Cruiser im Juni 2017
Cruiser im Juni Früher sah man sie überall - mindestens in der Szene: Männer, die sich einfach mal in den Fummel geschmissen haben und Spass daran hatten, ohne gleich ein politisches Statement damit abgeben zu wollen. Daher fragen wir uns: Sag' mir, wo die Tunten sind! Und wenn wir schon bei "Männlichkeit" bzw. eben nicht bei dieser sind: Cruiser trumpft mit einem haarigen Special auf: Alles rund um den Bart!
Cruiser im Juni
Früher sah man sie überall - mindestens in der Szene: Männer, die sich einfach mal in den Fummel geschmissen haben und Spass daran hatten, ohne gleich ein politisches Statement damit abgeben zu wollen. Daher fragen wir uns: Sag' mir, wo die Tunten sind! Und wenn wir schon bei "Männlichkeit" bzw. eben nicht bei dieser sind: Cruiser trumpft mit einem haarigen Special auf: Alles rund um den Bart!
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Rückeroberung<br />
der Männlichkeit?<br />
Sag mir, wo die<br />
Tunten sind!<br />
Homo Wagner<br />
Der schwule Siegfried<br />
Trend Gesichtspelz<br />
Auf den Bart gekommen<br />
Gay Nursing<br />
Die Engel in Pink
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CH/HIV/0021/17/10.05.<strong>2017</strong>/05.<strong>2017</strong>
3<br />
Editorial<br />
Liebe Leser<br />
Neulich verriet mir ein schwuler Freund etwas verschämt, dass sein Gay-Radar seit einiger Zeit<br />
überhaupt nicht mehr funktioniere. Für ihn sähen heute Schwule genauso aus wie Heteros. Er war<br />
sich nicht sicher, ob er das bedauern oder als Erfolg der schwulen Bewegung werten sollte. Der<br />
Frage: «Wo sind die Tunten hin?» gehen wir daher gerne in der neuesten <strong>Cruiser</strong>-Ausgabe nach. Ob<br />
hierfür auch der Trend, dass nun absolut jeder Mann eine möglichst üppige Gesichtsbehaarung tragen sollte, verantwortlich<br />
ist, bleibt einmal dahingestellt. Aber auch diesem Thema widmen wir uns in dieser Ausgabe und hoffen damit auf spannende<br />
Lesemomente.<br />
Herzlich, Birgit Kawohl<br />
Stellv. Chefredaktorin<br />
inhalt<br />
4 Thema Die Rückeroberung<br />
der Männlichkeit<br />
9 Kultur National & International<br />
12 Reportage Gay Nursing<br />
15 Kolumne Michi Rüegg<br />
16 news National & International<br />
18 Homo Wagner Der<br />
schwule Siegfried<br />
22 Kolumne Mirko!<br />
23 Trend Auf den Bart gekommen<br />
26 Fingerfertig Nihat kocht<br />
27 Ikonen von Damals Frank Farian<br />
30 Buchtipp Ein wenig Leben<br />
32 Ratgeber Dr. Gay<br />
33 Kolumne Peter Thommen<br />
34 Flashback <strong>Cruiser</strong> vor 30 Jahren<br />
<strong>im</strong>pressum<br />
CRUISER MAGAZIN PRINT<br />
ISSN 1420-214x (1986 – 1998) | ISSN 1422-9269 (1998 – 2000) | ISSN 2235-7203 (Ab 2000)<br />
Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media<br />
Infos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.ch<br />
Chefredaktor Haymo Empl | Stv. Chefredaktorin Birgit Kawohl<br />
Bildredaktion Haymo Empl, Nicole Senn. Alle Bilder mit Genehmigung der Urheber.<br />
Art Direktion Nicole Senn | www.nicolesenn.ch<br />
Agenturen SDA, DPA, Keystone<br />
Autor_Innen Vinicio Albani, Anne Andresen, Yvonne Beck, Andreas Faessler,<br />
Mirko, Moel Maphy, Michi Rüegg, Alain Sorel, Peter Thommen, Nihat.<br />
Korrektorat | Lektorat Birgit Kawohl<br />
Anzeigen anzeigen@cruisermagazin.ch<br />
Christina Kipshoven | Telefon +41 (0) 31 534 18 30<br />
WEMF beglaubigte Auflage 11 539 Exemplare<br />
Druck Druckerei Konstanz GmbH<br />
Wasserloses Druckverfahren<br />
REDAKTION UND VERLAGSADRESSE<br />
<strong>Cruiser</strong><br />
Clausiusstrasse 42, 8006 Zürich<br />
redaktion@cruisermagazin.ch<br />
Telefon 044 586 00 44 (vormittags)<br />
Haftungsausschluss, Gerichtsstand und weiterführende<br />
Angaben auf www.cruisermagazin.ch<br />
Der nächste <strong>Cruiser</strong> erscheint am 7. Juli <strong>2017</strong><br />
Wir vom <strong>Cruiser</strong> setzen auf eine grösstmögliche Diversität in Bezug auf Gender und Sexualität<br />
sowie die Auseinandersetzung mit diesen Themen. Wir vermeiden darum Eingriffe<br />
in die Formulierungen unserer Autor_Innen in Bezug auf diese Bereiche. Die von<br />
den Schreibenden gewählten Bezeichnungen können daher zum Teil von herkömmlichen<br />
Schreibweisen abweichen. Geschlechtspronomen werden entsprechend <strong>im</strong>plizit eingesetzt,<br />
der Oberbegriff Trans* beinhaltet die entsprechenden Bezeichnungen gemäss<br />
Medienguide «Transgender Network Schweiz». Um es kurz zu machen: Im <strong>Cruiser</strong><br />
schreiben die Menschen als solche.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
4<br />
Thema<br />
Rückeroberung der Männlichkeit<br />
Sag mir, wo die<br />
Tunten sind<br />
Irgendwie scheint es ganz so, also ob seit ca. 1986 die «Spezies» der Tunte<br />
ausgestorben ist, denn früher sah man mehr Männer in Frauenkleidern.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
Thema<br />
Rückeroberung der Männlichkeit<br />
5<br />
Von Michi Rüegg<br />
V<br />
or vielen Jahren lag ich an einem Hotelpool<br />
in Thailand. In der Nähe meines<br />
lauschigen Liegestuhls tummelte<br />
sich eine französische Familie mit zwei<br />
Teenagern, so 13, 14 Jahre alt. Der eine war<br />
kräftig, mit breitem Gesicht und best<strong>im</strong>mtem<br />
Gang. Er rannte auf den Pool zu, sprang<br />
in die Höhe und durchbrach die spiegelglatte<br />
Wasseroberfläche mit einer mächtigen<br />
Arschbombe. Der andere, feingliedrig mit<br />
einem schmalen, hübschen Gesicht tänzelte<br />
zum Beckenrand, dippte erst prüfend seinen<br />
Zeh ins Wasser und stieg dann grazil über<br />
die Treppenstufen hinein, die Arme in die<br />
Höhe gestreckt. Meine Diagnose liess keinen<br />
Raum für Zweifel: Ich hoffte, die Eltern<br />
würden irgendwann darüber hinwegkommen,<br />
dass sie nur von einem ihrer Söhne Enkelkinder<br />
erwarten dürften.<br />
Natürlich, es gibt auch tuntige Heteros.<br />
Und klar existieren von Natur aus<br />
sehr maskuline Schwule. Heterosexuelle<br />
Balletttänzer sind ebenso wenig eine Seltenheit<br />
wie schwule Fussballer. Es gibt<br />
nichts, was es nicht gibt, fasste meine<br />
Grossmutter das Universum gelegentlich<br />
zusammen. Aber: Das Tuntige war und ist<br />
schon <strong>im</strong>mer Teil des Schwulen. Allerdings<br />
muss man unterscheiden: Die traditionelle<br />
Bedeutung von Tunte ist das Extrembeispiel<br />
Heterosexuelle Balletttänzer<br />
sind ebenso<br />
wenig eine Seltenheit<br />
wie schwule Fussballer.<br />
des Schwulen – idealerweise in Frauenkleidung<br />
–, der sich affektiert und weiblich ben<strong>im</strong>mt.<br />
Tuntig ist alles, was mehr oder weniger<br />
stark in diese Richtung zielt – wobei<br />
auch Frauen tuntig sein können. Nämlich<br />
dann, wenn ihr Benehmen über das natürlich<br />
Weibliche hinausragt, sie also quasi<br />
künstlich über-weiblich werden. Schön,<br />
dass wir das geklärt hätten. Jetzt können<br />
wir uns nämlich der Frage widmen, warum<br />
Tunten heutzutage dermassen unbeliebt<br />
sind – und wieso sie möglicherweise vom<br />
Aussterben bedroht sind. Denn «Tunten<br />
zwecklos», «Keine TT», «straight acting<br />
only» sind auf Datingportalen mittlerweile<br />
zum Standard geworden.<br />
«In der Heterowelt findet mich keiner<br />
tuntig», gab Harald Glööckler mal gegenüber<br />
der Hamburger Morgenpost zu Protokoll.<br />
Genau. Glööckler. Der deutsche Modeschöpfer<br />
mit eigener Tapeten-Linie, der<br />
aussieht wie eine angejahrte, vielfach aufgespritzte<br />
Pornodarstellerin nach einer Geschlechts-OP.<br />
Er sei, wenn schon, exaltiert.<br />
«Der Unterschied: Jemand ist exaltiert, wenn<br />
er zum Beispiel grosse Ringe trägt. Tuntig ist<br />
jemand, der ‹ooh› kreischt. Das mache ich ja<br />
nicht.» Klar, dass heutzutage viele von uns<br />
aussehen wollen wie die Jungs <strong>im</strong> Abercrombie-Katalog.<br />
Aber was ist das für eine Welt,<br />
in der nicht mal die Tunten wie Glööckler<br />
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CRUISER juni <strong>2017</strong>
6<br />
Thema<br />
Rückeroberung der Männlichkeit<br />
Legendär: Am Schlossball warf man sich<br />
jeweils gerne in den Fummel.<br />
Weniger legendär, dafür spektakulär: Modedesigner Harald Glööckler sieht sich selbst nicht<br />
als «Tunte», sondern als Gesamtkunstwerk.<br />
Es ist die Natur<br />
«Als ich begann, mich zu äussern, sprechen<br />
zu lernen, geriet meine St<strong>im</strong>me spontan in<br />
feminine Lagen, deutlich heller als die der<br />
anderen Jungen. Jedes Mal, wenn ich etwas<br />
sagte, flatterten meine Hände, sie verdrehten<br />
sich und peitschten durch die Luft.» Mit diesen<br />
Worten beschreibt der junge französische<br />
Schriftsteller Edouard Louis sich selbst<br />
als Junge <strong>im</strong> autobiografischen Buch «Das<br />
Ende von Eddy». Darin n<strong>im</strong>mt er Abschied<br />
von seinem früheren Ich, Eddy Bellegueule<br />
und dessen Kindheit während der Nullerjahre<br />
<strong>im</strong> desolaten Nordosten von Frankreich.<br />
«Meine Eltern nannten das Getue, sie<br />
sagten: Lass doch das Getue. Sie wunderten<br />
sich: Warum ben<strong>im</strong>mt sich Eddy wie eine<br />
Tussi. (…) Sie dachten, es sei meine Entscheidung,<br />
dass ich mich so benahm, als wäre das<br />
eine Ästhetik, die ich kultiviere, um sie zu<br />
ärgern.» Doch Edouard Louis lässt keinen<br />
Zweifel daran, dass sein tuntiges Gehabe als<br />
Kind nicht selbstgewählt, sondern fremdbest<strong>im</strong>mt<br />
war. Gut möglich, dass er auch «ooh»<br />
gekreischt hat.<br />
Von Nordfrankreich über den grossen<br />
Teich in die Great Plains der USA: Bei Indianerstämmen<br />
der nordamerikanischen<br />
Prärie gab es schon <strong>im</strong>mer neben Männern<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
und Frauen ein weiteres Geschlecht, die<br />
von «von zwei Geistern Beseelten». In einer<br />
Gesellschaft, in der Mann gefälligst Krieger<br />
wird, trugen diese Männer Frauenkleidung,<br />
kochten, halfen bei der Kindererziehung<br />
mit und galten auch bei religiösen Ritualen<br />
als Frauen. Ihr Gegenpart waren Frauen,<br />
die Männerkleidung trugen und auf das<br />
Kriegsbeil schwangen. Nicht nur waren<br />
Männer in Frauenrollen bei vielen Stämmen<br />
mit klassischer Rollenverteilung akzeptiert,<br />
man sah sie auch eindeutig in der<br />
vordefinierten Rolle des anderen Geschlechts.<br />
Ob sie allenfalls «ooh» gekreischt<br />
haben, ist nicht überliefert.<br />
Die Fixierung auf männliche<br />
und weibliche Rollenbilder<br />
ist nicht gerade eine<br />
fortschrittliche Sichtweise.<br />
Eine Gesellschaft, die schwule Männer<br />
als eine Art von Frauen akzeptiert, mag<br />
noch nicht der Weisheit letzter Schluss<br />
sein, sie wirkt aber zweifellos sympathischer<br />
als eine frühneuzeitliche europäische,<br />
die «Sodomisten» tötete. Gleichwohl<br />
werden die Vertreterinnen und Vertreter<br />
der moderne Genderwissenschaft ob des<br />
indianischen Modells die Köpfe schütteln.<br />
Die Fixierung auf männliche und weibliche<br />
Rollenbilder ist nicht gerade eine fortschrittliche<br />
Sichtweise – doch solange die<br />
Stellen von Coiffeuren, Flight Attendants,<br />
Krankenpflegern sowie des gesamten Vatikans<br />
zu einem recht üppigen Teil von<br />
Schwulen besetzt sind, kann es nicht<br />
kreuzfalsch sein, in Kategorien zu denken.<br />
Suchen wir also nach der Tunte. Und der<br />
Antwort auf die Frage, wieso sie möglicherweise<br />
vom Aussterben bedroht ist.<br />
Tuntenstolz <strong>im</strong> letzten Jahrhundert<br />
Samuel C. Zinsli ist Mitte 40, Altertumswissenschaftler<br />
und hat sich auch mit Gender-Studies<br />
befasst. Manchmal schlüpft er<br />
in die Rolle der welkenden deutschen<br />
Schriftstellerin Kamilla von Arx. Der ehemalige<br />
Präsident der Schwulengruppe der<br />
Universität Zürich findet, dass «seine Generation»<br />
in den Neunzigern viel unverkrampfter<br />
mit Tuntigkeit umgegangen sei.<br />
Den einst negativen Begriff Tunte habe man
Thema<br />
Rückeroberung der Männlichkeit<br />
7<br />
als bewusste Selbstbezeichnung adoptiert<br />
und damit seine negative Besetzung negiert:<br />
«Der ist eine Tunte, hiess einfach, der ist<br />
schwul, mehr nicht.» Die Begriffe seien als<br />
Synonyme verwendet worden. «Das Auffällige,<br />
Schrille, Unkonventionelle ist auch benutzt<br />
worden, um Aufmerksamkeit zu erregen<br />
– schockier die Normalos!», so Zinsli.<br />
Um die Jahrtausendwende habe der Trend<br />
eine Kehrtwende gemacht. Man musste<br />
nicht mehr auffallen, sondern hatte <strong>im</strong> Gegenteil<br />
normal zu sein. Es kamen Partnerschaftsgesetze,<br />
die bürgerliche Zweierkiste.<br />
«Heutzutage fragen junge Schwule manchmal<br />
schüchtern, ob Tunte nicht ein Sch<strong>im</strong>pfwort<br />
sei», wundert sich Zinsli.<br />
Schaut man sich alte Fotos von Schwulenbällen<br />
an, scheint der Mann in Frauenkleidern<br />
durchaus stärker verbreitet gewesen<br />
zu sein als heute. In der Überschreitung<br />
der Konventionsgrenzen schien der Reiz<br />
der Übung zu liegen. Schwer vorstellbar,<br />
dass man an den Schwulenbällen vor Jahrzehnten<br />
die Tunten wie heute mit verachtenden<br />
Blicken strafte – viel eher hat<br />
Kinder merken oft schon<br />
vor der Pubertät, dass<br />
sie anders sind als ihre<br />
Altersgenossen.<br />
man sie verehrt. Dabei gilt es zu bedenken,<br />
dass das, was wir als typisch männliches<br />
Äusseres ansehen, nicht <strong>im</strong>mer der Standard<br />
war. An der Paradeuniform des Mannes,<br />
