MACHER Menschen + Märkte - April 2024
MACHER Menschen + Märkte - Ausgabe vom 12.04.2024
MACHER Menschen + Märkte - Ausgabe vom 12.04.2024
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
14 <strong>MACHER</strong>, MENSCHEN + MÄRKTE | INTERVIEW<br />
APRIL <strong>2024</strong><br />
Mauritius ist eines der Forschungsgebiete von Elisabeth Sommerlad. Dieses Foto stammt von ihr. Es sei ein typischer Blick auf die Insel. Gerade analysiert sie, wie „Traumschiff“-Folgen<br />
von der Insel Mauritius und ihre Entwicklung zusammen hängen.<br />
Wie das ZDF-Traumschiff das<br />
Fernweh weckt<br />
Ein Gespräch über Tourismus, Reiseverhalten und die Wirkung der Medien mit<br />
der Trierer Geographin Elisabeth Sommerlad.<br />
Die Fragen stellte Birgit Markwitan.<br />
Wir alle haben vermutlich schon geklagt, weil uns ein Urlaubsort zu<br />
überlaufen war. Hält sich jeder für den besten Touristen?<br />
Elisabeth Sommerlad: Das ist ein Phänomen, das wir schon lange<br />
beobachten – die Touristen sind immer die „anderen“ <strong>Menschen</strong><br />
an einem Urlaubsort. Jeder möchte immer einen Geheimtipp entdecken<br />
und nicht als Tourist oder Touristin dechiffriert werden,<br />
weil damit ein Stereotyp verknüpft ist, das niemand selbst bedienen<br />
möchte.<br />
Venedig führt für Tagesbesucher fünf Euro Eintritt ein. Paris erhöht<br />
die Parkgebühren für SUV von Besuchern auf 18 Euro. Welche Signale<br />
gehen davon aus?<br />
Sommerlad: Diese Destinationen sind besonders attraktiv und leiden<br />
stellenweise unter dem sogenannten Over-Tourismus. Es stellt<br />
sich ein Gefühl des „Zuviel“ ein, besonders die <strong>Menschen</strong>, die dort<br />
leben, empfinden das so. Erhöhung von Parkgebühren und Eintrittspreisen<br />
haben sich an einigen Orten als sinnvoll erwiesen. Sie<br />
werden als Nudging-Strategien oder Regulationsmechanismen<br />
eingesetzt, um zum Beispiel hohes Tourismusaufkommen temporär<br />
zu lenken, damit Destinationen eben nicht überfrachtet werden.<br />
Bei Nudging-Strategien versucht man <strong>Menschen</strong> zu einer Verhaltensänderung<br />
zu bringen, ohne direkt Verbote auszusprechen<br />
– man will sie quasi erst mal „anstupsen“. Das betrifft hauptsächlich<br />
große Städte oder Monumente, an denen etwas besichtigt<br />
werden kann.<br />
Welche Rolle spielen Kreuzfahrtschiffe, die viele <strong>Menschen</strong> gleichzeitig<br />
„loslassen“?<br />
Sommerlad: Es können sich mehr <strong>Menschen</strong> das Reisen leisten,<br />
zumindest aus dem sogenannten „Globalen Norden“. Es gibt sehr<br />
viele <strong>Menschen</strong> auf der Welt, für die Reisen aus unterschiedlichsten<br />
Gründen gar keine Option ist. Aber das Reiseverhalten in Europa<br />
hat sich seit den 1960er-Jahren sehr verändert, bis hin zum<br />
Massenphänomen. Die <strong>Menschen</strong> reisen anders, fahren auch mal<br />
kürzer weg, betreiben beispielsweise eine Art „Städte-Hopping“<br />
und schauen sich Venedig für einen Tag an, vielleicht nur mit dem<br />
Ziel, dort ein ganz bestimmtes Foto für Social Media zu schießen<br />
