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LITERATUR<br />

perlenmanufaktur<br />

mannhart<br />

Von Christoph Simon Bild: Urs Mannhart / zVg.<br />

■ 1975 wurde zu unser aller Glück <strong>der</strong> Schriftsteller<br />

Urs Mannhart geboren, und zu unser aller<br />

Glück liess er seine Karrieren als Heizungszeichner<br />

und Student versanden. Mannhart erlernte<br />

in <strong>der</strong> Folge das literarische Schreiben, das Fahrrad-<br />

und Nachtzugfahren und leistete Zivildienst<br />

in den Berner Alpen. Zwei Romane sind von ihm<br />

erschienen: In «Luchs» (2004) erzählt er von den<br />

Schwierigkeiten <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>ansiedelung des Luchses<br />

in <strong>der</strong> Schweiz, von den Konfl ikten zwischen<br />

Bauern im Oberland und Grosswildbiologen in <strong>der</strong><br />

Feldstation, von den Gegensätzen Landwirtschaft<br />

und Artenschutz.<br />

Der Tatsache, dass die italienische Eisenbahn<br />

nicht nur den Gesetzen <strong>der</strong> Bewegung und des<br />

Fahrplans gehorcht, widmete Mannhart sein zweites<br />

Buch: «Die Anomalie des geomagnetischen<br />

Feldes südöstlich von Domodossola» – eine Liebesballade,<br />

eine Unschuldsvermutung, ein Loblied auf<br />

Kaffeeersatzgetränke. Der Erzähler sieht sich auf<br />

dem Weg zu seiner Geliebten in Rom in Domodossola<br />

bestreikt. Also erkundet er den Bahnhof, die<br />

Nacht und seine Gestalten, beobachtet Innen und<br />

Aussen auf eine Art, die uns Leserschaft wie<strong>der</strong> an<br />

eine Sprache jenseits von Pendlerinformationen<br />

glauben lässt. Mannhart reiht wun<strong>der</strong>volle Sätze<br />

aneinan<strong>der</strong>, zieht Perle um Perle auf eine Schnur.<br />

Sechs Jahre lang ar<strong>bei</strong>tete Mannhart als Velokurier,<br />

und was er da<strong>bei</strong> erfahren hat, kann man<br />

nachlesen im Velokurierbuch, das sich <strong>der</strong> Velokurier<br />

Bern zu seinem zwanzig jährigen Bestehen<br />

geschenkt hat. (Ein unerhört schön gestaltetes,<br />

reich illustriertes Buch zum lächerlichen Preis von<br />

dreissig Franken. Man fragt sich: Wie machen die<br />

das? Wieviele Schichten fahren Velokuriere in Zukunft<br />

bis in alle Ewigkeit gratis für die <strong>Druck</strong>erei?)<br />

Wer Einblicke ins Fahrradkurierwesen zu gewinnen<br />

sucht, wer von Anekdoten und Wissenswertem<br />

rund um einen genossenschaftlich organisierten<br />

ökologischen Betrieb überschwemmt werden<br />

möchte, <strong>der</strong> wird vom Kurierbuch nicht enttäuscht<br />

werden.<br />

Versteckt in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Buches fi ndet<br />

