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Neue Szene Augsburg 2015-09

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de

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35<br />

Inflationär wird in den Medien von letzten Tabus geredet. Vom Tod über politische Unkorrektheit bis zu<br />

Hämorrhoiden. Eine zutiefst menschliche Gefühlsregung wird dagegen weitgehend totgeschwiegen: der<br />

Durst nach Rache. Schade, meint Redakteur Marcus Ertle, denn Rache ist gesund.<br />

Seit fünf Jahren erscheint in diesem<br />

Magazin die Serie “Das kleine<br />

Weltuntergangsinterview”. In den<br />

ersten Jahren wurde den Gesprächspartnern<br />

die Frage gestellt, an wem<br />

sie sich im Angesicht der Apokalypse noch schnell<br />

rächen würden. Das Erstaunliche: Keiner wollte<br />

für irgendwas Rache nehmen. Anscheinend wurde<br />

keiner zeit seines Lebens betrogen, gedemütigt,<br />

beschissen oder verletzt. Oder alle haben eine<br />

Haltung sanftester Weisheit verinnerlicht, die den<br />

niederen Drang der Rachsucht überwunden hat.<br />

Wahrscheinlicher ist: Auch für die Interviewten gibt<br />

es mindestens einen Menschen, dem sie von Herzen<br />

die Pest an den Hals wünschen.<br />

Wieso aber verleugnen wir unseren Rachedurst?<br />

Sind wir zu feige, oder zu weise, ist uns das Gefühl<br />

derart fremd? Wenn es so wäre, wieso ist dann das<br />

Rachemotiv in Film und Literatur so stark präsent?<br />

Kein guter Western kommt ohne Rache aus, es<br />

sind auch nicht nur tumbe Actionstreifen, in denen<br />

sich der Hauptdarsteller Racheorgien hingibt und<br />

zumindest im Alten Testament hat auch Gott sich<br />

gerne mal wegen großer und kleiner menschlicher<br />

Verfehlungen gerächt. Meine Theorie: Die Rächer<br />

auf der Leinwand und in der Literatur tun das, was<br />

wir gerne selbst tun würden, es uns aber nicht<br />

trauen. Warum? Weil Rachsucht gesellschaftlich<br />

geächtet ist.<br />

Rache gilt als primitiv. Wir sind über so was längst<br />

hinaus. Das vergiftet uns doch nur selbst. Danach<br />

würden wir uns gar nicht besser fühlen. Die Bösen<br />

kriegen irgendwann vom Karma eh eins auf die<br />

Fresse. Blablabla. Ich sage: Rache ist gesund, sie<br />

befreit uns aus der Ohnmacht.<br />

Endlich unter uns<br />

Ich will die vernünftigen Argumente, die gegen<br />

die Rache sprechen, gar nicht schlechtmachen, sie<br />

haben ihre Berechtigung. Aber es ist ja gar nicht<br />

die Einsicht in die angebliche Vernunft, die uns auf<br />

Rache verzichten lässt. Es sind der Schiss davor aufzufliegen,<br />

der Mangel an Gelegenheit und natürlich<br />

die Angst, als primitiv zu gelten.<br />

Es mag ja sein, dass Rache primitiv ist. Es gibt aber<br />

auch andere Stimmen, die sagen, Rache sei süßer<br />

als Honig und eine Art von wilder Gerechtigkeit.<br />

Wer jetzt immer noch denkt, dass Rache etwas<br />

Unzivilisiertes, etwas Niederes ist, der sollte jetzt<br />

aufhören zu lesen.<br />

So, jetzt sind wir Rachefreudigen endlich unter<br />

uns. Wir wollen uns also rächen. An wem? Ja, das<br />

ist eine sehr wichtige Frage, im Grunde die wichtigste.<br />

Ich möchte mein fröhliches Hohelied auf<br />

Rache an der Stelle etwas einschränken. So sehr<br />

Enttäuschungen in der Liebe auch schmerzen, wir<br />

sollten davon Abstand nehmen, uns an Menschen<br />

rächen zu wollen, die wir einmal geliebt haben, um<br />

der gemeinsamen Vergangenheit willen. (Es gibt<br />

übrigens nichts Gefährlicheres als eine verletzte<br />

Frau, die nach Rache sinnt.)<br />

Von dieser Einschränkung abgesehen, gibt es<br />

eigentlich nur noch eine Personengruppe, an der<br />

wir uns nicht rächen sollten – an Schwächeren,<br />

das wäre tatsächlich verwerflich. Allerdings sind<br />

es im Leben ja selten die Schwächeren, an denen<br />

wir uns rächen wollen. Wenn uns Schwächere oder<br />

Gleichstarke kränken oder schädigen, schlagen<br />

wir (idealerweise) sofort zurück, was ohnehin der<br />

gesündeste Weg der Vergeltung ist. Aber leider<br />

können wir oft nicht sofort zurückschlagen, weil<br />

der, der es verdient, mächtiger ist als wir oder wir<br />

aus diversen Gründen keine Retourkutsche starten<br />

können ohne uns selbst zu schädigen.<br />

Womit wir den Kreis derer, an denen wir uns<br />

rächen dürfen, festgelegt haben. Der Chef, der uns<br />

demütigt, der Kollege, der gegen uns intrigiert, der<br />

Freund, der uns verhöhnt, der Bekannte, der uns<br />

verleumdet etc. Wir sind uns sicher einig, dass all<br />

jene unsere Rache verdienen. Aber wie?<br />