– das gilt besonders für sogenannte „Instagramable-Places“. Es<br />
geht oft gar nicht mehr darum, einen Ort mit allen Sinnen zu erfahren.<br />
Die Kreuzfahrtschiffe sind da natürlich ein attraktives Angebot,<br />
bei dem mittlerweile für relativ wenig Geld sehr viele Ziele<br />
in kurzer Zeit bereist werden können. Wenn alle Passagiere nur<br />
„Medien beeinflussen<br />
unseren Blick<br />
auf die Welt, sie<br />
bringen imaginäre<br />
Geographien<br />
hervor“<br />
Dr. Elisabeth Sommerlad.<br />
Foto: Eric Dedans<br />
wenige Stunden Aufenthalt haben und alle die gleichen Sehenswürdigkeiten<br />
anschauen, überfrachtet das viele Orte. Das kann<br />
man ja mittlerweile weltweit beobachten – nicht nur beim Kreuzfahrttourismus.<br />
Es heißt, es werde eher an Lebensmitteln gespart, als auf eine Reise<br />
zu verzichten. Ist Reisen ein Grundbedürfnis?<br />
Sommerlad: Es gibt sicherlich Personen, die der Auffassung sind,<br />
dass Reisen ein Grundbedürfnis sei. Ich finde diese Formulierung<br />
aber eher schwierig, weil Reisen als Freizeitbeschäftigung aus meiner<br />
Perspektive auch heute noch ein Privileg ist, für das man finanzielle<br />
Ressourcen braucht, aber eben auch die Zeit und anderes<br />
Kapital. Das ist nicht für alle selbstverständlich. Wie die aktuelle<br />
Reiseanalyse gezeigt hat, waren die Ausgaben für Urlaubsreisen<br />
2022 in Deutschland auf Rekordniveau. Es besteht also eine wirklich<br />
große Bereitschaft dazu, viel Geld für den Urlaub auszugeben.<br />
Mallorca erteilt Alkoholverbote, es gibt auf anderen Inseln Sandsammelverbote.<br />
Verbote spricht sicher niemand gerne aus.<br />
Sommerlad: Es gibt natürlich auch Orte, die Verbote aussprechen.<br />
In einigen Nationalparks in den USA kann man eine ganze Palette<br />
unterschiedlicher Strategien beobachten – zum Beispiel, wo man<br />
vermeiden will, dass <strong>Menschen</strong> für ein Selfie in blühende Blumenwiesen<br />
springen und alles platttrampeln. Da gibt es tatsächlich<br />
Strafgebühren. Aber es gibt auch freiwillige Maßnahmen, zum Beispiel<br />
kann man sich auf der Website eine „Pledge“, also eine Art<br />
Gelübde, runterladen, mit der man sich dazu bekennt, acht auf die<br />
Natur zu geben. Forschungen zeigen, dass eine Strategie immer<br />
zum jeweiligen Ort passen muss. Was in den USA gut funktioniert,<br />
passt vielleicht nicht zu Dubrovnik oder zu Mallorca.<br />
Offenbar wird dem Himalaya sehr viel zugemutet. Wann ist ein sogenannter<br />
„Kipppunkt“ für ein Touristenziel erreicht?<br />
Sommerlad: Kipppunkt ist hier eine gute Metapher – aber, wo er<br />
liegt, hängt immer vom Kontext ab. Wenn wir über ökologische Dimensionen<br />
und Umweltkontexte sprechen, sind zum Beispiel die<br />
Korallenriffe vor den Malediven ganz anderen Herausforderungen<br />
ausgesetzt als die Himalaya-Region. Was mich als Humangeographin<br />
aber besonders interessiert, sind auch soziale und kulturelle<br />
Dimensionen. Wenn der Himalaya auf einmal Ziel von Massentourismus<br />
wird, dann sollte man auch hinterfragen, warum solche<br />
Reisen überhaupt unternommen werden und was damit ausgelöst