34 Zoom Rache! Plädoyer für ein geächtetes Gefühl
Zoom 35 Inflationär wird in den Medien von letzten Tabus geredet. Vom Tod über politische Unkorrektheit bis zu Hämorrhoiden. Eine zutiefst menschliche Gefühlsregung wird dagegen weitgehend totgeschwiegen: der Durst nach Rache. Schade, meint Redakteur Marcus Ertle, denn Rache ist gesund. Seit fünf Jahren erscheint in diesem Magazin die Serie “Das kleine Weltuntergangsinterview”. In den ersten Jahren wurde den Gesprächspartnern die Frage gestellt, an wem sie sich im Angesicht der Apokalypse noch schnell rächen würden. Das Erstaunliche: Keiner wollte für irgendwas Rache nehmen. Anscheinend wurde keiner zeit seines Lebens betrogen, gedemütigt, beschissen oder verletzt. Oder alle haben eine Haltung sanftester Weisheit verinnerlicht, die den niederen Drang der Rachsucht überwunden hat. Wahrscheinlicher ist: Auch für die Interviewten gibt es mindestens einen Menschen, dem sie von Herzen die Pest an den Hals wünschen. Wieso aber verleugnen wir unseren Rachedurst? Sind wir zu feige, oder zu weise, ist uns das Gefühl derart fremd? Wenn es so wäre, wieso ist dann das Rachemotiv in Film und Literatur so stark präsent? Kein guter Western kommt ohne Rache aus, es sind auch nicht nur tumbe Actionstreifen, in denen sich der Hauptdarsteller Racheorgien hingibt und zumindest im Alten Testament hat auch Gott sich gerne mal wegen großer und kleiner menschlicher Verfehlungen gerächt. Meine Theorie: Die Rächer auf der Leinwand und in der Literatur tun das, was wir gerne selbst tun würden, es uns aber nicht trauen. Warum? Weil Rachsucht gesellschaftlich geächtet ist. Rache gilt als primitiv. Wir sind über so was längst hinaus. Das vergiftet uns doch nur selbst. Danach würden wir uns gar nicht besser fühlen. Die Bösen kriegen irgendwann vom Karma eh eins auf die Fresse. Blablabla. Ich sage: Rache ist gesund, sie befreit uns aus der Ohnmacht. Endlich unter uns Ich will die vernünftigen Argumente, die gegen die Rache sprechen, gar nicht schlechtmachen, sie haben ihre Berechtigung. Aber es ist ja gar nicht die Einsicht in die angebliche Vernunft, die uns auf Rache verzichten lässt. Es sind der Schiss davor aufzufliegen, der Mangel an Gelegenheit und natürlich die Angst, als primitiv zu gelten. Es mag ja sein, dass Rache primitiv ist. Es gibt aber auch andere Stimmen, die sagen, Rache sei süßer als Honig und eine Art von wilder Gerechtigkeit. Wer jetzt immer noch denkt, dass Rache etwas Unzivilisiertes, etwas Niederes ist, der sollte jetzt aufhören zu lesen. So, jetzt sind wir Rachefreudigen endlich unter uns. Wir wollen uns also rächen. An wem? Ja, das ist eine sehr wichtige Frage, im Grunde die wichtigste. Ich möchte mein fröhliches Hohelied auf Rache an der Stelle etwas einschränken. So sehr Enttäuschungen in der Liebe auch schmerzen, wir sollten davon Abstand nehmen, uns an Menschen rächen zu wollen, die wir einmal geliebt haben, um der gemeinsamen Vergangenheit willen. (Es gibt übrigens nichts Gefährlicheres als eine verletzte Frau, die nach Rache sinnt.) Von dieser Einschränkung abgesehen, gibt es eigentlich nur noch eine Personengruppe, an der wir uns nicht rächen sollten – an Schwächeren, das wäre tatsächlich verwerflich. Allerdings sind es im Leben ja selten die Schwächeren, an denen wir uns rächen wollen. Wenn uns Schwächere oder Gleichstarke kränken oder schädigen, schlagen wir (idealerweise) sofort zurück, was ohnehin der gesündeste Weg der Vergeltung ist. Aber leider können wir oft nicht sofort zurückschlagen, weil der, der es verdient, mächtiger ist als wir oder wir aus diversen Gründen keine Retourkutsche starten können ohne uns selbst zu schädigen. Womit wir den Kreis derer, an denen wir uns rächen dürfen, festgelegt haben. Der Chef, der uns demütigt, der Kollege, der gegen uns intrigiert, der Freund, der uns verhöhnt, der Bekannte, der uns verleumdet etc. Wir sind uns sicher einig, dass all jene unsere Rache verdienen. Aber wie? Das ist der kniffligste Punkt. Der