Anzug und Krawatte, hat auch Beau<br />
Brummel eine gewisse Mitschuld. Die 1778<br />
geborene britische Stilikone, ein Freund des<br />
späteren Königs George IV., verhalf der<br />
Krawatte zum Durchbruch und prägte den<br />
Dandy-Look wie kein zweiter. Ein alter<br />
BBC-Fernsehfilm bringt das Absurde auf<br />
den Punkt: Brummel verlässt das Haus makellos<br />
gekleidet in Hosen, einem Gehrock,<br />
mit mittelkurz geschnittenem Haar. Dabei<br />
wird er angefeindet von traditionell gekleideten<br />
Männern der Oberschicht, die ihre<br />
Gesichter weiss schminken, gepuderte<br />
Perücken tragen, Rüschen, und deren<br />
Strümpfe wie Leggins vom Schuh bis zum<br />
Knie reichen, gefolgt von Pluderhosen.<br />
Beau Brummels Look, dem wir heute eher<br />
das Männliche zuschreiben, muss seinerzeit<br />
als tuntig gegolten haben.<br />
Zurück von Äusserlichkeiten zum Wesen,<br />
also zu Edourd Louis’ fliegenden Händen:<br />
Dass viele Schwule zu einem gewissen<br />
Grad tuntig seien, sieht Samuel C. Zinsli <strong>im</strong><br />
Identitätsfindungsprozess begründet. Tatsächlich<br />
merken Kinder oft schon vor der Pubertät,<br />
dass sie anders sind als ihre Altersgenossen.<br />
«Be<strong>im</strong> Zusammenbasteln des Ichs<br />
merkt man, dass die Standardmodelle von<br />
‹Mann› nicht zu einem passen. Also sucht man<br />
nach anderen Rollenvorbildern», so Zinsli.<br />
Und das können eben auch starke Frauen sein,<br />
die auf viele Schwule eine grössere Faszination<br />
ausüben als auf Heteros – vermutlich auch,<br />
weil sie Frauen nicht in erster Linie als zu<br />
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CRUISER juni <strong>2017</strong>
8<br />
Thema<br />
Rückeroberung der Männlichkeit<br />
Die Frage, ob tuntiges Verhalten natürlich<br />
oder gelernt ist, kann an dieser Stelle<br />
wohl genauso wenig schlüssig beantwortet<br />
werden, wie diejenige, ob Homosexualität<br />
angeboren ist oder eine Folge der psychischen<br />
Entwicklung. Vieles spricht jedoch<br />
dafür, dass ein Verhalten zu einem gewichtigen<br />
Teil in der Entwicklung entsteht. Der<br />
Spiess lässt sich mühelos umdrehen: Männliche<br />
Kinder lernen das Männlichsein von<br />
ihren männlichen Vorbildern. Es wird ihnen<br />
als Ideal vorgelebt. Je rauer die Sitten, je<br />
ländlicher die Umgebung, desto archetypischer<br />
ist das Männerbild, dem auch die Heterobuben<br />
nachzueifern suchen. Unter diesem<br />
Gesichtspunkt betrachtet, ist die neue<br />
Männlichkeit, die in schwulen Kreisen um<br />
sich greift, auch eine Aufgabe unserer gewachsenen<br />
Kultur, die den Schwulen ausserhalb<br />
der traditionellen Geschlechterrollen<br />
ansiedelte. Oder wie es ein Ex von mir ausdrückte:<br />
«Ich bin kein Mann. Ich bin so etwas<br />
Ähnliches wie ein Mann.»<br />
Andererseits ist die Rückeroberung des<br />
Männlichen durch den Schwulen auch eine<br />
Erfolgsgeschichte: Ich darf heute ein Mann<br />
sein, selbst wenn ich <strong>im</strong> Bett zuweilen eine<br />
andere Rolle spiele. Doch bevor wir voreilige<br />
Schlüsse ziehen, müssen wir ein Schlüsselereignis<br />
der modernen Schwulengeschichte in<br />
unsere Überlegungen mit einbeziehen.<br />
Aids killed the Queens<br />
Neulich war der schwule Kulturwissenschaftler<br />
Peter Rehberg <strong>im</strong> Rahmen des Pink<br />
Apple-Filmfestivals in Zürich und sprach<br />
über das Männerbild <strong>im</strong> schwulen Porno.<br />
Dabei kam er auf die Bedeutung von Aids zu<br />
sprechen. Als sich das HI-Virus in den Achtzigern<br />
in der Szene verbreitete und etliche<br />
von uns viel zu früh in den Tod schickte, gab<br />
es eine Gegenreaktion: Die Schwulen <strong>im</strong><br />
Porno waren plötzlich noch muskulöser,<br />
noch praller, braungebrannt und so gesund<br />
aussehend frisch gepflückte Äpfel. Dieses<br />
Bild stand in starkem Kontrast zum ausgemergelten<br />
aidskranken Haut-und-Knochen-<br />
Schwulen, das sich in den Köpfen der angewiderten<br />
Öffentlichkeit festgesetzt hatte.<br />
In dieses Muster passt auch, dass die<br />
Tunte als Archetyp der schwulen Welt plötzlich<br />
einen schweren Stand hatte. Hat man sich<br />
damals in Zeiten von Aids und der Angst vor<br />
Ansteckungen wirklich <strong>im</strong> Tram neben den<br />
hageren, feminin wirkenden Mann setzen<br />
wollen, dem mit dem auffälligen Kurzhaarschnitt<br />
und den blonden Spitzen? Der tuntige<br />
Schwule, seit jeher ein Feind der körperlichen<br />
Ertüchtigung, brachte die physischen Voraussetzungen<br />
mit, um dem Stereotypen des verseuchten<br />
Homosexuellen zu genügen. Der<br />
starke Mann hingegen sah doch gesund aus<br />
und fiel nicht weiter auf. Zugegeben, das ist<br />
eine These, der man zahlreiche Argumente<br />
entgegenhalten kann. Unter anderem, dass<br />
tuntige Schwule in der Öffentlichkeit <strong>im</strong>mer<br />
einen schweren Stand hatten, auch vor<br />
der Aids-Epidemie. Aber das unterschwellige<br />
Gefühl «bei dem kann man sich anstecken,<br />
der ist schwul», dürfte der Straight-<br />
Acting-Fraktion in den Achtzigern und<br />
Neunzigern sicher einen gewissen Zulauf<br />
beschert haben. Dass die Pornomänner der<br />
Neunziger zwar Muskeln, aber keine Körperhaare<br />
hatten, dürfte hingegen einem generellen<br />
Männerbild geschuldet gewesen<br />
sein. Körper wurden während knapp zwei<br />
Jahrzehnten glattrasiert. Haare dürfen erst<br />
seit kurzem wieder spriessen. Und auch<br />
nicht überall.<br />
Der Schwule darf wieder<br />
Mann sein und wird selbst<br />
von vielen Heteromännern<br />
als Vertreter des eigenen<br />
Geschlechts akzeptiert.<br />
Was also hat die Tunte an den Rand der<br />
schwulen Gesellschaft gedrängt? Im Wesentlichen<br />
sind es zwei Faktoren: Der Schwule<br />
darf wieder Mann sein und wird selbst von<br />
vielen Heteromännern als Vertreter des eigenen<br />
Geschlechts akzeptiert. Das ist die eine<br />
Seite der Medaille. Die andere ist die, dass<br />
Homosexualität homogener wird. Die <strong>im</strong><br />
Symbol des Regenbogens ausgedrückte Vielfalt<br />
hat an Bedeutung verloren. Das vormals<br />
vorhandene Denken, dass der Schwule zwar<br />
Mann ist, aber die Brücke zum Weiblichen<br />
bildet, verschwindet zunehmend.<br />
Doch keine Aktion ohne Reaktion.<br />
Auf das Verschwinden der Tunten scheint<br />
es eine Antwort zu geben: Da und dort tauchen<br />
junge Männer und junge Frauen auf,<br />
die sich in ihrem Look nur geringfügig unterscheiden.<br />
Merkmale sind: mittellanges<br />
Haar, häufig gefärbt, lackierte Nägel, ausladende,<br />
lange T-Shirts, Leggins, Piercings<br />
und dergleichen, mit einer Prise Emo. Ein<br />
androgyner Typ, der sich nicht an bestehenden<br />
Geschlechterrollen orientiert, sondern<br />
irgendwo <strong>im</strong> L<strong>im</strong>bo zwischen Frau<br />
und Mann das Licht der Welt erblickt hat.<br />
Sollte also tatsächlich der Tunte letztes<br />
Stündchen geschlagen haben, besteht <strong>im</strong>merhin<br />
die Hoffnung, dass sich so etwas<br />
wie eine halbwegs würdige Nachfolge finden<br />
lässt. Auch wenn diese Jungs vielleicht<br />
etwas weniger schrill «ooh» kreischen.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
Kultur<br />
National & International<br />
9<br />
KULTUR<br />
40 Jahre Dallas! Linda Gray kommt mit einem neuen Buch<br />
Die weltbekannte Schauspielern Linda Gray<br />
feierte ihren 75. Geburtstag mit ihrer Bestseller-Biographie<br />
– eine Lebensreise voller Spannung<br />
und mit vielen berührenden Momenten.<br />
Bis heute ist die erfolgreiche Schauspielerin<br />
und Mutter von zwei Kindern in Hollywood<br />
in der Film- und Theaterbranche tätig und arbeitet<br />
noch als Model.<br />
Mit ihrer Rolle als Sue Ellen in der<br />
Kultserie «Dallas», die weltweit ein jahrzehntelanger<br />
Strassenfeger war, erlangte sie<br />
Weltberühmtheit; aber ihr Leben nach «Dallas»<br />
war mindestens genauso spannend wie<br />
die Kultserie, die 2009 ein Revival mit den<br />
Original-Schauspielern erlebte und erst mit<br />
dem Tod von Larry Hagman, alias J. R.<br />
Ewing, <strong>im</strong> Jahr 2014 ein Ende fand.<br />
Im Vorwort schreibt Linda Gray:<br />
«Mein Leben war erfüllt. Ich habe viel gelernt.<br />
Ich habe geliebt und bin geliebt worden.<br />
Ich weiss sowohl das Geben wie das<br />
Empfangen zu schätzen. Mein Ziel mit diesem<br />
Buch ist es, Geschichten aus meinem<br />
Leben zu erzählen, über Geben und Nehmen<br />
und über das, was ich daraus gelernt habe.<br />
Einige der Lektionen in meinem Leben waren<br />
hart, aber aus jeder bin ich mit weniger<br />
Angst herausgegangen. Ich gehe davon aus,<br />
dass die Lektionen weitergehen. Die Straße<br />
zum Glück und zur Weisheit ist ständig ‹under<br />
construction›. Es war meine Lebensaufgabe,<br />
furchtlos und authentisch zu sein. Es<br />
gibt drei Worte, auf die ich mich konzentrieren<br />
möchte: Zeit, Liebe und Geben. Sie sind<br />
mein Kompass. Sie definieren, wer ich bin<br />
und wohin ich gehe.» (Red. / MM)<br />
Linda Gray<br />
Sue Ellen und ICH<br />
Giger Verlag<br />
CHF 28.90<br />
ISBN 978-3-906872-09-4<br />
Musical-Erfolg EVITA nun auch in Basel<br />
Der beispiellose Werdegang der argentinischen<br />
Präsidenten-Gattin Eva Perón inspirierte<br />
Andrew Lloyd Webber und T<strong>im</strong> Rice<br />
in den siebziger Jahren zu ihrem Musical-Erfolg<br />
«Evita». Das Werk, das heute zu den bekanntesten<br />
der Musical-Geschichte zählt,<br />
begeistert neben seiner mitreissenden Handlung<br />
durch Webbers unnachahmliche Kompositionen,<br />
allen voran die Ballade «Don’t<br />
Cry for Me Argentina», einer der wohl grössten<br />
Musical-Hits aller Zeiten, wird doch eine<br />
reale Aschenputtel-Geschichte erzählt.<br />
Als dann schliesslich seinerzeit Madonna<br />
für die Filmadaption als Evita zusagte,<br />
eroberte der Soundtrack die Herzen der<br />
Gays und stürmte die Hitparaden. Evita<br />
kommt nun nach einem sehr erfolgreichen<br />
Zwischenstopp in Zürich nach Basel. Vom<br />
11. Juli bis 16. Juli <strong>im</strong> Musical Theater Basel.<br />
www.musical.ch/evita (Red. / MM)<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
10<br />
Kultur<br />
National & International<br />
«Ich wäre gerne wieder ein Desperate Housewive»<br />
Schauspielerin Eva Longoria («The Sentinel»)<br />
würde gern wieder in die Rolle der<br />
Gaby Solis aus der TV-Serie «Desperate<br />
Housewives» schlüpfen. «Ich vermisse sie!<br />
Ich vermisse ihre Haut und ich vermisse es,<br />
in ihrer Haut zu stecken», sagte die 42-Jährige<br />
dem Magazin «Entertainment Tonight».<br />
Wenn Autor und Produzent Marc Cherry<br />
die Serie fortsetzen würde, würde sie sofort<br />
unterschreiben, sagte die Schauspielerin.<br />
«Ich liebe die Show und ich liebe die Magie,<br />
die wir hatten.» Und – das ist kein Gehe<strong>im</strong>nis:<br />
Die Gays liebten die Serie ebenfalls und<br />
Eva Longoria erspielte sich einen besonderen<br />
Platz in den Schwulenherzen!<br />
Longoria spielte als Gärtner verführende,<br />
verzweifelte Hausfrau Gabrielle Solis von<br />
2004 bis 2012 in der Erfolgsserie mit. Die<br />
Rolle brachte der Texanerin den weltweiten<br />
Durchbruch. Aktuell ist sie in der TV-Serie<br />
«Decline and Fall», einer Adaption des Romans<br />
«Verfall und Untergang» des britischen<br />
Schriftstellers Evelyn Waugh, als Margot<br />
Beste-Chetwynde zu sehen. (DPA / Red.)<br />
Uuuuund der LGTB Forschungspreis <strong>2017</strong> geht an …<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
Das IQS (Institute of Queer Studies) ist ein<br />
Projekt zur Förderung und Bekanntmachung<br />
von wissenschaftlichen Arbeiten und<br />
Erkenntnissen zu LGBTI-Themen sowie<br />
zum wissenschaftlichen Austausch und der<br />
interdisziplinären Vernetzung von Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern in diesen<br />
Bereichen. Das IQS startete 2014 mit<br />
wissenschaftlichen Veranstaltungen, die einem<br />
breiteren Publikum einen Einblick in<br />
die Lehre und Forschung von LGBTI-<br />
Themen geben sollen. Soweit, so gut. <strong>Cruiser</strong><br />
war dieses Mal dabei und empfiehlt die «Forschungsnacht»<br />
weiter: Acht Referentinnen<br />
und Referenten präsentierten an der Uni<br />
Zürich jeweils in 10 Minuten ihre aktuellen<br />
wissenschaftlichen LGBTI- Projekt- und<br />
Forschungsarbeiten. Die Fragen und Diskussionen<br />
<strong>im</strong> Anschluss an die Referate<br />
ermöglichten einen interessanten und<br />
unterhaltsamen Austausch zwischen der<br />
Wissenschaft und dem Publikum. Nach<br />
diesen Präsentationen der Nominierten<br />
entscheidet jeweils das Publikum und eine<br />
Jury aufgrund dieser Präsentationen; zu<br />
gewinnen gibt es den «Network LGBTI-<br />
Forschungspreis» <strong>im</strong> Wert von CHF 500.–.<br />
Dieses Jahr wurde das Referat «Ich bin<br />
trans* und muss aufs WC!» – Wie positionieren<br />
sich der Kanton Solothurn und die<br />
Kantonsschule Olten in der Genderdebatte<br />
zum Thema «Unisextoiletten» von Sascha<br />
Rijkeboer ausgezeichnet. Die Präsentation<br />
war klug, spannend, informativ und sehr<br />
mutig. Damit hat sich die / der junge Trans*-<br />
mensch – er / sie schliesst gerade die Matura<br />
ab – gegen etablierte und wesentlich ältere<br />
Fachleute (auch Professoren) durchgesetzt.<br />
Kommende Veranstaltungen finden nach der<br />
Sommerpause statt, das Programm stand bei<br />
Redaktionsschluss noch nicht fest. Infos dann<br />
auf www.queerstudies.ch (HE / Red.)
