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Der Harz_02_24_I

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HARZ AKTUELL<br />

Gedanken des <strong>Harz</strong>klub-Präsidenten<br />

Prof. Dr. Oliver Junk zum Ehrenamt<br />

Liebe Wanderkameradinnen, liebe Wanderkameraden,<br />

bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt<br />

unterliegen aktuell einem spürbaren<br />

Wandel. Ehrenamt bedeutet jedenfalls mehr<br />

als freiwilliges Engagement. Tätigkeit im Ehrenamt<br />

ist langfristiger und verpflichtender;<br />

es ist stärker formalisiert, in Regeln eingebunden<br />

und stellt eine dauerhafte Form des<br />

Engagements dar. Verantwortungsübernahme<br />

im <strong>Harz</strong>klub, Verantwortungsübernahme<br />

im Ehrenamt, bedeutet deshalb mehr<br />

als ungebundene Formen des Engagements<br />

in kurzlebigen Bürgerinitiativen oder situativen<br />

Zusammenschlüssen, wie wir sie z. B.<br />

im Rahmen der Flüchtlingshilfe 2016 oder<br />

nach Ausbruch des Ukraine-Krieges erleben<br />

konnten.<br />

<strong>Der</strong> erwähnte spürbare Wandel des Ehrenamts<br />

drückt sich in sinkenden Mitgliederzahlen<br />

im <strong>Harz</strong>klub insgesamt aus. So wie<br />

wir im ländlichen Raum, im gesamten <strong>Harz</strong>,<br />

Jahr für Jahr ein wenig weniger Menschen<br />

werden – und diese wenigen Menschen<br />

noch dazu immer älter – muss sich diese<br />

Entwicklung auch in unseren <strong>Harz</strong>klub-<br />

Mitgliederzahlen abbilden.<br />

Allerdings ist bei genauer Betrachtung nicht<br />

korrekt nur auf das demographische Thema<br />

(also Schrumpfung, Alterung, Vereinzelung<br />

und Heterogenisierung) zu verweisen. Vielmehr<br />

ist in den letzten Jahren ein Rückgang<br />

der Engagements-Bereitschaft der Bevölkerung<br />

zu verzeichnen. Dieser Rückgang resultiert<br />

aus einer veränderten Gesellschaft. Zu<br />

denken sind an berufliche Beanspruchungen<br />

(Doppelverdiener) und familiären Pflichten<br />

in veränderten Elternrollen. Ferner wird<br />

Ehrenamt nicht mehr durch Milieuzugehörigkeit<br />

geerbt. Heute wird sich bewusst für<br />

eine Freiwilligkeit entschieden, die zu der<br />

individuellen Lebenssituation passen soll.<br />

Und der Appell mit dem erhobenen Zeigefinger,<br />

doch mal was für andere und die<br />

Gesellschaft zu tun, verfängt nicht. Bürgerschaftliches<br />

Engagement findet freiwillig<br />

statt. Jegliche Versuche, Bürgerinnen und<br />

Bürger gegen ihre persönlichen Interessen,<br />

die sich mit ihrem Engagement verbinden<br />

(Spaß, soziale Kontakte, Anerkennung etc.)<br />

zu etwas zu verpflichteten, wird zu Ablehnung<br />

und ggf. sogar eher zur Abkehr vom<br />

Engagement führen.<br />

Die vielbeschworene Zeitenwende hat<br />

also das Ehrenamt völlig unabhängig vom<br />

demographischen Thema erreicht. Strukturwandel<br />

des Ehrenamtes sollten wir es<br />

nennen. Die Übernahme von gesellschaftlicher<br />

Verantwortung im Ehrenamt ist nicht<br />

mehr so selbstverständlich wie früher. Die<br />

Formen des ehrenamtlichen Engagements<br />

wandeln sich. Neue Formen zeichnen sich<br />

durch höhere Flexibilität aus: Befristet und<br />

thematisch abgrenzbar.<br />

Wichtig ist insbesondere den Jüngeren die<br />

temporäre Überschaubarkeit der Verantwortung,<br />

dauerhafte Verpflichtungen verlieren<br />

an Attraktivität. Engagierte wollen sich<br />

jederzeit wieder zurückziehen können. Sie<br />

wollen projektbezogen arbeiten. Auch Aspekte<br />

der persönlichen Entfaltung kommen<br />

stärker zum Tragen. Die Arbeit richtet sich<br />

nicht mehr ausschließlich auf Engagement<br />

für andere aus.<br />

Für den <strong>Harz</strong>klub bedeutet das, dass wir<br />

diese Themen in der Endlosschleife bejammern<br />

können, gleichsam nach dem Loriot-<br />

Motto: „Früher war mehr Lametta“. Oder wir<br />

nutzen die Chancen. Wir können Chancen<br />

