22.12.2012 Views

Christopher Purves bass - Chandos

Christopher Purves bass - Chandos

Christopher Purves bass - Chandos

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

CHAN 3121 BOOK.qxd 12/9/06 4:19 pm Page 34<br />

Die Zauberflöte bedeutet für jeden etwas<br />

anderes, und dies gilt, wie sich herausstellen<br />

wird, gleichermaßen für männliche wie für<br />

weibliche Hörer. Das Werk ist komisch,<br />

zugleich aber auch todernst. Es eignet sich als<br />

populäre Unterhaltung, ist aber auch hohe<br />

Kunst. Die Handlung ist zutiefst<br />

geheimnisvoll und doch klar wie der helle Tag.<br />

Auf die seit seiner Entstehung vergangene Zeit<br />

bezogen mag das Werk alt sein, 1791 war es<br />

jedoch überraschend neu und originell – und<br />

das ist es eigentlich auch noch heute. Und<br />

heute werden nur die früh Gealterten unter<br />

uns etwas anderes darin sehen als ein Wunder<br />

an Erfindungsgabe, die seinerzeit jegliche<br />

Schablonen sprengte.<br />

Mit der Zauberflöte durchbrach Mozart<br />

tatsächlich die gängigen Konventionen der<br />

Oper. Er schrieb das Werk nicht für den<br />

Wiener Hof wie seine vorangehende deutsche<br />

Oper, Die Entführung aus dem Serail. Er<br />

schrieb es nicht für ein städtisches<br />

Opernpublikum, das vorgab, italienisch zu<br />

verstehen, sondern für das Theater auf der<br />

Wieden, ein baufälliges altes Theater in der<br />

Vorstadt, aus Holz und nicht für die Ewigkeit<br />

Mozart: Die Zauberflöte<br />

gebaut – heute ist es längst verschwunden. Der<br />

Schauspieler und Manager Emanuel<br />

Schikaneder, dessen Ensemble ausgedehnte<br />

Tourneen durch die deutschsprachigen Länder<br />

(er war ein gefeierter Hamlet und Lear), hatte<br />

das Theater gepachtet und wollte mit<br />

volkstümlicher Unterhaltung etwas Geld<br />

verdienen – ihm schwebte ein lose gestricktes<br />

Märchen von der Art vor, wie sie seinerzeit in<br />

Wien sehr populär waren. Das Theater<br />

verfügte über die Mittel zu spektakulären<br />

Bühneneffekten, mit allerhand Flugkünsten an<br />

Drähten und Falltüren. Eine Pantomime am<br />

Hackney Empire im Londoner Eastend wäre<br />

eine hilfreiche Analogie.<br />

Schikaneder schrieb das Libretto selbst,<br />

höchstwahrscheinlich mit Unterstützung von<br />

Mitgliedern seines Ensembles, und da er<br />

offensichtlich nicht nur ein großer Tragöde<br />

sondern auch als Komödiant ein Naturtalent<br />

war, übernahm er selbst die Rolle des<br />

Papageno, eine der großen komischen Figuren<br />

der Opernliteratur. Mozart setzte sich über die<br />

Gattungsbeschränkungen des Märchens<br />

hinweg und man spürt, wie er die Freiheit<br />

genoß, die sich sowohl aus dem Format ergab<br />

als auch aus dem Umstand, daß er für ein<br />

volkstümliches und nicht für ein typisches<br />

Opernpublikum schrieb. Es fehlte der Zwang,<br />

irgendwelche Erwartungen zu erfüllen, der<br />

selbst in der Da-Ponte-Trilogie bestanden<br />

hatte: Keine Bravourarien, keine bindenden<br />

konventionellen Formen, keine<br />

Notwendigkeit, jemandem eine Arie zu geben,<br />

bloß weil er da war. Mozart konnte tun, was er<br />

wollte, und das tat er auch – und hierin liegt<br />

der Grund, warum die Zauberflöte auch heute<br />

noch so frisch wirkt.<br />

Im Laufe der Jahre ist über den<br />

geheimnisvollen Charakter des Librettos viel<br />

Tinte verschrieben worden. Insbesondere<br />

wurde behauptet, daß die Handlung nach der<br />

Hälfte des ersten Akts eine plötzliche<br />

Wandlung durchmacht, da die Königin der<br />

Nacht, die als “gutes” Wesen begann, nun zum<br />

Bösewicht wird, während Sarastro sich<br />

umgekehrt entwickelt. Doch davon läßt sich<br />

nur der naive Theatergänger überzeugen – es<br />

ist nie weise, alles zu glauben, was die Leute<br />

von sich selbst behaupten, schon gar nicht im<br />

Theater. Edward Dent, der sich mehr als<br />

irgendjemand anderes im zwanzigsten<br />

Jahrhundert für die Popularisierung von<br />

Mozarts Opern einsetzte – nicht zuletzt auch<br />

durch seine Übersetzungen –, beschrieb das<br />

34 35<br />

Libretto der Zauberflöte 1913 als “eines der<br />

absurdesten Exemplare dieser Literaturform, in<br />

der die Absurdität als selbstverständlich<br />

hingenommen wird”. Dent hatte einen<br />

ausgeprägten Sinn für Humor und meinte dies<br />

vielleicht nicht ganz ernst. Goethe hatte ein<br />

Jahrhundert zuvor geschrieben, es gehöre mehr<br />

Kenntnis dazu, dieses Libretto zu verstehen als<br />

sich darüber lustig zu machen; und Goethe<br />

mußte es wissen, denn er hatte selbst den<br />

Versuch unternommen (und war daran<br />

gescheitert), eine Fortsetzung zu schreiben.<br />

Man kann die Geschichte auf den<br />

verschiedensten Ebenen verstehen. Auf der<br />

einfachsten ist dies die Erzählung einer Reise<br />

aus der Dunkelheit ins Licht. Sie beginnt in<br />

der Nacht, dem Reich der Königin, und endet<br />

in strahlendem Sonnenlicht, Sarastros<br />

Domäne. Auf der kompliziertesten handelt es<br />

sich bekanntlich um eine logisch und stringent<br />

entwickelte Allegorie der Rituale des<br />

Freimaurertums, die keineswegs so wacklig<br />

konstruiert ist wie das Theater, in dem das<br />

Werk zuerst aufgeführt wurde – jede Zeile hat<br />

ihre Bedeutung. Nun, entweder man kennt<br />

sich im Freimaurerwesen aus oder man tut es<br />

nicht, es macht, ehrlich gesagt, keinen<br />

Unterschied. Der einzige relevante Aspekt ist,<br />

daß im achtzehnten Jahrhundert eine

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!