<br />
Domitians in der Öffentlichkeit zu korrigieren; in dieser Einseitigkeit jedoch überzeugend zurückgewiesen von<br />
Flach (1973), S. 109.<br />
462Tac. Agr. 3,3.<br />
463Städele (1988), S. 229: „Wir dürfen nicht vergessen, dass der 'Agricola' nicht zuletzt ein Dokument römischen<br />
Familiensinns ist.<strong>“</strong><br />
464Vgl. Tac. Agr. 39-43.<br />
465Urner (1994), S. 70. Eine ganz andere Lesart der im Agricola beschriebenen Ereignisse zieht Städele (1988), S.<br />
226ff., in Erwägung. Grundsätzlich verschiedene außenpolitische Konzepte als Konfrontationsgrund nennt Schmal<br />
(2005), S. 26.<br />
466Timpe (2008), S. 183.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 73
Ausdruck von Konkurrenzneid und Misstrauen gegenüber dem Tüchtigen.<strong>“</strong> 467<br />
Ferner wird Iulius Agricola zum „<strong>ex</strong>emplarischen, vorbildhaften Charakter für das<br />
Leben und Wirken in einem totalitären Staat<strong>“</strong> stilisiert. 468 Hierdurch schlägt sich<br />
Tacitus nicht zuletzt auch selbst eine Brücke zur Bewältigung der eigenen<br />
Vergangenheit: Indem er seinen Schwiegervater als einen Mann darstellt, der auch in<br />
widrigen Zeiten pflichtbewusst und unauffällig seine Arbeit verrichtet hat, liefert er<br />
gewissermaßen „eine beruhigende Selbstrechtfertigung<strong>“</strong> für sein eigenes Stillhalten<br />
während der domitianischen Herrschaft. 469<br />
Nicht zuletzt wird Tacitus versucht haben, sich dem neuen Princeps Trajan<br />
anzunähern und ihm in Ansätzen die „moral and political ideas of the new<br />
aristocracy<strong>“</strong> vor Augen zu führen. 470 Im Hinblick auf eine durchaus noch vorhandene<br />
Anhängerschaft des letzten Flaviers, 471 wird der neue Princeps auf publizistische<br />
Unterstützung bei der Festigung seiner Herrschaft angewiesen gewesen sein. 472<br />
Besonders Schwarte hat die tagespolitische Bedeutung des Agricola<br />
hervorgestrichen, handele es sich doch hier um ein Werk, dessen „zentrales Signum<br />
eine verbissene Polemik gegen Domitian ist.<strong>“</strong> 473<br />
Diese Überlegungen gelten im Besonderen auch für den jüngeren Plinius. In seinem,<br />
zunächst im Jahr 100 beim Antritt seines Suffektkonsulats vor dem Senat als<br />
gratiarum actio gehaltenen und nicht vor 101 in schriftlicher Form veröffentlichten,<br />
Panegyricus auf Trajan tritt noch unverhüllter als bei Tacitus die Absicht entgegen,<br />
Trajans noch junge Herrschaft durch die „publizistische Aburteilung Domitians<strong>“</strong><br />
467Timpe (2008), S. 183. Schmal (2005), S. 26: „Was das Wirken des Agricola angeht, fehlen uns die Mittel der<br />
Überprüfung. Seine Statthalterschaft ist inschriftlich bezeugt, mehr nicht.<strong>“</strong> Für eine durch rationale militärische<br />
Beweggründe gerechtfertigte Abberufung des Agricola aus Britannien und damit gegen die Annahme persönlicher<br />
Animositäten sprechen sich u.a. aus: Schiller (1883), S. 527; Pichlmayr (1889), S. 20; Nesselhauf (1952), S. 233;<br />
Christ (1995), S. 265. All diese Autoren betonen, dass Trajan eben nicht die von Agricola verfochtene<br />
Offensivpolitik in Britannien wieder aufgenommen hätte, sondern hier konsequent Domitians Stoßrichtung<br />
fortgesetzt habe. Zum archäologischen Aspekt vgl. Hanson (1991).<br />
468Beck (1998), S. 69. Die Vorbildhaftigkeit und die paränetische Absicht sind in der Forschung unbestritten, vgl.<br />
Bauer (1999), S. 77, Anm. 173.<br />
469Grant (1973), S. 251; ders. (1987), S: 307; Schmal (2005), S. 28.<br />
470Syme (1958), S. 26.<br />
471Vgl. Suet. Dom. 23,1.<br />
472Griffith (2000), S. 55.<br />
473Schwarte (1979), S. 139. Noch deutlicher S. 155: „Die politische Lage des Jahres 97 nach Chr. und der folgenden<br />
Monate würde es begreiflich machen, wenn Trajan in dieser unsicheren Übergangszeit auf die Fixierung und<br />
Verbreitung eines entschieden negativen Domitianbildes großes Gewicht gelegt hätte.<strong>“</strong> Zu den Ereignissen des<br />
Übergangs von Domitian zu Nerva und Trajan vgl. auch Berriman (2001).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 74
unmittelbar zu unterstützen. 474 Die Auseinandersetzungen um die Nachfolge Nervas<br />
„spiegeln auch die Rivalitäten bei der Erlangung des Deutungsmonopols über die<br />
Vergangenheit wieder.<strong>“</strong> 475<br />
Ähnlich wie Tacitus bezieht sich Plinius auf die überschwängliche kaiserliche<br />
Propaganda vor dem Hintergrund begrenzter territorialer Erfolge und fehlender<br />
glorreicher Schlachtensiege, wenn er von unechten Triumphwagen (mimici currus)<br />
und dem Vorspielen eines falschen Sieges (falsae simulacra victoriae) spricht. 476<br />
Ebenso wie der Erwähnung des angeblich gekauften Triumphes bei Tacitus war all<br />
diesen Bemerkungen gemein, dass sie den von Domitian so ausgiebig gefeierten Sieg<br />
über die Chatten „als verlogenen Schwindel darstellen<strong>“</strong> wollten. 477 Die Tatsache, dass<br />
Plinius seinen Panegyricus vor dem Senat gehalten hat, hat Schwarte zu der<br />
Vermutung geführt, dass es sich hierbei um eine „offiziöse Äußerung<strong>“</strong> und damit um<br />
einen „Spiegel des von Trajan selbst gewünschten Domitianbildes<strong>“</strong> gehandelt habe. 478<br />
Die Hoffnung, dass stattdessen eines Tages ein Feldherr wahrhaften und dauerhaften<br />
Ruhm in die Heimat bringen werde (sed imperatorem veram ac solidam gloriam<br />
reportantem) ist wiederum direkt auf den von Plinius verehrten Trajan gemünzt. 479<br />
Auch hier handelt es sich eindeutig um Imagewerbung für den neuen Princeps, dem<br />
durch die massive Hervorstreichung der virtus imperatoria durch die offizielle<br />
domitianische Propaganda eine schwere „Hypothek<strong>“</strong> hinterlassen worden war. 480 Da<br />
er selbst noch keinen entsprechenden militärischen Erfolg vorweisen konnte, musste<br />
mit allen Mitteln die propagandistisch aufgeblasene „militärische Imago Domitians<br />
entwertet werden<strong>“</strong> und durch literarischen Aufwand die Zeugnisse dieses Triumphes<br />
als überzogene Lüge entlarvt werden, damit auch „jeder noch so kleine Erfolg<strong>“</strong><br />
Trajans geeignet sei, seinen Vorgänger in militärischer Hinsicht zu übertreffen. 481<br />
Zudem muss man auch bei Plinius in Betracht ziehen, dass in seinem Werk<br />
474Schwarte (1979), S. 159. Schwarte sieht seine Ansicht, dass das, sowohl in Tacitus' Agricola als auch in Plinius'<br />
Panegyricus entworfene, durch und durch negative Domitanbild zur Unterstützung Trajans intendiert war, in einem<br />
„allmähliche[n] Abklingen domitianfeindlicher Äußerungen<strong>“</strong> in der weiteren Regierungszeit des Trajan bestätigt. So<br />
zeichne die, erst unter Hadrian erschienene, Domitianvita Suetons „nicht zufällig<strong>“</strong> (S. 61) ein weniger harsches Bild<br />
vom letzten Flavier.<br />
475Seelentag (2004), S. 494.<br />
476Plin. Paneg. 16,3.<br />
477Becker (1992), S. 30.<br />
478Schwarte (1979), S. 155.<br />
479Plin. Paneg. 16,3.<br />
480Seelentag (2004), S. 495.<br />
481Ebd., S. 495.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 75
Vergangenheitsbewältigung betrieben wird. Ob er durch die ätzenden Tiraden und die<br />
selbststilisierte Opferrolle bewusst den Schritt nach vorne wagte, um vom Vorwurf,<br />
ein gewissenloser Opportunist zu sein, abzulenken 482 oder durch echte Betroffenheit<br />
über die Hinrichtung befreundeter stoischer Philosophen unter Domitian angetrieben<br />
wurde, ist letztendlich nicht zu klären. 483 Insgesamt empfiehlt es sich aber, „seine<br />
Aussagen mit Vorsicht zu betrachten. [...] Seine Kontrastierung des bewunderten<br />
Trajan mit dem verhassten Domitian ist literarische Schwarzweißmalerei.<strong>“</strong> 484 In<br />
erster Linie handelt es sich dabei wohl um ein rhetorisches Stilmittel: „Kontrastiert<br />
wurden nicht zwei reale Persönlichkeiten, sondern der beste und der schlechteste<br />
anzunehmende Princeps.<strong>“</strong> 485<br />
Hat das militärische Engagement Domitians in Germanien seinen Zeitgenossen doch<br />
als Aufhänger für gänzlich unterschiedliche Bewertungen gedient, so scheint Sueton<br />
der Thematik wenig Interesse entgegenzubringen: „Sueton […] bringt als einziger<br />
Autor überhaupt keine Wertung zum Ausdruck, geht auf die Frage des Erfolges oder<br />
Misserfolges dieses Feldzuges gar nicht ein, sondern erwähnt ihn lediglich.<strong>“</strong> 486 Er<br />
resümiert kurz, dass Domitian nach wechselhaften Kämpfen gegen Chatten und<br />
Daker einen doppelten Triumph gefeiert habe (de <strong>Chattis</strong> Dacisque post varia<br />
proelia duplicem triumphum egit) 487 und gibt damit wohl den, auf Kenntnis<br />
kaiserlicher Propaganda beruhenden, allgemeinen Kenntnisstand der Zeit wieder. 488<br />
Indirekt erkennt er damit wohl einen Sieg an, zumindest leugnet er ihn nicht so<br />
penetrant wie Tacitus und Plinius dies taten. 489<br />
6.1.2. Spätere antike Autoren<br />
Cassius Dio, der mehr als ein Jahrhundert nach den Ereignissen des Chattenkrieges<br />
482Strobel (2003), S. 312 Auf seine angenehme Zeit während der domitianischen Regierungszeit weisen darüber hinaus<br />
hin: Strobel (1983), S. 43; ders. (2003), S. 304; Sherwin-White (1969), S. 84.<br />
483Vgl. Vielberg (1988), S. 176f.<br />
484Urner (1994), S. 40.<br />
485Seelentag (2004), S. 492.<br />
486Urner (1994), S. 73.<br />
487Suet. Dom. 6,1. Sueton bezieht sich hier wohl auf den Doppeltriumph des Jahres 89.<br />
488Becker (1992), S. 34.<br />
489Dieses, vermutlich thematisch bedingte, Desinteresse darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sueton<br />
insgesamt die Einschätzung seiner Zeitgenossen bei der Beurteilung der flavischen Herrscher teilt: Vespasian und<br />
Titus sind boni principes, Domitian hingegen ein malus princeps (<strong>ex</strong>emplarisch vgl. Suet. Vesp. 12;15; Tit. 1,1; 3; 8;<br />
