03.01.2013 Aufrufe

brennpunkt 2-2011 .indd - Edition dibue

brennpunkt 2-2011 .indd - Edition dibue

brennpunkt 2-2011 .indd - Edition dibue

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Galeriebericht<br />

Lebens Räume<br />

Unsere alte und neue Hauptstadt war<br />

nie eine Schönheit. Bekanntlich lässt<br />

sich der Mangel an äußeren Reizen ausgleichen<br />

durch Klugheit, zum Beispiel<br />

in der Stadtplanung. Wenn man heute<br />

durch Berlin streift, hat man den Verdacht,<br />

dass Schinkel und seine Schüler<br />

Persius und Stüler im 19. Jahrhundert die<br />

letzten waren, die sich über die Stadt als<br />

Lebensraum Gedanken gemacht haben.<br />

Zum ersten Hotelbau am neuen Hauptbahnhof<br />

sagte der Architekt des ja auch<br />

umstrittenen Bahnhofs, Meinhard von<br />

Gerkan: »Ordinärer kann man einen<br />

öffentlichen Raum nicht verramschen«.<br />

Dabei hatte Berlin zweimal die Chance<br />

zur Erneuerung, nach den Zerstörungen<br />

des 2. Weltkriegs und nach dem<br />

Ende der Teilung 1989. Die Stadt war<br />

vorher schon einmal aus zwei Teilen<br />

zusammengewachsen. Im Ephraimpalais,<br />

unserem Stadtmuseum, waren<br />

unter dem Titel »Berlins vergessene<br />

Mitte« 400 photographische Originale<br />

von 1840 bis heute zu sehen, räumlich<br />

getrennt nach den beiden »Urstädten«<br />

Cölln und Berlin. Vor allem die Panoramen<br />

mit ihrem Reichtum an feinsten<br />

Details erzählen uns Geschichten. Nur<br />

braucht man dazu eine Lupe, weil die<br />

Kuratoren aus lauter Stolz auf den Besitz<br />

der Originale keine großen Reproduktionen<br />

an die Wand hängen. Technisch<br />

wäre das kein Problem, Titzenthaler,<br />

Schwartz und andere haben ja ihre<br />

Motive auf große Glasplatten belichtet,<br />

da ist vom Dachziegel bis zur Hutmode<br />

alles erkennbar. Und alle stürzenden<br />

Linien sind nach Scheimpflug perfekt<br />

entzerrt. Vor allem Max Missmann<br />

hat sich immer einen erhöhten Standort<br />

gesucht, um den Kontext aufzuzeigen,<br />

in dem die Gebäude stehen. Dem<br />

Betrachter wird klar, was heute fehlt:<br />

Dieser Kontext. Seit 7 Jahren ist Ingeborg<br />

Junge-Reyer (SPD) Senatorin für<br />

Stadtentwicklung. Sie hat Architektur<br />

nicht studiert und sagt: »Stadtentwicklungspolitik<br />

ist auch Wirtschaftspolitik«.<br />

Auch? War da noch was?<br />

Das Ephraimpalais zeigt die heutige<br />

Stadtmitte u.a. in den farbigen Panoramen<br />

von Arwed Messmer. Die digitale<br />

Technik macht wieder eine ähnli-<br />

42 <strong>brennpunkt</strong> 2/<strong>2011</strong><br />

© Max Missmann, »Bayerischer Platz«, 1912<br />

che Perfektion möglich wie die Plattenkamera<br />

des 19. Jahrhunderts. Wir<br />

sehen ein Berlin, in dem »alles aufeinandertrifft<br />

und nichts zusammen passt«<br />

(Annett Gröschner). Damit wir aber<br />

auch etwas über die Menschen erfahren,<br />

die in Mitte lebten und leben, finden<br />

wir in der obersten Etage Fotos von Barbara<br />

Metselaar-Berthold, keine Unbekannte<br />

in der Szene. Diesmal hat sie vor<br />

allem Bildpaare zusammengestellt, hat<br />

jeweils ein schwarzweißes Streetphoto<br />

aus den Achtzigern kombiniert mit einer<br />

farbigen Stadtansicht von 2010. Dieses<br />

Konzept funktioniert nicht durchgehend.<br />

Auch die Bezeichnung »Vexierbilder«<br />

trifft nicht zu, weil ein Doppelsinn<br />

nicht erkennbar ist.<br />

Einer der allerersten Chronisten Berlins<br />