XXX<br />
XXX<br />
11<br />
SO WIE ANDERE ÜBER IHR LEBEN SPRECHEN, ERZÄHLE ICH VON MEINEM - OHNE FAKTEN<br />
VORTÄUSCHEN ODER ZWEIMAL ÜBERLEGEN ZU MÜSSEN<br />
Jean-Jacques Ries, Kaderarzt Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsspital Basel<br />
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Network-GayLeadership<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
12<br />
Reportage<br />
Gay Nursing<br />
Keine<br />
Berührungsängste<br />
Schwulsein <strong>im</strong> Alter? Und dann noch HIV-positiv? Christoph Bucher<br />
und François Fauchs kennen sich damit aus. Die beiden Pfleger<br />
betreuen seit über zehn Jahren als Spitex LGBTI-Patienten.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
Von Tobias Urech*<br />
W<br />
er jung und schwul ist, scheint ein<br />
breites, perfekt zugeschnittenes<br />
Angebot vorzufinden: Partys,<br />
Clubs, die Pride … Doch vom Alter spricht<br />
kaum jemand. Nicht nur, dass Alter generell<br />
ein gesellschaftliches Tabuthema ist –<br />
besonders ältere homosexuelle Menschen<br />
sind praktisch unsichtbar. Haben sie zuvor<br />
ein relativ offen schwules oder lesbisches<br />
Leben gelebt, sind sie in Altershe<strong>im</strong>en<br />
oder <strong>im</strong> Austausch mit Pflegern und Pflegerinnen<br />
plötzlich wieder mit Homophobie<br />
oder Unverständnis konfrontiert.<br />
Dieses Problem erkannten Christoph<br />
Bucher und François Fauchs bereits 2005. Die<br />
zwei Pflegefachmänner machten sich damals<br />
selbstständig mit einem eigenen Spitex-Dienst,<br />
der sich auf «Gay Nursing» spezialisierte –<br />
also Pflege für Lesben und Schwule.<br />
Ich treffe die beiden an ihrem freien<br />
Tag <strong>im</strong> Ambulatorium nahe des Goldbrunnenplatzes<br />
in Zürich Wiedikon zu einem<br />
Gespräch. «Eigentlich wären wir jetzt noch<br />
<strong>im</strong> Tessin», meint Fauchs. «Wir haben dort<br />
eine Wohnung. Diesen Ausgleich nehmen<br />
wir uns eben jedes Wochenende. Wegen der<br />
Psychohygiene.» Die beiden sind nämlich<br />
auf psychiatrische Pflege spezialisiert – so<br />
etwas zehrt an den Nerven.<br />
Angesprochen auf die aktuelle Lage<br />
von alten Schwulen meint Fauchs: «Alte<br />
Menschen gibt es nicht bei den Schwulen.<br />
Die werden von der Szene abserviert.» Besonders<br />
in den gängigen Schwulenmagazinen<br />
sehe man ja nur junge, muskulöse Männer.<br />
Und an Partys gehe man mit einem<br />
best<strong>im</strong>mten Alter halt auch nicht mehr, ergänzt<br />
Christoph.
Reportage<br />
Gay Nursing<br />
13<br />
HIV <strong>im</strong> Alter<br />
Doch wie sieht es mit der Situation HIVpositiver<br />
Menschen aus? «Vor zehn Jahren<br />
betreuten wir einige sterbende Aids-Patienten.<br />
Die waren aber nicht alle schwul. Viele<br />
waren auch Drogenabhängige, die sich in<br />
diesem Kontext mit HIV angesteckt hatten.»<br />
Heute sehe es allerdings anders aus:<br />
«HIV-positive Menschen sterben nicht mehr<br />
oder nur noch ganz selten an Aids, weil die<br />
neuen Medikamente gut wirken und die<br />
Krankheit unter Kontrolle gehalten wird»,<br />
erklärt Fauchs. Dafür kommen andere<br />
Herausforderungen auf die beiden zu. Ein<br />
unterschätztes Problem sei zum Beispiel der<br />
Alkoholkonsum, erzählen sie. Viele ältere<br />
Schwule hätten die meiste Zeit ihres Lebens<br />
rauchend in einer Szenebar verbracht. Dass<br />
das nicht spurlos an einem vorbeigeht, merke<br />
man dann spätestens <strong>im</strong> Alter. Allerdings<br />
sei Altersalkoholismus ein Problem, das<br />
durchaus auch Heterosexuelle betreffe.<br />
«Manchmal werden die HIV-positiven<br />
Schwulen <strong>im</strong> Alter auch ausgenützt», sagt<br />
Fauchs. So erzählen sie vom Patienten Rolf<br />
(alle Name von der <strong>Cruiser</strong>redaktion geändert),<br />
der von Zeit zu Zeit Stricher aus Osteuropa<br />
zu sich einlädt, die er <strong>im</strong> Internet kennengelernt<br />
hat. Diese nutzen ihn dann aus, indem sie<br />
«Manchmal werden die<br />
HIV-positiven Schwulen <strong>im</strong><br />
Alter auch ausgenützt.»<br />
extra Geld verlangen, weil er HIV-positiv ist.<br />
«Ohne zusätzlich zu zahlen, würden die Stricher<br />
ihn niemals anfassen – auch weil sie nicht<br />
wissen, wie sich HIV überträgt. Rolf hat deswegen<br />
auch massive Geldprobleme.» Es gebe<br />
halt viele Brandherde bei den Patienten und<br />
Patientinnen, sind sich die beiden einig. Das<br />
sei typisch für ihre Arbeit. «Trotzdem bin ich<br />
heute noch begeistert von meiner Arbeit. Sie<br />
bietet einen breiten Einblick in das Leben unserer<br />
Patienten», betont Bucher.<br />
Hoi, du Zwätschge!»<br />
Bucher und Fauchs pflegen sowohl schwule<br />
Patienten als auch heterosexuelle Patienten<br />
und Patientinnen. Es fragt sich, was nun das<br />
«Gay Nursing» von normaler Spitex-Pflege<br />
unterscheidet. «Das ‹Gay Nursing› hat mit<br />
einer gewissen schwulen Kultur zu tun», erklärt<br />
Fauchs. Als Beispiel erwähnt er den<br />
über achtzigjährigen Peter. Er liess sich zunächst<br />
von einer normalen Spitex-Pflegerin<br />
pflegen und fühlte sich unwohl. «Weil er sich<br />
verstecken musste.» So bemühte er sich,<br />
mit der Pflegerin über betont männliche<br />
Themen – über Fussball und Ähnliches – zu<br />
reden. Nun, wo er Fauchs als Pfleger hat,<br />
kann Peter seine schwule Identität, die ihn<br />
durch das Leben begleitete, wieder zeigen.<br />
Zur Begrüssung steht er jeweils schon an der<br />
Tür und empfängt François mit einem<br />
neckischen «Hoi, du Zwätschge!». Sowieso<br />
seien sie mit allen schwulen Patienten gleich<br />
per Du. Es gibt so etwas wie eine automatische<br />
Verbundenheit.<br />
Ein anderer Patient habe einen Partner<br />
mit einem Latexfetisch. Da sei eine junge ➔<br />
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CRUISER juni <strong>2017</strong>
14<br />
Reportage<br />
Gay Nursing<br />
Die Pfleger Christoph Bucher und François Fauchs haben sich auf «Gay-Nursing» spezialisiert und betreuen viele ältere Schwule.<br />
©Bilder: Marilyn-Manser<br />
Pflegerin schnell mal überfordert, wenn sie<br />
in der Wohnung auf die aufgehängten Latexkleider<br />
trifft, sind sich die beiden einig. Für<br />
sie als Gay Nurses hingegen stelle das kein<br />
ungewohntes Bild dar, sie sind offener und<br />
sich dieses Themas bewusst. Wieder ein anderer<br />
Patient sei süchtig nach Pornos. «In<br />
der ganzen Wohnung hängen Bilder von<br />
nackten Männern und am Fernseher laufen<br />
die ganze Zeit Pornos. Unser Patient zeichnet<br />
auch ununterbrochen Penisse. Das hat<br />
schon fast etwas Manisches. Eine andere<br />
Pflegeperson hätte wahrscheinlich eher<br />
Mühe damit.»<br />
Mehr Ausbildung, mehr Institutionen<br />
Die beiden «Gay Nurses» sind sich einig,<br />
dass in der Ausbildung von jungen Pflegern<br />
und Pflegerinnen zu wenig auf das Thema<br />
Homosexualität <strong>im</strong> Alter fokussiert werde.<br />
«Zwar wird es mittlerweile nicht mehr totgeschwiegen<br />
wie zu meiner Zeit in der Ausbildung»,<br />
sagt François, «aber nach wie vor ist<br />
Homosexualität ein Tabu.» Als Fauchs noch<br />
in Ausbildung war, habe einer seiner Ausbilder<br />
gar noch darauf bestanden, Homosexualität<br />
als Krankheit zu bezeichnen. «Ich<br />
war damals schon offen schwul und habe<br />
mich geweigert, zur Prüfung über diesen<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
Stoff anzutreten.» Zum Glück hat sich seither<br />
einiges verändert; Fauchs ist heute selbst<br />
Ausbildner. Er wurde auch schon von einem<br />
Altershe<strong>im</strong> für einen Input angefragt nach<br />
einem Zwischenfall mit einer Pflegerin, die<br />
von der offenen Homosexualität eines Bewohners<br />
überfordert war. Fauchs stört sich<br />
daran, dass die Altershe<strong>im</strong>e und Spitäler erst<br />
auf ihn zukommen, wenn es Probleme gibt.<br />
«Das muss vorher passieren!»<br />
Doch natürlich gibt es auch vorbildliche Altershe<strong>im</strong>e<br />
und Spitäler, die sich des Themas<br />
schon von vornherein bewusst sind. So weisen<br />
die Stadtspitäler explizit aufs «Gay Nursing»<br />
hin. Trotzdem mangelt es an Institutionen.<br />
«Es bräuchte so etwas wie ein<br />
Tageshe<strong>im</strong> für alte Homosexuelle», findet<br />
Bucher.<br />
Wie lange es das «Gay Nursing» am<br />
Goldbrunnenplatz allerdings noch gibt, ist<br />
unklar. Fauchs wird nämlich bald pensioniert.<br />
Wie es dann weitergeht, ist noch ungewiss.<br />
Und von einem queeren Altershe<strong>im</strong>,<br />
wie es sie beispielsweise in den Niederlanden<br />
gibt, kann man in der Schweiz momentan<br />
nur träumen. Immerhin gibt es mit dem<br />
Verein «queerAltern» Bestrebungen, ein solches<br />
He<strong>im</strong> zu verwirklichen.<br />
Ob die beiden vielleicht dereinst nach<br />
ihrer Pensionierung in diesem He<strong>im</strong> einen<br />
Platz finden …? – Noch ist es aber nicht so<br />
weit und man trifft Christoph Bucher und<br />
François Fauchs auf ihren Pflegebesuchen in<br />
der Stadt Zürich und der Umgebung an –<br />
Ersteren auf seinem Velo, Letzteren <strong>im</strong> pinken<br />
«Gay Nursing»-Mobil.<br />
*Dieser Artikel ist zuerst in den «Swiss Aids News» erschienen.<br />
Service<br />
Die Spitex Goldbrunnen ist auf «Gay Nursing»<br />
spezialisiert. Die beiden Pfleger Christoph<br />
Bucher und François Fauchs, beides diplomierte<br />
Pflegefachleute, betreuen über vierzig<br />
Patienten in und um Zürich.<br />
Telefonisch Auskunft geben die beiden Montag<br />
bis Freitag von 8.00 bis 12.00 Uhr und<br />
von13.30 bis 17.00 Uhr.<br />
Spitex Goldbrunnen Gay Nursing<br />
Rotachstrasse 31<br />
8003 Zürich Wiedikon<br />
044 462 03 64<br />
info@gaynursing.com<br />
www.gaynursing.com
KOLUMNE<br />
MICHI RÜEGG<br />
15<br />
Wie die Landwirtschaft von uns<br />
gelernt hat<br />
Heutzutage bringt vor allem die digitale Welt Innovationen<br />
hervor. Aber auch der Ur-Wirtschaftssektor<br />
kann was, vor allem, wenn er bei uns Schwulen<br />
abschaut, wie Michi Rüegg herausgefunden hat.<br />
VON Michi Rüegg<br />
D<br />
er Spargel ist eines der vielen phallischen<br />
Erzeugnisse, mit denen die<br />
Natur nicht nur unseren Gaumen<br />
bezirzt, sondern auch unsere Fantasie anregt.<br />
Er besitzt zudem ein paar Eigenschaften,<br />
die ihn noch phallischer machen als<br />
anderes Gemüse. So wächst er ausgerechnet<br />
<strong>im</strong> Frühling, von den ersten Sonnenstrahlen<br />
gekitzelt, wie eine Eins aus dem Boden<br />
und wer ihn will, muss ein Stecher sein.<br />
Schon die Comedian Harmonists sangen in<br />
ihrem Lied Veronika, der Lenz ist da folgende<br />
Zeile: «Die ganze Welt ist wie verhext,<br />
Veronika, der Spargel wächst.» Es ist anzunehmen,<br />
dass die <strong>im</strong>plizierte Begeisterung<br />
über das Wachstum des Halbstrauchs nicht<br />
bloss kulinarischen Ursprungs war. Veronikas<br />
potentielle Kochkünste wären wohl eher<br />
nach einer allfälligen Heirat gefragt, best<strong>im</strong>mt<br />
nicht während der Flirtphase.<br />
Neulich waren meine Veronika und<br />
ich auf einem Spargelhof zu Gast. Während<br />
ich mich der lokalen Ausgabe eines leichtfüssigen<br />
Riesling-Silvaners hingab, liess<br />
sich Veronika, die eigentlich anders heisst<br />
und ein Er ist, vom Hofbesitzer in die Gehe<strong>im</strong>nisse<br />
des Spargelanbaus einführen.<br />
Mit Abstand das Mühsamste an der Übung<br />
ist die Ernte, weswegen dafür hochbezahlte<br />
Fachkräfte aus Osteuropa zum Einsatz gelangen.<br />
Sind die weissen Dinger allerdings<br />
erst mal aus dem Erdreich gezerrt, geht vieles<br />
automatisch.<br />