Dom. 1; 2; 10,1; 11,1). Zu Suetons Domitianbild vgl. differenzierter Lambrecht (1995), S. 529-536.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 76
schrieb, negiert an einer Stelle in seiner Historía Rhomaiké ernsthafte kriegerische<br />
Auseinandersetzungen in Germanien: Domitian habe lediglich einige wehrlose<br />
Stämme jenseits des Rheins überfallen, die darüber hinaus Verträge mit den Römern<br />
hatten, und sich darauf etwas eingebildet als hätte er eine große Leistung<br />
vollbracht. 490 Dadurch gibt Dio „dem Unternehmen einen möglichst minderwertigen<br />
Anstrich, indem er das ganze quasi als Plünderungsaktion hinstellt.<strong>“</strong> 491 Einen – wenn<br />
auch nur lächerlichen und gegen einen weit unterlegenen Gegner errungenen – Sieg<br />
hingegen negiert er nicht. 492 An anderer Stelle widerspricht er sich selbst, indem er<br />
schreibt, der Kaiser sei aus Germanien zurückgekehrt ohne etwas vom Kriege<br />
gesehen zu haben. 493 Insgesamt tragen die Einschätzungen Dios unverkennbare Züge<br />
„der traditionellen Polemik der senatorischen Geschichtsschreibung.<strong>“</strong> 494 Angesichts<br />
der Tatsache, dass Dio die Herrschaft Domitians nicht miterlebt hat, muss man nach<br />
den verwendeten Quellen Dios fragen. Urner hat in ihrer Untersuchung keine innere<br />
Abhängigkeit zu heute noch erhaltenen Quellen festgestellt und zieht daher die<br />
Verwendung der verlorenen Teile der taciteischen Historien in Betracht; auf jeden<br />
Fall müsse das verwendete Quellenmaterial stark negativ gefärbt gewesen sein. 495<br />
Aurelius Victor lobt die Beharrlichkeit Domitians, sich auch von anfänglichen<br />
Schwierigkeiten nicht von seinem Ziel abbringen zu lassen und geschickt auf<br />
Rückschläge zu reagieren. 496 Der Kaiser, so Victor, scheine anfangs von ziemlicher<br />
Ausdauer in der Kriegsführung gewesen zu sein (Domitianus primo […]belloque<br />
tolerantior videbatur). 497 Hierdurch habe er, nachdem er die Daker und eine Schar<br />
Chatten besiegt habe (Dacis et Cattorum manu devictis), die Umbenennung der<br />
beiden Monate September und Oktober vorgenommen (Septembrem Octobremque<br />
menses Germanici superiorem, e suo nomine alterum adpellaverat). 498 Insgesamt<br />
beurteilt Victor hier überaus wohlwollend, „verglichen mit den meisten antiken<br />
490Cass. Dio, Hist. Rom., 67,3,5 (= Zonaras 11,19).<br />
491Urner (1994), S. 75.<br />
492Ebd.<br />
493Cassius Dio, Hist. Rom. 67,4,1 (= Xiphilinos 218, 22-29). Urner (1994), S. 75, geht davon aus, dass Dio hier zwei<br />
zueinander in diesem Punkt widersprüchliche Quellen verarbeitet hat. Etwas naiv, weil die Intention Dios<br />
vernachlässigend, mutet der Versuch von Southern (1997), S. 81 Anm. 4, an, Dios Negation ernsthafter militärischer<br />
Auseinandersetzungen im Chattenkrieg dadurch zu erklären, dass die sonstigen Quellen keine große<br />
Entscheidungsschlacht erwähnen.<br />
494Strobel (1987), S. 424. Zum senatorischen Standpunkt Dios vgl. auch Hose (1994), S. 411ff.<br />
495Urner (1994), S. 79.<br />
496Vgl. Front. Strat. 1,3,10; 2,3,23.<br />
497Aur. Vict. Caes. 11,3.<br />
498Aur. Vict. Caes. 11,3.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 77
Quellen erscheint somit die militärische Bilanz Domitians geradezu einseitig<br />
positiv.<strong>“</strong> 499 Die Wertigkeit des militärischen Erfolges und damit die insgesamt<br />
positive Bewertung wird durch die Reduzierung des Stammes der Chatten auf eine<br />
Schar (manus) aber nicht unwesentlich gemindert. 500<br />
Mit sehr ähnlichen Worten wie Aurelius Victor, aber dennoch etwas anderem<br />
Sinngehalt, beschreibt der Epitomator de Caesaribus den Chattenkrieg (ille primo<br />
[…] belloque tolerantior videbatur: Idcircoque Cattos Germanosque devicit). 501<br />
Auch er bescheinigt durch das Adverb tolerantior Domitian Geduld und<br />
Beharrlichkeit. In der folgenden Aussage wird jedoch ein „etwas anderer<br />
Kausalzusammenhang<strong>“</strong> als bei Victor konstruiert: das Verb devicit lässt die<br />
Niederwerfung der Chatten als unmittelbare Konsequenz aus der Ausdauer des<br />
Princeps erscheinen; auch eine Reduzierung der Chatten auf eine manus wird hier<br />
nicht vorgenommen, „die Aussage ist also positiver.<strong>“</strong> 502<br />
Orosius behauptet, Domitian habe sich gar nicht persönlich an der Front aufgehalten,<br />
sondern in Rom Senat und Volk gequält (in Urbe ipse senatum popolumque<br />
laniaret). 503 Zum Verderben des Staates habe er die Kriege in Germanien und Dakien<br />
durch Unterfeldherren führen lassen (bellum adversum Germanos et Dacos per<br />
legatos gessit pari rei publicae pernicie), wodurch das schlecht geführte Heer in<br />
fortgesetzten Blutbädern vernichtet worden sei (foris male circumactum <strong>ex</strong>ercitum<br />
adsidua hostes caede conficerent). 504<br />
Insgesamt bewertet Orosius den Chattenkrieg ausschließlich negativ: Dem Kaiser<br />
attestiert er vollkommene „militärische Pflichtvergessenheit<strong>“</strong>; indem er es<br />
vorgezogen habe, sich von der Front fernzuhalten und den Krieg durch unfähige<br />
Legaten führen zu lassen, stelle sich „der Herrscher geradezu auf die Seite der<br />
499Witzmann (1999), S. 135. Die an dieser Stelle durchaus positive Bewertung soll jedoch nicht darüber<br />
hinwegtäuschen, dass das von Victor gezeichnete Domitianbild insgesamt überaus düster ist. So schreckt Victor<br />
nicht davor zurück, Domitian des Brudermordes zu bezichtigen und somit einen Grund für Titus' frühes Verscheiden<br />
zu liefern (Aur. Vict. Caes. 11,1; vgl. auch Cassius Dio Hist. Rom. 66, 26, 2f.). Positive Ansätze zu Beginn seiner<br />
Herrschaft seien überdies nur Verstellung, bald jedoch hätten sich mit der superbia und crudelitas das wahre Gesicht<br />
des Herrschers gezeigt. Zum Domitianbild bei Aurelius Victor vgl. Witzmann (1999), S. 133-137; zu Aurelius Victor<br />
in der Tradition senatorischer Geschichtsschreibung vgl. Mehl (2001), S. 164.<br />
500Urner (1994), S. 76.<br />
501Epit. de Caes. 11,2.<br />
502Urner (1994), S. 77. Dass es sich bei den Chatten um einen den Germanen zuzurechnenden Stamm handelt, scheint<br />
ihm dabei nicht bewusst gewesen zu sein.<br />
503Oros. Hist. adv. Pag. 10,1.<br />
504Oros. Hist. adv. Pag. 10,1.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 78
Reichsfeinde.<strong>“</strong> 505 Urner hat hier einen „leichten Anklang an Cassius Dio<strong>“</strong> gesehen,<br />
betont aber, dass dieser „nicht zu seinen [Orosius'] Quellen gehört.<strong>“</strong> Da Orosius sich<br />
bei der Beschreibung des Dakerkrieges im nächsten Satz (10,4) direkt auf Tacitus<br />
bezieht, nimmt sie dessen Historiae als Quelle für diese Stelle an, „das würde die<br />
<strong>ex</strong>trem negative Wertung des Orosius erklären, der sich noch abfälliger äußert als<br />
Cassius Dio<strong>“</strong>. 506<br />
Insgesamt muss bei Orosius beachtet werden, dass seine geschichtstheologisch<br />
motivierte Perspektive ihn zu durchaus eigenwilligen Betrachtungsweisen verleitet<br />
hat. Die Vermutung, es handele sich bei Domitian um einen Christenverfolger – das<br />
„aus seiner Sicht schärfste Verbrechen<strong>“</strong> – wird die Wertung dabei maßgeblich<br />
beeinflusst haben. 507<br />
6.1.3. Resümee:<br />
Zusammenfassend lässt sich also konstatieren, dass sich das Spektrum der<br />
Bewertung des domitianischen Chattenkrieges in der antiken Literatur zur Spätantike<br />
hin verengt hat. Von den Zeitgenossen wurde das militärische Vorgehen des letzten<br />
Flaviers noch durchaus unterschiedlich gewertet: Zu Lebzeiten Domitians gab es<br />
Anerkennung durch die schmeichelnde Poesie Martials und Silius Italicus' und den<br />
durchweg positiven, aber keineswegs anbiedernden, Bericht Frontins. Kritische<br />
Stimmen waren hingegen zu diesem Zeitpunkt nicht zu vernehmen. Nach Domitians<br />
Ermordung – als das Äußern einer oppositionellen Meinung nicht mehr mit einem<br />
persönlichen Risiko verbunden war – treten mit Tacitus, dem jüngeren Plinius und<br />
auch Sueton jene, jeglichen militärischen Erfolg negierenden, Spötter auf den Plan,<br />
die, jeder aus seinen eigenen „persönlich eingefärbten Bewertungsmaßstäben<strong>“</strong><br />
505Witzmann (1999), S. 140.<br />
506Urner (1994), S. 77.<br />
507Witzmann (1999), S. 141. Seit dem letzten Drittel des 2. Jahrhunderts (Brief des Bischofs Melito von Sardes an<br />
Marc Aurel) gilt Domitian in der christlichen Literatur nach Nero als zweiter Christenverfolger, Orosius stellt sich<br />
hier durchaus in die Tradition anderer christlichen Autoren. Zum Problem der domitianischen Christenverfolgung<br />
vgl. Molthagen (1995), der konstatiert, dass in der Forschung die Bereitschaft abgenommen habe, von einer<br />
systematischen Verfolgung zu sprechen, (Forschungsüberblick auf S. 429f.), aber selbst einen Versuch unternimmt,<br />
im 1. Petrusbrief ein Dokument für eine unter Domitian eingeführte pauschale Kriminalisierung des Christseins und<br />
daraus resultierende staatliche Repressionen zu sehen. Hierzu muss angemerkt werden, dass aus den wenigen<br />
Anspielungen in der antiken Literatur nicht zwingend auf eine systematische Christenverfolgung unter Domitian zu<br />
schließen ist. Zur Problematik prägnant und mit Auszügen aus den relevanten Quellen vgl. Pfeiffer (2009), S. 117-<br />
120.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 79
heraus, den verhassten Princeps mit ätzendem Sarkasmus übergossen und den<br />
Triumph als ungerechtfertigte Posse diffamierten. 508 Prägnant fasst Urner diesen<br />
Tatbestand zusammen:<br />
„Festzuhalten ist, dass zu Domitians Lebzeiten keine Abwertung oder auch nur<br />
Kritik literarisch artikuliert wurde. Die Zufriedenen brachten ihre Anerkennung zum<br />
