zekazin 1/2012 - zeka, Zentren körperbehinderte Aargau
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Wenn das Auge nicht mitisst!<br />
Kaum hatten sich die Mitarbeiterinnen der kaufmännischen berufe begrüsst,<br />
standen sie bereits in einer Polonaise! Und das ohne fröhliche Ländler-<br />
oder Schlagermusik, ohne Schunkeln auf den bänken und ohne eins über den Durst getrunken<br />
zu haben.<br />
Franka serviert uns in Kürze das Essen. Vorher führt sie<br />
die Polonaise ins stockdunkle Restaurant. An unserem<br />
Tisch angekommen, nimmt sie nacheinander unsere<br />
Hände und führt diese zu den Stuhllehnen. Nach der<br />
ersten Hilflosigkeit in der absoluten Dunkelheit waren<br />
wohl alle froh, sich vorerst in der vermeintlichen Sicherheit<br />
eines Stuhles zu fühlen!<br />
Ich bin überzeugt, dass wir alle das Essen, Sein und<br />
Diskutieren im Restaurant blindekuh anders empfunden<br />
haben. Für mich persönlich waren zwei Erlebnisse<br />
besonders prägend.<br />
Kaum am Tisch angekommen, nimmt Franka die Getränkebestellung<br />
auf. Sie arbeitet seit 7 Jahren hier und<br />
hat ein Sehvermögen von 30 %. Sie hört sich unsere Bestellung<br />
an. Während ich noch immer vorwiegend mit<br />
mir selber beschäftigt bin, bringt sie bereits die Getränke,<br />
stellt sie kommentarlos (!) auf den Tisch und füllt<br />
unsere Gläser. Ob da wirklich meine Cola vor mir steht?<br />
Ich taste mich vorsichtig zu meinem Glas, trinke, Volltreffer.<br />
Auch meine Kolleginnen haben exakt ihre bestellten<br />
Getränke erhalten. Wir sind beeindruckt!<br />
Im Gegensatz zu Gemüse mag ich Salat sehr. Ich bestelle<br />
also einen Frisésalat mit Speck und Croûtons. Beim<br />
gemischten Salat ist mir das Risiko von Bohnen oder<br />
Ähnlichem zu gross. Natürlich sehe ich nicht, was da<br />
auf meinem Teller liegt. Die ersten paar Gabeln schmecken<br />
aber nach Grünem. Wo wohl der Speck liegt? Die<br />
Croûtons? Plötzlich landet da etwas im Mund, das meine<br />
Geschmacksnerven arg strapaziert! Ob ich Franka<br />
fragen soll, ob sie mir wirklich einen Frisésalat serviert<br />
hat? Sie sieht es ja auch nicht! Also esse ich weiter, sicher,<br />
dass ich den gemischten Salat erwischt habe. Bei<br />
jedem Bissen bin ich ab jetzt gespannt wie ein Pfeilbogen,<br />
wie mein Geschmack reagiert… Es hat also durchaus<br />
Vorteile, wenn das Auge mitisst!<br />
Trotzdem, wir waren uns einig: Der Besuch war ein sehr<br />
positives, bleibendes und eindrückliches Erlebnis!<br />
Petra Bolfing, Leiterin Marketing, PR und Fundraising<br />
1/<strong>2012</strong><br />
Wir haben aus der Gruppe ein paar Stimmen eingefangen:<br />
«Grosse Vorfreude – gemischte Gefühle beim Hinsetzen<br />
in der totalen Dunkelheit – andere Sinne wie Gehör<br />
und Geschmackssinn werden sofort aktiv – ein einmaliges<br />
Gruppen-, aber auch Einzelerlebnis, welches doch<br />
ein wenig Mut braucht!»<br />
Conny Thut, Fachverantwortliche kaufm. Berufe<br />
«Neue Erfahrung, sehr eindrücklich, eine ganz andere<br />
‹Welt›, andersartig, nachhaltig prägend – so habe ich<br />
den Eintritt in etwas für mich völlig Neues erlebt.»<br />
Karin Kurz<br />
«Ein tolles Erlebnis. Sehr beeindruckt hat mich, wie<br />
sich die Servierfrauen zurechtfinden und nach den<br />
Stimmen orientieren können. Am Anfang war der<br />
Lärmpegel sehr hoch. Ich habe gemerkt, dass ich besser<br />
höre, wenn ich nichts sehe. Erstaunt hat mich, wie<br />
es mir leicht fiel, mein Essen mit den Händen zu ertasten<br />
und halt teilweise auch mit den Händen zu essen.<br />
Ich habe das geradezu genossen, weil ja niemand zusehen<br />
konnte.<br />
Christine Egger<br />
«Ich war erstaunt, wie schnell sich der ganze Körper<br />
an die Dunkelheit anpassen konnte. Auch ohne Licht<br />
entstand eine sehr angenehme Atmosphäre im Raum<br />
und untereinander, und ich fühlte mich behütet. Unwahrscheinlich<br />
interessant für mich war, dass ich vor<br />
allem feinste Gerüche wahrnahm und versuchte, mir<br />
ein Bild von den französisch sprechenden Nachbarn<br />
zu machen. Unangenehm für mich war der Moment,<br />
wo wir per Polonaise durch den Vorhang gingen und<br />
wieder ans Tageslicht kamen. Die Sonne, die am Anfang<br />
durch das schöne farbige Tiffany-Glasfenster<br />
beim Empfang schien, hat plötzlich so sehr geblendet.<br />
Mir war ein kurzer Moment richtig schwindlig. Ein<br />
wirklich prägendes Erlebnis. Vielen Dank!<br />
Rosmarie Indermühle<br />
Kompetenz für Menschen mit Körperbehinderung 23