Christopher Purves bass - Chandos
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CHAN 3121 BOOK.qxd 12/9/06 4:19 pm Page 36<br />
Kontroverse bestand, ob es Logen für Frauen<br />
geben sollte oder nicht. Einige gab es – in<br />
Paris, was kaum überrascht –, und ihre Rituale<br />
hatten mit Vorhängeschlössern und Schlangen<br />
zu tun. Die Symbolik ist also gleich beim<br />
Aufgehen des Vorhangs da, die Zauberflöte<br />
wurde also nicht erst plötzlich mit dem Finale<br />
des ersten Akts zur Freimaurer-Oper, als<br />
Tamino dem Sprecher begegnet. Sarastro und<br />
die Königin sind Teil desselben Spiels, und es<br />
war sehr klug von Ingmar Bergman, sie in<br />
seiner klassischen Adaptation der Zauberflöte<br />
fürs Fernsehen als entfremdetes Ehepaar<br />
darzustellen, das sich verständlicherweise um<br />
die Erziehung seiner Tochter sorgt. Und wenn<br />
man bedenkt, wie die Geschichte sich<br />
entwickelt, dann waren Mozart und<br />
Schikaneder eindeutig auf der Seite der Engel.<br />
Selbst ohne Kenntnis der Symbolik hat die<br />
Geschichte ihre eigene Logik, ihre eigenen<br />
Symmetrien und ihre eigenen scheinbar<br />
unvereinbaren Gegensätze – Licht und<br />
Dunkel, Sonne und Mond, männlich und<br />
weiblich, Feuer und Wasser, Gold und Silber.<br />
Tamino und Pamina verlieren beide das<br />
Bewußtsein, als wir ihnen zum ersten Mal<br />
begegnen, Tamino als er eine riesige Schlange<br />
erblickt (und wir brauchen keinen Freud, um<br />
uns die Bedeutung von Schlangen zu<br />
erklären), Pamina unter der Bedrohung des<br />
wollüstigen Monostatos. Sie werden also beide<br />
angesichts einer ersten sexuellen<br />
Herausforderung ohnmächtig. Ein Echo der<br />
frühesten Opern, in denen komische Diener<br />
sich über ihre Herren lustig machten, erleidet<br />
auch Papageno im zweiten Akt stolz seine<br />
eigene Ohnmacht “I’ve fainted” – (“Ich lieg’ in<br />
einer Ohnmacht”), nachdem die drei Damen<br />
ihren Spaß mit ihm hatten. Später parodiert<br />
Papageno Paminas Selbstmordszene. Logisch<br />
ist auch, daß Papageno und Monostatos auf<br />
der “falschen” Seite beginnen – Papageno dient<br />
der Königin und Monostatos dem Sarastro –<br />
und im Verlauf der Handlung ihre Positionen<br />
tauschen, genau wie es in den Köpfen der<br />
Zuschauer die Königin und Sarastro tun.<br />
Doch die Crux der Zauberflöte, dieser Reise<br />
aus der Dunkelheit ins Licht, sollte keiner<br />
Erklärung bedürfen. Möge das Gegensatzpaar<br />
“männlich versus weiblich” für all die oben<br />
erwähnten unvereinbaren Gegensätze stehen.<br />
Manch einer hat sich betroffen gezeigt von der<br />
scheinbar routinierten misogynistischen<br />
Haltung des Texts, die besonders in den<br />
Worten von Sarastros Priestern zum Ausdruck<br />
kommt, ganz zu schweigen von der Figur des<br />
Sarastro selbst. Wie, fragen sensible Seelen des<br />
einundzwanzigsten Jahrhunderts, können diese<br />
Menschen als Vorbilder der Aufklärung gelten?<br />
Solche Sensibilität kommt gut zweihundert<br />
Jahre zu spät. In dem originalen deutschen<br />
Text von “O Isis und Osiris” singt Sarastro<br />
vom Geist der Weisheit, der “dem neuen Paar”<br />
geschenkt werden solle und der “der Wandrer<br />
Schritte lenket, stärkt mit Geduld sie in<br />
Gefahr!”. Später fragt er Tamino, ob dieser<br />
noch immer vorhabe, mit Pamina die<br />
Bruderschaft zu leiten (“Schlägt dein Herz<br />
noch ebenso warm für Pamina und wünschest<br />
du einst als ein weiser Fürst zu regieren”).<br />
Und schauen wir uns an, was Pamina im<br />
Verlauf der Oper widerfährt: Sie reift vom<br />
Teenager (Anna Gottlieb, die die Rolle als<br />
erste spielte, war erst siebzehn) zu einer sehr<br />
aufgeweckten Frau heran, von der selbst die<br />
Geharnischten sagen, sie sei es wert, das Licht<br />
zu erlangen. Als sie sich für die Versuchungen<br />
des Feuers und des Wassers zu Tamino gesellt,<br />
ist dies nicht nur ein Fall von “Ich bin an<br />
deiner Seite”; den Bühnenanweisungen ist zu<br />
entnehmen, daß sie (eine Frau) ihn (einen<br />
Mann) durch diese Proben leitet, und damit<br />
sind wir schon einen Schritt weiter als das<br />
“nichts Edlers sei als Weib und Mann”, von<br />
dem Pamina und Papageno im ersten Akt<br />
träumen. Pamina ist in der Tat ihrer Rolle<br />
würdig, und dies widerlegt den Vorwurf der<br />
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Misogynie, besiegt ihn so entschieden wie die<br />
Königin Sarastro unterliegt, der als weiser<br />
Mann schon erkennen wird, daß einige seiner<br />
eingefleischten Ansichten ein wenig veraltet<br />
sind. Daher sein meisterhafter Plan für die<br />
Versöhnung aller konfliktierenden Gegensätze,<br />
sein in seiner zweiten Arien geäußerter<br />
Entschluß, die Welt zu einem besseren Ort zu<br />
machen und seine kluge Entscheidung, sich<br />
(recht) früh von seinem Amt zurückzuziehen.<br />
All das ist aus der Sicht des zwanzigsten<br />
Jahrhunderts erstaunlich genug, mehr noch<br />
aus der des achtzehnten, aber der<br />
erstaunlichste Aspekt der Zauberflöte bleibt<br />
natürlich Mozarts Musik. Man denke nur an<br />
die Fülle von Melodien, ihren Esprit, den<br />
Eindruck des Fantastischen, des<br />
“zauberhaften”, aber auch ihre akademische<br />
“Korrektheit” – der brilliante Kontrapunkt in<br />
der Ouverture ist so erhebend wie der im<br />
Finale der Jupiter-Sinfonie. Das fundamental<br />
Neue an dieser Musik ist die Art, wie Mozart<br />
– befreit von den Zwängen der Erwartung – in<br />
größerem Maße als je in seinen früheren<br />
Opern (oder in denen anderer Komponisten)<br />
den Stil seiner Musik der dramatischen<br />
Situation anpaßte. Papageno singt Popsongs.<br />
Die Geharnischten singen einen<br />
kontrapunktisch komplexen Bach-Choral –