Ausdruck, die Gegner schwiegen und warteten ab, bis sie nach dem Tode des<br />
Kaisers ungestraft ihre Angriffe starten konnten.<strong>“</strong> 509<br />
Zur Spätantike hin verengt sich das Spektrum auf eine eher negative Darstellung der<br />
Geschehnisse. Begrenzt positive Stimmen wie Aurelius Victor oder die Epitome de<br />
Caesaribus gibt es zwar noch immer, Lob wird aber immer zurückhaltend und knapp,<br />
im Falle Victors mit Einschränkung formuliert. Weggefallen sind überdies die<br />
<strong>ex</strong>plizit preisenden Schriftsteller. Als „maßgeblicher Verursacher des schlechten<br />
Image<strong>“</strong> des Chattenkrieges ist Tacitus zu vermuten, der bei der Bewertung Domitians<br />
insgesamt „aus persönlichen Gründen weit von einer Objektivität entfernt<strong>“</strong> ist und<br />
von den späteren antiken Autoren vielfach als Quelle verwandt wurde; aber auch die<br />
Charakterbeschreibung Domitians bei Sueton wird gewiss ihr Schärfchen zur<br />
insgesamt schlechten Bewertung beitragen haben. 510<br />
Auffallend ist, dass die von Tacitus, Plinius und Sueton getragene senatorische<br />
Einschätzung Domitians bereits bei Cassius Dio zu einer Art communis opinio<br />
geworden zu sein scheint, seine Beschreibung hat das allgemein negative<br />
Domitianbild weiterhin verfestigt, was sich nicht unwesentlich auf die moderne<br />
Forschung auswirken sollte. 511 Bei Orosius nimmt die Bewertung geradezu groteske<br />
Züge an, ist doch „unter den überlieferten T<strong>ex</strong>ten selten eine so ausgesucht scharfe<br />
Polemik wie in den Historiae adversum Paganos zu beobachten.<strong>“</strong> 512<br />
508Urner (1994), S. 73.<br />
509Ebd., S. 74. Ferner hält sie fest, dass der Sozialstatus der jeweiligen Autoren kein entscheidender Faktor bei der<br />
Bewertung des Chattenfeldzuges war, „denn auch unter den vier Senatoren Frontinus, Silius Italicus, Tacitus und<br />
Plinius sind die Beurteilungen <strong>ex</strong>trem unterschiedlich.<strong>“</strong><br />
510Ebd., S. 314. Zur Frage, welche Werke den einzelnen späteren antiken Autoren wahrscheinlich vorgelegen haben<br />
werden vgl. Kapitel 3.1.2.<br />
511Mehl (2001), S. 33.<br />
512Witzmann (1999), S. 140.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 80
6.2. Die Bewertung in der modernen Forschung<br />
Die Bewertung des domitianischen Chattenkrieges fiel in der modernen Forschung<br />
durchaus unterschiedlich aus, je nachdem welchem antiken Autor im Einzelnen<br />
Glauben geschenkt wurde. Lange Zeit wurde den domitianfeindlichen Stimmen mehr<br />
Gewicht zugemessen und so musste logischerweise auch die, bereits in der Antike<br />
geformte, negative Bewertung des Chattenkrieges bestehen bleiben. Direkt an<br />
Cassius Dio lehnte sich so Beulé an, wenn er – in der Annahme, Domitian habe<br />
keinen ernsthaften militärischen Gegner vorgefunden – den Feldzug als<br />
„lächerlichste militärische Promenade<strong>“</strong> bezeichnete. 513 Ähnlich sah es von<br />
Domaszewski, der schrieb, der Chattenkrieg sei „nichts als ein militärischer<br />
Spaziergang zur Berichtigung der Grenzen<strong>“</strong> gewesen. 514 Ausschließlich auf Cassius<br />
Dio und Tacitus stützte sich ebenfalls die äußerst negative Berichterstattung bei<br />
Kraus. 515<br />
Imhof relativierte die Kriegshandlungen negierende Mitteilung des Cassius Dio<br />
dadurch, dass er ihnen die positiven Darstellungen der Autoren Aurelius Victor und<br />
Frontin gegenüberstellte und glaubte, dass „es wirklich zum Schlagen kam und nicht<br />
ganz ohne Erfolg.<strong>“</strong> 516 Diese schüchternen Anfänge einer positiveren Bewertung<br />
werden im Folgenden durch die Überbetonung von Domitians schwierigem<br />
Charakter und der Hervorhebung „prunkender und thörichter<strong>“</strong> Huldigungen des<br />
Kaisers in der Folge des Chattenkrieges allerdings wieder relativiert. 517<br />
Es gab aber auch zu dieser Zeit bereits recht positive Stimmen. Pichlmayr sieht die<br />
Verunglimpfung des angeblich zu Unrecht abgehaltenen domitianischen Triumphes<br />
durch Tacitus dadurch widerlegt, dass „eben die deutschen Stämme am Rhein<br />
während der folgenden Zeit sich durchaus ruhig hielten, den einzigen Fall<br />
ausgenommen, wo der Empörer Saturninus Hilfstruppen warb.<strong>“</strong> 518 Vieze glaubt<br />
bereits deshalb nicht an einen falschen Triumph, da der sonst so anekdotenfreudige<br />
Sueton nichts davon zu berichten wüsste; „die beim Triumphe aufgeführten Chatten<br />
513Beulé (1875), S. 132f.<br />
514Domaszewski (1922), S. 160. Vgl. zu beiden Cass. Dio Hist. Rom. 67, 4,1.<br />
515Kraus (1876), S. 16: „Domitianus hatte sich in seinen Erwartungen abermals bitter getäuscht; die viele Jahre<br />
sehnlichst gewünschten Lorbeeren wurden ihm auf diesem Heereszuge nicht zu Teil. Trotzdem durfte die Hauptstadt<br />
nur von siegreichen Schlachten und glänzenden Erfolgen hören. Mit Beute und Gefangenen, die er nicht gemacht<br />
hatte, zog der Kaiser im Siegesprunk in Rom ein.<strong>“</strong> Vgl. hierzu Tac. Germ. 37,5 und Agr. 39,1.<br />
516Imhof (1857), S. 48.<br />
517Ebd., S. 49ff.<br />
518Pichlmayr (1889), S. 24.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 81
werden wohl echt gewesen sein.<strong>“</strong> 519 Auch Ernst Köstlin ist in seiner Monographie<br />
über die Donaukriege Domitians der Ansicht, dass der Princeps aus Germanien<br />
„zweifellos siegreich heimgekehrt<strong>“</strong> sei. 520<br />
Seit Mitte des letzten Jahrhunderts mehren sich nun die vorwiegend positiven<br />
Stimmen. Nesselhauf misst zwar den Erfolg Domitians viel zu sehr am erzielten<br />
territorialen Gewinn und dem weitgefassten Germanienbegriff und spricht daher von<br />
einem „als Erfolg drapierten Verzicht<strong>“</strong>. 521 Gegen die, durch die Propagierung eines<br />
vollständigen Germaniensieges vorgenommene, „Geschichtsfälschung<strong>“</strong> Domitians<br />
habe sich Tacitus zu Recht mit seiner Polemik gewandt. 522 Dennoch bezeichnet er die<br />
unter Domitian vollzogene Provinzgründung als „reichspolitischen Akt von großer<br />
Tragweite<strong>“</strong> und räumt der domitianischen Lösung der Germanienfrage einen<br />
langfristigen Erfolg ein, den er im Wesentlichen darin begründet sieht, dass Trajan in<br />
der Folgezeit an ihr festgehalten habe. 523 Weniger in den territorialen Gewinnen als in<br />
der Dauerhaftigkeit der unter Domitian durchgeführten Maßnahmen zur<br />
Grenzmarkierung und Grenzsicherung in Germanien sieht Southern den Haupterfolg<br />
Domitians begründet: „This frontier is Domitian's enduring achievement.<strong>“</strong> 524<br />
Becker spricht von „jenem großartigen Sieg im inneren Germaniens” und ist der<br />
Ansicht, dass Domitian mit seinem militärischen Engagement den erfolgreicheren<br />
unter seinen Vorgängern in nichts nachstehe – vielmehr handele es sich um einen<br />
„Erfolg, der an die Leistungen des älteren Drusus heranreichte und diejenigen des<br />
Germanicus bei weitem übertraf [...].” 525 Becker sieht den Erfolg darin begründet,<br />
dass die Chatten in diesem Kriege ihre Sonderrolle als einzige ernstzunehmende<br />
Bedrohung der römischen Rheingrenze verloren hatten und es so den Römern<br />
endlich gelang, die uneingeschränkte Kontrolle über die fruchtbare und strategisch<br />
wichtige Wetterau zu erlangen. 526<br />
Strobel sieht den erfolgreichen Abschluss des Chattenkrieges darin begründet, dass<br />
die Ausschaltung des potentiellen Gefahrenherdes in Germanien eine Reduzierung<br />
der militärischen Präsenz am Rhein ermöglicht habe und so erst freie Hand gegeben<br />
habe für die konzentrierte Bekämpfung der Daker an der unteren Donau auch unter<br />
519Vieze (1902), S. 16.<br />
520Köstlin (1910), S. 33<br />
521Nesselhauf (1952), S. 241.<br />
522Ebd., S. 245.<br />
523Ebd., S.236; S. 242; ebenso Christ (1962), S. 212.<br />
524Southern (1997), S. 90.<br />
525Becker (1992), S. 275.<br />
526Ebd., S. 265; vgl. auch S. 303f.; S. 345.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 82
Trajan: „Ohne den erfolgreichen Angriffskrieg gegen die Chatten [...] wäre die<br />
drastische Verringerung des Rheinheeres von acht / neun Legionen auf vier,<br />
zeitweilig nur drei Legionen kaum möglich gewesen.<strong>“</strong> 527<br />
Zudem ist von verschiedenen Positionen die erfolgreiche Lösung des seit Augustus<br />
offengelassenen Germanienproblems als zentrales Erfolgsmoment des<br />
Chattenkrieges angeführt worden: So sei nach Kneißl in Germanien „zweifellos ein<br />
deutlicher Erfolg errungen worden worden<strong>“</strong>, da Domitian im Gegensatz zu seinen<br />
Vorgängern „zu einer Revision der fiktiven Expansionspolitik und damit zu einer<br />
dauerhaften Regelung des germanischen Problems bereit<strong>“</strong> gewesen sei. 528 Pfeiffer<br />
verweist darauf, dass es zur Zeit des domitianischen Chattenkrieges bereits sowohl<br />
einen weit- als auch einen enggefassten Germanienbegriff gegeben habe: „Wirklich<br />
falsch ist die Behauptung von der Eroberung Germaniens deshalb nicht; Domitian<br />
interpretiert die Fakten nur anders, als es seine Zeitgenossen vielleicht gewohnt<br />
waren.<strong>“</strong> 529 Durch seine Politik, den tatsächlich nur schmalen territorialen Gewinn<br />
propagandistisch als die stets angestrebte, umfassende Eroberung Germaniens zu<br />
verkaufen, „befreite [er] die römische Führungsschicht damit [...] von der Einlösung<br />
des unerfüllbaren augusteischen Anspruchs auf eine Eroberung<br />
Gesamtgermaniens.<strong>“</strong> 530<br />
6.2.1. Resümee:<br />
Will man die Bewertung des Chattenkrieges in der modernen Forschungsliteratur<br />
zusammenfassen, fällt auf, dass gerade das von Tacitus und Cassius Dio vermittelte<br />
antike Negativbild Domitians die Ergebnisse der modernen Forschung lange Zeit<br />