sich Mannharts jüngstes Schmuckwerk: Die<br />

«Kuriernovelle o<strong>der</strong> Der heimlich noch zu überbringende<br />

Schlüsselbund <strong>der</strong> Antonia Settembrini».<br />

Die Kuriernovelle erzählt die Geschichte eines<br />

vormaligen Bürolisten, <strong>der</strong> auf seiner ersten<br />

Schicht als Velokurier, wie Mannhart Radio DRS<br />

anvertraut hat, «ein paar Sachen falsch macht<br />

und genug richtig, und ohne sein Verschulden in<br />

Umstände verwickelt wird, die sein Privatleben<br />

tangieren». In seiner viereinhalbstündigen Schicht<br />

füllt sich sein Rucksack mit Blumensträussen, Kuhaugen,<br />

Visa-Anträgen, heimlich noch zu überbringenden<br />

Hausschlüsseln und weiteren Kuriositäten,<br />

die, wie wir gern zu glauben gewillt sind, zur alltäglichen<br />

Fracht eines Kuriers gehören. Die Kuriernovelle<br />

eröffnet Einblick in Kreisel, Büros und Lifte,<br />

was entsteht ist ein Stadtporträt Berns und ein<br />

empfi ndsamer und gedankenverspielter Beitrag<br />

zur Rubrik «ein Tag im Leben von».<br />

Was unterscheidet einen Velokurier von einem<br />

normalen Menschen? «Es ist schwer, ihn und sein<br />

Rad nicht als Einheit wahrzunehmen, während ich<br />

als Mensch und mein Rad eine Dualität darstellen.<br />

Ich fahre noch mit <strong>der</strong> Lunge, während er schon<br />

lange dazu übergegangen ist, mit den Waden zu<br />

fahren.»<br />

<strong>Sie</strong> lesen Mannhart bereits? Mögen seine bisherigen<br />

Bücher? Seien <strong>Sie</strong> beruhigt, er war <strong>nie</strong><br />

besser – «Die Kuriernovelle» ist bislang sein Meisterwerk.<br />

Urs Mannhart: Kuriernovelle o<strong>der</strong> Der heimlich<br />

noch zu überbringende Schlüsselbund <strong>der</strong> Antonia<br />

Settembrini, in: Kurierbuch, edition Eigenart.<br />

FILOSOFENECKE<br />

Literatur<br />

«Schon möglich, dass es keinen<br />

Grund dafür gibt, dass es ist,<br />

wie es ist.»<br />

Alain de Botton 2004<br />

■ In unserem Verständnis werden Ursache (ein<br />

Grund) und Wirkung (eine Erfahrung) oft als ein<br />

sich bedingendes System aufgenommen. Fehlt<br />

eine Ursache, lässt sich daraus auch keine Wirkung<br />

ableiten. Durch Beobachtung <strong>der</strong> Wirkung<br />

lässt sich also auch auf den Grund schliessen.<br />

Dieser Satz wird in <strong>der</strong> Philosophie als synthetisches<br />

Urteil a posteriori bezeichnet.<br />

Spätestens seit Immanuel Kant wissen wir<br />

aber, dass auch synthetische Urteile a priori<br />

möglich sind. Diese erweitern unser Wissen über<br />

einen Grund, ohne da<strong>bei</strong> auf die Erfahrung zurückzugreifen.<br />

Kant bezeichnet diese synthetische<br />

Urteile a priori als erkenntniserweiternde<br />

Urteile, da sie sowohl unsere Kenntnisse über die<br />

Welt erweitern, als auch notwendig und allgemein<br />

gültig sind. Übersetzt man diese synthetische Urteile<br />

a priori in die Metaphysik – <strong>der</strong> Disziplin <strong>der</strong><br />

«ersten Gründe» o<strong>der</strong> «letzten Fragen» – kommt<br />

man zu Sätzen wie «Gibt es einen freien Willen in<br />

mir?», «Existiert Gott?» o<strong>der</strong> «Gibt es Zustände,<br />

welche sich <strong>nie</strong> verän<strong>der</strong>n werden?»<br />

An diesen Fragen offenbart sich, dass die Suche<br />

nach den Gründen offenbar so alt wie die<br />

Menschheit selbst ist und sich das Bedürfnis,<br />

diese zu kennen, nicht verän<strong>der</strong>t hat. Einzig die<br />

Antworten darauf haben sich im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />

stets gewandelt. Kant for<strong>der</strong>t uns aber auch<br />

dazu auf, aus <strong>der</strong> «selbstverschuldeten Unmündigkeit»<br />

auszubrechen und unseren Verstand in<br />

den Dienst <strong>der</strong> Vernunft zu stellen. Da<strong>bei</strong> geht<br />

es nicht mehr nur darum, den Grund als etwas<br />

Statisches, Absolutes zu erfahren. Es soll uns viel<br />

mehr animieren, über unsere Gedankengänge<br />

dem Leben stets einen neuen Sinn zu erteilen<br />

und den menschlichen Entdeckungsdrang und<br />

Wissensdurst zu stillen. Dogmas und Exegesen<br />

werden durch diese Sicht <strong>der</strong> Dinge in ihrer Substanz<br />

bedroht. Kein Wun<strong>der</strong>, haben die kantischen<br />

Gedanken mitunter zur Aufklärung und Loslösung<br />

<strong>der</strong> Menschen von <strong>der</strong> Kirche geführt.<br />

Liest sich aus diesem Blickwinkel dieser Gedanken<br />

das Zitat von de Botton nicht wie ein<br />

Anachronismus? Man könnte versucht sein zu sagen:<br />

Ja klar ist es möglich, dass es keinen Grund<br />

gibt und das ist auch gut so. Damit bin ich als<br />

denken<strong>der</strong>, also mündiger, Mensch in <strong>der</strong> Lage,<br />

mein Leben in voller Verantwortung zu gestalten,<br />

ohne dafür einem höheren Grund hörig zu sein.<br />

Wie ist Ihre Wahrnehmung zum Zitat? Treten<br />

<strong>Sie</strong> mit uns in eine Diskussion. Am Mittwoch,<br />

29. Oktober, um 19:15 h im Tonus Musikkeller<br />

an <strong>der</strong> Kramgasse 10, Bern.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 70 | Oktober 08 37

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