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Cinéma<br />
INSOMNIA<br />
DIETRO LA CHIESA<br />
Von Eva Pfi rter<br />
■ Neulich diskutierte ich mit einigen römischen<br />
Freunden über die Zukunft <strong>der</strong> Kirche. Stefano<br />
war soeben von einer studentischen Reise nach<br />
Holland zurückgekehrt, wo er in einer selbigen –<br />
etwas umgebaut natürlich - übernachtet hatte.<br />
Diese Geschichte führte zu so grossem Staunen,<br />
dass ich als Nicht-Katholikin gerade noch einen<br />
draufsetzte, indem ich erzählte, dass in <strong>der</strong> Basler<br />
Elisabethenkirche regelmässig Parties veranstaltet<br />
würden. «Che cosa??» Ein kleiner Sturm <strong>der</strong><br />
Entrüstung brach über mich, die Personifi kation<br />
nordischen Unglaubens, herein. Als ich aber in<br />
die Runde fragte, wer denn von ihnen am Sonntag<br />
noch in die Messe ginge, schwiegen alle leicht<br />
beschämt.<br />
Einige Tage später aber war dann ich diejenige,<br />
die staunte. Wir wollten una partita di calcio<br />
spielen – gemischt, versteht sich. Die Italiener<br />
nennen das calcio cavaliere, weil nur die Frauen<br />
Tore schiessen dürfen. Sehr amüsant übrigens,<br />
da es für den normalen Mann sehr hart ist, KEINE<br />
Tore schiessen zu dürfen. Aber was tut ein echter<br />
cavaliere nicht alles, um die Frauen glücklich zu<br />
machen.<br />
Ich freute mich also auf einen lustigen Abend<br />
und hatte mir auch nichts da<strong>bei</strong> gedacht, dass<br />
sich <strong>der</strong> Fussballplatz dietro la chiesa befand.<br />
Ich dachte, es handle sich da<strong>bei</strong> um eine grobe<br />
geografi sche Umschreibung. Doch <strong>der</strong> Platz lag<br />
wirklich unmittelbar dietro la chiesa! Nebst den<br />
grünen Fussball-Teppich-Fel<strong>der</strong>n gab es noch einen<br />
Volleyballplatz, Umziehkabinen und ein Klubhäuschen<br />
mit Bar. Alles in nächster Nähe zur wun<strong>der</strong>schönen<br />
byzantinischen Kirche Sant’Agnese,<br />
die sich gutmütig vom Flutlicht <strong>der</strong> Sportplätze<br />
bestrahlen liess und ihr Haupt majestätisch über<br />
den schwarz in die Nacht ragenden Pi<strong>nie</strong>n trug.<br />
Als ich nachfragte, ob das üblich sei, dass man<br />
den kirchlichen Garten zu einem campo sportivo<br />
umfunktio<strong>nie</strong>re, nickten alle. Keine Spur von Befremden<br />
über diese Tradition. Im Gegenteil: Aufgrund<br />
<strong>der</strong> gemeinsamen sportlichen Aktivitäten<br />
wird die römische Quartierkirche zu einem festen<br />
Treffpunkt <strong>der</strong> ansässigen Jugend, die ihr auch einige<br />
Jahre später noch die Treue halten – und sei<br />
es nur, um Fussball zu spielen. Ob <strong>der</strong> Papst wohl<br />
davon weiss? Und ob er wohl toleriert, dass die<br />
ganz harten Schüsse aufs Tor manchmal abprallen<br />
und hinaus gegen Sant’Agneses Mauer fl iegen<br />
und <strong>der</strong> Märtyrerin Ruhe stören? Offensichtlich<br />
muss sich auch die katholische Kirche für die Zukunft<br />
wappnen. Und vielleicht ist es ja gar nicht<br />
so abwegig, dietro la chiesa Fussball zu spielen,<br />
schliesslich ist kaum irgendwo Fussball heiliger als<br />
im katholischen Italien.<br />
28<br />
KINO<br />
auf den boden gekommen<br />
Von Lukas Vogelsang - Brahms Tierleben über die Wüste wird umgeschrieben<br />
■ Die Wüste als magischer Ort unserer Phantasie,<br />
als Brutstätte für allerhand Unfassbares und<br />