dominiert hat. Die „Dominanz der domitianfeindlichen Stimmen<strong>“</strong> konnte sich auch<br />
besonders in den frühen Darstellungen der neueren Forschung durchsetzen, wobei<br />
sich diese modernen Autoren im Wesentlichen nicht die Mühe gemacht haben, die<br />
antiken Quellen und Autoren kritisch zu hinterfragen oder gar das Spektrum der<br />
herangezogenen Quellen zu erweitern. 531<br />
527Strobel (1987a), S. 450; ebenso Wendt (B. 1960), S. 109; Baatz (1989), S. 66; Becker (1992), S. 265; S. 287ff.;<br />
Pfeiffer (2009), S. 93.<br />
528Kneißl (1969), S. 52.<br />
529Pfeiffer (2009), S. 92.<br />
530Ebd.<br />
531Urner (1994), S. 315. Gemeint sind hier die Werke von Beulé (1875), Kraus (1876), Domaszewski (1922), Birt<br />
(1922). Als positive Beispiele sind die Werke von Pichlmayr (1889) und Vieze (1902) zu nennen.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 83
Dies hat sich jedoch im Verlauf des 20. Jahrhunderts geändert:<br />
„Die Haltung der Forscher ist stark von der Zeit abhängig in der sie schrieben. Die Zahl der<br />
abwertenden Äußerungen ist in der älteren Forschung sehr viel größer als in der neueren ab<br />
1950, bei den lobenden verhält es sich genau umgekehrt. Hinsichtlich des Chattenkrieges<br />
ist eine Entwicklung von einer konträren Bewertung zu einer fast einheitlichen Anerkennung<br />
festzustellen.<strong>“</strong> 532<br />
Dieser allgemeine Wandel in der Bewertung des Chattenkrieges verlief durchaus<br />
analog zum Wandel des allgemeinen Domitianbildes und ist durch verschiedene<br />
Aspekte herbeigeführt worden: Man hat nicht nur die Berichte der senatorischen<br />
Tradition kritisch auf Standpunkt, Intention und innere Abhängigkeiten hin befragt,<br />
sondern zudem das Spektrum der literarischen Quellen um die Werke der Dichter<br />
erweitert und schenkt heute dem Bericht Frontins mehr Glauben als früher. Dieser<br />
Versuch, die Geschichte „auch mal gegen die senatorische Geschichtsschreibung<br />
lesen<strong>“</strong>, hat damit im Laufe des letzten Jahrhunderts zu einer Neubewertung des<br />
ersten Chattenkrieges wie auch der domitianischen Herrschaft insgesamt geführt. 533<br />
Zweitens hat die zunehmende Integration nichtliterarischer Quellen in die historische<br />
Debatte um den letzten Flavier, d.h. Funde archäologischer, epigraphischer und<br />
numismatischer Natur, in nicht unmaßgeblicher Weise geholfen, die <strong>ex</strong>treme<br />
Abwertung des Chattenkrieges als ungerechtfertigt zu erweisen. 534 Wenn auch der<br />
tatsächlich nur geringe Gebietsgewinn in Germanien, 535 die über die Maßen pompöse<br />
Propaganda und der, durch die Gründung der Provinzen und Deklaration der<br />
„GERMANIA CAPTA<strong>“</strong> bedingte, endgültige Verzicht auf Germanien im<br />
weitergefassten Sinne der modernen Forschung durchaus bewusst ist, 536 kann heute<br />
keine Position mehr ernsthaft an den positiven Aspekten des domitianischen<br />
Chattenkrieges zweifeln.<br />
532Urner (1994), S. 312.<br />
533Leberl (2004), S. 14.<br />
534Vgl. Hanson (1992), S. 1748; Pfeiffer (2009), S. 2.<br />
535Vgl. <strong>ex</strong>emplarisch: Ternes (1976), S. 748: „Das militärisch großangelegte Unternehmen gegen ein im Grunde<br />
kleines Gebiet [...].<strong>“</strong> Baatz (2002), S. 75: „Am Rhein musste der Kaiser sich mit einem enttäuschend geringen<br />
Gebietszuwachs begnügen: vom Stammesgebiet der Chatten hatte er so gut wie nichts gewonnen.<strong>“</strong><br />
536Grundlegend hierzu Nesselhauf (1952).<br />
Domitians erster Chattenkrieg 84
7. Exkurs: Saturninus-Aufstand und zweiter Chattenkrieg 537<br />
Die im Folgenden darzustellenden Ereignisse des Winters 88/89 lassen vermuten,<br />
dass die Chatten 84/85 nicht vollständig militärisch vernichtet worden waren. 538 Um<br />
die Jahreswende kam es unter der Führung des Befehlshabers des obergermanischen<br />
Heeres, L. Antoninus Saturninus, 539 zur offenen Erhebung gegen Domitian. Das<br />
genaue Datum hierfür ist nicht überliefert, ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit<br />
wird allerdings dem Neujahrstag 89 zugesprochen: Es war der Tag der traditionellen<br />
Eidesleistung der Legionen auf den Princeps, den die beiden zusammen im<br />
Winterlager in Mainz stationierten Heere, die Legio XXI Rapax und die Legio XIV<br />
Gemina Martia, in diesem Fall verweigert haben und stattdessen Saturninus zum<br />
Imperator ausriefen. 540 Auf die Nachricht von der Revolte hin brach Domitian in<br />
Begleitung der Prätorianergarde von Rom schnell in Richtung Mainz auf. Auch<br />
hierfür ist das genaue Datum nicht gesichert, aufgrund von Mitteilungen der<br />
Arvalbrüder hat sich in der Forschung traditionellerweise der 12. Januar 89 als<br />
Aufbruchsdatum eingebürgert. 541<br />
Saturninus benötigte militärische Unterstützung für seine Erhebung, aber sowohl<br />
537An dieser Stelle scheint die <strong>ex</strong>kursorische Darstellung der Ereignisse am zweckdienlichsten. Hierdurch soll<br />
sichergestellt werden, dass der zweite Chattenkrieg Domitians weder komplett ausgeklammert noch in zu<br />
ausführlicher, den Rahmen dieser Arbeit sprengender, Weise behandelt wird.<br />
538Als Indiz hierfür mag auch die Einmischung der Chatten bei der Vertreibung des romfreundlichen Cheruskerkönigs<br />
Chariomerus dienen (Cass. Dio. Hist. Rom. 67, 5, 1), die zwar nicht genau zu datieren ist, aber in die Zeit der beiden<br />
domitianischen Chattenkriege fallen dürfte. Zur Datierung vgl. Christ (1983c), S. 86ff.; auf das Jahr 84 datiert die<br />
Dio-Stelle Braunert (1953), S. 100, ebenso Baatz (2002), S. 74. Strobel (1987a), S. 424, ist der Ansicht, dass man<br />
lediglich das Jahr 92 als terminus ante quem festsetzen könne.<br />
539Vgl. Eck (1985), S. 40f., der auch die für eine nähere Titulierung zu ungenauen antiken Stellen zusammengestellt<br />
hat. Wenn man davon ausgeht, dass die Provinzgründung bereits 84/85 vorgenommen wurde (vgl. Kapitel 5.6.),<br />
muss man natürlich von Saturninus richtigerweise als dem Statthalter der Provinz Germania superior sprechen.<br />
Wenn er hier lediglich als Befehlshaber der Truppen bezeichnet wird, soll dies eine – angesichts der nicht genauer zu<br />
beantwortenden Frage nach der Datierung der Provinzgründung – vorsichtigere Formulierung darstellen. Dieselben<br />
Überlegungen gelten ebenso für Lappius Maximus.<br />
540Cass. Dio Hist. Rom. 67,11,1f.; Suet. Dom. 6,2; 7,3; Epit. de Caes. 11,9f. Dieses Datum hat zuerst Ritterling (1893),<br />
S. 226, mit Verweis auf den Beginn des Bataveraufstandes vorgeschlagen (vgl. Tac. Hist. 1,55). Oft ist daraufhin<br />
eine symbolische Parallelität der zwanzig Jahre zuvor beginnenden Ereignisse strapaziert worden, vgl. z.B. Jones<br />
(1992), S. 147. Becker (1992), S. 288, Anmerkung 90, argumentiert jedoch schlüssig, dass bei den Zeitgenossen<br />
zwar die Erinnerung an die Erhebung des Vitellius wachgerufen worden wäre, Saturninus sich hingegen schwerlich<br />
auf diesen habe berufen können, da die beiden in Mainz stationierten Legionen damals auf verschiedenen Seiten<br />
gekämpft hätten. Ob die beiden in Vindonissa und Straßburg stationierten Legionen, die ebenfalls dem Kommando<br />
des Saturninus unterstanden, am Aufstand beteiligt waren, ist unsicher. Suet. Dom. 7,3 jedenfalls spricht nur von der<br />
Beteiligung zweier Legionen.<br />
541Strobel (1986a), S. 211. Becker (1992), S. 289, zieht aber ebenso einen Aufbruch erst zum 17. Januar in Erwägung<br />
und erklärt sich so die Mitteilungen der Arvalbrüder sowohl am 12. (Mobilisierung der Prätorianer) als auch am 17.<br />
Januar (Abmarsch der Truppen). Der schnelle Aufbruch Domitians hat zudem mehrfach zu der Vermutung geführt,<br />
der Kaiser habe im Vorfeld von der Erhebung gewusst und bereits Gegenmaßnahmen getroffen, vgl. Walser (1968),<br />
S. 453f. Bei Walser (1989), S. 455, findet sich auch eine, mögliche zeitgenössische Melde- und Marschwege<br />
berücksichtigende, Chronologie der Ereignisse in tabellarischer Form. Walser betont aber zugleich, dass die<br />
winterliche Witterung zu Verzögerungen geführt haben mag.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 85
Norbanus, der Statthalter Raetiens war, als auch der Befehlshaber des<br />
untergermanischen Heeres, A. Bucius Lappius Maximus, 542 verweigern ihm diese. 543<br />
Lappius Maximus zog vielmehr gegen die Aufständischen zu Felde, die Erhebung<br />
konnte niedergeschlagen werden. 544 Die Entscheidungsschlacht muss für Mitte<br />
Januar vermutet werden. 545 Domitian selbst erreichte die Nachricht vom Sieg der<br />
loyalen Truppen auf dem Marsch, dennoch wird man davon ausgehen können, dass<br />
er weiter nach Mainz gezogen ist, um persönlich die am Aufstand Beteiligten zur<br />
Rechenschaft zu ziehen. 546<br />
Interessant ist auch die Mitteilung Suetons, die Erhebung habe lediglich durch einen<br />
wundersamen Glücksfall (felicitate mira) vereitelt werden können; wegen des<br />
Tauwetters hätten germanische Truppen (copias barbarorum) gerade zum Zeitpunkt<br />
der Entscheidungsschlacht den bis dahin zugefrorenen Rhein nicht überschreiten und<br />
somit Saturninus nicht zu Seite stehen können. 547 Scheinbar hatte Saturninus bei der<br />
Suche nach Unterstützung für seinen Aufstand Verbündete in germanischen Stämmen<br />
gefunden, wenngleich hierin wohl eher eine durch Beute motivierte Verbindung<br />
gesehen werden muss als ein „offizielles Bündnisangebot eines politisch einheitlich<br />
handelnden Stamms.<strong>“</strong> 548<br />
Die Verwicklung der Chatten in den Saturninus-Aufstand und in der Folge gegen sie<br />
getroffene Vergeltungsmaßnahmen sind nicht gesichert. 549 Eine Inschrift nennt<br />
542Vgl. Eck (1985), S. 149-151.<br />
543Mart. Epigr. 9, 84,1f. Bei Epit. de Caes. 11,10 wird Norbanus mit Lappius Maximus identifiziert. Die neuzeitliche<br />