nutzen, die mit den Strukturveränderungen<br />

des bürgerschaftlichen Engagements<br />

einhergehen und unsere ehrenamtliche<br />

Vereinsarbeit an vielen Stellen schlicht<br />

umorganisieren.<br />

<strong>Harz</strong>klub, Musik- und Sportvereine, Heimat-<br />

und Gartenvereine, Tierzüchter- und<br />

Kulturvereine – die Vereinslandschaft ist<br />

(noch) vielfältig und stellt wichtige Angebote<br />

im Sozial-, Kultur- und Sportbereich<br />

in unseren Städten und Gemeinden bereit.<br />

Offenkundig hoch ist die Bedeutung der<br />

Vereinsarbeit für die Kommunen im ländlichen<br />

Raum. Warum? Zunächst: Wir wissen,<br />

dass die ländlichen Räume an fehlenden<br />

finanziellen Möglichkeiten leiden. Die Gestaltungsspielräume<br />

der Kommunen sind<br />

tatsächlich sehr klein. Doch wie sollen die<br />

Kommunen im Rahmen von Haushaltskonsolidierungszwängen<br />

ein attraktives Wohnund<br />

Lebensumfeld schaffen?<br />

Können unsere ehrenamtlichen Strukturen<br />

das weitere Aussterben unserer Städte und<br />

Gemeinden verhindern? Erst vor wenigen<br />

Tagen berichtete die örtliche Lokalzeitung,<br />

dass sich die Einwohnerzahl in Braunlage<br />

in 40 Jahren auf jetzt noch knapp 5.000<br />

Menschen halbiert hat. Bieten die neuen<br />

Arbeitswelten und Homeoffice ganz neue<br />

Möglichkeiten, die Ansiedlung von jungen<br />

Familien im ländlichen Raum zu fördern?<br />

Meine Antwort: Jedenfalls überschätzen<br />

sich Oberbürgermeister,<br />

Ortsbürgermeister,<br />

Stadträte und Ortsräte, wenn sie glauben,<br />

sie allein sorgten für die Attraktivität unserer<br />

Heimat. Niedrige Grundstücks- bzw.<br />

Mietkosten und wegfallende Fahrtzeiten/<br />

Fahrkosten durch veränderte Arbeitswelten<br />

reichen sicher nicht, um in unseren Dörfern<br />

und kleinen Städten einen Ansiedlungsboom<br />

auszulösen.<br />

Attraktivität des ländlichen Raumes kann<br />

sich nicht darauf reduzieren, dass der Quadratmeter<br />

erschlossenes Bauland weniger<br />

als 100,00 EUR kostet. Und Attraktivität des<br />

Ländlichen Raumes bedeutet mehr als<br />

Glasfaser & Ausbau des ÖPNV in der Fläche<br />

(gemeint ist meistens der 2-Stunden-Takt),<br />

Kinderbetreuungsmöglichkeiten und ärztliche<br />

Versorgung.<br />

Es geht um mehr: Freizeit- und Kulturangebote,<br />

Wohnortattraktivität – es geht im<br />

Ergebnis um die Lebensqualität.<br />

Ich bin überzeugt davon, dass ohne Ehrenamt<br />

diese kommunalen Herausforderungen<br />

nicht gelöst werden können. Gerade die<br />

kleinen Kommunen bzw. die entfernteren<br />

Ortsteile, die über nur geringe Eigenkapazität<br />

an Personal, finanziellen Rahmen und<br />

Infrastruktur verfügen, sind ohne Ehrenamt<br />

nicht in der Lage, ein vielseitiges und attraktives<br />

Leistungsangebot zu verwirklichen.<br />

Ein reges und attraktives Gemeindeleben<br />

bzw. Ortsteilleben ist nicht darstellbar.<br />

Die ehrenamtlichen Strukturen, der <strong>Harz</strong>klub,<br />

die weiteren Vereine, halten unsere<br />

Städte und Gemeinden ganz unmittelbar<br />

aufrecht. Sie prägen und tragen das gesellschaftliche<br />

und politische Leben und sind<br />

somit essentiell für ein funktionierendes<br />

Gemeinwesen im Ländlichen Raum. Dies<br />

bedeutet:<br />

1. Bürgerschaftliches Engagement und<br />

Ehrenamt als Standortfaktor im ländlichen<br />

Raum<br />

Sie selbst erleben und erfahren in Ihren<br />

Familien, im Freundeskreis, dass die tradierte<br />

Regel nicht mehr gilt: Wohnen folgt der<br />

Arbeit. Nein, Kind und Kegel werden heute<br />

nicht mehr in Speditions-LKWs verladen,<br />

um den neuen Job für ein wenig mehr Geld<br />

und Führungsverantwortung in Düsseldorf<br />

oder Berlin anzunehmen.<br />

Es heißt nicht mehr „Wohnen folgt der Arbeit“,<br />

sondern „Arbeit folgt dem Thema<br />

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