Neue Szene Augsburg 2015-09
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
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Inflationär wird in den Medien von letzten Tabus geredet. Vom Tod über politische Unkorrektheit bis zu<br />
Hämorrhoiden. Eine zutiefst menschliche Gefühlsregung wird dagegen weitgehend totgeschwiegen: der<br />
Durst nach Rache. Schade, meint Redakteur Marcus Ertle, denn Rache ist gesund.<br />
Seit fünf Jahren erscheint in diesem<br />
Magazin die Serie “Das kleine<br />
Weltuntergangsinterview”. In den<br />
ersten Jahren wurde den Gesprächspartnern<br />
die Frage gestellt, an wem<br />
sie sich im Angesicht der Apokalypse noch schnell<br />
rächen würden. Das Erstaunliche: Keiner wollte<br />
für irgendwas Rache nehmen. Anscheinend wurde<br />
keiner zeit seines Lebens betrogen, gedemütigt,<br />
beschissen oder verletzt. Oder alle haben eine<br />
Haltung sanftester Weisheit verinnerlicht, die den<br />
niederen Drang der Rachsucht überwunden hat.<br />
Wahrscheinlicher ist: Auch für die Interviewten gibt<br />
es mindestens einen Menschen, dem sie von Herzen<br />
die Pest an den Hals wünschen.<br />
Wieso aber verleugnen wir unseren Rachedurst?<br />
Sind wir zu feige, oder zu weise, ist uns das Gefühl<br />
derart fremd? Wenn es so wäre, wieso ist dann das<br />
Rachemotiv in Film und Literatur so stark präsent?<br />
Kein guter Western kommt ohne Rache aus, es<br />
sind auch nicht nur tumbe Actionstreifen, in denen<br />
sich der Hauptdarsteller Racheorgien hingibt und<br />
zumindest im Alten Testament hat auch Gott sich<br />
gerne mal wegen großer und kleiner menschlicher<br />
Verfehlungen gerächt. Meine Theorie: Die Rächer<br />
auf der Leinwand und in der Literatur tun das, was<br />
wir gerne selbst tun würden, es uns aber nicht<br />
trauen. Warum? Weil Rachsucht gesellschaftlich<br />
geächtet ist.<br />
Rache gilt als primitiv. Wir sind über so was längst<br />
hinaus. Das vergiftet uns doch nur selbst. Danach<br />
würden wir uns gar nicht besser fühlen. Die Bösen<br />
kriegen irgendwann vom Karma eh eins auf die<br />
Fresse. Blablabla. Ich sage: Rache ist gesund, sie<br />
befreit uns aus der Ohnmacht.<br />
Endlich unter uns<br />
Ich will die vernünftigen Argumente, die gegen<br />
die Rache sprechen, gar nicht schlechtmachen, sie<br />
haben ihre Berechtigung. Aber es ist ja gar nicht<br />
die Einsicht in die angebliche Vernunft, die uns auf<br />
Rache verzichten lässt. Es sind der Schiss davor aufzufliegen,<br />
der Mangel an Gelegenheit und natürlich<br />
die Angst, als primitiv zu gelten.<br />
Es mag ja sein, dass Rache primitiv ist. Es gibt aber<br />
auch andere Stimmen, die sagen, Rache sei süßer<br />
als Honig und eine Art von wilder Gerechtigkeit.<br />
Wer jetzt immer noch denkt, dass Rache etwas<br />
Unzivilisiertes, etwas Niederes ist, der sollte jetzt<br />
aufhören zu lesen.<br />
So, jetzt sind wir Rachefreudigen endlich unter<br />
uns. Wir wollen uns also rächen. An wem? Ja, das<br />
ist eine sehr wichtige Frage, im Grunde die wichtigste.<br />
Ich möchte mein fröhliches Hohelied auf<br />
Rache an der Stelle etwas einschränken. So sehr<br />
Enttäuschungen in der Liebe auch schmerzen, wir<br />
sollten davon Abstand nehmen, uns an Menschen<br />
rächen zu wollen, die wir einmal geliebt haben, um<br />
der gemeinsamen Vergangenheit willen. (Es gibt<br />
übrigens nichts Gefährlicheres als eine verletzte<br />
Frau, die nach Rache sinnt.)<br />
Von dieser Einschränkung abgesehen, gibt es<br />
eigentlich nur noch eine Personengruppe, an der<br />
wir uns nicht rächen sollten – an Schwächeren,<br />
das wäre tatsächlich verwerflich. Allerdings sind<br />
es im Leben ja selten die Schwächeren, an denen<br />
wir uns rächen wollen. Wenn uns Schwächere oder<br />
Gleichstarke kränken oder schädigen, schlagen<br />
wir (idealerweise) sofort zurück, was ohnehin der<br />
gesündeste Weg der Vergeltung ist. Aber leider<br />
können wir oft nicht sofort zurückschlagen, weil<br />
der, der es verdient, mächtiger ist als wir oder wir<br />
aus diversen Gründen keine Retourkutsche starten<br />
können ohne uns selbst zu schädigen.<br />
Womit wir den Kreis derer, an denen wir uns<br />
rächen dürfen, festgelegt haben. Der Chef, der uns<br />
demütigt, der Kollege, der gegen uns intrigiert, der<br />
Freund, der uns verhöhnt, der Bekannte, der uns<br />
verleumdet etc. Wir sind uns sicher einig, dass all<br />
jene unsere Rache verdienen. Aber wie?<br />
