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DNS Ausgabe November 2015

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30<br />

Recht So!!!<br />

Der „Gaffer“ an Unfallstellen.<br />

Verhaltensweisen<br />

des Homo stupidus unter<br />

strafrechtlichen Gesichtspunkten.<br />

So wie es bei den Römern gesellschaftlich zum guten<br />

Ton galt, sich bei Gladiatorenkämpfen oder Blutorgien<br />

beim ungleichen Zweikampf Mensch gegen Raubtier<br />

zu verlustieren, war es im Mittelalter üblich mit<br />

Kind und Kegel zum Marktplatz zu strömen, wenn<br />

dort wieder einmal eine öffentliche Hinrichtung<br />

anstand. Es war Edmund Burke, britischer Staatsphilosoph<br />

und Politiker in der Zeit der Aufklärung<br />

der schon formulierte, dass sich „ein jedes Theater,<br />

wo eine großartige Tragödie gespielt wird mit einem<br />

Schlag leert, sobald einer aufsteht und schreit, dass<br />

draußen eine öffentliche Hinrichtung stattfindet.“<br />

Wer denkt, die Zeiten eines unbarmherzigen Voyeurismus<br />

gehörten der entlegenen Vergangenheit an,<br />

wird spätestens dann eines Besseren belehrt, wenn<br />

er sich vergegenwärtigt, was das Land Nordrhein-<br />

Westfalen getan hat um im Kampf gegen die „Gaffer“<br />

bei Unfällen erfolgreich sein zu können. Die Presse<br />

berichtete unlängst, dass mobile Sichtschutzsysteme<br />

entwickelt wurden und jetzt eingesetzt werden die<br />

helfen können, bei einem Unfall durch die Polizei<br />

eine 100 Meter lange undurchsichtige Wand aufbauen<br />

zu lassen. Den dahinterstehenden Sinn formulierte<br />

der Geschäftsführer von Straßen-NRW so: „Wenn<br />

es für die anderen Verkehrsteilnehmer durch die<br />

grüne Wand im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu<br />

sehen gibt, haben sie auch keinen Anlass ihre Neugier<br />

zu befriedigen.“ Tests haben bereits gezeigt, dass<br />

der Verkehr nach dem Errichten von Schutzwänden<br />

flüssiger am Unfallort vorbeifließt und sich einmal<br />

aufgebaute Staus deutlich schneller wieder abbauen.<br />

„Gaffer“ an Unfallstellen sind ein Ärgernis. Oft<br />

blockieren sie Fahrspuren und Rettungswege. Häufig<br />

kommt es durch abruptes Bremsen, um das Unfallgeschehen<br />

besser beobachten zu können, auch zu<br />

Auffahrunfällen. Nicht selten gar werden Handys gezückt<br />

und das Unfallgeschehen bzw. die in Fahrzeugen<br />

eingeklemmten Opfer fotografiert oder gefilmt.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es richtig und nachvollziehbar,<br />

dass die Polizei zunehmend härter<br />

durchgreift. Schlimmstenfalls droht „Gaffern“ sogar<br />

11.<strong>2015</strong><br />

eine Freiheitsstrafe. Nicht nur die Behinderung von<br />

Einsatzkräften, auch das Fotografieren oder Filmen<br />

von verunglückten Autos und Verletzten ist nämlich<br />

verboten. Dabei ist es unerheblich, ob die Fotos<br />

weitergegeben oder veröffentlicht werden. Bereits<br />

die Anfertigung einer solchen Aufnahme erfüllt den<br />

Straftatbestand des § 201a StGB (Verletzung des<br />

höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen)<br />

und sieht wegen „Zurschaustellung der<br />

Hilflosigkeit einer anderen Person“ Freiheitsstrafen<br />

von bis zu einem Jahr vor. Zudem ist die Polizei gem.<br />

Abs. 4 der Vorschrift berechtigt, Kameras, Handys<br />

oder benutzte Bildspeicher einzuziehen.<br />

Doch auch wer keine Fotos macht und nur gafft,<br />

begeht eine Ordnungswidrigkeit oder gegebenenfalls<br />

auch die Straftat der unterlassenen Hilfeleistung im<br />

Sinne von § 323 c StGB. Danach wird ebenfalls mit<br />

Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft, wer<br />

bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not<br />

nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm<br />

den Umständen nach zuzumuten ist. Die Handlungspflicht<br />

entfällt nur dann, wenn Gewähr für<br />

sofortige anderweitige Hilfe besteht oder wenn Hilfe<br />

von vorne herein aussichtslos oder nutzlos ist (BGH<br />

32, 381). Zusammengefasst heißt dies, dass derjenige,<br />

der mit als erster an eine Unfallstelle kommt,<br />

erste Hilfe leisten muss und den Unfall der Polizei<br />

zu melden hat. Nach allgemeiner Ansicht in der<br />

Rechtsprechung, ist eine Hilfe nämlich dann erforderlich,<br />

wenn der Täter die objektive Möglichkeit<br />

hat, durch seinen Einsatz den Geschehensablauf zu<br />

beeinflussen. Bei mehreren gleichermaßen zur Hilfe<br />

tauglichen Personen darf sich darum nicht die eine<br />

auf die Hilfeleitung der anderen verlassen. Die Hilfspflicht<br />

entfällt auch nicht dann, wenn von anderer<br />

Seite zwar Hilfe, aber nicht in ausreichendem Maße<br />

geleistet wird.<br />

Aber auch, wenn beim Gaffen keine Fotos gemacht<br />

werden und Rettungskräfte bereits vor Ort sind,<br />

mithin keine unterlassene Hilfeleistung vorliegt,<br />

stellt Gaffen eine Ordnungswidrigkeit dar, bei der die<br />

Polizeibeamten Schaulustige mit einem Bußgeld von<br />

bis zu 1.000,00 € belegen können. Eine sogenannte<br />

MPU (Medizinisch Psychologische<br />

Untersuchung)<br />

sieht das Verkehrsrecht für<br />

Gaffer nicht vor, auch wenn<br />

diese im Volksmund „Idiotentest“<br />

genannt wird, was<br />

auf den ersten Blick für die<br />

Anwendbarkeit sprechen<br />

könnte.<br />

Rechtsanwalt Christoph<br />

Rühlmann

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