Besonders Eindruck gemacht hat meinem<br />
Veronikus die computergesteuerte Sortiermaschine.<br />
Sie ist in der Lage, jeden Spargel<br />
nach Grösse, Gewicht und Qualität zu<br />
messen und entsprechend zu sortieren. Die<br />
dicken, teuren, gehen in die Globus-Kiste.<br />
Die mittlerer Qualität zu anderen Supermärkten<br />
und die krummen, dürren wandern<br />
sonstwohin, <strong>im</strong> schl<strong>im</strong>msten Fall endet<br />
ein Spargel als Tierfutter. 1,9 Tonnen laufen<br />
an Spitzentagen durch die Sortiermaschine.<br />
Gay-Dating-Apps sollten<br />
neben der Grösse und<br />
Schnittvariante der Penisse<br />
auch die Parameter Dicke<br />
und Krümmung aufnehmen.<br />
Ich brauche an dieser Stelle wohl nicht<br />
nochmal auf die Parallelen zum echten<br />
Phallus hinzuweisen. Erstaunlich finde ich,<br />
dass mit dieser Sortieranlage ein virtuelles<br />
Konzept von schwulen Datingsites in die<br />
Landwirtschaft übernommen worden ist.<br />
So lässt sich etwa auf Gayromeo einstellen,<br />
wie gross denn der gesuchte menschliche<br />
Spargel zu sein hat und wie er denn geschnitten<br />
sein soll.<br />
Das Beispiel zeigt, dass digitale Innovationen<br />
durchaus <strong>im</strong> Stande sind, auch mal<br />
ihren Weg zurück in die analoge Welt zu finden.<br />
Es ist anzunehmen, dass der Erfinder<br />
dieser Sortieranlage be<strong>im</strong> Versuch, sie zu erfinden,<br />
irgendwann frustriert auf eine Dating-<br />
App geswitcht ist. Dort fand er vielleicht<br />
nicht den ersehnten Romeo, wohl aber die<br />
nötige Erleuchtung.<br />
Interessanterweise verbessern sich Innovationen<br />
mitunter, wenn sie hin- und<br />
herwechseln. Es ist nun an den Gay-<br />
Dating-Apps, neben der Grösse und<br />
Schnittvariante der Penisse auch die Dicke<br />
und Krümmung als Parameter aufzunehmen.<br />
Dadurch kann der Verbraucher unter<br />
der dargebotenen Ware noch besser nach<br />
seinen Bedürfnissen auswählen. Und die<br />
kümmerlichen werden natürlich auch hier<br />
automatisch aussortiert. Das erspart lästige<br />
Nachrichten von Chancenlosen.<br />
Hat diese Innovation ihren Weg dereinst<br />
zurück in die digitale Welt gefunden,<br />
ist es wieder an der Landwirtschaft, den<br />
nächsten Schritt zu tun. Etwa, indem sie die<br />
lästige Beschränkung auf eine so genannte<br />
«Saison» endlich über Bord wirft und Spargeln<br />
wie Penisse während 24 Stunden und an<br />
365 Tagen <strong>im</strong> Jahr spriessen lässt.<br />
Und <strong>im</strong> Namen aller Freunde des Natursekts<br />
lade ich die Spargelanbauinnovatoren<br />
herzlich ein, sich <strong>im</strong> selben Arbeitsgang<br />
doch der Frage des penetranten<br />
Geruchs anzunehmen, den die spitzen Spitzen<br />
bei Klogängen nach dem Verzehr verströmen.<br />
In diese Kategorie fällt wohl auch<br />
ein Newsletter von Globus, der heute in<br />
meinem Postfach lag: Am schmackhaftesten,<br />
so das Warenhaus, seien Spargeln,<br />
wenn sie <strong>im</strong> eigenen Saft gegart worden seien.<br />
Bon appetit.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
16<br />
News<br />
National & International<br />
NEWS<br />
Schwules Pärchen von Luzerner Polizisten zu hart rangenommen<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
Ja, dieser Titel jetzt. Ist uns auch erst in der<br />
Korrekturrunde aufgefallen. Item: Hier<br />
kommt nun die eigentlich «News»:<br />
Ein schwules Pärchen ist bei einer Kontrolle<br />
in Luzern von Polizisten unfair behandelt<br />
worden. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde<br />
der beiden teils gutgeheissen. Einer<br />
der Männer habe sich unnötigerweise auf dem<br />
Polizeiposten nackt ausziehen müssen. Zudem<br />
sei er unfreundlich geduzt worden. Das Urteil<br />
des Bundesgerichts kommt zum Schluss, dass<br />
die Leibesvisitation sowie das Duzen durch einen<br />
Polizeiangestellten widerrechtlich waren.<br />
Die beiden Männer hatten sich nach der Kontrolle<br />
über das Verhalten der Polizisten beschwert.<br />
Vor dem Luzerner Kantonsgericht<br />
waren sie damit abgeblitzt. Dieses muss nun<br />
über eine Entschädigung entscheiden.<br />
Der Schweizer und sein thailändischer<br />
Partner wurden <strong>im</strong> März 2014 in der Luzerner<br />
Altstadt von zivilen Polizisten angehalten.<br />
Den Angestellten zufolge hatten sich die<br />
Passanten zuvor vor zwei Kaufhäusern <strong>im</strong><br />
emsigen Menschentreiben auffällig verhalten.<br />
Die Polizisten wollten darum prüfen, ob<br />
es sich um Taschendiebe handelte.<br />
Das Pärchen gab sich widerspenstig. Es<br />
glaubte, es handle sich bei den zivilen Polizisten<br />
nicht um richtige Beamte. Die Kontrolle<br />
lief aus dem Ruder. Die Männer wurden<br />
zunächst zu Boden und dann in<br />
Handschellen auf den Polizeiposten gebracht.<br />
Dort musste sich der Thailänder in<br />
einer Zelle nackt ausziehen. Zudem wurde er<br />
von einem Beamten mehrmals geduzt.<br />
Das Paar, das be<strong>im</strong> Vorfall Schürfungen<br />
und Prellungen erlitt, beschwerte sich<br />
danach be<strong>im</strong> Gericht über das grobe Verhalten<br />
der Polizisten. Es argumentierte, es<br />
habe sich nichts zu Schulden kommen lassen<br />
und sei Schwerverbrechern ähnlich behandelt<br />
worden.<br />
Die Bundesrichter halten das nackte<br />
Ausziehen in dem Fall ebenfalls für übertrieben.<br />
Bloss ein vager Verdacht genüge<br />
nicht für eine derartige Leibesvisitation, bei<br />
der sich der Betroffene nackt ausziehen müsse.<br />
Es hätte genügt, den Mann über die Kleider<br />
abzutasten, so die Lausanner Richter.<br />
Zudem mangelte es dem einen Polizisten<br />
dem Urteil zufolge an Respekt. Für ein<br />
Duzen, wie es gegenüber Kindern gemacht<br />
wird, habe es in dem Fall weder Anlass noch<br />
Rechtfertigung gegeben.<br />
Die beiden Männer waren bereits vom Luzerner<br />
Bezirksgericht vom Vorwurf der Gewalt<br />
und Drohung gegen Beamte sowie der Hinderung<br />
einer Amtshandlung freigesprochen worden.<br />
Die Luzerner Polizei hatte nach dem Vorfall<br />
ebenfalls eine Anzeige eingereicht gehabt.
News<br />
National & International<br />
17<br />
Ellen DeGeneres hat genug von Caitlyn Jenner<br />
Ellen DeGeneres hat genug! Nachdem sie<br />
Caitlyn* zunächst während ihrer öffentlich<br />
gemachten Geschlechtsumwandlung in ihrer<br />
Show unterstützte, will sie Jenner* jetzt<br />
noch nicht mal mehr zu Gast haben. Wir<br />
vom <strong>Cruiser</strong> gucken ja regelmässig auf E!<br />
«Keeping Up With The Kardasians» und<br />
wissen daher auch, wie Bruce* zu Caitlyn<br />
wurde (und … nein, das TV-Gucken gilt<br />
auch bei uns auf der Redaktion nicht als Arbeitszeit).<br />
Ergo ist uns auch schon lange bekannt,<br />
dass Bruce schwierig war und Caitlyn<br />
nicht gerade einfacher wurde. Bruce/ Caitlyn<br />
hatte auch <strong>im</strong>mer dann und wann wieder<br />
verbale Ausraster, die die restlichen Kardashians<br />
– allen voran Familienoberhaupt<br />
Kris* – aus der Fassung gebracht haben und<br />
irgendeine der leiblichen Töchter* von Bruce<br />
deshalb <strong>im</strong>mer in Tränen war / ist.<br />
Die letzte Attacke findet man in Jenners*<br />
neuem Buch «The Secrets of My Life», in der<br />
die 67-Jährige DeGeneres vorwirft, sie von der<br />
LGBTQ-Gemeinschaft «entfremdet zu haben».<br />
Angeblich soll die Moderatorin die Worte<br />
des Trans-Reality-Stars <strong>im</strong>mer wieder verdreht<br />
haben, um möglichst «schockierende<br />
TV-Momente zu schaffen». Auf Lesereise erklärte<br />
Jenner ausserdem, Ellen habe sie ganz<br />
offensichtlich aus ihrer Show «verbrannt».<br />
(Wir von der Redaktion finden zwar, dass<br />
Bruce seit er nun komplett operiert ist, einfach<br />
nicht mehr so viel zu sagen hat. Auf jeden Fall<br />
nicht genug, um Gast bei Ellen zu sein …)<br />
Tatsächlich fragte Ellen Caitlyn in einem<br />
Interview aus dem Jahr 2015 nach ihrer<br />
Position zur gleichgeschlechtlichen Ehe.<br />
Caitlyn erklärte damals, sie wäre ein konservativer<br />
Mensch und räumte ein, die Idee<br />
bis vor einigen Jahren befremdlich gefunden<br />
zu haben. Wirklich warm scheint Caitlyn<br />
aber noch <strong>im</strong>mer nicht mit dem Thema<br />
geworden zu sein, worauf Ellen in einer der<br />
letzten Shows aufmerksam machte und<br />
nachhakte. Ellen findet es verständlicherweise<br />
seltsam, dass Caitlyn auf der einen<br />
Seite für Toleranz für die Transgendergemeinde<br />
wirbt, gleichgeschlechtliche Paare<br />
in ihrem Wunsch heiraten zu dürfen aber<br />
nur zögerlich unterstützt. Und wir vom<br />
<strong>Cruiser</strong> finden es seltsam, dass die glühende<br />
Trump-Anhängerin Caitlyn sich überhaupt<br />
noch an die Öffentlichkeit wagt.<br />
*Wir haben versucht die vielen Kardashians<br />
möglichst sparsam <strong>im</strong> Text zu verwenden. Wer<br />
dennoch nicht mitgekommen ist, dem sei der<br />
Stammbaum der Kardashians auf Wikipedia<br />
empfohlen. Dort sieht man, wer mit wem und<br />
wer mit wem gerade wieder nicht.<br />
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CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
von Yvonne Beck<br />
D<br />
er Wagner-Clan, eine Familien-<br />
Geschichte <strong>im</strong> Schatten des Musikgenies<br />
Richard Wagner und eine<br />
Geschichte von Verstössen gegen konventionelle<br />
Moralvorstellungen. Seit mehr als<br />
150 Jahren beschäftigt die Familie Wagner<br />
die Öffentlichkeit und seit jeher ist Richard<br />
Wagner eine der umstrittensten Persönlichkeiten<br />
der Musikgeschichte. Sein Sohn<br />
Siegfried stand ein Leben lang in seinem<br />
Schatten. Zu Unrecht, denn Bayreuths Erbe<br />
war weitaus mehr als blosser Bewahrer des<br />
Werkes seines Vaters.<br />
Der schwule Thronfolger<br />
Siegfried Wagner wurde am 6. <strong>Juni</strong> 1869 als<br />
drittes Kind von Richard Wagner und Cos<strong>im</strong>a<br />
Freifrau von Bülow, einer Tochter von<br />
Franz Liszt, geboren. Seit seiner Geburt wurde<br />
Siegfried als einziger Sohn des «Bayreuther<br />
Meisters» wie eine Kunstfigur behandelt.<br />
Von Anfang an war er auserkoren,<br />
das Erbe des Vaters weiterzuführen: Als Musiker,<br />
Dirigent, Regisseur und künstlerischer<br />
Leiter der Festspiele, die er 1906 von seiner<br />
Mutter übernahm und bis zu seinem Tode<br />
1930 in eine moderne, neue Ära führte. Daneben<br />
komponierte er 18 musikdramatische<br />
Bühnenwerke, die zu seinen Lebzeiten sehr<br />
erfolgreich in ganz Europa aufgeführt wurden,<br />
und machte sich einen Namen als Dirigent.<br />
Trotzdem stand man ihm zu Lebzeiten<br />
sowie nach seinem Tod zwiespältig gegenüber:<br />
Für die einen war er eine Art Messias,<br />
den man für völkische Ideale instrumentalisierte,<br />
für andere eine schwule Witzfigur.<br />
Fest steht, dass Siegfried Wagner Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts einer der bekanntesten<br />
Homosexuellen war. Die allgemeine<br />
Öffentlichkeit wusste zwar nichts von<br />
seiner sexuellen Neigung, doch dem engeren
Homo Wagner<br />
Der schwule Siegfried<br />
19<br />
Kreis der Musikschaffenden, Freunde und<br />
Familie war es durchaus bekannt. Im Privaten<br />
gab er sich <strong>im</strong> Kreise seiner jungmännlichen<br />
Getreuen gern als Dandy, so dass<br />
Goebbels ihn gar als «Schlapp. Pfui (…)<br />
Feminin. Gutmutig. Etwas dekandent.», beschrieb.<br />
In Siegfrieds zwanziger Jahren war<br />
Clement Harris sein engster Freund. In seiner<br />
Autobiographie erinnert sich Siegfried<br />
gerne an sein «Clementchen» und gibt sogar<br />
einige Aufschlüsse über die Tiefe ihrer Beziehung.<br />
Zum Beispiel teilten sie sich ein<br />