Das ist der kniffligste Punkt. Der Wille ist da, aber wo<br />
ist die Möglichkeit? Es gibt zwei Arten der Rache. Die,<br />
bei der der Geschädigte weiß, wer sich an ihm rächt,<br />
und die, bei der er es nicht wissen darf. Sicher würde<br />
es uns am meisten Freude machen, wenn der Erwählte<br />
weiß, dass wir ihm ans Bein gepinkelt haben.Aber<br />
aus taktischen Erwägungen und aus Selbstschutz<br />
dürfen wir uns nicht zu erkennen geben.<br />
Das hat mehrere Gründe. Es schadet unserem Ruf,<br />
wenn wir als rachsüchtig gelten. Es schadet uns,<br />
weil wir ggf. Schaden anrichten, der uns angelastet<br />
wird. Hinzu kommt: Wenn ruchbar wird, dass wir uns<br />
rächen wollen, ist unsere Rache bereits so gut wie<br />
vereitelt, denn egal, was wir über die Person sagen,<br />
egal, was ihr passiert – immer wird man unseren<br />
Rachetrieb als Ursache vermuten.<br />
Deswegen ist die allerwichtigste Eigenschaft des<br />
Rachewilligen die Fähigkeit der Verstellung. Wir<br />
dürfen uns niemals anmerken lassen, dass wir uns<br />
für etwas rächen wollen.<br />
Darum ist die Rache, bei der der Geschädigte nicht<br />
weiß, dass wir uns an ihm gerächt haben einstweilen<br />
die beste. Das sollte allerdings nicht so weit<br />
gehen, dass unser Opfer überhaupt nichts davon<br />
merkt. Das wäre albern und unnütz. Solche Art<br />
der Rache bewegt sich auf dem Katzenkot-in-die-<br />
Lasagne Niveau.<br />
Wir wollen dagegen ja so etwas wie Gerechtigkeit<br />
herstellen. Wenn uns beispielsweise unser<br />
Chef schlecht behandelt, rächen wir uns auf der<br />
Arbeitsebene und schaden ihm bestenfalls auf<br />
diesem Gebiet. Das würde dem Prinzip der wilden<br />
Gerechtigkeit entsprechen. Wenn wir dagegen<br />
seinem Pudel eine Halbglatze rasieren oder ihn beim<br />
Finanzamt anschwärzen, bewegen wir uns schon auf<br />
einem wilderen Pfad ( und machen uns strafbar).<br />
Die beste Art der Rache?<br />
Was ist also die beste Art der Rache? Die Erfahrung<br />
zeigt: Die klügste Rache ist oft die, die wie<br />
eine schleichende Vergiftung wirkt. Wenn man im<br />
Gespräch mit Außenstehenden auf den verhassten<br />
Chef oder Ex-Chef zu sprechen kommt, sollte man<br />
ihn keinesfalls rundum schlecht machen. Die Gesprächspartner<br />
merken sonst, dass man jemanden<br />
schaden will, die Folge ist, dass man selbst schlecht<br />
dasteht und einem keiner glaubt. Stattdessen sollte<br />
man sich mild-freundlich über die Zielperson äußern<br />
und irgendwann bedauernd eine vernichtende<br />
Anekdote oder Einschätzung einstreuen. Dieser eine<br />
negative Punkt wird im Gedächtnis haften bleiben,<br />
ohne dass man in Verdacht der Böswilligkeit gerät.<br />
Wenn man sich nicht verbal rächen kann, empfiehlt<br />
sich Sabotage. In unserer modernen Welt gibt es<br />
unzählige technische Geräte, die mit Leichtigkeit<br />
sabotiert werden können. Der wie von Zauberhand<br />
ausgeschaltete PC, an dem eben noch ein wichtiges<br />
Dokument bearbeitet wurde. Der Notizzettel, der<br />
einfach weg ist, der Schlüssel, der plötzlich verschwindet.<br />
Diese Art der Rache erfordert gleichwohl<br />
viel Disziplin. Wir neigen dazu, uns irgendwann einer<br />
Sache zu rühmen, diesen Drang muss man unterdrücken.<br />
Überhaupt ist es vorteilhaft, wenn man<br />
intelligent ist. Die Rache eines dummen Menschen<br />
ist entweder brutal oder widerwärtig.<br />
Wem das zu mühsam ist, der muss zwangsläufig zu<br />
rabiaten, womöglich illegalen Methoden der Rache<br />
greifen. Ich empfehle sie deswegen ausdrücklich<br />
nicht und erwähne sie nur, weil es interessant zu<br />
lesen ist. Ein Briefumschlag voll Hundekot ist so ein<br />
Beispiel, wenn auch ein unfeines. Sekundenkleber<br />
ins Schloss ist auch ein Klassiker. Oder gleich die<br />
Autoscheibe einschlagen, das macht schön Krach<br />
und man sieht sofort das Ergebnis. Überhaupt hat<br />
eine erfolgreiche Rache durchaus psychohygienisch<br />
positive Folgen und ist auf jeden Fall besser als<br />
lebenslanges Hineinfressen von Wut, Angst und<br />
Frustration.<br />
Eines muss jedoch klar sein: die Triebfeder unseres<br />
Rachedurstes ist es, dem anderen weh zu tun. Das<br />
klingt brutal und das ist es auch. Wer angesichts<br />
dessen lieber auf Rache verzichten will, dem sei<br />
nicht gegrollt. Dumm ist allerdings, wer die Chance<br />
auf Rache ungenutzt vorüberziehen lässt, denn diese<br />
Chance hat man nur äußerst selten - deswegen<br />
sollte man sie nutzen.