war Leopold Ahrendts, im Stadtmuseum<br />

vertreten und in der Galerie<br />

Berinson bis 22. April gewürdigt. Die<br />

kostbaren Albumin- und Salzpapierabzüge<br />

aus den 1850er und 1860er Jahren<br />

stammen aus dem Nachlass der Dichterin<br />

Fanny Lewald und sind ganz wunderbar<br />

erhalten, nach 150 Jahren! Das<br />

soll ein Digiprint mal nachmachen.<br />

Hans-Christian Schink meint in »Photonews«:<br />

»Die Entstehungsgeschichte<br />

eines Kunstwerks, ob mehr oder weniger<br />

ablesbar, ist Teil seiner Aura«. Das<br />

gilt in hohem Maße für Schinks eigene<br />

Arbeit »1 h«, die noch bis 16. April bei<br />

Kicken zu sehen ist. Bei der Belichtungszeit<br />

von einer Stunde wird die Sonnenbahn<br />

durch natürliche Solarisation zu<br />

einem dunklen Balken, der über der<br />

Landschaft zu schweben scheint. 2007<br />

brachte ihm die Beschäftigung mit<br />

diesem Phänomen den REAL Photography<br />

Award ein, der immerhin mit<br />

50.000.- Euro dotiert ist.<br />

Im brennpunt 1/<strong>2011</strong> auf Seite 34 steht<br />

Näheres.<br />

Auch Thomas Wrede war in Landschaften<br />

unterwegs, am liebsten in bizarren,<br />

lebensfeindlichen. Er »zivilisiert« sie<br />

dann am Computer auf witzige und hintergründige<br />

Weise, indem er Modelle<br />

von typischen menschlichen Behausungen<br />

an einen schroffen Berghang oder<br />

eine wilde Felsenküste setzt, mit Auto,<br />

Mülltonne und heimeligem Licht. Er<br />

täuscht uns so perfekt, dass wir erst auf<br />

den zweiten Blick stutzig werden. Die<br />

riesigen Acryls sind zwischen den riesigen<br />

ruppigen Betonpfeilern der Galerie<br />

Wagner + Partner noch bis 9. April<br />

zu sehen.<br />

Viel bescheidener gibt sich Karl-Ludwig<br />

Lange bis 24. April in der Kommunalen<br />

Galerie Wilmersdorf. Er ist uns bekannt<br />

als der Chronist der Teilung, hat fast<br />

zwei Jahrzehnte die Berliner Mauer<br />

dokumentiert, bis zu ihrem Fall. Parallel<br />

war er in Westberlin auf den Brücken<br />

unterwegs, die Bahngleise und<br />

Stadtautobahn überspannen. Das klingt<br />

nicht sehr spannend, ist aber ein ästhetischer<br />

Genuss, der freie Blick über die<br />

urbane Landschaft, perfekt vergrößert in<br />

edlem Schwarzweiß. Und die Sünden<br />

der Stadtplaner werden genau so sichtbar<br />

wie bei Max Missmann vor hundert<br />

Jahren.<br />

Daniel Sebastian Schaub rückt der<br />

oft trostlosen Architektur von Ladengeschäften<br />

in Randlagen auf die Pelle<br />

und nennt sie »Authentische Räume«.<br />

Er hält sie für »symbolisch höchst wertvoll«.<br />

Er liebt Reihungen von Glascontainern<br />

und andere serielle Strukturen<br />

im Stadtbild. Bis 22. Mai zeigt Gino<br />

Puddu seine spartanischen Farbmotive<br />

im Galeriecafé Aroma.<br />

Noch ein bisschen morbider geht es bei<br />

Inge Zimmermann zu in der Inselgalerie.<br />

»Verlassen« nennt sie ihre Architekturfragmente<br />

aus Berlin und Brandenburg.<br />

Doch ihre Motive leben, sie<br />

haben räumliche Tiefe und atmen Vergangenheit.<br />

Dass die ganz furchtbar gewesen sein<br />

kann, zeigt Robert Polidori bei Camera<br />

Work mit seinen beklemmenden Dokumenten<br />

aus Pripyat/Chernobyl. Die nukleare<br />

Katastrophe jährt sich am 26. April<br />

zum 25. Mal. Die damals in panischer<br />

Flucht verlassenen Räume hat Polidori<br />

vor 10 Jahren fotografiert. Da drang die<br />

grausige Aura des Ortes noch in jedes

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!