download catalogue high resolution pdf (22.3 mb) - Jens Haaning
download catalogue high resolution pdf (22.3 mb) - Jens Haaning
download catalogue high resolution pdf (22.3 mb) - Jens Haaning
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
Damit aber entgeht er auch der Falle, über seine künstlerische Praxis eine<br />
gesellschaftliche Teilhabe am Anderen für das Kunstpublikum herzustellen.<br />
Zwar wurde auch <strong>Haaning</strong> vorgeworfen, er habe mit dem Projekt nichts an der<br />
sozialen Lage der Beteiligten geändert, sondern nur deren ohnehin miserable<br />
Situation als exotisches Event "ausgebeutet". Die Argumentation mag zwar im<br />
Umgang mit den Arbeiten von Santiago Sierra stimmen, der seine Probanden<br />
auswählt, damit sie für ein paar Dollar stumpfsinnige und völlig sinnentleerte<br />
Arbeit vollbringen. Eine solche Kritik geht jedoch immer schon von einer positiv<br />
gewendeten, aber nicht weniger funktionalisierten Kunst aus, die höchstens<br />
bessere Alternativen zum gesellschaftlichen Status Quo darstellt. Das ist eine<br />
naïve Vorstellung, die in Projekten mit Minderheiten lediglich die eigene Toleranz<br />
sucht - nach dem Ende der Ausstellung ist es dann auch mit der Aufmerksamkeit<br />
vorbei. <strong>Haaning</strong> geht es jedoch nicht um die Anschlussfähigkeit, sondern um die<br />
Spannung, die die gleichzeitige Anwesenheit unterschiedlicher Modelle produziert:<br />
Weapon Production und Flag Production stören die vorgegebene Struktur, weil sie<br />
sich nicht an die Rahmenbedingungen für Kunst im öffentlichen Raum halten. Die<br />
Arbeiten richten sich hier eben nich am Betrachter aus, der die Kompetenz, die<br />
"soziale Verbindlichkeit" des Künstlers beurteilt. Statt dessen bestätigt <strong>Haaning</strong> die<br />
Divergenz, zeigt, wie sehr sich die Akteure des Kunst-Projekts von den Betrachtern<br />
unterscheiden. Das ist das Gegenteil partizipatorischer Ansätze, bei denen es ja<br />
gerade darum geht, das Publikum am Prozess der Arbeit teilhaben zu lassen.<br />
<strong>Haaning</strong> dagegen schafft einen Freiraum innerhalb des ästhetischen Feldes<br />
für Anliegen von Außen. Nie macht er die Projekte zum Stellvertreter seiner<br />
künstlerischen Praxis. Für Turkish Mercedes ließ er 1996 einen entsprechenden<br />
Wagen mit türkischen Nummernschildern durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg<br />
fahren, in dem die Bevölkerung weitgehend türkischer Herkunft ist. Aus<br />
Lautsprechern auf dem Dach des Mercedes konnte man türkische Witze hören. Die<br />
gesamte Aktion bezog sich auf den Alltag einer spezifischen ethnischen Gruppe, die<br />
ansonsten in Berlin nicht am Kunstdiskurs beteiligt ist, während sich die Witze —<br />
als Gegenstand von Turkish Mercedes — dem kunstinternen Kontext schon allein<br />
sprachlich nicht vermitteln ließen. Miteinander und zugleich aneinander vorbei: In<br />
Bezug auf <strong>Haaning</strong>s Arbeiten bildet diese Formel genau die Paradoxie des "blinden<br />
Flecks" ab, an dem sich gesellschaftliche Unterschiede als kulturelle unversöhnlich<br />
gegenüber stehen, ohne dass sie durch Kunst in irgendeine Art von Integration<br />
überführbar wären. Statt Widersprüche zu beseitigen werden sie bei <strong>Haaning</strong><br />
überhaupt erst einmal aktiviert. Nicht die Lösung, aber der Konflikt zählt, weil er<br />
allein verdeutlicht, wie Ausschluß im Innern der angeblich sorgsam nach allen<br />
017<br />
HFB<br />
P.183