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Der lange Atem der Provokation - Historisches Institut

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tur zeigen, dass das Verhältnis von Protestbewegungen und sozialem Wandel komplexer<br />

ist.<br />

Zumindest im europäischen Kontext wurde mit <strong>der</strong> Frauenbewegung eine neue<br />

Qualität kollektiver Protestformen erreicht. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist in den<br />

westlichen Demokratien die Frauenbewegung, was ihre Dauer, ihre institutionelle<br />

Verankerung und ihr Mobilisierungsvermögen angeht, allein mit dem amerikanischen<br />

Civil-Rights-Movement vergleichbar. Selbst die 68er Bewegungen, die vielfach<br />

als Zäsur in <strong>der</strong> politischen Kultur des Westens beschrieben werden, weisen keine<br />

ähnlich nachhaltige Mobilisierung auf. Wie erklärt sich dieser Erfolg? Um eine Antwort<br />

zu finden, konzentriere ich mich, <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung Scotts folgend, "to ask more<br />

often how things happen in or<strong>der</strong> to know why they happen", 9 auf die "Performanz"<br />

<strong>der</strong> Bewegungen, ihre Kommunikations- und Artikulations-, Aktions- und Organisationsformen.<br />

Theoretische Prämissen<br />

Die Untersuchung fußt auf zwei theoretischen Prämissen. Erstens geht sie davon aus,<br />

dass Wissen um die Herrschaftsmechanismen zu einer Destabilisierung des Systems<br />

<strong>der</strong> Machtverteilung führen kann, wenn verdeckte Interessen <strong>der</strong> Herrschenden entschleiert<br />

und die "Bewusstwerdung und die Mobilisierung <strong>der</strong> Opfer" 10 geför<strong>der</strong>t<br />

werden. In diesem Sinn ist herauszuarbeiten, welchen Beitrag die Frauenbewegungen<br />

dazu leisteten, dass die Frage <strong>der</strong> ökonomischen, sozialen und politischen Gleichstellung<br />

von Männern und Frauen so nachhaltig auf die politische Agenda demokratisch<br />

legitimierter Gesellschaften gesetzt wurde, dass es heute zum "guten Ton" gehört,<br />

Chancengleichheit zu propagieren. Dies trifft selbst jene Instanzen, die nach Bourdieu<br />

die "effizientesten Legitimationshandlungen" differenzierter Gesellschaften<br />

vollziehen, wie das Schulsystem o<strong>der</strong> die "Mechanismen, die die Vererbung des<br />

kulturellen Kapitals gewährleisten". 11<br />

Mit <strong>der</strong> zweiten Prämisse folgt die Untersuchung einer Annahme <strong>der</strong> Geschlechtergeschichte<br />

sowie <strong>der</strong> neuen Kultur- und Politikgeschichte, die davon ausgehen,<br />

dass historische Konflikte um reale Machtverteilung immer auch symbolische Kämpfe<br />

um Bedeutungszuschreibungen sind. Geschlecht ist demnach keine allem an<strong>der</strong>en<br />

vorausgehende, absolute Gegebenheit. "<strong>Der</strong> konkrete Inhalt davon, eine Frau o<strong>der</strong><br />

ein Mann zu sein, ist historisch und kulturell höchst variabel." 12 Allerdings ist dieser<br />

Inhalt eine soziale Tatsache, die sich in <strong>der</strong> Ordnung <strong>der</strong> Geschlechter als einer Dimension<br />

<strong>der</strong> gesellschaftlichen Ordnung nie<strong>der</strong>schlägt. Die Frauenbewegung for<strong>der</strong>te<br />

mit Erfolg dazu auf, die herrschende Vorstellung, o<strong>der</strong>, mit den Worten Roger Char-<br />

9 Scott 1988a, 142.<br />

10 Bourdieu 1997, 214.<br />

11 Ebd., 159, Anmerkung 7.<br />

12 Bock 1988, 373. Komplementär dazu ist "Sexismus", Bourdieu zufolge, ein "Essentialismus":<br />

"Wie <strong>der</strong> ethnische o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Klassenrassismus will er geschichtlich instituierte gesellschaftliche<br />

Unterschiede einer biologischen Natur zurechnen, die als eine Essenz fungiert, aus <strong>der</strong> unerbittlich<br />

alle Daseinsakte sich ableiten", vgl. Bourdieu 1997, 169.<br />

11

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