Forschung ist ihm hierin lange Zeit gefolgt, z.B. Domaszewski (1922), S. 164; Henderson (1927), S. 111, später<br />
auch noch Garzetti (1974), S. 272 und Goetz / Welwei (1995), S. 261.<br />
544Cass. Dio Hist. Rom. 67,11,1; Epit. de Caes. 11,10;<br />
545Becker (1992), S. 291, geht davon aus, dass die Schlacht vermutlich am 15. oder 16. Januar 89 an einem nicht näher<br />
zu bestimmenden Ort zwischen Mainz und Bonn stattgefunden habe.<br />
546Eine persönliche Anwesenheit des Princeps leugnet Suet. Dom. 6,2. Schumacher (1976), S. 137f., geht davon aus,<br />
dass Domitian sofort nach Erhalt der Siegesnachricht umgekehrt sei und sich zurück nach Rom begeben habe. Für<br />
einen Weiterzug Domitians sprechen sich hingegen aus: Walser (1968), S. 503f.; Strobel (1986a), S. 212. Explizit<br />
Becker (1992), S. 292: „Angesichts von Domitians Gewohnheit, sich um wichtige Angelegenheiten selbst zu<br />
kümmern, halte ich die zweite Möglichkeit [Fortsetzung des Marsches nach Obergermanien] für weitaus<br />
wahrscheinlicher. Die Schwere des Verbrechens spricht dafür, dass der Kaiser die folgende Aburteilung der<br />
Beteiligten persönlich in Mainz vornahm.<strong>“</strong> Hierfür ist weiterhin der Grabstein des kaiserlichen Vorkosters Zosimus<br />
herangezogen worden (AE 1976, 504 = Schumacher (1988), S. 209), dessen Datierung allerdings nicht eindeutig<br />
gesichert ist. Für eine Datierung ins Jahr 89, und damit für eine Anwesenheit Domitians in Mainz, spricht sich mit<br />
Nachdruck Walser (1989), S. 4452f., S. 456, aus.<br />
547Suet. Dom. 6,2.<br />
548Wolters (2008), S. 90. Vgl. hierzu auch Tac. Germ. 14,2f. Becker (1992), S. 34 Anm. 134: „Unter diesen Germanen<br />
sind wohl in erster Linie Chatten zu verstehen.<strong>“</strong><br />
549Vielfach wurden Zerstörungshorizonte in den römischen Lagern in der Wetterau als Indiz für eine chattische<br />
Beteiligung angeführt, vgl. hierzu Murison (1985), S. 37; Schönberger (1969), S. 159ff. Dem widerspricht Strobel<br />
(1986a), S. 215ff.: Es lasse sich nicht eindeutig belegen, dass die Brandspuren aus dem Jahre 89 stammen, zudem<br />
könnten sie auch von Auseinandersetzungen zwischen römischen Truppen stammen und letztlich fehlten<br />
Zerstörungsspuren „gerade dort, wo man einen chattischen Angriff auf die Wetterau und das Vorfeld von Mainz zu<br />
erwarten hätte.<strong>“</strong><br />
Domitians erster Chattenkrieg 86
Lappius Maximus confector belli Germanici, die knappen allegorischen<br />
Andeutungen in der Dichtung und die 19. imperatorische Akklamation Domitians<br />
reichen aber nicht aus, um einen zweiten Chattenkrieg zweifelsfrei zu bezeugen. 550<br />
Schlüssig scheint so ein Unterfangen allerdings schon, da ein solches Unternehmen<br />
dem Princeps die Möglichkeit eröffnet hätte, die Usurpation etwas in den<br />
Hintergrund treten zu lassen und dem Gesamtkonflikt zumindest den Anschein eines<br />
äußeren Krieges zu geben. 551 Insgesamt wird aber angesichts der kalten Jahreszeit mit<br />
größeren und raumgreifenderen Operationen ohnehin nicht zu rechnen sein: „Februar<br />
und März waren keine zur Kriegsführung besonders geeigneten Monate.<strong>“</strong> 552<br />
Der Dichter Statius jedenfalls berichtet von schonungsvollen Verträgen für die<br />
besiegten Chatten (victis parcentia foedera <strong>Chattis</strong>), welche die Milde des Kaisers<br />
gewährt habe. 553 Hieraus ist anzunehmen, dass man sich von römischer Seite damit<br />
begnügt haben wird, durch das Schließen eines foedus bzw. durch Erneuern des<br />
gebrochenen Vertrags den status quo ante bellum wiederherzustellen. 554<br />
Durch den 89 abgehaltenen Doppeltriumph über Chatten und Daker 555 fand der,<br />
wahrscheinlich auf sehr überschaubare militärische Erfolge beschränkte, sogenannte<br />
zweite Chattenkrieg im Nachhinein eine propagandistische Aufwertung; das, was im<br />
Wesentlichen ein bellum civile war, wird in ein bellum <strong>ex</strong>ternum umgedeutet worden<br />
sein. Aus dem Chattentriumph des Jahres 89 wird somit eine „kaschierte<br />
Bürgerkriegsfeier.<strong>“</strong> 556<br />
Unklarheit herrscht über die Beweggründe, die Saturninus zur Rebellion gegen den<br />
550CIL VI 1347, vgl. Becker (1992), S. 296, besonders auch Anm. 128. Die entsprechenden Stellen bei Martial (Epigr.<br />
7,7,3; 9,1,3; 9,6,1) und Statius (Silv. 1,1,51) kommentiert überzeugend und prägnant Urner (1994), S. 104f. Strobel<br />
(1986a), S. 219, hatte die 19. imperatorische Akklamation Domitians in Zusammenhang mit einem zweiten<br />
Chattenkrieg gebracht.<br />
551Nesselhauf (1960), S. 165f.<br />
552Becker (1992), S. 297; Southern (1997), S. 103: „There was probably a demonstration of strength, not strictly<br />
deserving of the label of a war.<strong>“</strong><br />
553Stat. Silvae 3, 3, 168. Urner (1994), S. 105: „Hier ist ausdrücklich von einem Sieg über die Chatten die Rede.<strong>“</strong><br />
554Becker (1992), S. 298. Becker leitet hieraus zwei Erkenntnisse ab: Einerseits, dass der pragmatische aber „wenig<br />
ruhmreiche<strong>“</strong> Abschluss eines möglichen zweiten Chattenkriegs der weiterhin unruhigen Lage an der Donau<br />
geschuldet sei und dass andererseits die erneute Auseinandersetzung mit den Chatten, gemessen an der Dringlichkeit<br />
des anderen Kriegsschauplatzes, relativ unbedeutend war.<br />
555Suet. Dom. 6,1.<br />
556Wolters (2008), S. 90. Ebenso Christ (1983c), S. 98, sehr deutlich Nesselhauf (1960), S. 166: „[...] vertuschte man<br />
die Peinlichkeit des Bürgerkriegs, indem man ihn als äußeren Krieg, in diesem Falle als Germanienkrieg,<br />
deklarierte.<strong>“</strong> Für eine Verzeichnung einer inneren Auseinandersetzung zu einem äußeren Konflikt spricht sich mit<br />
Nachdruck auch Urban (1999), S. 84, aus. Dagegen deutlich Perl (1981), S. 564: Die Stellen Suet. Dom. 6,3 und<br />
10,5 sprächen nicht nur <strong>ex</strong>plizit von einem bellum civile, sondern auch die diesbezüglichen Mitteilungen der<br />
Arvalbrüder seien nur in diese Richtung zu interpretieren. Für eine Umdeutung der Ereignisse in einen<br />
außenpolitischen Krieg spricht aber meines Erachtens bereits der bei Suet. Dom. 6,1 überlieferte Triumph: Sowohl<br />
Künzl (1988), S. 30, als auch Eder (2002), Sp. 837, betonen, dass bei Siegen in Bürgerkriegen kein Triumph<br />
vergeben wurde.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 87
Princeps verleitet haben mögen, gerade weil die antiken Quellen diesbezüglich keine<br />
wirklich verwertbaren Anhaltspunkte geben. Martial unterstellt Saturninus reine<br />
Hybris als Motiv, wenn er höhnt, der Legat habe sich aufgrund seines nomen gentile,<br />
das er mit Marcus Antonius gemeinsam gehabt habe, zu Höherem berufen gefühlt als<br />
ihm nach seiner tatsächlichen sozialen Position zugestanden habe. 557 Der Epitomator<br />
de Caesaribus sieht hingegen die Ursache für den Aufstand im Fehlverhalten des<br />
Kaisers begründet: Dessen generelle Grausamkeit und eine persönliche Beleidigung<br />
von Seiten Domitians gegenüber Saturninus – möglicherweise auch in Hinblick auf<br />
tatsächliche oder unterstellte homos<strong>ex</strong>uelle Neigungen des Letzteren – hätten die<br />
Revolte begründet. 558 In der modernen Forschung stehen sich bei der Beurteilung<br />
dieser Frage im Wesentlichen zwei Theorien gegenüber: Die eine Seite vertritt die<br />
Ansicht, Saturninus selbst sei das treibende Element gewesen, das den Putsch gegen<br />
den Princeps angestrengt habe, 559 die andere Seite geht davon aus, dass es sich um<br />
eine Militärrevolte gehandelt habe, wobei Saturninus als Heerführer des<br />
obergermanischen Heeres von seinen Soldaten zur Usurpation gedrängt worden<br />
sei. 560<br />
Angesichts von gewaltsamen Aktionen der Häscher Domitians, die sich in den<br />
Folgejahren auch gegen Mitglieder des Senats richteten, ist zudem vielfach davon<br />
ausgegangen worden, dass der Aufstand des Saturninus von senatorischen Kreisen<br />
557Mart. Epigr. 4,11,1f. Vgl. auch Urner (1994), S. 103.<br />
558Epit. de Caes. 11,9. Einen Hinweis auf mögliche homos<strong>ex</strong>uelle Neigungen des Saturninus liefert uns Cass. Dio Hist.<br />
Rom. 67, 11, 4. Vgl. hierzu auch Urner (1994), S. 114.<br />
559Strobel (1986a), S. 205f; Murison (1985), S. 46ff; Nesselhauf (1960), S. 163: Gegen eine vom Heer ausgehende<br />
Initiative zum Aufstand, und damit für einen von Saturninus selbst initiierten Putsch, wird als Argument immer<br />
wieder angeführt, dass Domitian nach der Solderhöhung im Rahmen des ersten Chattenkrieges gerade bei den<br />
Soldaten sehr beliebt gewesen sein müsse, was durch die Nachricht bei Suet. Dom. 23,1 gestützt werden mag. Auch<br />
Sueton selbst unterstützt im Grunde diese Position, wenn er (Dom. 7,3) schreibt, dass Saturninus seine<br />
Siegeshoffnungen auf die große Menge des in der Legionskasse hinterlegten Geldes begründet habe.<br />
560Walser (1968), S. 499f.; Jones (B. 1974), S. 535; Flaig (1992), S. 445-449. Alle diese Positionen sehen sich<br />
natürlich mit dem Zwang konfrontiert, eine ganz massive Unzufriedenheit der beiden Mainzer Legionen<br />
nachzuweisen. Hier ist vielfach die Vermutung geäußert worden, dass die Truppen und ihre Führung mit der, im<br />
Kern defensiven, auf Bewahrung des Erreichten ausgerichteten Germanienpolitik Domitians unzufrieden gewesen<br />
wären. Walser (1968), S. 499f., sieht die Ursache der Erhebung in der „weichen Politik am Rhein<strong>“</strong>, d.h. dem<br />
Verzicht auf Großoffensiven gegen die Chatten; ob die Erhebung von Seiten der Truppen oder der Führung<br />
ausgegangen sei, sei allerdings nicht zu klären. Jones (1992), S. 144, führt zu dieser Frage an, dass den Soldaten erst<br />
fünf Jahre zuvor der Sold erhöht worden und ihre Veteranenprivilegien bestätigt worden seien. Zudem seien es nach<br />
