DNS Ausgabe November 2015
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Recht So!!!<br />
Der „Gaffer“ an Unfallstellen.<br />
Verhaltensweisen<br />
des Homo stupidus unter<br />
strafrechtlichen Gesichtspunkten.<br />
So wie es bei den Römern gesellschaftlich zum guten<br />
Ton galt, sich bei Gladiatorenkämpfen oder Blutorgien<br />
beim ungleichen Zweikampf Mensch gegen Raubtier<br />
zu verlustieren, war es im Mittelalter üblich mit<br />
Kind und Kegel zum Marktplatz zu strömen, wenn<br />
dort wieder einmal eine öffentliche Hinrichtung<br />
anstand. Es war Edmund Burke, britischer Staatsphilosoph<br />
und Politiker in der Zeit der Aufklärung<br />
der schon formulierte, dass sich „ein jedes Theater,<br />
wo eine großartige Tragödie gespielt wird mit einem<br />
Schlag leert, sobald einer aufsteht und schreit, dass<br />
draußen eine öffentliche Hinrichtung stattfindet.“<br />
Wer denkt, die Zeiten eines unbarmherzigen Voyeurismus<br />
gehörten der entlegenen Vergangenheit an,<br />
wird spätestens dann eines Besseren belehrt, wenn<br />
er sich vergegenwärtigt, was das Land Nordrhein-<br />
Westfalen getan hat um im Kampf gegen die „Gaffer“<br />
bei Unfällen erfolgreich sein zu können. Die Presse<br />
berichtete unlängst, dass mobile Sichtschutzsysteme<br />
entwickelt wurden und jetzt eingesetzt werden die<br />
helfen können, bei einem Unfall durch die Polizei<br />
eine 100 Meter lange undurchsichtige Wand aufbauen<br />
zu lassen. Den dahinterstehenden Sinn formulierte<br />
der Geschäftsführer von Straßen-NRW so: „Wenn<br />
es für die anderen Verkehrsteilnehmer durch die<br />
grüne Wand im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu<br />
sehen gibt, haben sie auch keinen Anlass ihre Neugier<br />
zu befriedigen.“ Tests haben bereits gezeigt, dass<br />
der Verkehr nach dem Errichten von Schutzwänden<br />
flüssiger am Unfallort vorbeifließt und sich einmal<br />
aufgebaute Staus deutlich schneller wieder abbauen.<br />
„Gaffer“ an Unfallstellen sind ein Ärgernis. Oft<br />
blockieren sie Fahrspuren und Rettungswege. Häufig<br />
kommt es durch abruptes Bremsen, um das Unfallgeschehen<br />
besser beobachten zu können, auch zu<br />
Auffahrunfällen. Nicht selten gar werden Handys gezückt<br />
und das Unfallgeschehen bzw. die in Fahrzeugen<br />
eingeklemmten Opfer fotografiert oder gefilmt.<br />
Vor diesem Hintergrund ist es richtig und nachvollziehbar,<br />
dass die Polizei zunehmend härter<br />
durchgreift. Schlimmstenfalls droht „Gaffern“ sogar<br />
11.<strong>2015</strong><br />
eine Freiheitsstrafe. Nicht nur die Behinderung von<br />
Einsatzkräften, auch das Fotografieren oder Filmen<br />
von verunglückten Autos und Verletzten ist nämlich<br />
verboten. Dabei ist es unerheblich, ob die Fotos<br />
weitergegeben oder veröffentlicht werden. Bereits<br />
die Anfertigung einer solchen Aufnahme erfüllt den<br />
Straftatbestand des § 201a StGB (Verletzung des<br />
höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen)<br />
und sieht wegen „Zurschaustellung der<br />
Hilflosigkeit einer anderen Person“ Freiheitsstrafen<br />
von bis zu einem Jahr vor. Zudem ist die Polizei gem.<br />
Abs. 4 der Vorschrift berechtigt, Kameras, Handys<br />
oder benutzte Bildspeicher einzuziehen.<br />
Doch auch wer keine Fotos macht und nur gafft,<br />
begeht eine Ordnungswidrigkeit oder gegebenenfalls<br />
auch die Straftat der unterlassenen Hilfeleistung im<br />
Sinne von § 323 c StGB. Danach wird ebenfalls mit<br />
Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft, wer<br />
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not<br />
nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm<br />
den Umständen nach zuzumuten ist. Die Handlungspflicht<br />
entfällt nur dann, wenn Gewähr für<br />
sofortige anderweitige Hilfe besteht oder wenn Hilfe<br />
von vorne herein aussichtslos oder nutzlos ist (BGH<br />
32, 381). Zusammengefasst heißt dies, dass derjenige,<br />
der mit als erster an eine Unfallstelle kommt,<br />
erste Hilfe leisten muss und den Unfall der Polizei<br />
zu melden hat. Nach allgemeiner Ansicht in der<br />
Rechtsprechung, ist eine Hilfe nämlich dann erforderlich,<br />
wenn der Täter die objektive Möglichkeit<br />
hat, durch seinen Einsatz den Geschehensablauf zu<br />
beeinflussen. Bei mehreren gleichermaßen zur Hilfe<br />
tauglichen Personen darf sich darum nicht die eine<br />
auf die Hilfeleitung der anderen verlassen. Die Hilfspflicht<br />
entfällt auch nicht dann, wenn von anderer<br />
Seite zwar Hilfe, aber nicht in ausreichendem Maße<br />
geleistet wird.<br />
Aber auch, wenn beim Gaffen keine Fotos gemacht<br />
werden und Rettungskräfte bereits vor Ort sind,<br />
mithin keine unterlassene Hilfeleistung vorliegt,<br />
stellt Gaffen eine Ordnungswidrigkeit dar, bei der die<br />
Polizeibeamten Schaulustige mit einem Bußgeld von<br />
bis zu 1.000,00 € belegen können. Eine sogenannte<br />
MPU (Medizinisch Psychologische<br />
Untersuchung)<br />
sieht das Verkehrsrecht für<br />
Gaffer nicht vor, auch wenn<br />
diese im Volksmund „Idiotentest“<br />
genannt wird, was<br />
auf den ersten Blick für die<br />
Anwendbarkeit sprechen<br />
könnte.<br />
Rechtsanwalt Christoph<br />
Rühlmann