Neue Szene Augsburg 2015-09
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
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26 Zoom<br />
Die<br />
Boulespieler<br />
aus dem<br />
Prinz-Karl-<br />
Palais<br />
Im Prinzip ist es das einfachste<br />
Spiel der Welt: Ein größeres Ding<br />
möglichst nahe an ein kleineres werfen.<br />
Das könnten wirklich schon die Neandertaler<br />
mit Steinen, Hölzern oder Knochen praktiziert<br />
haben. Noch ein paar Regeln dazu und fertig ist das<br />
Boulespiel, das bereits Hippokrates 400 Jahre vor<br />
Christus mit Steinkugeln gespielt haben soll. „Boule“<br />
ist freilich nur der französische Überbegriff für unzählige<br />
Varianten vom italienischen Boccia bis zum<br />
englischen Bowls. Den Kugel- und Bahngrößen sind<br />
kaum Limits gesetzt und auch die Siegprämien<br />
haben die ein oder andere Wandlung durchgemacht:<br />
Bei den Römern soll es üblich gewesen sein, dass<br />
der Verlierer den Gewinner auf dem Rücken zum<br />
nächsten Abwurfpunkt tragen muss – eine aus taktischen<br />
Gründen durchaus interessante Möglichkeit.<br />
Gott würfelt nicht – er boult<br />
Die Boule-Sozialisierung in Deutschland läuft meistens<br />
nach demselben Muster: Jeder kennt aus dem<br />
Strandurlaub in Italien oder an der Ostsee die wassergefüllten<br />
Boccia-Kugeln. Wenn die Reise dann mal<br />
etwas weiter weg führt, stehen die meisten irgendwann<br />
mit offenem Mund in einem französischen<br />
Stadtpark voller Boulespieler aller Altersklassen und<br />
Bevölkerungsschichten – für Eingeweihte der wahre<br />
Hintergrund des Spruchs „wie Gott in Frankreich“.<br />
Zurück in Deutschland machen viele den Anfängerfehler,<br />
sich im Baumarkt oder auf dem Flohmarkt den<br />
klassischen Sechsersatz Billigkugeln zu besorgen,<br />
die entweder schon fröhlich vor sich hinrosten oder<br />
unmittelbar nach dem Auspacken damit anfangen.<br />
Spätestens dann trennt sich die Spreu vom Weizen:<br />
beim Gang zum Fachhändler, in realiter oder online.<br />
Dass die Schmuckstücke des französischen Weltmarktführers<br />
„Obut“, der nach eigenen Angaben<br />
zehntausend Kugeln pro Tag herstellt, bei 40 Euro<br />
für drei Stück anfangen und bis zu knapp 300 Euro<br />
kosten können, schreckt dann nur noch geringfügig<br />
ab, eher im Gegenteil. Es muss ja nicht gleich die<br />
Wettkampfkugel aus Karbon sein.<br />
Mit ein paar Klicks lernt man, dass die französische<br />
Variante eigentlich „Petanque“ heißt, erfährt von der<br />
klassischen Zweiteilung der Teammitglieder in Experten<br />
fürs „Schießen“ auf die Kugeln des Gegners und<br />
das „Legen“ der eigenen Kugeln. Dass die aus Holz<br />
oder Kunststoff bestehende Zielkugel in Deutschland<br />
„Schweinchen“ oder „Sau“ genannt wird und in<br />
einer Entfernung zwischen sechs und zehn Meter liegen<br />
muss, weiß man bereits,<br />
ebenso, dass meist in Zweierteams<br />
mit drei Kugeln pro Spieler gespielt<br />
wird, die sogenannte „Doublette“.<br />
Ein Boulebuch - ja, auch das gibt es - ist also nicht<br />
ohne Grund selten mehr als ein paar Seiten dick, natürlich<br />
gibt es viele Technik- und Taktikvarianten,<br />
aber, wie gesagt, im Prinzip ist es das einfachste<br />
Spiel der Welt. Und wenn man dann zum ersten Mal<br />
allein in der Hofeinfahrt oder auf einem Feldweg<br />
steht, um einen Abend lang „Schießen“ zu üben,<br />
kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen,<br />
von einem Virus erfasst worden zu sein,<br />
gegen den außer dem Verlust beider Hände so gut<br />
wie kein Kraut gewachsen ist. Boule kann man bis<br />
ins hohe Alter spielen (bei steifen Rücken hilft notfalls<br />
die Aufhebschnur mit Magnet) und es ist trotz<br />
aller Geselligkeit Bewegung an der frischen Luft -<br />
und zwar in genau der richtigen Dosierung, um nebenher<br />
Ratschen, Trinken und Rauchen zu können,<br />
stundenlang.<br />
Eine erster Hotspot des „hippen“ Boulesports in<br />
<strong>Augsburg</strong> war die Kneipe „Pavian“ am Schwibbogenplatz,<br />
heute Teil der Geschäftsstelle des Stadtjugendrings.<br />
Die damaligen Turniere auf dem Parkplatz<br />
hinterm Haus sind – wie nahezu alles in <strong>Augsburg</strong>,<br />
das mehr als zehn Jahre her ist – längst legendär.<br />
Eine ähnlich verspielte Kneipe war und ist das Café<br />
Viktor im Bismarckviertel, bei dem die Tischtennisplatte<br />
im Hof mindestens so dazugehört wie die<br />
Bänke im Biergarten. Und dank des gegenüberliegenden<br />
Parks hinter dem früheren Kreiswehrersatzamt,<br />
in den ein schlauer Planer absichtlich oder<br />
unabsichtlich einen etwa fünf Meter breiten Kiesweg<br />
mit Bänken und Beleuchtung gesetzt hat, wurde<br />
auch das Boulespiel hier heimisch.<br />
Es begann mit einer kaputten Tischtennisplatte<br />
Die Hintergrundgeschichte zu unserer kleinen Fotostory<br />
beginnt im Sommer 2012 in ebendiesem Café<br />
Viktor an dem Tag, als die Tischtennisplatte kaputtging.<br />
Unsere tapferen Thekensportler waren also gezwungen,<br />
nach Alternativen zu suchen und<br />
entdeckten die Boulekugeln im Spieleschrank der<br />
Kneipe. Unter den Pionieren war auch Basti: „Wir<br />
hatten keine Ahnung, wie das Spiel geht und warfen<br />
einfach abwechselnd die großen Kugeln nach der<br />
kleinen. Und wer am nächsten dran war, hatte gewonnen“,<br />
erzählt er heute lachend. Die Rettung<br />
nahte in Person des früheren Mitbetreibers des Vik-