Bett wie Orestes und Pylades, ein gleichgeschlechtliches<br />
Liebespaar aus der griechischen<br />
Mythologie. Trotzdem versuchte Siegfried<br />
seine Homosexualität zu kaschieren,<br />
indem er sie hinter einer streng bürgerlichen<br />
Fassade versteckte, heiratete und Kinder<br />
zeugte. Dies war damals der typische Modus<br />
für schwule Männer. Siegfrieds Vita zeigt<br />
exemplarisch welchem Druck schwule Männer<br />
ehemals ausgesetzt waren: Sie wurden<br />
erpresst, teils von der eigenen Familie, sie<br />
wurden gezwungen zu heiraten, um den<br />
Schein einer bürgerlichen Existenz zu wahren,<br />
sie mussten ein Doppelleben führen und<br />
ständig fürchten, dass ein Outing sie zum<br />
sozialen und künstlerischen Ruin führen<br />
könnte, wie das Beispiel Oscar Wilde eindrücklich<br />
zeigt.<br />
Wagners Bühnen-Outing<br />
Auch in ihrem künstlerischen Werk konnten<br />
homosexuelle Künstler meist nicht offen auf<br />
ihre sexuellen Neigungen eingehen, sondern<br />
mussten alles verschlüsselt ausdrücken.<br />
Trotzdem kann man aus Siegfried Wagners<br />
Opern viel Autobiographisches und Homoerotisches<br />
herauslesen. Sie sind somit die<br />
wenigen wirklich int<strong>im</strong>en Äusserungen eines<br />
Mannes, der sich ansonsten mit öffentlichen<br />
Stellungnahmen zu seinen privaten<br />
Empfindungen absolut verschlossen hielt. In<br />
«Sonnenflammen», angesiedelt <strong>im</strong> antiken<br />
Byzanz, wird die autobiographische Motivik<br />
besonders deutlich: Charaktereigenschaften<br />
und Vorlieben Richard Wagners (zum Beispiel<br />
für Rosenöl) spiegeln sich in der Figur<br />
des Hofnarren Gomella wider. Dessen<br />
«Siegfried versuchte<br />
seine Homosexualität zu<br />
kaschieren, indem er sich<br />
hinter einer bürgerlichen<br />
Fassade versteckte.<br />
Tochter Iris, die von Sigfrieds Alter Ego<br />
Fridolin begehrt wird, schwärmt von einem<br />
neuen Typus Mann, für den Clement Harris<br />
als heroischer Freiheitskämpfer das Vorbild<br />
abgab. Mit den Worten «’s ist schon mancher<br />
bis zum letzten Sumpf / Steckengeblieben<br />
hier <strong>im</strong> lüstern Sumpf! Pfui du! Das gefällt<br />
mir nicht.» warnt der Ritter Gottfried<br />
Fridolin vor den Versuchungen der Stadt.<br />
Auch anderswo findet man Hinweise auf homoerotische<br />
Sehnsüchte Siegfrieds, etwa in<br />
«Der Friedensengel». Dort singt Reinhold <strong>im</strong><br />
Genie <strong>im</strong> Schatten: Siegfried und<br />
Richard Wagner<br />
2. Akt: «Einmal mindestens der Genuss /<br />
Eines Burschen Lieb’ und Kuss! / Schau!<br />
Das wär das Paradies!» Darauf antwortet<br />
Mita entsetzt: «Aber Reinhold! Was sprichst<br />
du da aus!» Rein musikalisch ist Siegfried<br />
Wagner jedoch – anders als beispielsweise<br />
Tschaikowsky – kein «typischer» schwuler<br />
Komponist, der besonders «gefühlsbetonte»<br />
Musik schrieb oder extrem zerrissene Seelengemälde<br />
schuf. Er versuchte in seiner<br />
Musik, wie <strong>im</strong> echten Leben, seine sexuellen<br />
Neigungen vielmehr zu verstecken. ➔<br />
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CRUISER juni <strong>2017</strong>
20<br />
Homo Wagner<br />
Der schwule Siegfried<br />
Der Komponist Clement Harris, Liebhaber<br />
von Siegfried Wagner.<br />
Strandbild am Lido von Siegfried Wagner und seinem Liebhaber Henry Thode, der gleichzeitig<br />
sein Schwager war.<br />
©Bilder: Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft Schwules Museum<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
Erpressungsversuche und Flucht in<br />
die Heirat<br />
Trotz aller Vorsicht gab es zahlreiche Versuche,<br />
Siegfried Wagner wegen seiner Homosexualität<br />
zu erpressen. Wolf Siegfried Wagner (Enkel<br />
Siegfried Wagners) berichtet von einigen Ordnern,<br />
die er auf dem Dachboden des Festspielhauses<br />
entdeckt hat, gefüllt mit Erpresserbriefen<br />
aus dem In- und Ausland. Den Absendern<br />
hat Siegfried Wagner nie persönlich geantwortet,<br />
sondern Mitarbeiter zum Verhandeln vorgeschickt.<br />
Dabei flossen höhere Summen, teils<br />
aus der Festspielkasse. Besonders verletzend<br />
müssen für Siegfried die Erpressungsversuche<br />
aus der Reihe der eigenen Familie gewesen<br />
sein. Schwager Franz Beidler versuchte seiner<br />
Forderung, als Dirigent in Bayreuth zu arbeiten,<br />
durch Androhung von Veröffentlichungen<br />
über Siegfrieds sexuelle Gepflogenheiten<br />
Nachdruck zu verleihen und Houston Stewart<br />
Chamberlain nutzte die Kenntnisse über das<br />
Privatleben seines Schwagers, um Druck<br />
auf dessen politische Haltung auszuüben.<br />
Der Journalist Max<strong>im</strong>ilian Harden<br />
startete 1914 eine grössere Kampagne gegen<br />
Siegfried. Nachdem Harden Siegfried öffentlich<br />
als «Heiland aus andersfarbiger Kiste»<br />
bezeichnet hatte, trat dieser die Flucht nach<br />
vorn an und heiratete die 18-jährige Winifred<br />
Marjorie Williams-Klindworth. Sie gebar<br />
ihm vier Kinder und begrub somit die «Gerüchte»<br />
über die Homosexualität ihres Ehemanns.<br />
Sie sorgte nach Siegfrieds Tod dafür,<br />
dass dessen kompositorisches Werk nicht<br />
«Einmal mindest der Genuss /<br />
Eines Burschen Lieb’ und<br />
Kuss! / Schau! Das wäre<br />
das Paradies!» (aus der Oper<br />
«Der Friedensengel», 2.Akt / Reinhold)<br />
mehr aufgeführt wurde, weil es angeblich<br />
«unbedeutend» war <strong>im</strong> Vergleich zu den Musikdramen<br />
Richard Wagners. Zudem übergab<br />
sie seine Privatkorrespondenz nicht der<br />
Richard-Wagner-Stiftung, sondern an ihre<br />
älteste Enkelin unter der Auflage striktester<br />
Gehe<strong>im</strong>haltung. Im Gegensatz zu Peter<br />
Tschaikowsky liegen von Siegfried Wagner<br />
daher keine überlieferten Dokumente vor, in<br />
denen er von seinen sexuellen Eskapaden berichtet<br />
oder über seine sexuelle Orientierung<br />
sinniert. Wie solche Abenteuer aussahen<br />
inklusive Erpressungsversuchen, beschreibt<br />
Tschaikowsky 1877 in einem Brief an seinen<br />
Bruder Modest: «Um 9 Uhr bekam ich Lust,<br />
spazieren zu gehen und machte mich aus. Die<br />
Dir bekannten Ruffiani (Kuppler) errieten<br />
was ich brauchte, und arrangierten für mich<br />
eine ganze Hetzjagd. Als Köder für das wilde<br />
Tier (d.h. mich) diente ein sehr hübsches Geschöpf,<br />
mit dem sie mich in ihre Netze zu<br />
ziehen hofften. Ich kämpfte schrecklich, weil<br />
der Köder wirkte – hielt aber Stand. Ob sie<br />
mich nun erpressen oder einfach schröpfen<br />
wollen – ich werde mich nicht übertölpeln<br />
lassen. (…) Aber was für ein wunderbarer,<br />
faszinierender Köder!»<br />
Queer-Bayreuth mit völkischem<br />
Publikum<br />
Besonders auffällig war der hohe Anteil<br />
schwuler Sänger und lesbischer Sängerinnen
Homo Wagner<br />
Der schwule Siegfried<br />
21<br />
in Bayreuth in den Jahren der Leitung Siegfried<br />
Wagners. Bei vielen erfuhr man nur<br />
etwas von ihrer sexuellen Orientierung,<br />
weil es zu Verfahren wegen Paragraf 175<br />
kam, etwa <strong>im</strong> Fall von Bariton Herbert<br />
Janssen und Heldentenor Max Lorenz. Einer<br />
der grossen lesbischen Stars von Bayreuth<br />
war Frida Leider, die Siegfried 1927<br />
nach Bayreuth holte. Eine weitere lesbische<br />
Künstlerin war Luise Reuss-Belce, die 1886<br />
einen Knappen und eine Soloblume in<br />
«Parsifal» verkörpert hatte. Sie arbeitete<br />
von 1908 bis 1930 als Siegfrieds Regieassistentin.<br />
Ihre Lebenspartnerin Evelyn Faltis<br />
war ab 1914 Siegfrieds musikalische Assistentin.<br />
Trotz vehementer Proteste von völkischer<br />
Seite engagierte Siegfried Wagner<br />
auch «jüdische» Künstler wie Friedrich<br />
Schorr. Ausserdem holte er den überzeugten<br />
Demokraten Fritz Busch nach Bayreuth,<br />
anstelle des «nationalistischer» eingestellten<br />
Hans Knapperbusch. Trotzdem wurde<br />
das Bayreuther Publikum vom Dirigent<br />
Kurt Singer folgendermassen beschrieben:<br />
«Das Parkett: feierlich, geschniegelt, Frack,<br />
grosse Toilette, national und konservativ<br />
bis ins (Haken-)Kreuz hinein, kritiklos jubelnd.<br />
Keine zehn Nicht-Arier <strong>im</strong> Haus.»<br />
Viele Wagnerianer wandten sich von Bayreuth<br />
ab. So auch Thomas Mann, der 1924<br />
schrieb:«Bayreuth, wie es sich heute darstellt,<br />
interessiert mich gar nicht, und ich<br />
glaube, auch die Welt wird es nicht interessieren.»<br />
Mann warf Bayreuth vor, Wagner<br />
als «Schutzherren einer höhlenbärenmässigen<br />
Deutschtümelei» zu missbrauchen.<br />
Siegfried Wagners Biograf Peter P. Pachl<br />
sieht Siegfrieds Verhältnis zum Nationalsozialismus<br />
vollkommen anders. Er verweist<br />
auf die jüdischen Künstler, die unter<br />
Siegfrieds Leitung bei den Festspielen auftraten<br />
– «weder vorher noch nachher waren<br />
so viele jüdische Mitarbeiter in Bayreuth<br />
engagiert». Zudem verweist er auf<br />
Siegfrieds letztes unvollendetes Bühnenwerk,<br />
die Oper «Das Flüchlein, das Jeder<br />
mitbekam» aus dem Jahre 1929, kreist um<br />
einen Räuberhauptmann namens Wolf.<br />
Wolf war der Spitzname Hitlers <strong>im</strong> Hause<br />
Wagners. Das Stück kann als verschlüsselte<br />
Abrechnung mit Adolf Hitler verstanden<br />
werden und doch war Siegfried Wagners<br />
politische Haltung keineswegs eindeutig.<br />
Siegfried Wagner war homosexuell, Judenfreund<br />
und auch Hitleranhänger. Ein Antifaschist,<br />
zu dem ihn manche reinwaschen<br />
wollen, war er keineswegs.<br />
Siegfried Wagner war ein Mensch, der<br />
Zeit seines Lebens versuchte, sich den Moralvorstellungen<br />
seiner Zeit anzupassen<br />
und das Erbe seines Vaters zu wahren. Aber<br />
vielleicht wahrte er es auch gerade durch<br />
seine Homosexualität. Richard Wagners<br />
Freundschaften mit zwei berühmten Homosexuellen,<br />
Friedrich Nietzsche und König<br />
Ludwig II von Bayern, sind bekannt<br />
und auch die Faszination, die die Musikdramen<br />
Richard Wagners auf Homosexuelle<br />
ausüben. Warum man so lange die sexuelle<br />
Orientierung seines Sohnes Siegfrieds<br />
unter Verschluss hielt und teilweise noch<br />
<strong>im</strong>mer hält, ist äusserst fragwürdig.<br />
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22<br />
KOLUMNE<br />
Mirko<br />
Sex als<br />
Suizidprävention<br />
Mirko wundert sich, was denn nun das Problem<br />
der Schwulen sein könnte.<br />
VON Mirko<br />
«<br />
Ich bi guet b<strong>im</strong> Sex, aber Sextherapeut<br />
isch nöd min Bruef.» «In andern<br />
Städten gehen weniger Leute in Therapie<br />
und es fällt mir nicht auf, dass es da mehr<br />
schwierigi Fäll auf der Strasse hat.»<br />
Völkerverständigung wieder einisch.<br />
Da sitz ich mit Schweizern zusammen und<br />
man trinkt was und redet und um was<br />
geht’s? Sie reden über Selbstmord. Wie’s bei<br />
dem einen dazu gekommen ist und warum<br />
und wieso. Are we having fun? Na ja, redet<br />
halt alli über öppis. D’Kroate meistens über<br />
blondi Fraue und die Schweizer über Selbstmord.<br />
Schweizer bringen sich mehr um als<br />
andere, wird gesagt. Statistiken st<strong>im</strong>men ja<br />
auch meistens nicht. Aber i han hört, dass<br />
schwuli Jungs meh versueched sich umzbringe.<br />
Massiv meh, glaubs. Und denn han i<br />
gläse, dass nöd alli, wo sich als schwul outed,<br />
nochher glücklicher sind. Das haben sie<br />
in den USA untersucht. Das Glück nach<br />
dem Coming-out hängt scheint’s von der<br />
Hautfarbe ab. Weisse sind glücklicher, wenn<br />
die ganze Welt weiss, dass sie schwul sind.<br />
Schwarze sind glücklicher, wenn’s die Welt<br />
nicht weiss. Irgendso. Warum weiss ich<br />