Das ist der kniffligste Punkt. Der Wille ist da, aber wo<br />

ist die Möglichkeit? Es gibt zwei Arten der Rache. Die,<br />

bei der der Geschädigte weiß, wer sich an ihm rächt,<br />

und die, bei der er es nicht wissen darf. Sicher würde<br />

es uns am meisten Freude machen, wenn der Erwählte<br />

weiß, dass wir ihm ans Bein gepinkelt haben.Aber<br />

aus taktischen Erwägungen und aus Selbstschutz<br />

dürfen wir uns nicht zu erkennen geben.<br />

Das hat mehrere Gründe. Es schadet unserem Ruf,<br />

wenn wir als rachsüchtig gelten. Es schadet uns,<br />

weil wir ggf. Schaden anrichten, der uns angelastet<br />

wird. Hinzu kommt: Wenn ruchbar wird, dass wir uns<br />

rächen wollen, ist unsere Rache bereits so gut wie<br />

vereitelt, denn egal, was wir über die Person sagen,<br />

egal, was ihr passiert – immer wird man unseren<br />

Rachetrieb als Ursache vermuten.<br />

Deswegen ist die allerwichtigste Eigenschaft des<br />

Rachewilligen die Fähigkeit der Verstellung. Wir<br />

dürfen uns niemals anmerken lassen, dass wir uns<br />

für etwas rächen wollen.<br />

Darum ist die Rache, bei der der Geschädigte nicht<br />

weiß, dass wir uns an ihm gerächt haben einstweilen<br />

die beste. Das sollte allerdings nicht so weit<br />

gehen, dass unser Opfer überhaupt nichts davon<br />

merkt. Das wäre albern und unnütz. Solche Art<br />

der Rache bewegt sich auf dem Katzenkot-in-die-<br />

Lasagne Niveau.<br />

Wir wollen dagegen ja so etwas wie Gerechtigkeit<br />

herstellen. Wenn uns beispielsweise unser<br />

Chef schlecht behandelt, rächen wir uns auf der<br />

Arbeitsebene und schaden ihm bestenfalls auf<br />

diesem Gebiet. Das würde dem Prinzip der wilden<br />

Gerechtigkeit entsprechen. Wenn wir dagegen<br />

seinem Pudel eine Halbglatze rasieren oder ihn beim<br />

Finanzamt anschwärzen, bewegen wir uns schon auf<br />

einem wilderen Pfad ( und machen uns strafbar).<br />

Die beste Art der Rache?<br />

Was ist also die beste Art der Rache? Die Erfahrung<br />

zeigt: Die klügste Rache ist oft die, die wie<br />

eine schleichende Vergiftung wirkt. Wenn man im<br />

Gespräch mit Außenstehenden auf den verhassten<br />

Chef oder Ex-Chef zu sprechen kommt, sollte man<br />

ihn keinesfalls rundum schlecht machen. Die Gesprächspartner<br />

merken sonst, dass man jemanden<br />

schaden will, die Folge ist, dass man selbst schlecht<br />

dasteht und einem keiner glaubt. Stattdessen sollte<br />

man sich mild-freundlich über die Zielperson äußern<br />

und irgendwann bedauernd eine vernichtende<br />

Anekdote oder Einschätzung einstreuen. Dieser eine<br />

negative Punkt wird im Gedächtnis haften bleiben,<br />

ohne dass man in Verdacht der Böswilligkeit gerät.<br />

Wenn man sich nicht verbal rächen kann, empfiehlt<br />

sich Sabotage. In unserer modernen Welt gibt es<br />

unzählige technische Geräte, die mit Leichtigkeit<br />

sabotiert werden können. Der wie von Zauberhand<br />

ausgeschaltete PC, an dem eben noch ein wichtiges<br />

Dokument bearbeitet wurde. Der Notizzettel, der<br />

einfach weg ist, der Schlüssel, der plötzlich verschwindet.<br />

Diese Art der Rache erfordert gleichwohl<br />

viel Disziplin. Wir neigen dazu, uns irgendwann einer<br />

Sache zu rühmen, diesen Drang muss man unterdrücken.<br />

Überhaupt ist es vorteilhaft, wenn man<br />

intelligent ist. Die Rache eines dummen Menschen<br />

ist entweder brutal oder widerwärtig.<br />

Wem das zu mühsam ist, der muss zwangsläufig zu<br />

rabiaten, womöglich illegalen Methoden der Rache<br />

greifen. Ich empfehle sie deswegen ausdrücklich<br />

nicht und erwähne sie nur, weil es interessant zu<br />

lesen ist. Ein Briefumschlag voll Hundekot ist so ein<br />

Beispiel, wenn auch ein unfeines. Sekundenkleber<br />

ins Schloss ist auch ein Klassiker. Oder gleich die<br />

Autoscheibe einschlagen, das macht schön Krach<br />

und man sieht sofort das Ergebnis. Überhaupt hat<br />

eine erfolgreiche Rache durchaus psychohygienisch<br />

positive Folgen und ist auf jeden Fall besser als<br />

lebenslanges Hineinfressen von Wut, Angst und<br />

Frustration.<br />

Eines muss jedoch klar sein: die Triebfeder unseres<br />

Rachedurstes ist es, dem anderen weh zu tun. Das<br />

klingt brutal und das ist es auch. Wer angesichts<br />

dessen lieber auf Rache verzichten will, dem sei<br />

nicht gegrollt. Dumm ist allerdings, wer die Chance<br />

auf Rache ungenutzt vorüberziehen lässt, denn diese<br />

Chance hat man nur äußerst selten - deswegen<br />

sollte man sie nutzen.

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