Suet. Dom. 23,1 eben die einfachen Soldaten gewesen, die nach der Ermordung Domitians für dessen<br />
Vergöttlichung eingetreten seien. Daraus schließt er: „[...] they should have had little cause for dissatisfaction. [...]<br />
Pressure for revolt may have come from above [Offiziere] rather than from below.<strong>“</strong> Southern (1997), S. 105,<br />
hingegen zieht massive Unzufriedenheit der Soldaten angesichts von Gerüchten über eine erneute Verlegung der<br />
Legio XXI Rapax in Erwägung, welche den Soldaten die aus Handelskontakten mit der einheimischen Bevölkerung<br />
resultierenden Profite nehmen würde: „XII Rapax may have seen its potential profit margins rapidly diminishing,<br />
and their grievances, fortified by an alcoholic Saturnalia, may then have grown into rebellion.<strong>“</strong><br />
Domitians erster Chattenkrieg 88
gedeckt wurde. 561 Mit Hinblick auf die nicht herausragende soziale Position des<br />
Saturninus aber wird von der neueren Forschung eher von einer militärischen<br />
Einzelaktion eines unzufriedenen, möglicherweise persönlich gekränkten,<br />
Heerführers als von einer weitreichenden Verschwörung ausgegangen. 562<br />
Unterschiedlich fällt in der antiken Literatur auch die Bewertung der Gründe für das<br />
Scheitern des Aufstandes aus: Während Martial die Loyalität des rätischen<br />
Statthalters Norbanus lobt (sancta fides), 563 sieht der jüngere Plinius<br />
selbstverständlich in dem eilends aus der Provinz Hispania Tarraconensis<br />
heranbeorderten Trajan, zu diesem Zeitpunkt Befehlshaber der legio VII Gemina, die<br />
stärkste Stütze Domitians (validissimum praesidium) bei der Niederwerfung des<br />
Saturninus-Aufstandes. 564 Die historische Realität der Ereignisse jedoch muss Plinius'<br />
Äußerung als im Nachhinein angebrachte Schmeichelei enttarnen: Trajan erreichte<br />
Mainz erst nach der Niederwerfung des Aufstandes. 565 Nicht ganz ungerechtfertigt ist<br />
hingegen Martials Einschätzung, hätten doch Norbanus' bis zu zehntausend Mann<br />
starke Auxiliartruppen „das Kräfteverhältnis schon erheblich verändern können.<strong>“</strong> 566<br />
Insgesamt darf man aber „eher konkurrierende Faktionen vermuten, an deren<br />
Gegensatz die Erhebung scheiterte.<strong>“</strong> 567<br />
Über die Folgen des Saturninus-Aufstandes berichtet nur Sueton. Domitian habe<br />
nach der Niederschlagung der Revolte angeordnet, dass von nun an nicht mehr zwei<br />
Legionen in einem Lager untergebracht sein dürften; zudem erfolgte eine<br />
Beschränkung der Lagerkasse auf nicht mehr als tausend Sesterzen pro Soldat, um<br />
ähnlichen Bestrebungen in Zukunft die finanzielle Grundlage zu entziehen. 568 Auch<br />
in Hinblick auf Domitians Charakter sieht Sueton im Aufstand des Jahres 89 eine<br />
entscheidende Zäsur. So sei der Kaiser nach dem Sieg im Bürgerkrieg beträchtlich<br />
grausamer geworden (post civilis belli victoriam saevior) und habe neue<br />
Foltermethoden angewandt, um verborgene Mitwisser zu enttarnen (latentis conscios<br />
561So Ritterling (1883), S. 229; Weynand (1909), Sp. 2567f.; Walser (1968), S. 498: „Hinter Saturninus stand eine<br />
größere Verschwörung aus Kreisen des Senats und der Generalität.<strong>“</strong> Syme (1983), S. 122, weist jedoch daraufhin,<br />
dass zumindest direkt nach dem Aufstand in der Hauptstadt selbst keine Verurteilungen stattgefunden haben.<br />
562Nesselhauf (1960), S. 165; Strobel (1986a), S. 204f.; Jones (1974), S. 147: „This was a military revolt, nothing<br />
more.<strong>“</strong>; Becker (1992), S. 293ff.; Southern (1997), S. 103.<br />
563Mart. Epigr. 9, 84, 1f. Vgl. auch Urner (1994), S. 103.<br />
564Plin. Paneg. 14,5. Vgl. auch Urner (1994), S. 105f.<br />
565Walser (1989), S. 455, setzt die Ankunft Trajans für Ende Februar an, er hat Mainz damit erst nach Domitian<br />
erreicht.<br />
566Urner (1994), S. 104.<br />
567Timpe (2008), S. 191.<br />
568Suet. Dom. 7,3.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 89
investigat, novo quaestionis genere). 569<br />
Als weitere Maßnahmen wurden die loyalen Legionen und Auxilien mit dem<br />
Ehrentitel pia fidelis Domitiana ausgezeichnet und Lappius Maximus nach dem<br />
erfolgreichen Abschluss der Straf<strong>ex</strong>pedition gegen die Chatten zum Statthalter der<br />
ranghöheren Provinz Syria befördert, Norbanus wurde möglicherweise zum<br />
Statthalter von Ägypten berufen, bevor er Prätorianerpräfekt wurde. 570<br />
569Suet. Dom. 10,5. Cass. Dio Hist. Rom. 67,11,1f. behauptet, der Umstand, dass Saturninus' sämtliche Korrespondenz<br />
verbrannt worden war, bevor sie dem Princeps in die Hände fallen konnte, habe Domitian einen passenden Vorwand<br />
für eine Reihe von Mordtaten geliefert. Während Sueton also mit der Anwendung der Folter zum Aufspüren von<br />
Mitverschworenen und Hintermännern eine gewisse Zweckrationalität der sich steigernden Grausamkeit Domitians<br />
liefert, verschweigt dies Cassius Dio ebenso wie Epit. de Caes. 11,10. Beide stellen so Domitians Vorgehen als<br />
willkürliche Gewaltakte dar, vgl. hierzu auch Urner (1994), S. 117. In der modernen Forschung finden die strengen<br />
Maßnahmen Domitians gegen die Verschwörer durchweg Verständnis: Gsell (1894), S. 260f.; Waters (1964), S. 73;<br />
Grant (1987), S. 303f.; Southern (1997), S. 103. Das Motiv der Rache und die Aburteilung der Mitverschwörer als<br />
Vorwand für die willkürliche Beseitigung unliebsamer Personen betonen hingegen die älteren Positionen Kraus<br />
(1876), S. 24 und Henderson (1927), S. 112f. Bei Suetons Einschätzung des Saturninus-Aufstandes als Wendepunkt<br />
in Domitians Charakter sind ihm einige neuzeitliche Autoren gefolgt: Pichlmayr (1889), S. 41; Bengtson (1979), S.<br />
208; Grant (1987), S. 307; Pfeiffer (2009), S. 74.<br />
570Southern (1997), S. 103; Griffith (2000), S. 66. Zu Lappius Maximus vgl. Eck (1985), S. 149f. Becker (1992), S.<br />
291, sieht in der Tatsache, dass die beiden anderen obergermanischen Legionen diesen Titel nicht erhielten, ein<br />
abwartendes und damit in den Augen des Princeps kompromittierendes Verhalten begründet. Interessant ist<br />
weiterhin die Frage, warum Saturninus nach der Herrschaftszeit Domitians nicht (literarisch) rehabilitiert wurde,<br />
musste er doch von den Gegnern des verblichenen Princeps als einer der Ihren gesehen werden. Nesselhauf (1960),<br />
S. 165, hat hier als Grund die Rolle des späteren Princeps Trajans im Saturninus-Aufstand vermutet, der eilfertig für<br />
Domitian Stellung bezogen hatte.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 90
8. Die Einordnung der domitianischen Germanienpolitik<br />
Ob man nun einen von Anfang an bestehenden Plan zur umfassenden Eroberung<br />
unterstellen mag oder nicht, die militärischen Aktivitäten der augusteischen Zeit<br />
brachten Germanien unmissverständlich in den Blick des Imperiums: Der Alpenraum<br />
war erobert worden und Drusus waren zwischenzeitlich Vorstöße über die Nordsee,<br />
die Täler von Lippe und Main gelungen, man erreichte gar die Weser und Elbe.<br />
Umso überraschender scheint es, dass es trotz enormer militärischer Anstrengungen<br />
während der Herrschaftszeit des Augustus nicht zu einer dauerhaften direkten<br />
Herrschaft der Römer über Germanien gekommen war. 571<br />
Die Germanienpolitik des ersten römischen Princeps endete vielmehr „in einer<br />
Aporie<strong>“</strong>: Die massive Konzentration von Truppen in den germanischen <strong>ex</strong>ercitus<br />
symbolisierte einerseits ein „Festhalten an offensiven Einwirkungsmöglichkeiten in<br />
den rechtsrheinischen Raum<strong>“</strong>; demgegenüber stand andererseits die Erkenntnis, dass<br />
eine Realisierung dieses Anspruches zu diesem Zeitpunkt nur unter zu hohen Kosten<br />
hätte möglich sein können. 572 Augustus vererbte gewissermaßen das Problem seinen<br />
Nachfolgern, die hier jeder für sich eine Antwort zu finden hatten: „Denn zumindest<br />
die entscheidenden Fragen der Außen- und Militärpolitik waren auf die neue Figur<br />
des Princeps übergegangen und an den diesbezüglichen Erwartungen musste sich<br />
jeder von ihnen messen lassen.<strong>“</strong> 573 Tiberius hatte mit der Abberufung des Germanicus<br />
im Jahre 16 nach Christus die römische Beharrung auf der Rheinlinie als offizielle<br />
Strategie ausgegeben, was in langfristiger Perspektive ein entscheidender Einschnitt<br />
der römischen Germanienpolitik werden sollte. 574 Der römische Anspruch auf<br />
Germanien wurde hierdurch aber „nur vertagt, nicht preisgegeben. Die folgenden<br />
Regierungen hüteten sich, die heikle Frage anzurühren und diese die römische<br />
Außenpolitik belastende Hypothek einzulösen, sie scheuten sich aber auch, sie zu<br />
annullieren.<strong>“</strong> 575<br />
In der Folgezeit setzten die einzelnen Herrscher jeweils persönliche Akzente in der<br />
571Recht aktuelle Zusammenfassungen und Beurteilungen der Forschungsdiskussion bieten Deininger (2000) und<br />
Kehne (2002).<br />
572Ungern-Sternberg (1989), S. 165.<br />
573Wolters (2008), S 77.<br />
574Deininger (2000), S. 750, vgl. auch Lehmann (1989).<br />
575Nesselhauf (1952), S. 236. Für eine Aufrechterhaltung des römischen Anspruches auf Germanien nach dem Verzicht<br />
des Tiberius spricht sich besonders auch Wendt (B. 1960) aus.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 91
Germanienpolitik, eine „übergeordnete, sachlich begründete und langfristig<br />
durchgehaltene germanienpolitische Linie<strong>“</strong> gab es hingegen nicht. 576 Der unter<br />
Caligula, dem Sohn des Germanicus, im Jahre 39 begonnene Feldzug in Germanien,<br />
erscheint durch die verzerrte Überlieferung aber lediglich als eine durch die<br />
irrationalen Launen eines Verrückten motivierte Posse, die sich später für den<br />
Triumph gekaufter und verkleideter Gefangener habe bedienen müssen. 577 Laut<br />
