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Der Harz_02_24_I

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HARZ AKTUELL<br />

Also neuer Raum für innovative Ideen, die<br />

den Kommunen zugutekommen.<br />

Denn das Engagement der Bürgerinnen<br />

und Bürger hat eine Eigenlogik, die nicht<br />

ignoriert werden darf. Bürgerschaftliches<br />

Engagement lebt von der Möglichkeit, die<br />

persönlichen Lebensumstände oder die<br />

Lebensumstände anderer Menschen durch<br />

eigenes Zutun zu verbessern und die Lebensqualität<br />

zu erhöhen. Diese Kreativität<br />

erzeugt eine Kommunalverwaltung nicht<br />

und lässt die Dynamik von bürgerschaftlichem<br />

Engagement auch nicht zu.<br />

9. Bürgerschaftliches Engagement und<br />

Ehrenamt als Demokratieförderer<br />

Mit Blick auf Wahlbeteiligung, Interesse an<br />

Einwohnerfragestunden, Teilnahmeverhalten<br />

an Einwohnerversammlungen und<br />

Ortsratssitzungen sowie die extrem schwierige<br />

Suche nach Kandidaten und noch mehr<br />

Kandidatinnen für Kommunalwahlen ist festzustellen,<br />

dass Interesse an lokalen Demokratien<br />

und das Mitmachen bei politischen<br />

Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen<br />

im Rahmen von kommunaler Selbstverwaltung<br />

durch bürgerschaftliches Engagement<br />

wächst, ja motiviert wird. Kommunale<br />

Selbstverwaltung und funktionierende lokale<br />

Demokratien leben vom Mitmachen, leben<br />

von Menschen, die sich auch und daneben im<br />

Ehrenamt außerhalb der Politik engagieren.<br />

Was bedeutet das?<br />

Aus dem Vorgenannten darf nicht folgen,<br />

dass bürgerschaftliche Engagement ganz<br />

selbstverständliches Substitut öffentlicher<br />

Dienstleistungen sein kann.<br />

Die Wahrheit ist: Nach dem finanziellen<br />

Ausbluten der Kommunen in den 1990er<br />

Jahren und ihrem Höhepunkt mit der Weltfinanzkrise<br />

2008 hatten sich der finanzielle<br />

Rahmen der Städte, Gemeinden und Landkreise<br />

bis zum Ausbruch des Ukraine Krieges<br />

erholt. Steuereinnahmen erreichten unbekannte<br />

Höhen. Corona-Einbrüche wurden<br />

mit Milliardensubventionen auf Kosten der<br />

nächsten Generationen abgefedert, zum<br />

Teil überkompensiert.<br />

Jetzt muss der Staat sparen und Ausgangspunkt<br />

dafür ist nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom vergangenen<br />

