Neue Szene Augsburg 2015-09
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
Zoom<br />
Der Geniestreicher<br />
Mit seinen 21 Jahren hat der <strong>Augsburg</strong>er Geiger Sandro Roy schon viel<br />
erreicht – und noch viel mehr vor<br />
31<br />
Die schlechte Nachricht zuerst:<br />
<strong>Augsburg</strong> hat irgendwann im Jahr<br />
2007 einen prima Torwart verloren.<br />
Und jetzt die gute: Dafür einen<br />
Spitzengeiger gewonnen. Als<br />
Sandro Roy während einer Armverletzung die endgültige<br />
Entscheidung trifft zugunsten der Musik und zulasten<br />
seines Fußballvereins ist er 13 Jahre alt. Da hat<br />
er bereits seit sechs Jahren Geigenunterricht. Mit elf<br />
ist er zum ersten Mal beim Django Reinhardt Memorial<br />
aufgetreten und „hat damals schon alle in Grund und<br />
Boden gespielt“, wie sich Bassist Rene Haderer erinnert.<br />
Die Vita des 1994 geborenen und in Kriegshaber<br />
aufgewachsenen Talents liest sich dementsprechend:<br />
Bundespreis bei „Jugend musiziert“ 2007, <strong>Augsburg</strong>er<br />
Sonder-Kunstförderpreis mit 17. Im Herbst <strong>2015</strong><br />
bekommt er den Nachwuchspreis der Konzertgesellschaft<br />
München und spielt auf Schloss Bellevue.<br />
Wir treffen uns an einem heißen Augusttag im wunderbar<br />
kühlen Leopold-Mozart-Zentrum (LMZ) in der<br />
Maxstraße. Sandro entschuldigt sich für die zweiminütige<br />
Verspätung, die Parkuhr hat Schwierigkeiten<br />
gemacht. Über so was kann er sich richtig aufregen.<br />
Kein Wunder, sein Tag ist streng getaktet, allein die<br />
mindestens vier Stunden Üben wollen untergebracht<br />
werden, vor wichtigen Auftritten sind es sieben.<br />
Das LMZ ist quasi seine Homebase, hier macht Sandro<br />
nächstes Jahr den Bachelor bei dem Violinisten Linus<br />
Roth, der selbst Echo-Preisträger ist und mit seinen<br />
37 Jahren von der Zeitung „Die Welt“ schon als „Götterliebling“<br />
bezeichnet wurde. Sandro unterrichtet<br />
ebenfalls am LMZ, außerdem an einer Musikschule im<br />
oberpfälzischen Parsberg. Im Gespräch sieht man einen<br />
jungen Mann, der fest entschlossen seinen Plan<br />
verfolgt. Das klingt unromantisch, aber wer ihn spielen<br />
hört, spürt sogar als Laie: Da steckt mehr dahinter<br />
als „nur“ der Fleiß und die vielen Übungsstunden. Das<br />
Besondere an Sandro: Er ist in beiden Königsdisziplinen<br />
- Jazz und Klassik - absolute Spitze.<br />
Sein Debütalbum „Where I come from“ erschien im<br />
Januar <strong>2015</strong> auf dem Hamburger Label „Skip Records“<br />
und ist ein Sinnbild für seine Vielseitigkeit. Hier findet<br />
sich „Tune Up“ von Miles Davis neben einer Bach-<br />
Bearbeitung. Die CD könnte leicht als Bewerbungsschreiben<br />
missverstanden werden, für ihn ist der Titel<br />
Programm, also weniger „Schaut, was ich alles kann“<br />
als vielmehr „Schaut, da komm ich her“. Und natürlich:<br />
„Und da gehe ich hin“. Bezeichnenderweise steht die<br />
einzige Eigenkomposition an erster Stelle der Platte.<br />
Zu seinen Wurzeln gehören auch die „Zigeunerweisen“<br />
des spanischen Komponisten Pablo Sarasate. Sandro<br />
ist Sinto. Er betont das entschieden, aber ohne Koketterie.<br />
Die reichlich naive Frage des Reporters, woher<br />
„genau“ denn seine Familie stamme, hat er vermutlich<br />
schon viel zu oft gehört. „Wir sind Sinti aus <strong>Augsburg</strong>,<br />
seit Generationen“, sagt er kurz und bündig. Und:<br />
„Ohne diesen Hintergrund würde ich nicht so spielen<br />
wie ich spiele.“<br />
Und er spielt viel, an denkbar gegensätzlichen Orten:<br />
Allein dieses Jahr sind das, neben dem Sitz des<br />
Bundespräsidenten und einer Einladung in die USA,<br />
der Goldene Saal in <strong>Augsburg</strong>, das Münchner Prinzregententheater,<br />
das Jazzfestival St. Ingbert und das<br />
Rheingau-Klassikfestival, aber auch der Kultstrand im<br />
Schlachthof, die Puppenkiste, die Unterfahrt in München,<br />
um nur einige zu nennen. Sämtliche Auftrittstermine<br />
hat er übrigens im Kopf, ohne einen Blick aufs<br />
Smartphone listet er die kommenden auf, mit dieser<br />
ihm eigenen Mischung aus Stolz und Vorfreude. Sein<br />
Lebenswandel lässt an junge Fußballtalente denken,<br />
auf der Bühne ist er aber eher Lionel Messi als Cristiano<br />
Ronaldo: keine Spur von Prahlerei, seine Ansagen<br />
sind charmant und witzig.<br />
Bereits als Fünfjähriger hat sich Sandro am Plattenschrank<br />
des Vaters, selbst Gitarrist und Geigenfan,<br />
bedient. Die RnB-Phase in der Jugend war denkbar<br />
kurz, mit Popmusik kann er nicht viel anfangen, wie<br />
der Multiinstrumentalist - neben der Geige spielt Sandro<br />
Gitarre und Klavier - fast entschuldigend zugibt.<br />
Eines aber steht fest: „Ich bin musiksüchtig, ich kann<br />
stundenlang auf dem Sofa sitzen und Gitarrenakkorde<br />
ausprobieren und denke mir dann: Was hätte ich<br />
in der Zeit alles machen können?“ Er überlegt kurz.<br />
„Essen zum Beispiel, oder was fürs Studium...“ Aus<br />
Rezipientensicht hofft man unweigerlich, er möge<br />
noch möglichst oft das Sofa dem Ess- bzw. Schreibtisch<br />
vorziehen.<br />
Nach seinen Zielen und Träumen gefragt, zeigt sich<br />
der ehrgeizige junge Mann bescheiden. Eigentlich<br />
möchte er nur, dass es so weitergeht: Spielen, Lernen,<br />
Unterrichten, von der Musik leben können. Sandro<br />
weiß: Selbst wenn alles normal läuft, wird er noch<br />
viel Außergewöhnliches erleben - und die Parkuhren<br />
dieser Welt werden ihn nicht stoppen. (flo)