Christopher Purves bass - Chandos
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CHAN 3121 BOOK.qxd 12/9/06 4:19 pm Page 38<br />
Mozart liebte Bach. Er mochte auch Händel<br />
und erfand seine eigene liebevolle Fassung des<br />
Messias. Kannte er “Zadok der Priester”? Die<br />
schiere Großartigkeit des Chors der Priester im<br />
Zweiten Akt wie auch seine Begleitung legen<br />
diese Vermutung nahe. Sicherlich aber kannte<br />
er seinen Gluck, wie man an dem Marsch<br />
sieht, mit dem der Zweite Akt beginnt. All<br />
dies soll keinesfalls Mozart als Plagiator<br />
darstellen, vielmehr demonstrierte er<br />
aufrichtige Bewunderung und Homage.<br />
Um die reaktionäre Königin mit den<br />
Mitteln der Musik zu charakterisieren, griff er<br />
auf die rückständige musikalische Sprache der<br />
opera seria zurück – ausgefeilt und extrem<br />
anspruchsvoll, wodurch es ihm gelang, diese<br />
Frau präzise und zugleich mit Feingefühl<br />
darzustellen; man kann sich vorstellen, wie die<br />
Fiordiligi unter extremem Druck die erste Arie<br />
der Königin sang. Die geschmeidige, gleitende<br />
Musik für Monostatos stellt einen genialen<br />
Fall von Charakterisierung durch Musik dar,<br />
allerdings ist die strophische Form nicht nur<br />
halbernsten Gestalten wie Papageno und<br />
Monostatos vorbehalten – beide Arien des<br />
Sarastro sind zweistrophige Lieder, und George<br />
Bernard Shaws berühmte Beschreibung dieser<br />
Stücke als die einzige Musik, die geeignet ist,<br />
aus dem Mund Gottes zu ertönen, ist absolut<br />
richtig. Die Musik der drei Damen ist von<br />
einer solch wissenden Flatterhaftigkeit, von<br />
solch lebhaftem Esprit, wie er auch auf Cole<br />
Porters Broadway nicht unangebracht wäre.<br />
Am erstaunlichsten aber müssen dem<br />
zeitgenössischen Ohr Taminos Porträtarie und<br />
Paminas g-Moll-Arie “Ach, ich fühl’s, es ist<br />
verschwunden” (“Now I know that love can<br />
vanish”) vorgekommen sein. Keine von beiden<br />
folgt irgendeiner bekannten Arienform des<br />
achtzehnten Jahrhunderts, vielmehr handelt es<br />
sich um rhapsodische Ergüsse reiner<br />
musikalischer Eloquenz, inspiriert als Reaktion<br />
auf den gegebenen Text. 1791 müssen diese<br />
Arien wie Musik von Birtwistle geklungen<br />
haben. Gleichermaßen erstaunlich, im<br />
einzelnen jedoch noch einer eingehenden<br />
Analyse harrend, sind die embryonischen<br />
Leitmotive, die kleinen musikalischen<br />
Querverweise. Paminas “Tamino mein”<br />
(“Tamino mine”), das sie singt, als sie sich<br />
anschickt, sich den Prüfungen zu unterziehen,<br />
ist ein Echo des Beginns von Taminos<br />
“Porträt”-Arie, und in derselben Szenen greift<br />
Tamino Melodiemuster (in der gleichen<br />
Tonart) aus seiner ersten Liebeserklärung auf.<br />
Mozart, dessen Leben so tragisch früh enden<br />
sollte, war hier auf dem besten Wege, die<br />
Oper, wie er sie kannte, neu zu erfinden.<br />
Es gibt noch eine weitere Neuerung. Ebenso<br />
wie er den Stil seiner Musik den dramatischen<br />
Bedürfnissen anpaßte, achtete Mozart darauf,<br />
daß keine musikalische Nummer auch nur<br />
einen Takt länger war als notwendig, um ihre<br />
dramatische Aufgabe zu erfüllen, und das kann<br />
man noch nicht einmal von den großen<br />
Mozart-Opern sagen, die der Zauberflöte<br />
vorangingen. Nehmen wir zum Beispiel das<br />
Duett der Priester im Zweiten Akt, “Bewahret<br />
euch vor Weibertücken” (“A woman’s beauty is<br />
beguiling”). Kaum hat es begonnen, ist das<br />
Stück schon wieder vorbei, und das kecke<br />
kleine Nachspiel ist ein kleines Meisterwerk<br />
geistreicher Musikalität. Man könnte sich<br />
immer weiter auslassen über solche<br />
musikalischen Kabinettstücke wie das<br />
plötzliche atemberaubende Streicherlegato<br />
beim Auftritt des Sprechers oder die<br />
eindrucksvolle Feierlichkeit am Ende dieser<br />
Szene. Oder über die ebenfalls mit jeglichem<br />
früheren Mozart unvergleichlichen<br />
Klangfarben des Orchesters, die Leichtheit der<br />
Begleitung der drei Knaben, die krasse und<br />
zugleich unbeschreiblich imposante<br />
Einfachheit des Klangs – Soloflöte, untermalt<br />
von Bläsern und Pauken –, als Pamina und<br />
Tamino sich ihren Prüfungen unterziehen. Es<br />
ist wohl besser, einfach zuzuhören und über<br />
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die Gedankenfrische hinter jedem Takt dieser<br />
wunderbaren Musik zu staunen.<br />
Und sich auch darüber zu wundern, was<br />
diese Musik uns heute noch zu sagen hat, in<br />
einer Welt, in der unversöhnliche Gegensätze<br />
auch weiterhin nicht unbekannt sind. Ewige<br />
Wahrheiten aus den Mündern von Kindern,<br />
die Kraft der Musik zu heilen, zu retten, zu<br />
versöhnen, wird immer wieder aufs Neue<br />
gefeiert. Wir brauchen die Zauberflöte so<br />
dringend wie je zuvor.<br />
© 2005 Rodney Milnes<br />
Übersetzung: Stephanie Wollny<br />
Die Zauberflöte, ihre Musik und ihre<br />
Aufführung für diese CD<br />
Als Mozart und Schikaneder gemeinsam an<br />
der Zauberflöte arbeiteten, schufen sie eine<br />
neue Art von deutschem Musiktheater, das<br />
Elemente des mit Schiller und Goethe<br />
assoziierten klassischen Dramas enthielt,<br />
zugleich an die fantastischen Märchen eines<br />
Raimund und Nestroy anknüpfte, schließlich<br />
aber auch possenhafte Züge der typisch<br />
österreichischen Figur des Hanswurst trug.<br />
Schikaneder (oder wer auch immer die<br />
ernsthaften Teile der Zauberflöte tatsächlich<br />
schrieb) vermochte, alle diese Elemente