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Der lange Atem der Provokation - Historisches Institut

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Gruppe an. Denn ihr war bereits in den Vereinigten Staaten deutlich geworden, dass<br />

die Aufhebung <strong>der</strong> Ungleichheit zwischen Männern und Frauen selbst in den aktuell<br />

diskutierten Gesellschaftsutopien nicht zur Sprache kam und diese Ignoranz auch in<br />

<strong>der</strong> entstehenden Pariser Bewegung überwog. Delphy begann, sich frauenpolitisch zu<br />

engagieren. Im August 1970 gehörte sie zu den ersten Organisatorinnen einer feministischen<br />

Demonstration in Frankreich: einer Solidaritätskundgebung mit streikenden<br />

amerikanischen Frauen, zu <strong>der</strong> sie gemeinsam mit "allen Frauen" aufrief, die sich<br />

"ihrer Unterdrückungssituation bewusst" 67 waren. Später gründete Delphy zusammen<br />

mit an<strong>der</strong>en die erste Zeitschrift für feministische Wissenschaft in Frankreich, die<br />

questions féministes.<br />

Mitte <strong>der</strong> dreißiger Jahre im Süden Frankreichs geboren, entschied sich die Halbkorsin<br />

Antoinette Grugnardi nach dem Abitur, das Studium <strong>der</strong> französischen Sprache<br />

und Literatur aufzunehmen. 68 Für diesen Zweck verließ sie das heimische Marseilles<br />

und zog in die einige Kilometer nördlich gelegene Universitätsstadt Aix-en-<br />

Provence. Hier lernte sie den Akademiker René Fouque kennen, dessen Namen sie<br />

wenig später annahm. Auf die Hochzeit folgte die Geburt einer kleinen Tochter und<br />

schließlich, Mitte <strong>der</strong> fünfziger Jahre, das Lehrerinnenexamen. Nebenbei arbeitete<br />

die junge Frau als Journalistin, eine Tätigkeit, die sie auch durch das Vorbereitungsjahr<br />

für das Promotionsstudium hindurch begleitete, das sich nun anschloss. Das<br />

Leben, das bis dahin in geregelten Bahnen verlaufen war, wurde jäh erschüttert, als<br />

eine angeborene Krankheit ausbrach, die sie fortan unheilbar an den Rollstuhl fesselte.<br />

1960 verließen die Fouques den Süden Frankreichs und etablierten sich in <strong>der</strong><br />

Hauptstadt. Antoinette Fouque arbeitete weiter als Journalistin und übernahm zusätzlich<br />

eine Lektoratsstelle beim Verlag Seuil. Hier kam sie mit den Schriften von<br />

Jacques Lacan in Kontakt, <strong>der</strong> mit seiner radikal neuen Interpretation <strong>der</strong> Lehre Sigmund<br />

Freuds als "enfant terrible" <strong>der</strong> psychoanalytischen Gemeinde galt und dessen<br />

Werk <strong>der</strong> Verlag edierte. Auch die Arbeiten <strong>der</strong> Gruppe um die Zeitschrift Tel Quel<br />

weckten Fouques Aufmerksamkeit. Ende <strong>der</strong> sechziger Jahre nahm die inzwischen<br />

getrennt lebende und allein erziehende Mutter unter <strong>der</strong> Leitung von Roland Barthes<br />

das Promotionsstudium auf. 69 Parallel hörte sie psychoanalytische Vorlesungen an<br />

<strong>der</strong> neu eröffneten Universität Paris-Vincennes und verfolgte aufmerksam die Seminare<br />

Jacques Lacans. Antoinette Fouque entschloss sich zu einer Psychoanalyse bei<br />

diesem faszinierenden Theoretiker und praktizierenden Analytiker, die sie später bei<br />

einer "verstoßenen" Schülerin Lacans fortsetzte, <strong>der</strong> Psychoanalytikerin und Philosophin<br />

Luce Irigaray. Im Herbst 1968 rief Fouque mit Kolleginnen, Bekannten und<br />

Freundinnen eine Gruppe ins Leben, die sich sowohl mit Theorien und Praktiken <strong>der</strong><br />

Psychoanalyse als auch, angeregt durch die Ereignisse im Mai '68, mit kritischen<br />

Gesellschaftstheorien auseinan<strong>der</strong>setzte.<br />

67 Femmes en grève, Flugblatt, nicht datiert, vermutlich August 1970. Fundort: MD, Dossier<br />

MLF.<br />

68 Vgl. im folgenden: "Antoinette Fouque", in: Le débat 50 (1988), 241-242; Fouque 1990; Rou-<br />

dinesco 1986, 523ff.<br />

69 Das Projekt kam nicht zum Abschluss.<br />

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