Die Wirtschaft 06_2015
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27 LEBEN & WISSEN<br />
Gesellschafter treten<br />
an die Stelle der Vereine<br />
<strong>Die</strong> Deutsche Fußball-Liga (DFL) steht für Strukturwandel im deutschen Profi-Fußball.<br />
Eine Frage der Einstellung oder<br />
mehr? Mehr. „Wenn der Fußball Heimat<br />
und Sinn bieten soll, wird es teuer“,<br />
überschrieb die „FAZ“ unlängst<br />
das Zusammenspiel von <strong>Wirtschaft</strong>,<br />
Investoren und Fußball. Hintergrund<br />
der Analyse war eine Bestandsaufnahme<br />
der Fußballstadien<br />
in Deutschland respektive deren<br />
Neubauten und Sanierungen. Kleine<br />
Vereine, so ein beispielhafter Vorwurf,<br />
„bauen große Stadien und leben<br />
weit über ihre Verhältnisse“. In<br />
Essen, Aachen, Chemnitz, Regensburg<br />
etwa sind neue Arenen für<br />
Dritt- und Viertligisten entstanden.<br />
<strong>Die</strong> Kosten trägt nicht selten<br />
die Allgemeinheit. Gebaut wird<br />
trotzdem, aus gutem Grund.<br />
Wo ein Bundesliga-reifes<br />
Stadion<br />
ist, dort<br />
wird früher<br />
oder später<br />
auch ein Erstligist spielen – und<br />
nicht umgekehrt“, brachte der<br />
ehemalige Vorstandsvorsitzende<br />
des FC Augsburg und Stadion-Investor<br />
Walter Seinsch<br />
seine Sicht der Dinge auf den<br />
Punkt. Und der Unternehmensberater<br />
und Hochschulprofessor<br />
(Uni Heilbronn) Alfons Madeja ergänzt:<br />
„Das Service-Konzept ist für<br />
die Zuschauer genauso wichtig wie<br />
sportlicher Erfolg. Wer heute in ein<br />
Stadion geht, will nicht nur einen Sieg<br />
seiner Mannschaft sehen, sondern<br />
einen schönen Tag verbringen. Das müssen<br />
die Vereine erkennen.“<br />
Als im Jahr 2001 die Deutsche Fußball Liga<br />
GmbH (DFL) die Arbeit aufnahm – als<br />
Nachfolgerin des DFB-Liga-Ausschusses<br />
– war der Strukturwandel im bundesweiten<br />
Profifußball beschlossene Sache. Hier<br />
waren fortan „Gesellschafter“ an die zuvor<br />
von den „Vereinen“ besetzte erste<br />
Stelle getreten. 36 dieser gleichberechtigten<br />
Gesellschafter sind hier jede Saison<br />
in einer, nennen wir es <strong>Wirtschaft</strong>sund<br />
Wertegemeinschaft vertreten, in der<br />
Fußball gespielt und viel Geld verdient<br />
wird.<br />
Fußball ist zum Event geworden, spätestens<br />
seitdem die WM 20<strong>06</strong> im eigenen<br />
Land Feuilleton-kompatibel wurde. Und<br />
er wird – aus Anbietersicht – zu einer geschlossenen<br />
Gesellschaft.<br />
Seit der Gründung der DFL sind bislang<br />
61 Vereine darin Gesellschafter geworden.<br />
Das Geld spielt mit – oder auch<br />
nicht: Neun wurden nach ihrem Ausscheiden<br />
aus der DFL seit 2001 insolvent<br />
Der Stadionbesuch wird zum Event – hier die Fans in der Nordkurve der Schalke-Arena<br />
(eigentlich<br />
zehn,<br />
den VfB Lübeck<br />
traf es zweimal),<br />
sieben spielen aktuell in<br />
der 3. Liga, 15 in der Regionalliga<br />
und drei in unteren Spielklassen.<br />
Von den 36 Gründungsgesellschaftern<br />
(2001) sind aktuell noch 25 dabei. 16<br />
neue Gesellschafter kamen im Laufe der<br />
Jahre dazu. Seit 2008, nach Einführung<br />
der 3. Liga als bundesweit oberste DFB-<br />
Spielklasse, waren es nur noch fünf: Ingolstadt,<br />
VfR Aalen Sandhausen, Heidenheim<br />
und RB Leipzig. 90 Prozent der<br />