Wille ist da, aber wo ist die Möglichkeit? Es gibt zwei Arten der Rache. Die, bei der der Geschädigte weiß, wer sich an ihm rächt, und die, bei der er es nicht wissen darf. Sicher würde es uns am meisten Freude machen, wenn der Erwählte weiß, dass wir ihm ans Bein gepinkelt haben.Aber aus taktischen Erwägungen und aus Selbstschutz dürfen wir uns nicht zu erkennen geben. Das hat mehrere Gründe. Es schadet unserem Ruf, wenn wir als rachsüchtig gelten. Es schadet uns, weil wir ggf. Schaden anrichten, der uns angelastet wird. Hinzu kommt: Wenn ruchbar wird, dass wir uns rächen wollen, ist unsere Rache bereits so gut wie vereitelt, denn egal, was wir über die Person sagen, egal, was ihr passiert – immer wird man unseren Rachetrieb als Ursache vermuten. Deswegen ist die allerwichtigste Eigenschaft des Rachewilligen die Fähigkeit der Verstellung. Wir dürfen uns niemals anmerken lassen, dass wir uns für etwas rächen wollen. Darum ist die Rache, bei der der Geschädigte nicht weiß, dass wir uns an ihm gerächt haben einstweilen die beste. Das sollte allerdings nicht so weit gehen, dass unser Opfer überhaupt nichts davon merkt. Das wäre albern und unnütz. Solche Art der Rache bewegt sich auf dem Katzenkot-in-die- Lasagne Niveau. Wir wollen dagegen ja so etwas wie Gerechtigkeit herstellen. Wenn uns beispielsweise unser Chef schlecht behandelt, rächen wir uns auf der Arbeitsebene und schaden ihm bestenfalls auf diesem Gebiet. Das würde dem Prinzip der wilden Gerechtigkeit entsprechen. Wenn wir dagegen seinem Pudel eine Halbglatze rasieren oder ihn beim Finanzamt anschwärzen, bewegen wir uns schon auf einem wilderen Pfad ( und machen uns strafbar). Die beste Art der Rache? Was ist also die beste Art der Rache? Die Erfahrung zeigt: Die klügste Rache ist oft die, die wie eine schleichende Vergiftung wirkt. Wenn man im Gespräch mit Außenstehenden auf den verhassten Chef oder Ex-Chef zu sprechen kommt, sollte man ihn keinesfalls rundum schlecht machen. Die Gesprächspartner merken sonst, dass man jemanden schaden will, die Folge ist, dass man selbst schlecht dasteht und einem keiner glaubt. Stattdessen sollte man sich mild-freundlich über die Zielperson äußern und irgendwann bedauernd eine vernichtende Anekdote oder Einschätzung einstreuen. Dieser eine negative Punkt wird im Gedächtnis haften bleiben, ohne dass man in Verdacht der Böswilligkeit gerät. Wenn man sich nicht verbal rächen kann, empfiehlt sich Sabotage. In unserer modernen Welt gibt es unzählige technische Geräte, die mit Leichtigkeit sabotiert werden können. Der wie von Zauberhand ausgeschaltete PC, an dem eben noch ein wichtiges Dokument bearbeitet wurde. Der Notizzettel, der einfach weg ist, der Schlüssel, der plötzlich verschwindet. Diese Art der Rache erfordert gleichwohl viel Disziplin. Wir neigen dazu, uns irgendwann einer Sache zu rühmen, diesen Drang muss man unterdrücken. Überhaupt ist es vorteilhaft, wenn man intelligent ist. Die Rache eines dummen Menschen ist entweder brutal oder widerwärtig. Wem das zu mühsam ist, der muss zwangsläufig zu rabiaten, womöglich illegalen Methoden der Rache greifen. Ich empfehle sie deswegen ausdrücklich nicht und erwähne sie nur, weil es interessant zu lesen ist. Ein Briefumschlag voll Hundekot ist so ein Beispiel, wenn auch ein unfeines. Sekundenkleber ins Schloss ist auch ein Klassiker. Oder gleich die Autoscheibe einschlagen, das macht schön Krach und man sieht sofort das Ergebnis. Überhaupt hat eine erfolgreiche Rache durchaus psychohygienisch positive Folgen und ist auf jeden Fall besser als lebenslanges Hineinfressen von Wut, Angst und Frustration. Eines muss jedoch klar sein: die Triebfeder unseres Rachedurstes ist es, dem anderen weh zu tun. Das klingt brutal und das ist es auch. Wer angesichts dessen lieber auf Rache verzichten will, dem sei nicht gegrollt. Dumm ist allerdings, wer die Chance auf Rache ungenutzt vorüberziehen lässt, denn diese Chance hat man nur äußerst selten - deswegen sollte man sie nutzen.