Unentdecktes. «Die Wüste lebt» möchte man wirklich<br />
sagen, denn die Filmdokumentation von Felix<br />
Tissi «Desert - Who is the man?» zeigt uns die vermeintlichen<br />
Einöden als Brutstätte von allerhand<br />
Menschlich-skurrilem. Da ist die Bernerin Cécile<br />
Keller, welche performanceartig einen Selbstexperiment<br />
mitfi lmt und mit Fliegen kämpft; da sind Wissenschafter,<br />
welcher versuchen die Wüstenzeichnungen<br />
zu lesen – aber auch allerhand «Grusiges»<br />
vorfi nden. Beeindruckend <strong>der</strong> religionsfanatische<br />
Selbstkünstler, <strong>der</strong> mitten in <strong>der</strong> Wüste einen Berg<br />
baut und bemalt – eine sehr kreative Lebensaufgabe.<br />
Religiös gibt sich auch die Pilgergruppe, welche<br />
mit Fotogeräten an einem «heiligen Ort» ein digitales<br />
Erinnerungsbild knipsen. Sehr heilig. Und nicht<br />
fehlen darf das wohl absurdeste Wüstenspektakel<br />
«The burning man» – in diesem Universum wohl<br />
<strong>der</strong> grösste Freaktreff überhaupt. Neben all diesen<br />
«Wilden» bevölkern aber auch tragische Stimmen<br />
den oft sandigen Boden. Diese sind im Film recht<br />
leise und gehen im grotesken Lärm ein wenig unter.<br />
Spannend hingegen sind die Archivaufnahmen <strong>der</strong><br />
Atomexperimente. Kaum zu glauben, zu was <strong>der</strong><br />
Mensch fähig ist. In den Wüsten scheint sich ein faszi<strong>nie</strong>rendes<br />
Abbild <strong>der</strong> menschlichen Intelligenz zu<br />
vereinen. «Desert - Who is the man?» beantwortet<br />
gar nichts. Der Film gibt aber zu denken.<br />
Als «archäologischer Science-Fiction-Film» wird<br />
<strong>der</strong> Kinofi lm angepriesen, das mag vielleicht etwas<br />
übertrieben sein, denn diese Geschichten gehören<br />
zum Heute und haben mit unserer Zukunft o<strong>der</strong><br />
Vergangenheit hoffentlich nicht viel gemeinsam.<br />
Wer sich in die Wüste begibt, hat einen guten Grund<br />
im Jetzt. Das Leben ist für den Menschen dort<br />
nicht einfach und es braucht einen überzeugenden<br />
Grund, sich diesen Qualen auszusetzen. Wer mit <strong>der</strong><br />
Wüste in Kontakt kommt, versteht vor allem eines:<br />
Der Mensch ist sehr klein – auch geistig.<br />
Übrigens werden die Wüsten nicht benannt noch<br />
weiss man, welche Bil<strong>der</strong> von wo kommen. Das ist<br />
schön umgesetzt worden. So werden die Bil<strong>der</strong> tatsächlich<br />
zu Sinnbil<strong>der</strong>n und können als Metapher<br />
herhalten. Der Film besteht aber hauptsächlich aus<br />
einer Aneinan<strong>der</strong>reihung von Geschichten, die <strong>bei</strong><br />
<strong>der</strong> Recherche gefunden wurden. Eine «Botschaft»<br />
o<strong>der</strong> ein Ziel ist schwer auszumachen. Dies wie<strong>der</strong>um<br />
spielt weniger eine Rolle, denn es gibt nichts Ernüchterndes,<br />
als wenn <strong>der</strong> Mensch sein Spiegelbild<br />
zu lange selber betrachten muss. Wir können froh<br />
sein, dass hinter diesem Selbstporträt Mensch kein<br />
absichtlicher Wille steht – es wäre kaum auszuhalten.<br />
Felix Tissi hat keine <strong>der</strong> Episoden zu Ende gefi<br />
lmt. Es sind nur Ausschnitte, kleine Rätsel, die irgendwo<br />
beginnen und irgendwo enden. So wie die<br />
Wüste. So wie <strong>der</strong> Mensch.<br />
Der Film läuft ab 22. November in den Kinos.<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 70 | Oktober 08