2007-1 - NaturFreunde Deutschlands
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TITEL<br />
I Ein Düsentriebwerk: Fliegen ist<br />
dreimal klimaschädlicher als Bahnfahren.<br />
STEUERSCHULD<br />
Der Kerosinskandal<br />
Fliegen ist die größte Klimasünde. Trotzdem ist Fliegen steuerfrei<br />
bWer herausfi nden will, was Klimapolitik<br />
wert ist, sollte sich die Geschichte der Kerosinsteuer<br />
ansehen. Fliegen ist die größte Klimasünde.<br />
Flugbenzin ist trotzdem steuerfrei. Nicht einmal<br />
Mehrwertsteuer zahlen die Fluggesellschaften.<br />
Seit zwölf Jahren wird dieser Widerspruch diskutiert.<br />
Seit zwölf Jahren wird ein Ende der Steuerfreiheit<br />
für Kerosin gefordert. Seit zwölf Jahren<br />
wird beklagt, dass Bahnfahren ja auch nicht steuerfrei<br />
ist. Seit zwölf Jahren entgehen dem Staat<br />
jährlich eine Milliarde Euro Steuereinnahmen.<br />
Passiert ist aber nichts. Seit zwölf Jahren.<br />
„Fliegen muss teurer werden!“ Unter dieser<br />
Überschrift hatte Bundesumweltministerin Angela<br />
Merkel (CDU) 1995 der Bild-Zeitung erklärt:<br />
„Die Bundesregierung wird international auf eine<br />
weltweite Besteuerung von Flugbenzin dringen.<br />
Wir machen das Auto zum Umwelt-Buhmann,<br />
vergessen aber ganz die katastrophalen Auswirkungen<br />
... durch zunehmenden Flugverkehr ...“<br />
Zwischenfrage der Bild: „Dann werden Flüge<br />
teurer ...“. Merkel: „Dieser Effekt ist ja auch<br />
erwünscht. Wir wollen, dass die Bahn ein wettbewerbsfähiger<br />
Konkurrent zum Flugzeug wird,<br />
nicht nur durch schnellere Verbindungen, sondern<br />
auch über den Preis.“<br />
Nicht die Zahl der Bahnreisenden stieg seitdem<br />
drastisch, sondern die der Fluggäste: Binnen<br />
zehn Jahren explodierte das Passagieraufkommen<br />
auf deutschen Flughäfen von 93 auf<br />
fast 144 Millionen. Und damit stieg natürlich<br />
auch die Klimawirkung der zivilen Luftfahrt:<br />
Nach Angaben des europäischen Verkehrsverbandes<br />
Transport and Environment (T&E) war<br />
der Flugverkehr im Jahr 2000 allein für bis zu<br />
zwölf Prozent des menschengemachten Treibhauseffekts<br />
innerhalb der EU verantwortlich.<br />
Im Oktober 1995 verlangte der Arbeitskreis<br />
Umwelt der CSU „die Einführung einer Steuer-<br />
pfl icht für Flugbenzin: Nach einem nationalen<br />
Einstieg können wir so glaubwürdiger EU-weit auf<br />
eine Verschärfung internationaler Vereinbarung<br />
drängen.“ 1997 forderten Liberale, Rote, Bündnisgrüne,<br />
Schwarze per Bundestagsbeschluss die<br />
Regierung auf, „eine europäische Initiative zu ergreifen,<br />
um die Flugkraftstoffbesteuerung im Rahmen<br />
der Internationalen Luftverkehrsorganisation<br />
durchzusetzen.“ 1998 kam die SPD an die Macht,<br />
die Bündnisgrünen übernahmen das Umweltministerium.<br />
PDS oder FDP hätte über den Bundesrat<br />
initiativ werden können.<br />
VERSCHMUTZUNGSRECHTE<br />
Geredet haben alle. Nur gemacht hat niemand<br />
etwas – bis heute. Der Gesamtausstoß von<br />
Klimagasen in der EU ist seit 1990 leicht gesunken,<br />
die Emissionen des Flugverkehrs aber steigen<br />
enorm schnell. Das britische Tyndall Centre<br />
on Climate Change hat errechnet, dass bei ungebremster<br />
Entwicklung im Jahr 2036 der Luftverkehr<br />
allein so viele Abgase verursachen wird,<br />
wie sich die EU laut eigenen Beschlüssen insgesamt<br />
zugestehen will. Eigentlich ist jedem klar,<br />
dass es so nicht weitergehen kann. Und trotzdem<br />
passiert nichts.c NICK REIMER<br />
Die Ersatz-Debatte<br />
Die EU-Kommission setzt auf die falschen Mittel für klimafreundliches Fliegen<br />
bBläst der Mensch weiterhin so viel Treibhausgase<br />
in die Atmosphäre, könnte die Arktis<br />
während der Sommermonate schon in 35 Jahren<br />
eisfrei sein. Zu diesem Schluss kommt ein amerikanisches<br />
Forscherteam um Marika Holland<br />
von der Universität Washington – veröffentlicht<br />
im Journal Geophysical Research Letters. Außerdem<br />
werde die arktische Eisdecke auch im Winter<br />
dünner – wenn es keine ernsthaften Anstrengungen<br />
für mehr Klimaschutz gibt.<br />
Aber vielleicht gibt es die ja. „Das Klima hat<br />
sich geändert“, urteilt Jos Dings von der „European<br />
Federation for Transport and Environment“.<br />
Dieser Dachverband von 42 Verkehrs-<br />
und Umwelt-NGOs beobachtet in Brüssel die<br />
Politik der EU-Kommission. „Augenscheinlich<br />
ist sich die gesamte Kommission einig, dass der<br />
Flugverkehr einen Beitrag zum Klimaschutz leisten<br />
muss“, meint Dings.<br />
Seit Jahren wird über das Thema geredet –<br />
mehr aber nie. Bis kurz vor Weihnachten: Umweltkommissar<br />
Stavros Dimas hatte einen Plan<br />
zum Klimaschutz im Luftverkehr vorgelegt. Demnach<br />
sollen alle Airlines, die in der EU starten<br />
oder landen von 2011 an Verschmutzungsrechte<br />
– die so genannten CO 2-Zertifi kate – für ihre Flüge<br />
vorlegen. Auch Fluggesellschaften aus Drittstaaten<br />
sollten dazu gezwungen werden, wenn<br />
sie in Europa landen wollen.<br />
Die Kommission hat für eine solche Politik gute<br />
Gründe. In ihrer Mitteilung Nr. 2005-459 hatte<br />
sie vorgerechnet: 2012 wird in Europa doppelt so<br />
SEITE 4 NATURFREUNDiN 1-<strong>2007</strong>