Böhmerwäldler Jahrbuch 2005 - Deutscher Böhmerwaldbund eV
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auf den Kirchturm. Von dort schossen sie wild in die Gegend. Die Bevölkerung<br />
war verschreckt und verängstigt, niemand wusste, was wohl jetzt auf sie zukommen<br />
würde. Viele Frauen mit den Kindern und den alten Leuten flüchteten in<br />
entlegene Höfe, die vom Kirchturm nicht eingesehen werden konnten. Sie nächtigten<br />
in den Stuben, auch meine Großmutter, meine Tante Anna und meine Mutter<br />
mit mir, ich war ein halbes Jahr alt. Vier Männer aus unserer Pfarrei nahmen<br />
die Soldaten gefangen. Sie mussten stundenlang mit erhobenen Händen an der<br />
Friedhofmauer stehen und angeblich auf ihre Erschießung warten. Dann wurden<br />
sie aber gefesselt, nach Budweis getrieben und ins Gefängnis gesteckt. Da aber<br />
bald darauf unsere Heimat zu Deutschland gehörte, mussten sie entlassen werden.<br />
So gingen sie den weiten Weg barfuß zurück, man hatte ihnen die Schuhe<br />
abgenommen. Allmählich sickerte die Nachricht durch: Die Deutschen sind im<br />
Anmarsch! Von Andreasberg konnte man weit ins Land hinein schauen, so sah<br />
man die Lichter der Kolonne aus Richtung Linz kommen. Natürlich hat man die<br />
Deutschen mit Freude und Erleichterung empfangen, wurden doch Ungewissheit<br />
und Angst von uns genommen. So ging es heim ins Deutsche Reich! Das Blatt<br />
hatte sich gewendet. Erst wurden die Deutschen unterdrückt, jetzt ließ man es<br />
den Tschechen spüren. Der Frieden dauerte aber nicht lange. Unsere Väter, Onkeln<br />
und Brüder wurden zum deutschen Militär eingezogen. Der schreckliche 2.<br />
Weltkrieg begann und damit das Ende.<br />
Es war das Jahr 1945. Die deutschen Soldaten waren auf dem Rückzug. Ein Hauptmann<br />
mit seinem Burschen machte in unserem Haus Station. Es kamen noch<br />
mehr Soldaten, sie mussten ihre Waffen abgeben und auf die Gefangennahme<br />
warten. Sie waren völlig demoralisiert und mit den Nerven fertig. Meine Großmutter<br />
kochte ihnen Suppe von den wenigen Lebensmitteln, die wir noch hatten.<br />
Sie sagte immer: „Wenn wir ihnen was Gutes tun, werden andere unseren Buben<br />
auch was Gutes tun.“ Es war im Mai 1945. Ich war sieben Jahre alt. Meine Großmutter<br />
und ich waren in der Küche, plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und ein<br />
Neger mit einem Gewehr im Anschlag stand vor uns. Zum ersten Mal sah ich<br />
einen Schwarzen. Die Amerikaner waren da. Wir mussten das Haus räumen, so<br />
zogen wir zwei Häuser weiter zu meiner Tante Albine. Unser Haus war beschlagnahmt.<br />
Ebenerdig war die Küche, im 1. Stock hatte der Capitain seinen Posten.<br />
Im Garten standen die Zelte der Schwarzen. Meine Mutter durfte nur zu bestimmten<br />
Zeiten in den Stall um das Vieh zu versorgen. Die Amerikaner waren sehr kinderlieb.<br />
Jeden Morgen riefen sie uns: „Mitzi, Anni, kleine Paula, kommt!“ Wir bekamen<br />
kleine Pfannkuchen mit viel Orangenmarmelade darauf. Wenn wir drei die<br />
gleichen Dirndlkleider an hatten, wurden wir fotografiert und durften mit dem<br />
Jeep mitfahren. Der Soldat Harry kam gern zu meiner Großmutter, er wollte sein<br />
Deutsch verbessern, denn seine Großmutter stammte aus Köln. Er bot uns auch<br />
an, wir sollen unsere ganzen Sachen in einen Lastwagen packen, sie nehmen uns<br />
mit nach Bayern. Meine Großmutter aber sagte empört: „Ich geh doch nicht von<br />
zu Hause weg!“ Doch nach kurzer Zeit mussten wir mit nur 50 kg weg, die Vertreibung<br />
aus unserer Heimat begann.<br />
Leopold Hafner: Antlitz Christi