auch nicht. Ich bi jo sälber nur halbe offe<br />
schwul. Dank Online Dating muess i jo i<br />
de reale Wält nöd zeige, dass i de Jungs hindedri<br />
renne. Was mer aber ou Online nöd<br />
cha verstecke: Es hend ohuere viele Leute<br />
einen an der Waffel. Bis dänn einen findest<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
Online kam der noch ganz ok<br />
übere, aber live …<br />
zum pudern – luschtige Begriff, han i gleert,<br />
won i letscht Monet z’Östrich gsi bi – musst<br />
du einige wegdrücken. Mängmol wenn ich<br />
wieder irgends nach Männern suche, mängmol,<br />
denn kann ich nur den Kopf schütteln.<br />
Chrank, was da abläuft. Poaah. Und denn<br />
no nöd gnue: Dann triffst du dich mit dem<br />
Superstallion und dann wird’s noch krasser.<br />
Online kam der noch ganz ok übere, aber<br />
live … Was bin i denn froh, dass ich irgendwo<br />
neutrals abgemacht habe, dann kann ich<br />
gleich wieder weg, ohne den Drink, den<br />
mach’ich mir lieber zu Hause. Bin ich oberflächlich?<br />
In dem Moment schon, er hat ja<br />
nicht de Psycho-Spitex aaglütet, sondern ein<br />
Date abgemacht. Was chönnt i denn mache?<br />
Dä Typ aus der Depression ficken? Ja, hey,<br />
ich weiss es doch nicht. Sex macht mich<br />
schon <strong>im</strong>mer wieder fröhlich, vielleicht hätte<br />
es bei dem ja auch geholfen? Aber ich<br />
weiss nöd. Ich bi guet b<strong>im</strong> Sex, aber Sextherapeut<br />
isch nöd min Bruef.<br />
Hat’s eigentlich unter den Jungs, die<br />
Jungs suchen, mehr Psychos? Haben Schwule<br />
überhaupt mehr Probleme <strong>im</strong> Chopf? Wie<br />
gseit, es hend sowieso ohuere viel Lüüt en<br />
Schuss. Sorry, ich sägs wie’s isch. Und denn<br />
göhnd z Züri ja ou alli in Therapie. Hilft’s was?<br />
In andern Städten gehen weniger Leute in Therapie<br />
und es fällt mir nicht auf, dass es da mehr<br />
schwierigi Fäll auf der Strasse hat. Aber wenn’s<br />
Gäld hesch, dann leischtisch dir eben einen<br />
Shrink. Wenn’s Gäld nöd hesch, musst du dir<br />
selber helfen. Obwohl meistens geht’s auf<br />
Krankenkasse und eventuell wär’s besser, mal<br />
mit dem Döktu zu reden, als über Grindr<br />
<strong>im</strong>mer und <strong>im</strong>mer wieder abzublitzen, weil du<br />
einfach zu heavy drauf bist. Süsch: Drugs do<br />
work. Wenn ich mal mies drauf bin, dann hilft<br />
mir die Wodkaflasche schon. Aber ob das auf<br />
die Dauer wirklich gut geht? Ich bin selten depri,<br />
also bi mir git’s kei Grund für Panik.<br />
Aber warum sötted in der Schweiz<br />
Schwule bsunders oft Psycho si? Anderswo<br />
begreif ich’s. «No Fear to be you», s Züri Pride<br />
Motto, wär in andern Ländern kaum brauchbar,<br />
wenn ich so an die Bilder von den erhängten<br />
Schwulen denke. Aber bi öis? D’Strasse<br />
hanged voll mit Bärtige, wo uf Love Life<br />
Plakat umeschmused. Verstahn mi nöd falsch,<br />
aber ich weiss einfach nicht, warum so viel<br />
mehr Schwule als Heteros keinen Sinn <strong>im</strong> Leben<br />
sehen. Für mich macht alles <strong>im</strong>mer irgendwie<br />
Sinn, und dass ich mich hässlich und<br />
fehl am Platz fühle, das ist mir noch nie passiert.<br />
Ich han e grossi Schnurre, das hilft.
Trend<br />
Auf den Bart gekommen<br />
23<br />
Bärte beflügeln das<br />
Beautygeschäft<br />
Ob volle Bartpracht, die Dreitage-Variante oder Schnauzer: Der moderne<br />
Gay-Mann trägt schon länger wieder Bart. Und zwar nicht die frei wuchernde<br />
Hippie-Version, sondern schön gepflegt. <strong>Cruiser</strong> guckte mal, wer in Sachen<br />
Bart so richtig Bescheid weiss.<br />
Von Manuela Schnyder (SDA) und Haymo Empl<br />
D<br />
er Bart ist nach einer langen Ära der<br />
Glattrasur wieder in. Angefangen<br />
hat der wiederbelebte Bart-Kult mit<br />
dem Holzfäller-Bart der Hipster. Diese<br />
Städter – meist in Röhrenjeans, Karo-Hemd<br />
und mit Jutebeutel unterwegs - haben den<br />
Bart salonfähig gemacht. Jetzt kommen zunehmend<br />
auch kürzere Bart-Varianten in<br />
Mode, wie Bartexperte* Eddine Belaid aus<br />
Zürich dem <strong>Cruiser</strong> erklärt. Zum Beispiel<br />
der Musketierbart, Moustache oder Sechstagebart.<br />
Die Vielfalt ist gewachsen.<br />
Zu den Bartträgern zählen aber<br />
längst nicht nur die Szeneleute, sprich die<br />
Hipster, wie der Master-Barbier betont.<br />
Ganz <strong>im</strong> Gegenteil. Der Bart-Trend sei viel<br />
breiter abgestützt. Belaid bedient in seinem<br />
Salon Männer von jung bis alt und aus<br />
allen Berufsgattungen.<br />
Der gebürtige Deutsche hat das<br />
Handwerk der alten Barbier-Tradition in<br />
England gelernt. Im Jahr 2008 eröffnete er<br />
als Erster in der Schweiz einen Barber-Shop<br />
<strong>im</strong> englischen Stil – lange bevor<br />
der Bart-Trend bei uns Fuss fasste. Nun erfreut<br />
er sich reger Kundschaft. Erst letzten<br />
Herbst eröffnete er seine dritte Filiale <strong>im</strong><br />
neuen Herren-Globus in Zürich. Männer<br />
wollen einen gepflegten und schön getr<strong>im</strong>mten<br />
Bart. Daher suchen sie sich professionelle<br />
Hilfe in den Barber-Shops, sagt<br />
Belaid. Dabei gehe es nicht nur um das<br />
Stutzen der Bartkontur, sondern auch um<br />
das Verwöhnerlebnis. Für einen Besuch<br />
zahlen Kunden zwischen 50 und 190 Franken.<br />
Die Nachfrage sei gross. ➔<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
24<br />
Trend<br />
Auf den Bart gekommen<br />
Früher waren Bärte in der Gay-Szene fest in der Hand der «Bären». Seit sich die Szene aber <strong>im</strong>mer mehr durchmischt, ist es<br />
einfach für alle Männer hip, Bart zu tragen. Entsprechend gibt es diverse auf Bartpflege spezialisierte Geschäfte.<br />
Es fehle aber an qualifiziertem Nachwuchspersonal,<br />
erklärt der Bartexperte. Der<br />
Beruf des Barbiers sei anspruchsvoll. Man<br />
könne nicht einfach «schnell, schnell Rumschaben»,<br />
sagt er. Es brauche eine ganzheitliche<br />
Betrachtung vom Haupthaar bis zum<br />
Gesichtshaar. Auch über Infektionen und<br />
Krankheiten müssten die Barbiere Bescheid<br />
wissen. Deshalb gründete Belaid 2014 die erste<br />
Barberschule in der Schweiz. Die Kurse<br />
werden gut besucht. In etwa drei Jahren werden<br />
20 – 30 ausgebildete Barbiere auf dem<br />
Markt sein. «Der Bart-Trend wird uns noch<br />
lange begleiten», ist Belaid überzeugt.<br />
Das Pflegebewusstsein<br />
der Männer ist<br />
definitiv gestiegen.<br />
Das Pflegebewusstsein der Männer ist<br />
definitiv gestiegen. Das beobachtet auch Daniel<br />
Peyer, Mitbegründer des auf Bartpflegeprodukte<br />
spezialisierten Webshops Mootes.ch.<br />
Der Mann habe entdeckt, wie schön ein gepflegter<br />
Bart sei und wie gut dieser bei den<br />
Frauen ankomme. Am beliebtesten seien bei<br />
Mootes.ch ganze Pflegesets: Der Mann habe<br />
es nämlich gern pragmatisch. Besonderen<br />
Wert legten die Bartträger zudem auf natürliche<br />
Inhaltsstoffe. Auch <strong>im</strong>mer mehr Barbershops<br />
fragten an, wie Peyer feststellt.<br />
Die Zahl der Läden, die Bartpflege-<br />
Produkte anbieten, steige laufend, bestätigt<br />
Jeremias Wehrli vom Webshop pomade.ch.<br />
Die Bartträger gäben viel auf Pflege und gingen<br />
regelmässig zum Barbier, wie er feststellt.<br />
Bartgeschichte<br />
Ein Streifzug durch die Bartgeschichte zeigt,<br />
dass der Gesichtsschmuck des Mannes in<br />
den 1860ern durch den amerikanischen<br />
Präsidenten Abraham Lincoln populär wurde.<br />
Revoluzzer wie Che Guevara trugen Vollbart,<br />
der ebenso Symbol der Flower-Power-<br />
Generation war. Abgelöst wurde die voluminöse<br />
Gesichtsbehaarung vom Dreitagebart,<br />
gekonnt getragen vom britischen Fussballstar<br />
David Beckham. Er verkörperte den neuen<br />
metrosexuellen Stil. Ein Trend, der dem<br />
Mann die Körperbehaarung absprach und<br />
den lässig-ungepflegten Stoppelbart ins Zentrum<br />
setzte.<br />
Und heute? Nun; es wird vor allem gekauft:<br />
Öle, Balsam, Shampoo oder Bürsten<br />
vorzugsweise aus Wildschweinborsten. Auch<br />
Rasiermesser und -hobel feiern ein Comeback<br />
und wrden <strong>im</strong>mer beliebter. Für Wehrli<br />
zeigt das, dass sich <strong>im</strong>mer mehr Männer gerne<br />
den altherkömmlichen Styling-Mittel und<br />
Pflegeprodukten bedienen und sich be<strong>im</strong><br />
Schärfen des Rasiermesser am Lederriemen<br />
so richtig männlich vorkommen.<br />
Migros & Co. ziehen nach<br />
Längst bieten nicht nur Fachläden Pflegelinien<br />
für Bärte an. Auch die grossen Detailhändler<br />
sind auf den Zug aufgestiegen. Die<br />
Migros hat letzten Herbst mit «The Great<br />
British Grooming Co.» eine Bartpflegelinie<br />
ins Sort<strong>im</strong>ent aufgenommen. So wird der<br />
Mann reichlich bedient, von der Waschlotion<br />
mit Argan-Öl und Pro-Vitamin B5 über Balsam<br />
aus Kokusnuss-Öl und Shea-Butter bis<br />
hin zu Thickening Serum, welches den Bart<br />
fülliger aussehen lässt.<br />
Nach Produkten führt das Bart-Öl die<br />
Ranking-Liste an, wie Migros-Mediensprecherin<br />
Luzi Weber sagte. Aber auch 3-Tage-<br />
Bart-Gesichtspflegeprodukte seien beliebt<br />
bei den Kunden. Die Absatzzahlen nähmen<br />
stetig zu.<br />
Bei Coop steigt die Nachfrage nach Pflegeprodukten<br />
ebenfalls seit Längerem. Deshalb<br />
wurde das Bartpflegesort<strong>im</strong>ent auch in<br />
diesem Jahr weiter ausgebaut, wie Mediensprecherin<br />
Angela W<strong>im</strong>mer erklärt. Besonders<br />
gefragt seien Barttr<strong>im</strong>mer oder der<br />
Multitr<strong>im</strong>mer mit verschiedenen Aufsätzen.<br />
Die Marken <strong>im</strong> Beautybereich gehen<br />
mit dem Trend und erweitern ihre Produktlinien<br />
laufend, wie Globus-Mediensprecherin<br />
Marcela Palek sagt. Auch in den Globus-<br />
Warenhäuser werden <strong>im</strong>mer mehr solche<br />
Produkte nachgefragt. Umsätze nennen<br />
die Detailhändler nicht. Insgesamt haben die<br />
Kosmetikhersteller in der Schweiz etwa 2,5<br />
Milliarden Franken Umsatz erzielt.<br />
*Wir vom <strong>Cruiser</strong> finden ja, es ist super, was es mittlerweile für<br />
Experten gibt. Amy Sedaris ist Wäscheexpertin, Clementine war<br />
für Ariel zuständig und auch Wäscheexpertin, gut gibt es also nun<br />
auch einen Bartexperten. Sehr löblich.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
XXX<br />
XXX<br />
25<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
26<br />
Fingerfertig<br />
Nihat kocht<br />
Der Saft,<br />
der scharf macht<br />
Die leche te tigre verleiht dem Latino seit jeher unbändige Kraft.<br />
Eine Art natürliches Viagra. Anbei das Rezept für den Mitteleuropäer,<br />
um auch davon zu schlürfen.<br />
VON Nihat<br />
M<br />
eine kulinarische Lieblingskombination:<br />
scharf und sauer. Auch die<br />
Peruaner teilen diese Vorliebe. So<br />
bin ich schon bei meinem ersten Mal der Ceviche-Versuchung<br />
erlegen. Ein leichtes Essen,<br />
das unterschiedlichste Geschmacksknospen<br />
anregt. Und wenn wir schon be<strong>im</strong> Anregen<br />
sind: Mit dem L<strong>im</strong>ettensaft sollte nicht gespart<br />
werden. Der Saft, der die verschiedenen<br />
Essenzen der Zutaten in sich vereint, weckt<br />
den Tiger <strong>im</strong> Mann. Ja dann: Wohl bekomm’s.<br />
Und vor allem: Viel Spass.<br />
Zutaten<br />
400 g Dorsch, geschnitten 1×1 cm<br />
½ rote Zwiebel, fein geschnitten<br />
125 ml L<strong>im</strong>ettensaft<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
½ Stange Sellerie, sehr fein geschnitten<br />
5 g Ingwer, gepresst<br />
1 Knoblauchzehe, gepresst<br />
3 Stängelchen Koriander, zerzupft<br />
½ scharfe Chilischote (aji l<strong>im</strong>o oder<br />
havanero), fein gehackt<br />
