Der lange Atem der Provokation - Historisches Institut
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<strong>Der</strong> "männliche Blick auf die Frauenbewegung" 29 führe zu Urteilen, die von <strong>der</strong><br />
Kritik ("Politikdefizit", Partikularismus", "Separatismus") bis zum wohlmeinenden<br />
Ratschlag ("Gefahr des Dogmatismus" o<strong>der</strong> <strong>der</strong> "regressiven Reideologisierung")<br />
reichten. Damit bekräftigten sie ein Verständnis gesellschaftlicher Mo<strong>der</strong>nisierung,<br />
welche das Janusgesicht <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ignoriere. 30<br />
Gleichzeitig wurden jedoch aus den Reihen <strong>der</strong> Frauenforschung auch Versuche<br />
unternommen, die Soziale Bewegungsforschung für die Analyse <strong>der</strong> Frauenbewegung<br />
fruchtbar zu machen. 31 Schließlich setzte sich in den 1990er Jahren ein differenzierter<br />
Umgang mit den analytischen Instrumentarien und gesellschaftstheoretischen<br />
Annahmen <strong>der</strong> Sozialen Bewegungsforschung in <strong>der</strong> Frauenbewegungsforschung<br />
durch. 32 Allerdings sind daraus bislang erst wenige empirische Analysen<br />
hervorgegangen. 33<br />
Im Rückgriff auf das methodisch-analytische Instrumentarium <strong>der</strong> Sozialen Bewegungsforschung<br />
akzentuiert die vorliegende Arbeit das Zusammenspiel von Ideen,<br />
Interaktionsdynamiken und institutionellen Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Mobilisierung.<br />
Die Studie löst sich damit von einer primär auf die "Mo<strong>der</strong>nisierungsleistung" sozialer<br />
Bewegungen gerichteten Fragestellung, wie sie vielfach Analysen <strong>der</strong> Neuen<br />
Sozialen Bewegungen zugrunde liegt, und folgt dem Vorschlag (und <strong>der</strong> Schreibweise)<br />
Dieter Ruchts u.a., neue soziale Bewegungen durch vier Merkmale zu definieren:<br />
1. ein "gebrochenes Verhältnis zum Mo<strong>der</strong>nisierungsprozeß" 34 , 2. eine dezentrale<br />
Organisationsweise, 3. eine bei strukturellen und persönlichen Verän<strong>der</strong>ungen ansetztende<br />
Strategie <strong>der</strong> radikalen Reform und 4. eine sozialstrukturelle Verankerung<br />
in den neuen Mittelschichten.<br />
Vergleich Deutschland-Frankreich<br />
Viele Eigenarten <strong>der</strong> Frauenbewegungen sind erst verständlich geworden, nachdem<br />
ich das Selbstverständnis ihrer Anhängerinnen als eine ihrer Handlungsmotivationen<br />
mit in die Analyse einbezogen sowie den internationalen Transfer von Ideen und<br />
29<br />
Clemens 1989.<br />
30<br />
Vgl. Kontos 1986.<br />
31<br />
Beer/Rode 1986; Knafla/Kulke 1987.<br />
32<br />
Sehr hilfreich: Lenz 1996.<br />
33<br />
Vorbildhaft: Dackweiler 1995; Apostolidou 1995; Schäfer 2001. In den französischen Sozialwissenschaften<br />
fand das Konzept <strong>der</strong> Neuen Sozialen Bewegungen kaum Anhänger, wurde die<br />
französische Frauenbewegung folglich auch nicht aus dieser Perspektive betrachtet. Hier nahm<br />
Ende <strong>der</strong> siebziger/Anfang <strong>der</strong> achtziger Jahre eine Forschungsgruppe aus dem Umkreis Alain<br />
Touraines die Frauenbewegung zum Gegenstand. Ihre Sondierungsstudie, die mit den Mitteln<br />
<strong>der</strong> "soziologischen Intervention" durchgeführt wurde, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die<br />
Frauenbewegung keine soziale Bewegung im Sinne von Touraines Definition sozialer Bewegungen<br />
als "konfliktuelles Handeln, das kulturelle Patterns [...] in soziale Organisationsformen<br />
umsetzt" war, vgl. Touraine 1983, 145.<br />
34<br />
Rucht 1994, 154.<br />
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