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Verelendungstheorie – die hilflose Kapitalismuskritik

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Erster Teil<br />

Darstellung und Kritik der <strong>Verelendungstheorie</strong><br />

I. Die <strong>Verelendungstheorie</strong> bei Karl Marx und seinen Zeitgenossen<br />

Es ist ungeklärt, wann und von wem erstmals der Begriff ><strong>Verelendungstheorie</strong>< in der Literatur<br />

benutzt wurde. Bei Marx und Engels taucht er jedenfalls nirgendwo auf. 3<br />

Was das Wort benennt, <strong>die</strong> Theorie, daß der sich entwickelnde Kapitalismus trotz des sprunghaf-<br />

ten Wachstums in der Masse der produzierten Güter denjenigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Güter produzieren,<br />

keine Verbesserung, sondern im Gegenteil eine Verschlechterung in ihrer Lage bringt, dafür fin-<br />

den sich in ihrem Werk viele Belege. Allerdings sind sie zu ihrer Zeit nicht <strong>die</strong> einzigen und kei-<br />

nesfalls <strong>die</strong> profiliertesten Vertreter einer solchen <strong>Verelendungstheorie</strong>: Schon im 18. Jahrhundert<br />

regte das beobachtete Paradoxon zwischen immens gesteigertem Güterausstoß und gleichzeitiger<br />

Verschlechterung im Einkommen und in der gesamten Lebenslage der Manufakturarbeiter zur<br />

Theoriebildung an. So formulierte Turgot bereits 1766:<br />

»Infolge der gegenseitigen Konkurrenz der Arbeiter untereinander bleibt der Arbeitslohn auf das<br />

Existenzminimum beschränkt. Die Arbeiter müssen ihre Ansprüche um <strong>die</strong> Wette herabsetzen.<br />

So kommt es dann tatsächlich in allen Arbeitszweigen schließlich so weit, daß der Lohn nur ge-<br />

rade hoch genug ist, um dem Arbeiter seine Subsistenzmittel zu beschaffen.« 4 '<br />

Während sich in England und Frankreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine umfang-<br />

reiche Literatur mit vielfältigen Theorien über <strong>die</strong> Gründe und Entwicklungstendenzen des Arbei-<br />

terelends entwickelte, konnte man in Deutschland erst in den siebziger und achtziger Jahren von<br />

einer wissenschaftlichen Literatur zu dem Problem reden, das unter dem Titel >Die soziale Frage<br />

behandelt wurde.<br />

Die schärfsten Versionen der <strong>Verelendungstheorie</strong> finden sich immer dann, wenn <strong>die</strong> Theorie im<br />

Zusammenhang mit der Malthusianischen Bevölkerungslehre konstruiert wurde, wo-<br />

3 Meine Recherchen nach dem Ursprung der Bezeichnung blieben erfolglos. Der einzige Hinweis, den ich gefunden<br />

habe, stammt von Karl Kautsky und ist lediglich negativ: »Ebenso wenig, wie <strong>die</strong> Worte Zusammenbruchstheorie<<br />

und >Katastrophentheorie< stammt das Wort ><strong>Verelendungstheorie</strong>< von Marx oder Engels her, sondern von Kritikern<br />

ihrer Anschauungen (Bernstein und das Sozialdemokratische Programm. Eine Antikritik; Stuttgart 1899, S.<br />

114). Werner Hofmann, Sozialökonomische Stu<strong>die</strong>ntexte, 3 Bände, Berlin 1965, 2. Bd., S. 150, datiert das Wort<br />

direkt auf Bernstein,<br />

4 Zit. nach dem übersetzten Zitat in: Robert Michels, Die <strong>Verelendungstheorie</strong>. Stu<strong>die</strong>n und Untersuchungen zur<br />

internationalen Dogmengeschichte der Volkswirtschaft, Leipzig 1928, S. 15.<br />

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