Tacitus hätten diese mit ungeheuren Drohungen verbundenen Unternehmungen ein<br />
lächerliches Ende gefunden (mox ingentes Gai Caesaris minae in ludibrium<br />
versae). 578<br />
Die zwar besonnene, aber im „Grundtenor reagierend angelegte Germanienpolitik<strong>“</strong><br />
des Claudius setzte auch Nero fort, der aber an militärischen Aktivitäten in<br />
Germanien weniger interessiert schien. 579 Trotz gelegentlicher und begrenzter<br />
kriegerischer Aktivitäten im rechtsrheinischen Gebiet war dieses zu einem<br />
hauptsächlich diplomatisch kontrollierten Vorfeld des direkten römischen<br />
Herrschaftsbereiches in Germanien geworden. 580 Seit Tiberius hatte kein Princeps<br />
mehr versucht, „die etablierte Flußgrenze entscheidend zu verändern<strong>“</strong>, wenn auch<br />
der Fortbestand der beiden germanischen <strong>ex</strong>ercitus „grundsätzlich Offenheit für<br />
Änderungen<strong>“</strong> anzeigte. 581 Ungeachtet der faktischen Politik dieser Jahrzehnte<br />
bestanden in der römischen Öffentlichkeit aber „immer noch erhebliche<br />
Erwartungen<strong>“</strong> in Bezug auf die Lösung der germanischen Frage. 582<br />
Nachdem die Erhebung des Vitellius und der Bataveraufstand den beinahe<br />
576Timpe (2008), S. 179; Ungern-Sternberg (1985), S. 164.<br />
577Suet. Cal. 19,2; 43-47; 51,2 stellen die Handlungen Caligulas als militärisch vollkommen sinnlos hin; vgl. aber auch<br />
Suet. Galba 6,2f., wo dieselben Ereignisse wenigstens teilweise als nachvollziehbare Manöverübungen dargestellt<br />
werden. Insgesamt sind die Unternehmungen Caligulas in Germanien eng mit zwei anderen Themenkompl<strong>ex</strong>en<br />
verwoben: Der Verschwörung des Lepidus (vgl. hierzu Suet. Cal. 24,3; 29,1; Cass. Dio Hist. Rom. 59,22, 6-9; Oros.<br />
Hist. adv. Pag. 7,5,9) und die Hinrichtung des obergermanischen Legaten Cornelius Lentulus Gaetulicus (vgl. Suet.<br />
Claud. 9,1). Vgl. ausführlicher bei Becker (1992), S. 224ff.<br />
578Tac. Germ. 37. Nach der Ermordung Caligulas sind die von ihm begonnenen Aktionen in Germanien noch durch<br />
Galba und Gabinius Secundus weitergeführt und beendet worden, vgl. Cass. Dio Hist. Rom. 60,8,7; Tac. Hist.<br />
1,49,4; Suet. Galba 8,1; Suet. Claud. 24,3.<br />
579Wolters (1989), S. 53. Zu archäologischen Nachweisen der claudisch-neronischen Aktivitäten im Oberrheingebiet,<br />
die für eine begrenzte Ausdehnung des römischen Vorfeldes bereits in den 40er Jahren sprechen mögen, vgl.<br />
Whittaker (2000), S. 302. Becker (1992), S. 235, verweist darauf, dass sich für Claudius wegen der Operationen in<br />
Britannien wohl keine Alternative zu einem Verzicht auf größere militärische Operationen in Germanien gestellt<br />
habe.<br />
580Gehrke (2006), S. 369, geht davon aus, dass die Ereignisse im Germanien jenseits der römischen Heeresbezirke<br />
genau beobachtet und durch „Bündnisverträge und Subsidien<strong>“</strong> im römischen Sinne beeinflusst wurden.<br />
581Eck (2004a), S. 214.<br />
582Baatz (2000), S. 63.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 92
vollständigen Zusammenbruch der römischen Positionen am Rhein gebracht hatten,<br />
überschritten unter den drei flavischen Kaisern die Römer nach Jahrzehnten der<br />
Beharrung auf der Rheinlinie wieder den Strom. Vespasian konnte, wohl<br />
hauptsächlich durch die fleißige Poinierarbeit seiner Legionäre, die wahrscheinlich<br />
nur dünn besiedelten Gebiete an Neckar und Donau ohne größere militärische<br />
Auseinandersetzungen unter direkte römische Kontrolle bringen und auch begrenzten<br />
Einfluss auf die Wetterau geltend machen. All dies trägt die Züge einer Politik der<br />
begrenzten Expansion und Arrondierung, die aber nicht bereit war ein größeres<br />
Risiko einzugehen. 583 Am Mittelrhein jedoch lagen die Verhältnisse anders; die<br />
Chatten, die in den letzten Jahrzehnten die Cherusker als führenden Germanenstamm<br />
abgelöst hatten und ihre Romfeindlichkeit bereits mehrfach unter Beweis gestellt<br />
hatten, fühlten sich möglicherweise durch das Vordringen der Römer in der Wetterau<br />
unter Vespasian bedroht, es scheint zumindest nicht zu unwahrscheinlich, dass sie<br />
eine feindliche Haltung eingenommen haben werden. 584 Domitian nutzte die sich hier<br />
beinahe aufdrängende Möglichkeit einer außenpolitischen Bedrohung, um den lange<br />
ersehnten Nachweis seiner militärischen Führungsqualitäten zu erbringen und<br />
reagierte mit seinem gut vorbereiten und militärisch konzentrierten Feldzug.<br />
Domitian führte damit aber nicht nur die von seinem Vater begonnenen Aktivitäten in<br />
Germanien logisch und konsequent fort. 585 Mit seinem dezidiert offensiven<br />
militärischen Vorgehen geht er noch den entscheidenden Schritt weiter, drängte er<br />
doch den letzten ernsthaften Gegner von den römischen Positionen in der Wetterau<br />
ab. 586 Vespasians Sicherungs- und Arrondierungsmaßnahmen im Südwesten der<br />
heutigen Bundesrepublik sind zwar als erfolgreich anzusehen, hatten sich aber des<br />
außenpolitischen Kernproblems, d.h. der Frage, wie der römischen Anspruch auf die<br />
direkte Herrschaft über Germanien verwirklicht werden könnte, ebenso wenig<br />
angenommen wie die Maßnahmen seiner Vorgänger. 587 Mit der auf tatsächlich nur<br />
recht geringem territorialen Zugewinn begründeten Überführung der seit Augustus<br />
bestehenden provisorischen Ordnung in Germanien in die zeitgemäße Form der<br />
583Vgl. Kapitel 4.<br />
584Vgl. Front. Strat. 1,1,8.<br />
585Becker (1992), S. 264: „Der Chattenkrieg Domitians baut somit zwar auf dem unter seinem Vater erreichten<br />
Zustand auf, die Ansicht, daß der Sohn lediglich die schon angelegten Pläne des Vaters durchgeführt habe, wird<br />
dadurch nicht gerechtfertigt.<strong>“</strong><br />
586Ebd., S. 303f. Rüger (2000), S. 496, hatte hingegen lediglich die Kontinuität der vespasianischen Politik betont.<br />
587So hatte Nesselhauf (1960), S. 161, hervorgehoben, dass es Vespasian in der zweiten Hälfte seiner Herrschaft<br />
„weder an Zeit noch an Kräften<strong>“</strong> gemangelt hätte, um selbst militärisch gegen die Chatten vorzugehen.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 93
Provinz hat Domitian hingegen eine eigene, für seine Zwecke rationale Antwort auf<br />
diese Frage gefunden, die man als „nach Anspruch und Situation jedenfalls wohl<br />
genuin domitianisch<strong>“</strong> anzusehen hat: 588 „Das seit einem Jahrhundert der Lösung<br />
harrende Germanienproblem, an dem sich selbst der große Augustus erfolglos<br />
versucht hatte, war damit endgültig bereinigt.<strong>“</strong> 589<br />
Die in Anbetracht auf das enorme Truppenaufgebot verschiedentlich geäußerte<br />
Ansicht, Domitian habe zu Beginn des Feldzuges eine weitgesteckte bis überspannte<br />
Eroberungspolitik bis tief nach Germanien vor Augen gehabt und habe diese<br />
notgedrungen in dem Moment aufgeben müssen, als die Lage an der Donau brenzlig<br />
wurde, scheint nach heute herrschender Meinung nicht haltbar. 590 Für seine<br />
Germanienpolitik wird ihm vielmehr ein „festes strategisches Konzept<strong>“</strong> 591 und<br />
insgesamt „ein nüchternes politisches und strategisches Kalkül und eine gewisse<br />
Zurückhaltung<strong>“</strong> attestiert. 592 Die Art und Weise der Vorbereitung und Durchführung<br />
der militärischen Operationen, die Sicherung der Grenze und die Reorganisation der<br />
beiden germanischen <strong>ex</strong>ercitus „can all be seen as related developments, clearly<br />
indicating that Domitian knew what he was doing.<strong>“</strong> 593<br />
Wenn man ferner das weitere Vorgehen seiner Nachfolger Nerva, Trajan und Hadrian<br />
in der Region in die Überlegungen miteinbezieht, muss man konstatieren, dass die<br />
unter Domitian begonnenen Entwicklungen „einen definitiven Wendepunkt in der<br />
römischen Germanienpolitik<strong>“</strong> darstellten, sollten doch seine Nachfolger an der unter<br />
Domitian eingeschlagenen außenpolitischen Linie in Germanien festhalten. 594<br />
588Strobel (1987a), S. 430, mit Anm. 49. Aufgrund der schweren historischen Belastung des Begriffes sollte auch ein<br />
Althistoriker mit dem Wort „Endlösung<strong>“</strong> etwas behutsamer umgehen als Strobel es an dieser Stelle tut.<br />
589Nesselhauf (1952), S. 237; Eck (2004a), S. 214. Selbstverständlich ist anzuerkennen, dass in rein territorialer<br />
Hinsicht die domitianische Lösung „den eigentlichen Verzicht auf die Germania Magna hinter dem durchsichtigen<br />
[...] Anspruch, dass Gegenteil bewirkt zu haben<strong>“</strong> bedeutete, wie es Timpe (1998), S. 230, formulierte. Wenn man<br />
den Erfolg des Chattenkrieges aber allein an diesen recht schmalen Zugewinnen bemisst, wird man dessen<br />
Tragweite nicht gerecht und so muss auch Timpe zugeben, dass die domitianische Lösung dauerhaften, d.h. im<br />
Endeffekt überaus erfolgreichen Charakter hatte.<br />
590Angenommen hatte dies u.a. Schönberger (1969), S. 158. Anklänge dieser Vorstellung finden sich auch noch bei<br />
Bengtson (1979), S. 199; Rüger (2000), S. 498. Dagegen Strobel (1987a), S. 429; Klee (2006), S. 43. Ungern-<br />
Sternberg (1989), S. 165: „muss offen bleiben.<strong>“</strong> Timpe (1998), S. 229, zieht zumindest beide Möglichkeiten in<br />
Erwägung.<br />
591Bellen (1998), S. 105.<br />
592Strobel (1987a), S. 429 mit Anm. 40; ebenso Southern (1997), S. 85.<br />
593Southern (1997), S. 83.<br />
594Becker (1992), S. 303; Nesselhauf (1952), S. 242.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 94
595Pfeiffer (2009), S. 91.<br />
9. Schlussbetrachtung<br />
Es scheint an der Zeit, die oben angestellten Überlegungen in der gebotenen Kürze<br />
zusammenzufassen. In Übereinstimmung mit der aktuellen Forschungslage lässt sich<br />
