SPIEL AUF DEM SEE MYTHOS FREISCHÜTZ WIE AUS DEN AKTEN ZU EINEM HEXENPROZESS EINE DER POPULÄRSTEN OPERN IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM WURDE
Vom 14. auf den 15. August 1810 übernachtete der 23-jährige Carl Maria von Weber auf Schloss Neuburg, einem damals säkularisierten Stift bei Heidelberg. Schenkt man Webers Sohn und Biographen Max Maria Glauben, so habe sein Vater dort gemeinsam mit seinem Freund, dem Juristen und späteren Diplomaten Alexander von Dusch, ein erst kürzlich in Leipzig veröffentlichtes Buch entdeckt, das im ganzen deutschsprachigen Raum für Furore sorgte: August Apels und Friedrich Launs Gespensterbuch. Insbesondere die von Apel verfasste tragisch-düstre Eröffnungsgeschichte Der Freischütz, in der ein Schreiber um Mitternacht in der verwunschenen Wolfsschlucht Freikugeln anfertigt, um am nächsten Tag durch einen erfolgreichen Probeschuss die Hand seiner Geliebten zu erringen, gefiel den beiden so sehr, dass sie sofort ein Opernszenarium entwarfen. Doch erst 1817, als Weber zum königlichen Kapellmeister auf Lebenszeit und Leiter des sogenannten Deutschen Departements der Dresdner Oper berufen wurde, sollte er gemeinsam mit dem Schriftsteller Friedrich Kind, einem Schulfreund Apels, das Projekt wieder aufnehmen. Nach mehreren unvorhersehbaren Komplikationen und intensiv diskutierten Titelvarianten – »Der Probeschuß«, »Die Jägersbraut« – fand schließlich am 18. Juni 1821 die langersehnte Uraufführung der romantischen Oper Der Freischütz statt. »Ins Schwarze getroffen«, schrieb Weber jubilierend seinem Librettisten Kind nach Dresden. Das Premierenpublikum im kürzlich eingeweihten Königlichen Schauspielhaus in Berlin feierte enthusiastisch das neue Werk, das mit seiner emotionsgeladenen und packenden Musik schon bald zum Inbegriff der deutschen romantischen Oper werden sollte. Weber und Kind waren allerdings nicht das erste Duo, das Apels Freischütz vertonte. Schon 1812 hatten Franz Xaver von Caspar (Libretto) und Carl Borromäus Neuner (Komposition) das dramatische Potenzial der Erzählung erkannt und die letztlich nicht aufgeführte romantische Tragödie Der Freyschütze geschrieben. 1816 folgten gleich zwei Produktionen in Wien: Am 20. November hob sich im Theater in der Leopoldstadt der Vorhang für Ferdinand Rosenaus romantisch-komische Volkssage mit Gesang Der Freyschütze, am 28. Dezember im Theater in der Josefstadt das Schauspiel mit Musik Die Schreckensstunde am Kreuzwege um Mitternacht oder Der Freyschütze von Joseph Alois Gleich (Libretto) und Franz de Paula Roser (Komposition). Auch Louis Spohr arbeitete an einem Werk mit dem Titel Der schwarze Jäger, gab es jedoch auf, als er von Webers Opernprojekt erfuhr. All diese Titel belegen nicht zuletzt auch die allgemeine Beliebtheit von Gespenster- und Gruselgeschichten zur Zeit der sogenannten Schauerromantik oder schwarzen Romantik. Mit ihren unheimlichen, phantastisch-abseitigen und dämonisch-grotesken Tendenzen belegen sie eine gewisse Abkehr der damaligen Menschen von der vernunftgeleiteten Aufklärung – und stehen in unmittelbarer Verbindung zu den mit Gewalt und Schrecken geführten napoleonischen Kriegen. Schlösser, Klöster, Ruinen und Friedhöfe, aber auch der Wald sind die Schauplätze dieser Geschichten. Beschwörungsrituale, Hexenmagie, Erbflüche, Inzest, untote Ahnen und unerklärliche Naturspektakel bilden das Inventar dieser Stücke. Der Mythos vom Freischütz, der durch schwarzmagische Praktiken oder durch sogenannte Freikugeln die Fähigkeit erlangt haben soll, jedes Ziel zu treffen, sei es auch weit entfernt, nicht zu sehen oder um die Ecke gelegen, ist in vielen Volkserzählungen, Sagen, aber auch in den Akten zu Hexenprozessen überliefert. Die älteste heute bekannte Quelle zum Freischütz-Mythos aus dem Jahr 1449 stammt aus einer solchen Akte aus Basel. Darin wird einem Söldner vorgeworfen, er habe drei Schüsse auf ein Jesusbild abgegeben und dadurch Freikugeln geschaffen, mit denen er anschließend mehrere Menschen ermordet habe. Er wurde durch Ertränken hingerichtet. Diese Ausgestaltung des Mythos findet sich nicht nur prominent im Malleus maleficarum, im Hexenhammer von 1486, sondern auch in mehreren Sagenbüchern, auch in einem aus Vorarlberg. Laut einer Legende soll im Bregenzerwald auf der Schnepfegg, einer Anhöhe oberhalb der Ortschaft Schnepfau, ein Schütze einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und in DER FREISCHÜTZ 5