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Der lange Atem der Provokation - Historisches Institut

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gebe, analysiert die Autorin die Bedingungen, unter denen Frauen in ihre untergeordnete<br />

Stellung gedrängt würden. "Man wird nicht als Frau geboren, man wird<br />

es." 170 Hun<strong>der</strong>tfach zitiert, gilt dieser Satz seit den siebziger Jahren als zentrale Aussage<br />

von "Das an<strong>der</strong>e Geschlecht". In ihm verdichtete sich die dem existentialistischen<br />

Ansatz Beauvoirs zugrunde liegende Annahme, <strong>der</strong> Mensch sei nicht ein "gegebenes<br />

Wesen", son<strong>der</strong>n eines, "das sich zu dem macht, was es ist". 171 Für Beauvoir<br />

schafft sich die Frau wie je<strong>der</strong> Mensch ihre Existenz in eigener Verantwortung und<br />

sie vermag dank dieses Willensaktes a priori, einem vermeintlichen "Schicksal" zu<br />

entgehen. Ausgehend von dieser Prämisse gelangt Simone de Beauvoir im Blick auf<br />

Gestern und die Gegenwart zu dem Schluss: "Was [...] die Situation <strong>der</strong> Frau in einzigartiger<br />

Weise definiert, ist, dass sie sich [...] in einer Welt entdeckt und wählt, in<br />

<strong>der</strong> die Männer ihr vorschreiben, die Rolle des An<strong>der</strong>en zu übernehmen." 172 Das<br />

Geschlechterverhältnis sei seit Jahrhun<strong>der</strong>ten auf die natürlichen Unterschiede von<br />

Mann und Frau zurückgeführt und durch Philosophie, Religion, Literatur und die<br />

Naturwissenschaften immer wie<strong>der</strong> legitimiert worden. In einem historischen und<br />

historisierbaren Prozess, den die Autorin in seinem phylo- wie ontogenetischen Verlauf<br />

in beiden Teilbänden des Buches nachvollzieht, konstituiere sich die Frau als das<br />

Unwesentliche gegenüber dem Mann, <strong>der</strong> sich als das Wesentliche setze.<br />

Beauvoir stellte sich die Aufgabe, das System <strong>der</strong> Mythen und Vorurteile aufzudecken,<br />

welche die Frau daran hin<strong>der</strong>ten, sich einen eigenen Lebensentwurf zu schaffen<br />

und diesen zu leben. Daher setzte sie damit ein, die vorherrschenden Erklärungsansätze<br />

<strong>der</strong> Biologie, <strong>der</strong> Psychoanalyse und des historischen Materialismus zu erörtern<br />

und kam zu dem Schluss, dass die Situation <strong>der</strong> Frau durch die Beschreibung<br />

ihrer biologischen Merkmale nicht hinreichend erfasst werde. Dies galt auch für die<br />

Darstellung <strong>der</strong> Organisation ihrer psychischen Struktur o<strong>der</strong> die Untersuchung ihrer<br />

Rolle als Arbeiterin. Denn <strong>der</strong> "Wert <strong>der</strong> Muskelkraft, des Phallus, des Werkzeugs<br />

kann nur in einer Welt von Werten definiert werden; er wird bestimmt durch den<br />

grundlegenden Entwurf des Existierenden, <strong>der</strong> sich auf das Sein hin transzendiert." 173<br />

Im zweiten Buch rückte Beauvoir die konkrete Erfahrung weiblichen Daseins ins<br />

Zentrum <strong>der</strong> Analyse, indem sie fragte, wie die Frau "ihr Frausein" erlernt, erlebt,<br />

und "welche Fluchten ihr erlaubt sind." 174 Beauvoir beschrieb den Werdegang des<br />

Mädchens von <strong>der</strong> frühen Kindheit über die Pubertät zur sexuellen Reife und zum<br />

Alter und hob die Zwänge und Festlegungen hervor, die mit <strong>der</strong> gesellschaftlich<br />

zugewiesenen weiblichen Rolle verbunden wären. Abschließend wägte die Philosophin<br />

die Möglichkeiten einer Befreiung ab.<br />

170 Beauvoir 1949, 334. Hier und im Folgenden zitiert nach <strong>der</strong> neuen Übersetzung, Reinbek 1992.<br />

Zur Übersetzungsproblematik des Satzes vgl. Kapitel V.<br />

171 Ebd., 59.<br />

172 Ebd., 181.<br />

173 Ebd., 85.<br />

174 Ebd., 333.<br />

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