Zubereitung<br />
Frischen L<strong>im</strong>ettensaft pressen.<br />
Fischstücke und Zwiebeln in L<strong>im</strong>ettensaft<br />
geben und <strong>im</strong>mer wieder wenden. Knoblauch,<br />
Ingwer, Chilischote, Stangensellerie<br />
und Koriander dazugeben und Masse gut<br />
mischen.<br />
Mit Salz und Pfeffer abschmecken.<br />
Mindestens 15 Minuten ziehen lassen und<br />
innerhalb von 30 Minuten geniessen.<br />
Info<br />
Nihat organisiert seit gut vier Jahren Kochkurse<br />
für einen guten Zweck, u.a. für Schulkinder<br />
in der Türkei. Und er ist als Störkoch oder<br />
als Caterer an privaten und geschäftlichen<br />
Anlässen unterwegs. «Daneben» drückt er<br />
als angehender Gymnasiallehrer wieder die<br />
Schulbank.<br />
Die nächsten Kochkurse<br />
Die nächsten Kochkurse werden bald auf<br />
www.fingerfertig.ch ausgeschrieben.<br />
www.fingerfertig.ch
Serie<br />
Was macht eigentlicH …<br />
27<br />
Ikonen von<br />
damals<br />
In unserer losen Serie stellen wir Ikonen aus vergangenen Dekaden vor,<br />
berichten über gefallene Helden und hoffnungsvolle Skandalsternchen aus<br />
längst vergangenen (Gay-)Tagen. Frank Farian fand nie jemand wirklich<br />
super, seine «Produkte» Boney M. und Milli Vanilli aber schon.<br />
VON Haymo Empl<br />
A<br />
ls Musikproduzent ist Frank Farian<br />
der einzige <strong>im</strong> deutschsprachigen<br />
Raum, welcher auch international<br />
in der ersten Reihe mitspielt. Mittlerweile<br />
ist er 75; er selbst war und ist alles andere<br />
als eine «Gay-Icon», seine Kompositionen<br />
sind es aber geworden und <strong>im</strong> Falle von seinen<br />
für Boney. M. sogar sehr. In den späten<br />
1970er Jahren wäre es nämlich undenkbar<br />
gewesen, wenn nicht mindestens einmal in<br />
einem Schwulenclub irgendwas von Boney<br />
M. gespielt worden wäre. Oder in den<br />
1980er Jahren was von Milli Vanilli – <strong>im</strong><br />
T & M waren die beiden ein sicherer Garant<br />
für eine volle Tanzfläche.<br />
Alles begann in einem Kuhstall<br />
(karrieretechnisch, nicht geburtstechnisch).<br />
Mit einem Tonbandgerät und einem<br />
einzigen Mikrofon nahmen Frankie<br />
Boy (er selbst bezeichnet sich in Interviews<br />
auch heute noch gerne so) und seine<br />
Band «Die Schatten» 1963 ihre erste<br />
Schallplatte auf. «Es hat schrecklich geklungen,<br />
aber es war unsere erste Schallplatte,<br />
und da waren wir doch stolz<br />
drauf», erinnerte sich Frank Farian unlängst<br />
in einem Interview.<br />
Mittlerweile hat er gut 800 Millionen<br />
Tonträger verkauft: Farian ist der mit Abstand<br />
erfolgreichste deutsche Musikproduzent,<br />
und nicht nur der Mann hinter<br />
Boney M., Milli Vanilli.<br />
Als Franz Reuther wurde er in Kirn an der<br />
Nahe geboren. In Saarbrücken wuchs er auf, der<br />
Vater fiel <strong>im</strong> Jahr seiner Geburt in Russland. Die<br />
Mutter brachte mit einer Rente von 180 Mark<br />
drei Kinder über die Runden und sparte sich<br />
dennoch eine Gitarre für ihn vom Munde ab. Er<br />
lernte Koch, weil ihm die Mutter sagte, dann<br />
könne er sich jeden Tag sattessen.<br />
Seit er Teenies Mitte der 1970er Jahre<br />
mit seinem traurigen Hit «Rocky» zum Weinen<br />
brachte, trat er selbst kaum noch auf.<br />
Erst als Mann <strong>im</strong> Hintergrund, als Produzent,<br />
begann sein Mega-Erfolg. ➔<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
28<br />
Serie<br />
Was macht eigentlicH …<br />
Milli Vanilli, eine Frank Farian Produktion. Keiner der beiden konnte auch nur<br />
ansatzweise singen.<br />
Frank Farian in sehr jungen Jahren, als<br />
fast erfolgreicher Solokünstler.<br />
Boney M.: Zwei singen, zwei dekorieren<br />
«Baby Do You Wanna Bump», den ersten Titel<br />
von Boney M., sang Farian <strong>im</strong> Studio<br />
praktisch alleine, sehr hoch und auch sehr<br />
tief. Und weil er sein vielst<strong>im</strong>miges Projekt<br />
alleine weder aufführen konnte noch wollte,<br />
suchte er Gesichter, die den Song präsentieren<br />
sollten.<br />
1976 stand eine Art jamaikanischer<br />
Kernmannschaft von Boney M.: Liz Mitchell<br />
und Marcia Barrett durften singen, Bobby<br />
Farrell und Maizie Williams bewegten die<br />
Lippen und sahen gut aus. Höchst erfolgreich:<br />
Hits wie «Daddy Cool», «Rivers of Babylon»,<br />
«Rasputin» oder «Ma Baker» sind<br />
Popgeschichte. Mindestens 100 Millionen<br />
Tonträger verkaufte Farian unter dem Namen<br />
Boney M. Könnte man also sagen, dass<br />
Boney. M ein Vorreiter der heutigen in<br />
Shows gecasteten Interpreten ist? Farian<br />
dazu <strong>im</strong> deutschen Magazin «Spiegel»: «Mit<br />
Casting in diesem Sinne hatte Boney M.<br />
nichts zu tun. Das war ein Projekt und ich<br />
war der Chef. Ich habe auch Meat Loaf produziert,<br />
der eine Bombenst<strong>im</strong>me hat. Oder<br />
Far Corporation, für die ich den Sänger von<br />
Toto, Bobby K<strong>im</strong>ball, engagierte, einen der<br />
besten Rock-Sänger der Welt. Das waren alles<br />
herausragende St<strong>im</strong>men, die man in keiner<br />
Castingshow findet.»<br />
Der schöne Schein<br />
Doch Farians Name steht auch für einen<br />
handfesten Skandal. Und zwar mit dem, was<br />
Farian den «Milli-Vanilli-Fehler» nennt.<br />
1988 hatte er <strong>im</strong> Studio schöne Songs mit guten<br />
Sängern aufgenommen. Aber nicht jene<br />
Sänger traten als Milli Vanilli auf, sondern<br />
Fab Morvan und Rob Pilatus – denn die sahen<br />
besser aus.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
Wochenlang waren sie auf Platz 1 der<br />
US-Hitparade, bekamen sogar den Grammy.<br />
Als der Schwindel herauskam, mussten sie<br />
den Grammy wieder abgeben. «Ich hatte es<br />
ja gar nicht nötig, so etwas zu machen», ärgert<br />
sich Farian. Sein Trost: «Die Leute lieben<br />
die Musik noch heute.» Für Milli Vanilli<br />
ging die Sache weniger gut aus. Rob Pilatus<br />
starb an einer Überdosis. Farian dazu <strong>im</strong><br />
«Spiegel»: «Robert war nicht mehr zu helfen.<br />
Diese ganze Aufmerksamkeit hat ihn kaputtgemacht.<br />
Schon 1991 hatte er sich die<br />
Pulsadern aufgeschnitten, sein ganzes Geld<br />
«Ich hatte es ja gar nicht<br />
nötig, so etwas zu machen»<br />
ging für Drogen drauf. Irgendwann hat er<br />
dann Autos aufgebrochen und musste ins<br />
Gefängnis. Da habe ich die Kaution gezahlt<br />
und ihn rausgeholt. 10 000 Mark habe ich<br />
ihm gegeben, damit er in Sri Lanka einen<br />
Entzug macht. Wir wollten nämlich ein Comeback<br />
starten. Aber Rob ist mit dem Geld zum<br />
Bahnhof gefahren und hat sich vollgekokst.<br />
Einen Tag später kam er abends ins Studio,<br />
am ganzen Körper zitternd. Er war völlig<br />
blank, nicht einmal den Taxifahrer konnte<br />
er mehr bezahlen. Ich sagte: ‹Geh ins Hotel<br />
und schlaf dich aus. Morgen reden wir über<br />
die Sache.› Aber dann war er tot. Mittags um<br />
drei».<br />
Frank Farian vs. Dieter Bohlen<br />
Farian hat definitiv dann an Glanz verloren,<br />
als er sich vor gut zehn Jahren einen<br />
verbalen Schlagabtausch mit Dieter Bohlen<br />
lieferte. Für die Medien ein gefundenes<br />
Fressen: Zwei der bekanntesten Produzenten<br />
besch<strong>im</strong>pften sich öffentlich.<br />
Farian verbal auf tiefstem Niveau. Der<br />
Grund: Dieter Bohlen zog über Farian in<br />
seinem Buch «Die Wahrheit, nichts als<br />
die Wahrheit» her. Farian konterte erst<br />
mit einem offenen Brief, dann mit einem<br />
eigenen Buch. <strong>Cruiser</strong> hat diesen offenen<br />
Brief ausgegraben:<br />
«Deine Bücher habe ich nicht gelesen.<br />
Die Passagen, die mich persönlich betreffen,<br />
habe ich als Faxkopie erhalten. Dieter, ich<br />
muss Dir sagen: Du bist von allen guten<br />
Geistern verlassen. Du scheinst grössenwahnsinnig<br />
geworden zu sein, seit Du bei<br />
RTL den Haus- und Hof-Depp spielst.» Und<br />
dann wird es stellenweise pr<strong>im</strong>itiv, Farian<br />
stellt nämlich sich und Dieter einem Vergleich.<br />
Schwanzlängen zu messen wäre einfacher<br />
gewesen:<br />
Bohlen leistet sich die billigen Frauen<br />
in Rio. Farian die besseren und teureren.<br />
Farian und Cretu arbeiten Wochen und Monate<br />
hart <strong>im</strong> Studio, um in England und<br />
USA die Hits zu machen. Bohlen treibt sich<br />
<strong>im</strong> Teppichladen rum und bügelt Teppichluder.<br />
Farian arbeitet zur Zeit an neuen Hits<br />
für Amerika und England. Bohlen schafft’s<br />
auch in 10 Jahren nicht mehr. Zu faul und zu<br />
alt. Und so geht es dann in diesem «Brief»<br />
weiter, über viele Seiten.<br />
Weihnachtsplatte in Arbeit<br />
Derzeit arbeitet er an Weltmusik zu Weihnachten<br />
– auch der Anden-Triller «El<br />
Condor Pasa» könnte zum Weihnachtslied<br />
werden: «Das ist schon eine Herausforderung.»<br />
Farian will das Musical «Daddy
Serie<br />
Was macht eigentlicH …<br />
29<br />
Boney M.: Farian war mit dieser Combo viele<br />
Jahre erfolgreich.<br />
Die Disco-Truppe begeisterte Gays mit ihren<br />
extravaganten Outfits.<br />
Cool» wieder auf Tournee sehen, ein Buch<br />
über ihn ist in Vorbereitung.<br />
Auch eine eigene Platte will er<br />
machen. Mit jener schwarzen Musik der<br />
1950er, die er <strong>im</strong>mer noch liebt. «Ich zeige<br />
den Leuten, was ich ausser den drei oder<br />
vier Platten, die ich aufgenommen habe,<br />
noch an Musik auf die Bühne gebracht<br />
habe.» Als Titel schwebt ihm etwas wie<br />
«Frank Farian Early Years, 1962 bis <strong>2017</strong>»<br />
vor. <strong>Cruiser</strong> fragt sich, wer das dann kaufen<br />
soll. (Mit Matrial der DPA)<br />
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CRUISER juni <strong>2017</strong>
30<br />
Kultur<br />
Buchtipp<br />
Ein monumentales Werk über<br />
das Leben<br />
Wer zuerst nur den Titel sieht, «Ein wenig Leben», verfällt in ein leichtes<br />
Staunen be<strong>im</strong> Anblick des Buches, kommt es doch eher als Buchklotz mit<br />
nahezu 960 Seiten in der deutschen Übersetzung daher. Davon sollte man<br />
sich als Leser aber nicht abschrecken lassen, denn hinter diesen fast<br />
1000 Seiten verbirgt sich eine grandiose Erzählung über das Leben und<br />
die Liebe.<br />
Von Birgit Kawohl<br />
L<br />
aut Klappentext angekündigt als Geschichte<br />
über die lebenslange Freundschaft<br />
von vier Männern – JB, Jude,<br />
Malcolm und Willem, die sich auf dem College<br />
kennenlernen – steht eigentlich Jude <strong>im</strong><br />
Mittelpunkt des Romans. Sein Leben gibt die<br />
Struktur vor, die anderen Figuren sind eher<br />
das Beiwerk, das allerdings auch seinen eigenen<br />
Raum einn<strong>im</strong>mt.<br />
Jude also: Ein brillanter Kopf, der nach<br />
dem Studium Partner in einer überaus angesehenen<br />
Anwaltskanzlei wird, und was das in<br />
den USA bedeutet, ist jedem klar – wir erinnern<br />
uns an Serien wie «Suits» oder «The<br />
Good Wife». Neben dem beruflichen Erfolg<br />
scheint es aber auch eine dunkle Seite in seinem<br />
Leben zu geben. Er, der zwar <strong>im</strong>mer ein<br />
guter Freund ist, scheint beziehungsunfähig,<br />
vielleicht sogar asexuell zu sein. Dabei stünden<br />
ihm in seinem – künstlerisch geprägten –<br />
Umfeld eigentlich alle Möglichkeiten offen,<br />
da ihm diverse Richtungen der Sexualität gezeigt<br />
und angeboten werden. So treten ganz<br />
selbstverständlich homo- und heterosexuelle<br />
Paare nebeneinander auf, der Wechsel von<br />
der einen in die andere Kategorie ist ebenfalls<br />
kein Problem, auch wenn Malcolm irgendwann<br />
einmal feststellt, dass das Schwulsein<br />
eher eine temporäre, zum College gehörige<br />