November. Förderprogramme werden gestrichen<br />

und gekürzt. Die Inflation muss<br />

auch in den Kommunen bewältigt werden.<br />

Sparhaushalte stehen vor uns.<br />

Das Ergebnis lautet: Reduzierung der freiwilligen<br />

Leistungen. Daraus folgt, dass die<br />

kommunalen Angebote für Bildung, Kultur,<br />

Freizeit, Sport und Jugend noch weiter gestrichen<br />

werden; gerade dort in den ländlichen<br />

Räumen, wo sie doch ohnehin weniger<br />

stark ausgebaut sind.<br />

Die Selbstorganisation der Bürger ist zu<br />

einem politischen Ideal geworden. Das Bild<br />

von dem Bürger, der Bürgerin als kooperierendes<br />

und sich selbst koordinierendes<br />

Wesen, die keiner Delegation seitens einer<br />

zentralen Autorität bedarf. Es wird dabei<br />

großes Potenzial gesehen, auf die alltagspraktischen<br />

Probleme vor Ort zu reagieren.<br />

Kann das richtig sein? Kann es richtig sein,<br />

bürgerschaftliches Engagement als notwendige<br />

Entlastung überforderter Institutionen<br />

zu diskutieren?<br />

Darf zugespitzt die Frage gestellt werden,<br />

ob die Idealisierung der Selbstorganisation<br />

durch Ehrenamt und bürgerschaftlichem<br />

Engagement nur der Rechtfertigung von<br />

Sparmaßnahmen dient?<br />

Natürlich hat bürgerschaftliches Engagement<br />

großes Potenzial, gemeinwohl-orientierte<br />

Dienste zur Verfügung zu stellen,<br />

die öffentliche Hand und privater Sektor<br />

nicht anbieten (können). Und nachweisbar<br />

ist, dass das bürgerschaftliche Engagement<br />

in ländlichen Räumen stärker ausgeprägt<br />

ist als in urbanen Räumen.<br />

Aber: Zur Legitimation für den Rückzug<br />

der Öffentlichen Hand aus kommunaler<br />

Daseinsvorsorge und Schaffung von attraktiven<br />

Orten taugt das Ehrenamt nicht. Selbstorganisation<br />

ist kein Selbstläufer und ist<br />

regional sehr unterschiedlich ausgeprägt.<br />

Vereine und Ehrenamt brauchen staatliche<br />

und kommunale Unterstützung!<br />

Nicht nur die Kommunen brauchen das<br />

Ehrenamt, das Ehrenamt braucht auch die<br />

Kommune.<br />

Ganz konkret sind die Gemeinden in der<br />

Pflicht, die Vereine zu unterstützen, beispielsweise<br />

bei:<br />

• Mitgliedergewinnung,<br />

• Finanzierung,<br />

• Erleichterung der ehrenamtlichen Aktivitäten,<br />

• Förderungen<br />

Und unter Berücksichtigung meiner Vorbemerkung<br />

zur Veränderung des ehrenamtlichen<br />

Engagements brauchen wir den<br />

Strukturwandel jetzt auch im Hinblick auf<br />

neue Varianten der Unterstützung der freiwilligen<br />

Aktivitäten, des Ehrenamts und<br />

auch der Arbeit des <strong>Harz</strong>klubs.<br />

Wir brauchen einen anderen Blick von<br />

Kommunen und Arbeitgebern auf die Vereinsarbeit<br />

und das Ehrenamt: Eher weg von<br />

allgemeinem finanziellem Sponsoring von<br />

Musiktagen und Vereinsjubiläen, stärker hin<br />

zu konkreter Unterstützung der Menschen<br />

im Ehrenamt:<br />

Themen wie<br />

• Freistellung,<br />

• Nutzung dienstlichen Geräten wie Laptop,<br />

Smartphone, Kopierern etc.,<br />

• Bereitstellung von Besprechungs- und<br />

Veranstaltungsräumen,<br />

• Bereitstellen von Getränken/Catering,<br />

• Auszeichnung von Mitarbeitern,<br />

• Einbeziehung der freiwillig Tätigen in<br />

kommunale / betriebliche Abläufe,<br />

• Stärkere Berücksichtigung von Ehrenamt<br />

bei der Personalentwicklung,<br />

• Zertifizierungen und Qualifikationen für<br />

Menschen im Ehrenamt,<br />

gehören auf die Agenda.<br />

Die Corona-Pandemie hat die Veränderungen<br />

unserer beruflichen Aktivitäten<br />

mit Wucht beschleunigt; vier Tage Woche<br />

und der Ausbau von mobilen Arbeitsformen<br />

(New Work, Homeoffice) machen<br />

inzwischen das Leben und Arbeiten im<br />

Ländlichen Raum, einfacher, attraktiver –<br />

zum Teil erst möglich. Diese Arbeitsformen<br />

werden schon mittelfristig zu einer ganz<br />

neuen Sehnsucht nach ehrenamtlichem<br />

Engagement führen. Wir haben mehr Zeit,<br />

die wir einbringen können, wir haben Lust<br />

auf Begegnung und Durst nach Kommunikation,<br />

weil wir das gerade am Arbeitsplatz<br />

nicht mehr oder deutlich weniger haben.<br />

Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement<br />

prägt und trägt das gesellschaftliche<br />

und politische Leben in unseren Orten und<br />

ist somit essentiell für ein funktionierendes<br />

Gemeinwesen im ländlichen Raum<br />

Alle kommunalen Herausforderungen werden<br />

ohne Ehrenamt und bürgerschaftliches<br />

Engagement nicht gelöst.<br />

Deshalb ein herzliches Dankeschön an die<br />

<strong>Harz</strong>klub-Zweigvereine, an alle Menschen,<br />

die – aus welcher Motivation auch immer –<br />

Verantwortung im Ehrenamt übernommen<br />

haben und übernehmen.<br />

Und ich bin überzeugt: <strong>Der</strong> Ländliche Raum<br />

wird gegen die verdichteten urbanen Räume<br />

gewinnen<br />

• Entschleunigtes Leben, Wohnen und<br />

Arbeiten,<br />

• Attraktive Freizeitangebote (wir leben<br />

dort, wo andere ihre Wochenenden und<br />

Urlaube verbringen)<br />

• Finanziell attraktiver Wohnraum<br />

• Neue Arbeitsformen erlauben die Arbeit<br />

im ländlichen Raum.<br />

Ich freue mich auf die weitere gemeinsame<br />

Arbeit im Ehrenamt.<br />

Ihr Prof. Dr. Oliver Junk<br />

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