Der lange Atem der Provokation - Historisches Institut
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nern und Frauen. 118 Frauen waren viel häufiger in den angelernten und ungelernten<br />
Tätigkeiten anzutreffen, während in höheren Positionen nach wie vor Männer dominierten.<br />
Zwar stieg beispielsweise im Bereich <strong>der</strong> industriellen Produktion <strong>der</strong> Anteil<br />
<strong>der</strong> qualifizierten Arbeiterinnen zwischen 1961 und 1968, im gleichen Zeitraum<br />
nahm aber auch <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Frauen an den Ungelernten zu:<br />
1962 1968<br />
Vorarbeiterin 5,9 7,2<br />
Gelernte 17,3 16,3<br />
Angelernte 26,3 23,0<br />
Ungelernte 27,9 30,1<br />
Tabelle 3: Anteil von Frauen (in %) in <strong>der</strong><br />
industriellen Produktion in Frankreich<br />
(Quelle: Duchen 1994, 140.)<br />
Auch im akademischen Bereich gab es weiterhin geschlechtsspezifische Unterschiede:<br />
Frauen erlangten seltener die Hochschulreife, konzentrierten sich in einigen wenigen<br />
Fachdisziplinen, gaben häufiger das Studium auf und schlossen seltener als<br />
ihre männlichen Kommilitonen mit dem Doktorgrad ab. Hier wirkten sich, stellten<br />
Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron in ihrer Studie zum Bildungswesen in<br />
Frankreich Mitte <strong>der</strong> sechziger Jahre fest, die "traditionellen Modelle <strong>der</strong> Arbeits-<br />
und Begabungsverteilung zwischen den Geschlechtern" aus. 119 Simone de Beauvoir<br />
hatte 1949 festgestellt, dass Männer "keine Blaustrümpfe" mögen und dass "zuviel<br />
Kühnheit, Intelligenz und Charakter" Männer abschrecken. 120 Dies hatte sich auch ein<br />
Vierteljahrhun<strong>der</strong>t später we<strong>der</strong> in Frankreich noch in <strong>der</strong> Bundesrepublik grundlegend<br />
geän<strong>der</strong>t.<br />
Die im Vergleich zu Männern deutliche Benachteiligung von Frauen bot Anlass<br />
genug, für kollektive Unzufriedenheit. Die Theorie <strong>der</strong> relativen Deprivation geht<br />
nicht selbstverständlich davon aus, dass den Betroffenen sämtliche Äußerungsformen<br />
ihrer objektiven Benachteiligung bewusst sind. Stattdessen wird mit dem Begriff des<br />
diffusen "Unzufriedenheitsgefühls" 121 darauf verwiesen, dass zwischen Diskriminierung,<br />
<strong>der</strong> Analyse von Diskriminierung und <strong>der</strong> daraus möglicherweise resultieren-<br />
118 In Bezug auf das Lohnniveau sind genaue Zahlen schwierig zu erhalten. Die Berechnungen<br />
Lagraves für Frankreich ergaben, dass in Europa <strong>der</strong> Abstand zwischen Männer- und Frauenlöhnen<br />
allen gesetzlichen Bestimmungen zum Trotz noch 1975 zwischen 25 und 35% betrug.<br />
Selbst bei gleicher Qualifikation wurden Frauen schlechter entlohnt als Männer. Noch 1973 betrug<br />
nach OECD-Studien <strong>der</strong> durchschnittliche Stundenlohn von weiblichen Lohnarbeiterinnen<br />
in nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten nur 78,8% von dem <strong>der</strong> männlichen Lohnarbeiter. Vgl.<br />
Bakker 1988, 26. Allgemein: Lagrave 1995, 485-521.<br />
119 Bourdieu/Passeron 1971, 23. Neuere Zahlen für Frankreich: Ministère de l'éducation, Secrétariat<br />
d'Etat aux universités 1976, für die Bundesrepublik Bundesminister für Bildung und Wissenschaft<br />
1978.<br />
120 Beauvoir 1949, hier zitiert nach <strong>der</strong> deutschen Übersetzung von 1992, 864.<br />
121 Raschke 1985, 149.<br />
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