Attitüde sei. Eine durchaus diskutierbare<br />
Einstellung, die aber die prinzipielle Offenheit<br />
allem gegenüber verdeutlicht.<br />
Nach einem Selbstmordversuch Judes<br />
kommt nach und nach die Wahrheit über<br />
seine Kindheit ans Licht, wobei der Leser<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
häufig etwas mehr weiss als Judes Umfeld,<br />
was ein geschickter Schachzug ist, da man so<br />
Judes zum Teil abstossendes Verhalten besser<br />
nachvollziehen und zumindest teilweise<br />
akzeptieren kann. Seine Freunde jedoch, vor<br />
allem Willem, der ihm am wichtigsten von<br />
allen ist, halten zu ihm, auch wenn sie – zunächst<br />
– nichts wissen. Sicher ahnen sie<br />
mehr und mehr, nachdem sie von seinen Ritzereien<br />
erfahren oder andere Aussetzer seinerseits<br />
mitbekommen. Die Ritzereien werden<br />
hierbei so detailliert und plastisch<br />
geschildert, dass sie auch für den Leser kaum<br />
erträglich sind. Da wird einem klar, wie fassungslos<br />
man als Freund oder als Partner<br />
einer solchen Tat gegenüberstehen muss.<br />
Judes Leben scheint sich jedoch allmählich<br />
in eine gute Richtung zu entwickeln,<br />
auch wenn ihn die körperlichen und<br />
seelischen Handicaps, die er aus seiner<br />
Kindheit und Jugend zurückbehalten hat,<br />
ewig begleiten: Er wird von einem liebevollen<br />
Professorenpaar adoptiert, er findet doch<br />
noch die Liebe. Und doch, <strong>im</strong>mer wenn man<br />
denkt, dass es nun endgültig aufwärtsgeht,<br />
n<strong>im</strong>mt Judes Leben eine Wende und gerät in<br />
einen erneuten Abwärtsstrudel.<br />
Ein depressives Buch also? Nein, <strong>im</strong><br />
Gegenteil, es zeigt vielmehr auf, dass sich<br />
das Leben lohnt, für einen selbst und für seine<br />
Freunde. Es zeigt, dass ein wenig Leben<br />
ganz ganz viel Leben bedeutet, je nachdem,<br />
aus welcher Perspektive man es betrachtet<br />
und je nachdem, was man selbst daraus zu<br />
machen bereit ist. Eigentlich brüllt es letztendlich<br />
dem Leser lautstark sein Credo<br />
«Lasst euch, verdammt noch mal, auf euer<br />
Leben ein und geniesst es!» entgegen.<br />
Buchtipp<br />
Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben<br />
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15<br />
16<br />
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Bar<br />
Metzgergasse 3<br />
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INFINITY<br />
Bar + Lounge auf zwei Etagen<br />
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CRUISER juni <strong>2017</strong><br />
VON Vinicio Albani<br />
Ein Freund von mir hat Aids.<br />
Habe ich mich angesteckt?<br />
Ein Freund von mir hat die Diagnose<br />
Aids bekommen. Vor vier<br />
Wochen hatten wir ungeschützten<br />
Sex. Dabei war ich be<strong>im</strong> Analverkehr<br />
der Aktive. Wie wahrscheinlich<br />
ist eine Ansteckung?<br />
Noah (19)<br />
Hallo Noah<br />
Es gilt zwischen der Diagnose HIV-positiv<br />
und dem Ausbruch der Krankheit Aids zu<br />
unterscheiden. HIV heisst das Virus, welches<br />
bei ungeschütztem Sex übertragen werden<br />
kann. Aids ist die Spätfolge einer nicht<br />
behandelten HIV-Infektion. Dank der antiretroviralen<br />
Therapie gibt es heute in der<br />
Schweiz nur noch selten Aids-Fälle. Ungeschützter<br />
Analverkehr birgt grundsätzlich<br />
ein hohes HIV-Risiko. Wenn dein Freund<br />
zum Zeitpunkt des Kontakts in der Pr<strong>im</strong>oinfektionsphase<br />
war, war der Anteil der<br />
HI-Viren in seinem Blut sehr hoch. Dadurch<br />
ist das Risiko einer HIV-Infektion höher.<br />
Detaillierte Informationen zur Pr<strong>im</strong>oinfektion<br />
findest du unter DEINE GESUNDHEIT<br />
auf drgay.ch. Neben der Viruslast sind weitere<br />
Faktoren für die Risikoeinschätzung die<br />
Dauer oder die Art der Exposition, der Zustand<br />
der Schle<strong>im</strong>häute oder die Rolle be<strong>im</strong><br />
Analverkehr. Das Risiko ist für den Aktiven<br />
etwas geringer als das für den Passiven. Ich<br />
empfehle dir, einen HIV-Test machen zu lassen.<br />
Nur so lässt sich sicher feststellen, ob<br />
eine HIV-Infektion stattgefunden hat.<br />
Alles Gute, Dr. Gay<br />
Warum kriege ich<br />
keinen Ständer?<br />
Ich bin mit meinen besten Freund<br />
seit fast vier Jahren befreundet.<br />
Seit sechs Wochen sind wir nun<br />
ein Paar. Vor einigen Tagen war<br />
ich wieder bei ihm und wir sind<br />
int<strong>im</strong> geworden. Mein Penis<br />
wurde aber nicht steif. Das ist<br />
mir bei ihm schon mal passiert.<br />
Woran kann es liegen?<br />
Fabian (27)<br />
Hallo Fabian<br />
Es kommen viele Ursachen für Erektionsprobleme<br />
in Frage. Oft ist psychischer<br />
Stress dafür verantwortlich. In deinem Fall<br />
könnte es daran liegen, dass du vielleicht<br />
nervös bist. Schliesslich handelt es sich bei<br />
deinem Partner um jemanden, mit dem du<br />
bereits seit vier Jahren befreundet bist. Das<br />
könnte dich unbewusst unter Druck setzen.<br />
Versuche, dich zu entspannen und die Sache<br />
als Spiel zu sehen. Etwas Gelassenheit<br />
kann helfen. Sex ist kein Leistungssport<br />
und funktioniert nicht auf Knopfdruck.<br />
Entweder es geht, und wenn nicht, dann<br />
eben das nächste Mal. Weiter kann ein sogenannter<br />
Cockring die Erektion unterstützen.<br />
Cockringe bestehen aus Kunststoff,<br />
Leder oder Metall. Sie werden meist um<br />
Schwanz und Hoden zugleich getragen und<br />
verhindern, dass das Blut aus dem Schwanz<br />
zurückfliesst. Am besten du verwendest<br />
einen Cockring mit Verschluss. Dieser<br />
kann <strong>im</strong> «Notfall» trotz Erektion entfernt<br />
werden. Bedenke aber, dass ein zu langer<br />
Blutstau die Gefässe schädigen kann.<br />
Cockringe findest du in Sexshops oder <strong>im</strong><br />
Internethandel.<br />
Alles Gute, Dr. Gay
KOLUMNE<br />
Thommen meint<br />
33<br />
Der Gay-<br />
Geist<br />
Der Gay-Geist ist ebenso wenig mehr zu erfassen wie der Zeitgeist.<br />
Ende <strong>Juni</strong> 1969 erhob er sich in New York und setzte sich alsbald<br />
international als CSD in vielen Ländern fest<br />
VON PETER THOMMEN<br />
Z<br />
ehn Jahre später fand die erste<br />
schweizerische Demo in Bern statt<br />
und 1980 mit der GAY80 in Basel,<br />
dann 1981 in Lausanne und zuletzt 1982 in<br />
Zürich. Wobei Zürich <strong>im</strong> Sommer 1978 <strong>im</strong><br />
Park hinter dem Landesmuseum die erste<br />
Schwulendemo erlebte.<br />
Die vorgängig in die Schweiz gekommenen<br />
Gastarbeiter aus Italien hatten unsere<br />
Gesellschaft und auch die privaten Homophilen-Ringe<br />
in den grossen Städten erschüttert.<br />
Zum einen durch Tötungsdelikte<br />
an Schwulen und zum andern als exotische<br />
Partner für die Szene. Diese Südländer waren<br />
(homo-)sexuell aktiv wie zuhause, aber<br />
einfach anders. Das galt auch in der prüden<br />
Heterakultur. Im Nachgang zu diesen Ereignissen<br />
liessen sich die Aktivitäten der Homophilen<br />
nicht mehr verhe<strong>im</strong>lichen, auch<br />
wenn diese seit 1942 schweizweit ab 20 Jahren<br />
legal waren. Weibliche Homosexuelle<br />
gab es damals offiziell gar keine. Und jüngere<br />
Homosexuelle «durfte» es gar nicht geben.<br />
Wir haben auch hier bei uns eine Geschichte<br />
von Morden, Erpressungen und<br />
Totschlägern. Von Familiendramen und<br />
Selbstmorden, die in der Presse aufleuchteten.<br />
Gängige Begründung für die Gewalttäter<br />
waren: «Es hat mich geekelt», oder es war<br />
dann Notwehr. Solche Gedanken bewegten<br />
mich auch an der Tschetschenien-Demo in<br />
Bern. Und nicht die global-politischen Phra-<br />
sen der ParlamentarierInnen, die von unserer<br />
Geschichte keine Ahnung haben.<br />
Für Viele ist der Gay-Geist aber erst an<br />
den modernen Buchstabenmenschen zu fassen<br />
und an den neuzeitlichen Gender-Definitionen.<br />
Welche davon es damals, oder schon<br />
<strong>im</strong>mer gegeben hat, entzieht sich unseren<br />
Kenntnissen <strong>im</strong> Detail. Ich war schon <strong>im</strong>mer<br />
an anderen Kulturen und ihrem Umgang mit<br />
Männerliebe interessiert (siehe: arcados.com<br />
> um 1900 und > Sexualkultur). Jedenfalls<br />
haben <strong>im</strong>mer viele Menschen am Gay-Geist<br />
Ich war schon <strong>im</strong>mer an<br />
anderen Kulturen und ihrem<br />
Umgang mit Männerliebe<br />
interessiert.<br />
und an seinen Lüsten partizipiert, auch wenn<br />
sie ihre Anteile «nur auf den Sex reduziert»<br />
haben, was sie uns aber oft vorwerfen.<br />
KeineR käme auf die Idee eine Hochzeitsgesellschaft,<br />
eine Taufe, eine Verlobungsfeier<br />
auf den Sex zu reduzieren. Genau<br />
dies wird mit solchen Feiern ausgedrückt –<br />
aber nicht ausgesprochen. Dazu waren – früher<br />
zumindest - diese Veranstaltungen ja da!<br />
Die Frage liegt auf der Hand: Sollen wir jetzt<br />
auch solche Feiern nachahmen, von der Liebe<br />
reden und über den Sex schweigen?<br />
Anfang der 70er-Jahre ist Bewegung in<br />
unsere Kreise gekommen. Die «Ringe» ha-<br />
ben sich sichtbar geöffnet und damit ist auch<br />
für die he<strong>im</strong>lichen Partizipanten selber ihre<br />
he<strong>im</strong>liche Teilnahme sichtbar daran geworden.<br />
Unangenehm wie die Gerichtsberichte<br />
in den 60ern.<br />
Die Schwulenbewegung hat ihre Sexualkultur<br />
auch nicht ausschliesslich in schwulen<br />
Ehen, Zweier-Partnerschaften und Familien<br />
begriffen. Wohl wissend, dass die<br />
Normalen einfach he<strong>im</strong>lich daran mitgeniessen.<br />
Und das wird schwierig, wenn es ausschliesslich<br />
Singles und exklusive Paare gibt,<br />
egal welcher Zusammensetzung.<br />
Ich bin überzeugt, dass die Schwulenbewegung<br />
eines Tages auf die Ehe kommen<br />
wird – nämlich dann, wenn sie bei den Hetero/as<br />
selber nicht mehr populär sein wird.<br />
Nichtsdestotrotz wird es <strong>im</strong>mer Menschen<br />
geben, die von Romantik und Ehe träumen!<br />
Das sollen sie auch dürfen. Aber ob dieses<br />
Modell auch für 70 Ehejahre hält, zeigt die<br />
Realität. Für alle anderen braucht es andere,<br />
nicht-mönchische und pragmatische Modelle,<br />
die auch ihren Platz haben sollen. So bunt,<br />
wie die Menschen unter dem Regenbogen<br />
eben sind. Und was werden die Kinder aus<br />
Regenbogenfamilien für Vorstellungen mitbringen?<br />
Wir wissen es noch nicht.<br />
P.S. Mit «den Italiener» sind hier natürlich<br />
nicht alle gemeint, sondern nur derjenige<br />
Teil, der hier mit Schwulen in Kontakt<br />
gekommen ist.<br />
Empfehlung: Neben dem Film «Der<br />
Kreis» muss unbedingt auch die Dokumentation<br />
«Katzenball» von Veronika Minder (2005)<br />
über die Geschichten von lesbischer Liebe in der<br />
Schweiz zur Kenntnis genommen werden.<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
34<br />
Blick zurück<br />
<strong>Cruiser</strong> vor 30 Jahren<br />
Flashback<br />
<strong>Cruiser</strong> feiert sein 30-jähriges Bestehen. Daher blicken wir während des<br />
ganzen Jahres an dieser Stelle auf die alten Ausgaben zurück.<br />
Dieses Mal müssen wir gar nicht gross kommentieren – der Text an sich<br />
ist ein schönes Zeitdokument<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
XXX<br />
XXX<br />
35<br />
Proud to be<br />
@Pride<br />
Besuche uns an der Pride in Zürich am 9. / 10. <strong>Juni</strong><br />
auf dem Kasernenareal oder in Bern am 25. / 26. August<br />
be<strong>im</strong> Progr. Wir freuen uns auf dich!<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>
36 xxx<br />
xxx<br />
Happy<br />
pride <strong>2017</strong>!<br />
www.cruisermagazin.cH<br />
CRUISER juni <strong>2017</strong>