mit großer Wahrscheinlichkeit folgendes Szenario für den Ablauf des domitianischen<br />
Chattenkrieges annehmen: Intensive Vorbereitungen und Planungen der Römer<br />
fanden im Jahre 82 statt, im Frühjahr 83 sammelte Domitian dann seine Truppen<br />
unter einem Vorwand in Mainz und führte von dort einen schnellen militärischen<br />
Schlag gegen die Chatten aus. Nach schnell errungenen Anfangserfolgen zogen sich<br />
die Kampfhandlungen wegen des Widerstands des Gegners und der für die Römer<br />
ungünstigen Topographie allerdings hin, was die römischen Legionen zu der oben<br />
beschriebenen Veränderung ihrer Kampfweise zwang. Der bei Frontin angedeutete<br />
Kriegsverlauf war durchaus nicht geeignet, um durch eine große<br />
Entscheidungsschlacht einen glänzenden Sieg zu erringen, zähe Pionierarbeit trat an<br />
die Stelle glorreicher Schlachten. Das bis zum Spätsommer 83 Erreichte genügte<br />
Domitian aber, er kehrte nach Rom zurück, feierte seinen Triumph und ließ sich ein<br />
ganzes Bündel an persönlichen Ehrungen gewähren, während sich die<br />
Kampfhandlungen in Germanien noch bis zum Herbst 84 oder Frühjahr 85 hinzogen.<br />
Insbesondere die nun einsetzende Münzpropaganda Domitians auf den<br />
Germanensieg lässt vermuten, dass die Umwandlung der germanischen <strong>ex</strong>ercitus in<br />
Provinzen eher recht zeitnah zum Abschluss der Kämpfe erfolgt sein wird als zum<br />
späteren Termin 89. Diese Münzprägungen sprechen eine eindeutige Sprache und<br />
weisen auf die immense Bedeutung des militärischen Erfolges für die<br />
Herrschaftslegitimation Domitians hin: „Was der Sieg über Judäa für Vespasian und<br />
Titus bedeutete, war der Sieg über den stärksten und bedeutendsten Germanenstamm<br />
an der Rheingrenze.” 595<br />
Damit wäre die Motivation Domitians für seinen Feldzug angesprochen. Hier darf<br />
man sowohl innenpolitisches Kalkül als auch ernsthafte außenpolitische Gründe<br />
annehmen. So reagierte Domitian mit seinem Krieg gegen die Chatten keineswegs<br />
auf eine spontane Bedrohung, sondern zielte mit Blick auf eine langfristige<br />
Sicherung der Rheingrenze darauf ab, den größten potentiellen Unruhestifter von der<br />
unmittelbaren Interessensphäre der Römer abzudrängen. Allzu verständlich und von<br />
Domitians erster Chattenkrieg 95
596Christ (1995), S. 283.<br />
597Urner (1994), S. 321.<br />
sorgfältiger Überlegung zeugend, ist zudem das Streben des Kaisers, gegen diesen<br />
Gegner mit einem schnellen Erfolg den noch ausstehenden Beweis seiner virtus<br />
imperatoria zu erbringen und diese durch seine Propaganda in massivster Form zu<br />
verkünden. Mit der Gründung der beiden germanischen Provinzen hat Domitian eine<br />
ganz eigene Lösung gefunden, die sowohl sinnvoll als auch zeitgerecht war: Ließ<br />
sich doch hierdurch über die tatsächlich nur geringen Gebietsgewinne<br />
hinwegtäuschen und das von Augustus als unliebsames Erbe hinterlassene Problem<br />
der offenen Germanienfrage als endgültig erledigt erklären.<br />
Nach dem gewaltsamen Ableben des letzten Flaviers kam es zur Abrechnung von<br />
Seiten der domitianfeindlichen, senatorisch dominierten Historiographie. Wenn auch<br />
das Fehlen eines großen Schlachtensieges und die verfrühte und über alle Maßen<br />
pompös inszenierte Siegespropaganda Domitians die Polemik seiner Gegner<br />
verständlicher machen mögen, darf bei dieser nicht übersehen werden, dass die<br />
Autoren mit jeweils unterschiedlichen, persönlich eingefärbten Motiven<br />
unzweifelhaft das Ziel verfolgt hatten, mit dem verhassten Autokraten abzurechnen.<br />
Für das Domitianbild insgesamt sollte diese Rufmordkampagne eine verheerende<br />
und langanhaltende Nachwirkung haben:<br />
„Es gibt wenige römische principes, deren historisches Bild trotz unbestreitbarer positiver<br />
politischer Ansätze [...] so verdüstert wurde wie dasjenige Domitians. Dazu haben zunächst<br />
die senatorischen Geschichtsschreiber ebenso beigetragen, wie die frühchristlichen<br />
Autoren.” 596<br />
Dieses antike Domitianbild wurde lange Zeit auch ungeprüft von der modernen<br />
Forschung übernommen. Erst die um Rehabilitation und Verständnis des letzten<br />
Flaviers bemühten Positionen seit den 1960er Jahren haben sich intensiv darum<br />
bemüht, mit der nötigen Skepsis gegenüber der senatorischen Tradition die<br />
überlieferten Fakten genauer zu hinterfragen, so dass Urner im Jahre 1994 nicht ganz<br />
ohne Genugtuung Folgendes feststellen konnte:<br />
„Das Domitianbild unterliegt einem Wandel. Aus dem grausamen, habgierigen Tyrannen,<br />
dem haltlosen Lüstling und feigen Versager im Kriege wurde inzwischen ein strenger,<br />
konsequenter, […], umsichtiger Staatsmann […] und fähiger Feldherr mit Augenmaß für<br />
Realitäten.” 597<br />
Domitians erster Chattenkrieg 96
598Becker (1992), S. 303.<br />
599Bengtson (1979), S. 199.<br />
Letztlich konnte sich also die „Germania Capta Domitians [...] gegenüber dem<br />
falsus triumphus des Tacitus<strong>“</strong> durchsetzen. 598 Wenn es dabei einerseits falsch wäre,<br />
den faktischen Verzicht auf die Eroberung ganz Germaniens und die – am militärisch<br />
tatsächlich Erreichten gemessen – übertriebene Propaganda unter den Tisch zu<br />
kehren, so wäre es ebenso falsch, den Erfolg Domitians ausschließlich an den relativ<br />
geringen Geländegewinnen zu messen. Vielmehr muss der langfristige Bestand der<br />
domitianischen Lösung anerkannt werden: Gelang es ihm doch insgesamt die<br />
römische Position in der Region zu sichern, die – der Saturninus-Aufstand sollte nur<br />
eine Episode bilden – bis zum Fall des Limes im 3. Jahrhundert nicht mehr ernsthaft<br />
in Frage gestellt werden sollte. Somit hatte der Feldzug auch in außenpolitisch-<br />
militärischer Hinsicht sein Ziel erreicht. Weiterhin war es die erfolgreiche<br />
Konsolidierung der römischen Stellung in Germanien, die eine Verringerung der<br />
Truppen am Rhein und eine militärische Schwerpunktverlagerung an die untere<br />
Donau erst ermöglichte. Durch die Anlage der frühen Limesanlagen im neu<br />
gewonnenen Gebiet hat Domitian in Germanien „ein Zeitalter der<br />
Befestigungspolitik eingeleitet<strong>“</strong> und somit die Grundausrichtung für das weitere<br />
Vorgehen am Rhein vorgegeben, das von seinen Nachfolgern Trajan und Hadrian<br />
recht konsequent weitergeführt und zum Abschluss gebracht werden sollte: 599<br />
Während ihrer Herrschaftszeit wurden die, in domitianischer Zeit angelegten, frühen<br />
Grenzsicherungsanlagen im heutigen Südhessen systematisch ausgebaut und letztlich<br />
in jenes, sich über drei Kontinente erstreckende, Grenzbefestigungssystem integriert,<br />
das dem heutigen Betrachter als der „römische Limes<strong>“</strong> bekannt ist und im Sommer<br />
2005 von der UNESCO zum transnationalen Weltkulturerbe erhoben wurde.<br />
Domitians erster Chattenkrieg 97
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Domitians erster Chattenkrieg 98
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Domitians erster Chattenkrieg 110
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Pichlmayr (1889) = Pichlmayr, Franz, T. Flavius Domitianus. Ein Beitrag zur römischen<br />
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Weinreich (1928) = Weinreich, Otto, Studien zu Martial. Literaturhistorische und<br />
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Wendt (B. 1960) = Wendt, Bernd Jürgen, Roms Anspruch auf Germanien, Untersuchungen zur<br />
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Whittaker (2000) = Whittaker, C.R., Frontiers, in: Bowman, Alan K.; Garnsey, Peter; Dominic<br />
Rathbone (Hrsg.), Cambridge Ancient History, Second Edition, Bd. 11: The High Empire AD<br />
Domitians erster Chattenkrieg 116
70-192, Cambridge: Cambridge University Press 2000, S. 293-319.<br />
Winterling (2003) = Winterling, Aloys, Caligula. Eine Biographie, 2. Auflage, München: Beck,<br />
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Wirth (1985) = Wirth, Gerhard, Einleitung zu: Cassius Dio, Römische Geschichte, Band 1:<br />
Fragmente der Bücher 1-35. Herausgegeben und übersetzt von O.Veh, Zürich und München:<br />
Artemis, 1985, S. 1-60.<br />
Witschel (1997) = Witschel, Christian, Domitian 81-96, in: Clauss, Manfred, Die römischen<br />
Kaiser, München: Beck, 1997.<br />
Witzmann (1999) = Witzmann, Peter, Zum Herrscherbild in der Spätantike. Aurelius Victor und<br />
Orosius, Diss., Berlin, 1999.<br />
Wolters (1989) = Wolters, Reinhard, „Tam diu Germania vincitur<strong>“</strong>. Römische Germanensiege<br />
und Germanensieg-Propaganda bis zum Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus (Kleine Hefte<br />
der Münzsammlung an der Ruhr-Universität Bochum), Bochum: Studienverlag Bockmeyer,<br />
1989.<br />
Wolters (2000) = derselbe, Die Römer in Germanien, München: Beck, 2000.<br />
Wolters (2008) = derselbe, Die Chatten zwischen Rom und den germanischen Stämmen. Von<br />
Varus bis Domitianus, in: Schneider, Helmuth (Hrsg.), Feindliche Nachbarn. Rom und die<br />
Germanen, Köln [u.a]: Böhlau, 2008, S. 77-98.<br />
Wotke (1939) = Wotke, Friedrich, s.v. Orosius, Paulys Realenzyklopädie der klassischen<br />
Altertumswissenschaft, Reihe 1, Halbband 35, Stuttgart: Metzler, 1939, Sp. 1185-1195.<br />
Zimmermann (1992) = Zimmermann, Bernhard, Zur Authentizität des ,,Clemensfeldzuges",<br />
Jahresberichte aus Augst und Kaiseraugst 13 (1992), S. 289-303.<br />
Zwanziger (1885) = Zwanziger, Karl Herrmann, Der Chattenkrieg des Kaisers Domitian,<br />
Programm der Königlichen Studienanstalt Würzburg 1884/85, Würzburg 1885.<br />
,,Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst habe und keine<br />
anderen als die angegeben Hilfsmittel benutzt habe."<br />
Domitians erster Chattenkrieg 117
Göttingen, den 23.04.2010<br />
Domitians erster Chattenkrieg 118