DFL-Gesellschafter sind dauerhaft dabei,<br />
75 Prozent mehr als zehn Jahre. Das<br />
heißt, es ist sehr schwer hineinzukom-<br />
dpa<br />
men in diesen nahezu geschlossenen<br />
Kreis. Und es ist sehr schwer, mit der von<br />
den (folkloristischen) Fans proklamierten<br />
„Wahrheit“ umzugehen: Nur zwei<br />
Vereine gelten noch als „reine“ Traditionsclubs:<br />
der FSV Mainz 05 und Schalke<br />
04. Alle anderen (der VfB Stuttgart bereitet<br />
ebenso wie Darmstadt 98 seine<br />
Umwandlung zurzeit vor) DFL-Gesellschafter<br />
spielen in der aktuellen Bundesliga<br />
mit Kapitalgesellschaften.<br />
Mit der Neubauwelle für die WM 20<strong>06</strong><br />
und der damit folgenden Stadionsanierungsphase<br />
stieg die Verweildauer der<br />
Fans in den Arenen, ebenso wie die Karten-Nachfrage<br />
wuchs. In der Bundesliga<br />
lag die Auslastung in der letzten Saison<br />
bei 90, in der 2. Bundesliga immerhin bei<br />
60 Prozent (Quelle: H-K-S-Helmut-Kalthoff-Stiftung).<br />
Mit Einführung des Pay-<br />
TV von „Premiere“ über „Arena“ bis hin<br />
zu „Sky“ und den mittlerweile etablierten<br />
Sport-Vollprogrammen mit Fußball-<br />
Übertragungen von Montag bis Sonntag<br />
hat zudem eine gegenseitige Befruchtung<br />
von Live-Event und TV-Angebot<br />
stattgefunden.<br />
Stadion-Qualität, Live-Erlebnis, TV-Honorar<br />
und Veränderung der Vereine hin<br />
zu Kapitalgesellschaften bedingen auch<br />
eine konkurrierende Wettbewerbssituation<br />
innerhalb des Systems. Nicht mehr<br />
das reine Fassungsvermögen der Stadien<br />
bedingt entsprechende Einnahmen, sondern<br />
die Ausgestaltung der Sitzplatzkapazitäten<br />
für Service-Konzepte wie Business-<br />
und<br />
Logenplätze,<br />
eine entsprechende<br />
Infrastruktur für die Verweildauer<br />
im Stadion sowie zusätzlicher gewerblicher<br />
Nutzung. Aus dieser Perspektive<br />
erhält auch die von Bayern-Manager<br />
Uli Hoeneß gehaltene „Wutrede“ bei der<br />
Jahreshauptversammlung 2007 seine Bedeutung:<br />
Bayern-Fan Ralf Seeliger hatte<br />
sich damals über die schlechte Stimmung<br />
in der Allianz Arena gewundert, da dort<br />
zu wenig echte<br />
Fans seien. Das<br />
brachte Hoeneß<br />
bekanntlich derart<br />
in Rage, dass<br />
er mittlerweile legendär<br />
polterte:<br />
„Das ist populistische<br />
Scheiße.<br />
Was glaubt ihr<br />
eigentlich, wer<br />
ihr seid? Wer<br />
euch finanziert,<br />
wer sich das ganze<br />
Jahr den Arsch<br />
aufreißt, damit<br />
ihr für sieben<br />
Euro in die Südkurve kommt?“ Was Hoeneß<br />
ansprach: Geld wird mit den gepolsterten<br />
Sitzplatzbereichen, den Stadionund<br />
VIP-Logen verdient. Der Stehplatzkunde<br />
dient der Folklore, die die VIPs<br />
zum Stadionbesuch animiert.<br />
Fazit: Bundesliga-Fußball ist nicht mehr<br />
sportliche Unterhaltung allein, sondern<br />
längst eine an Effizienz gebundene Institution.<br />
Nicht erst seit 2001, als die DFL<br />
auf den Plan trat. Jürgen Beckerd<br />
„Das Service-Konzept ist für die<br />
Zuschauer genauso wichtig wie<br />
sportlicher Erfolg. Wer heute in<br />
ein Stadion geht, will nicht nur<br />
einen Sieg seiner Mannschaft sehen,<br />
sondern einen schönen Tag<br />
verbringen. Das müssen die Vereine<br />
erkennen.“<br />
Alfons Madeja, Unternehmensberater und Hochschulprofessor<br />
(Uni Heilbronn)