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Galerien<br />
Stefanie Seufert<br />
»Photographische<br />
Aggregatzustände«<br />
Wenn Stefanie Seufert Objekte für ihre<br />
Bilder auswählt, geht es ihr zunächst um<br />
deren allgemeine Zugänglichkeit: Deshalb<br />
entscheidet sie sich beispielsweise<br />
für Eier, Tabletts, Drahtkörbe und Nadelbäume,<br />
die sie vor neutralen Hintergründen<br />
platziert. Sie möchte vermeiden,<br />
dass der Gegenstand fremd erscheint.<br />
Gleichzeitig erschafft sie Abbilder, die<br />
uns die Dinge neu sehen lassen. Ihre Bildideen<br />
und Konzepte sind immer eng<br />
mit dem verwendeten Material verknüpft.<br />
Seufert wählt souverän für eine<br />
konkrete Sequenz einen experimentellen<br />
Aggregatzustand zwischen Realismus<br />
und Abstraktion und zielt darin auf<br />
das Skulpturale des Objektes ab; sie verwandelt<br />
gewissermaßen das Echte in ein<br />
Modell seiner selbst. Ihre Photographie<br />
entspricht daher weniger einer Behauptung<br />
als vielmehr einer Vermutung.<br />
Die Natur ist ein seit den Anfängen des<br />
Mediums weit verbreitetes Motiv, und<br />
der Wald wiederum – mit all seinen<br />
Konnotationen – wird besonders oft thematisiert.<br />
Dies ist in Deutschland sicher<br />
keine Überraschung, wo doch beispielsweise<br />
Märchen wie »Hänsel und Gretel«,<br />
aber auch die deutschen Romantiker bis<br />
hin zum Photographen Stefan Moses<br />
auf den Wald als wichtigen Referenzpunkt<br />
im jeweiligen Werk rekurrieren.<br />
Der Wald wird vermeintlich von Elfen,<br />
Trollen und Geistern bevölkert, er wird<br />
gelegentlich mit dem Unheimlichen<br />
gleichgesetzt, und jeder Baum steht<br />
© Stefanie Seufert »o.T.«, 2009/10,<br />
Farbfotografien, je 40 x 30 cm<br />
22 <strong>brennpunkt</strong> 2/<strong>2011</strong><br />
über die Gleichung Lebensbaum-Weltenbaum<br />
für ein Individuum und seine<br />
Verwurzelung in der Gesellschaft. Doch<br />
bei Seufert ist all das nur eine hintergründige<br />
Referenzfolie; sie zeigt etwa<br />
Nadelbäume im radikalen Anschnitt mit<br />
hellem Himmel als Fond, als wollte sie<br />
alles Dunkle und Mystische des Waldmotivs<br />
eliminieren. Tannen und Fichten<br />
stehen bekanntermaßen auch in Stadtparks<br />
oder deutschen Vorgärten, präzise<br />
gepflanzt, bewusst platziert wie ein<br />
Setztischchen im Wohnzimmer des Einfamilienhauses.<br />
Durch den ausschnitthaften<br />
Blickwinkel ihrer Kamera zeigt<br />
sie zwar einen konkreten Baum, aber<br />
weder dessen Umfeld noch Stamm oder<br />
Wurzeln. Die fehlende Kontextualisierung<br />
macht aus dem einzelnen, stattlichen<br />
Nadelgewächs gleichsam den<br />
Typus eines Baumes – und eine abstrakte<br />
Form. Denn das flächige, meist hochformatige<br />
Bild kann formal durchaus auf<br />
bloße Dreiecksformen oder angedeutete<br />
Risslinien reduziert werden. Dieses<br />
Wechselverhältnis zwischen Materialität<br />
und Bildinformation einerseits und<br />
Reduktion der Objekthaftigkeit andererseits<br />
macht die Spannung im Werk<br />
Seuferts aus.<br />
Auch wenn die Dinge unmanipuliert für<br />
sich selbst stehen, kann in der Rezeption<br />
der ebenso einfachen wie klaren<br />
Motive beim Betrachter eine Verunsicherung<br />
aufkommen, dies spricht ebenfalls<br />
für die besondere Intensität ihres<br />
Werkes. Es sind Bilder für den zweiten<br />
Blick. So rückt Stefanie Seufert in<br />
ihrem Triptychon eines gemusterten<br />
Holztabletts einerseits den Alltagsgegenstand<br />
in den Mittelpunkt, andererseits<br />
eine auf Flächen und Linien reduzierte<br />
Form. Sie photographiert das<br />
Tablett zunächst als liegendes Objekt,<br />
© Stefanie Seufert »o.T.«, 2009/10,<br />
Farbfotografien, je 40 x 30 cm<br />
kippt es für die zweite Aufnahme ein<br />
wenig in die Fläche, wodurch sich das<br />
illusionistische Muster einer flächigen<br />
Wabenform zu verräumlichen scheint.<br />
In der letzten Aufnahme schließlich ist<br />
das Tablett in einer Draufsicht wiedergegeben,<br />
wodurch dieses als Fläche,<br />
die Binnenzeichnung jedoch wie in<br />
einem Escher-Bild aus dreidimensionalen<br />
Würfelformen zu bestehen scheint –<br />
eine simple wie enigmatische Metamorphose<br />
im Dreischritt. Die Suche nach<br />
solchen formalen Prinzipien exemplifiziert<br />
sie an gewöhnlichen Dingen. Der<br />
ältere Kollege und ehemalige Hochschullehrer<br />
Timm Rautert fand für ähnliche<br />
Experimente in den 1970er Jahren<br />
den Begriff der »bildanalytischen Photographie«.<br />
Auch er zerlegte in seiner<br />
medial selbstreflexiven Arbeit die Photographie<br />
als Medium gewissermaßen<br />
in ihre Bestandteile.<br />
Manche ihrer Experimente sind in<br />
der Photographiegeschichte verankert,<br />
etwa die Aufnahmeserie mit dem<br />
Ei: Stefanie Seufert rekurriert hier auf<br />
Hans Finsler oder die Lehre am Bauhaus,<br />
gleichzeitig verbindet sie die Bildidee<br />
subtil mit einem formalen photographischen<br />
Trick: Sie photographiert<br />
zunächst bildmittig ein handelsübliches<br />
weißes Hühnerei auf schwarzem<br />
Grund und stellt davon ein Umkehrnegativ<br />
her. In zehn Zeitintervallen legt sie<br />
das Negativ jeweils wiederum auf ein zu<br />
belichtendes Photonegativ; so entsteht<br />
eine technisch anspruchsvolle, unbetitelte<br />
Serie, die sich aus einer Photographie,<br />
dem Umkehrnegativ und neun<br />
Photogrammnegativen in unterschiedlich<br />
kontrastierenden Grauwertabstufungen<br />
zusammensetzt. Die puristisch<br />
anmutende Sequenz gleicht einer Versuchsanordnung,<br />
einer wissenschaftli-<br />
© Stefanie Seufert »o.T.«, 2009/10,<br />
Farbfotografien, je 40 x 30 cm