Cruiser im September 2012
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CRUISER Edition <strong>September</strong> <strong>2012</strong><br />
Dossier<br />
Seit Jahrzehnten ist das<br />
Zürcher Niederdorf Zentrum<br />
schwulen Treibens –<br />
ohne Sicherheitsgurt und<br />
Schw<strong>im</strong>mweste. Und: Nicht<br />
nur Stadtzürcher selbst<br />
wissen die Vorzüge diverser<br />
Amüsier-Stübchen zu<br />
schätzen. Denn: Die<br />
schwule Hautevolee strömt<br />
aus allen Teilen der<br />
Schweiz, ja ganz Europas<br />
und aus Übersee in Zürichs<br />
Altstadt – früher noch vermummt,<br />
heute ganz offen.<br />
Mit Szene-Scout Petra<br />
aus der Bar Pigalle streifte<br />
Lola Sara Arnold-Korf für<br />
den CR durch das schwule<br />
Altstadt-Revier.<br />
Sieben Tage die Woche verspricht das schwule Partydorf Abwechslung<br />
und sensationelle Anbahnungsmöglichkeiten in kommunikativer und<br />
sexueller Güte – für jungfräuliches Männergemüse bis zum schwulen<br />
Opa. Gleichwohl beklagen vor allem Barbesitzer einen deutlichen Rückgang<br />
an schwulen Gästen. «Ob alt oder jung – früher sind die Leute mehr<br />
in den Ausgang gegangen. Letztlich war auch der Zusammenhalt unter<br />
den Schwulen viel besser gewesen. Alles war weitaus familiärer und man<br />
konnte Gott und die Welt antreffen», resümiert Institution Petra, die sich<br />
bis zur völligen Erschöpfung seit 1985 in diversen Niederdorf-Locations<br />
hinter und vor Bars abrackert. Ursachen sieht die Diva, die sich auch als<br />
glanzvolle Drag Queen in Szene zu setzen weiss, vor allem an den neuen<br />
Möglichkeiten des Internet und, dank gesellschaftlicher Tolerierung, in<br />
der zunehmenden Vermischung des Partyvolks. Ob schwul oder hetero<br />
spielt heute oft keine Rolle mehr in Bars und Clubs – und so sinkt der<br />
Stern rein schwuler Örtlichkeiten zugunsten von Gemischtwarenläden.<br />
Das schwule Niederdorf schreibt Geschichte<br />
Nach einem Vierteljahrhundert weiss Petra viele Geschichten zu berichten:<br />
«Das schwule Leben in den 80er-Jahren war weitaus konzentrierter<br />
und längst nicht so offen wie heute. Nachts um zwei Uhr war damals spätestens<br />
Feierabend – oft auch schon um Mitternacht. Danach gings auf<br />
private Homeparties oder in diverse Klappen und Parks.» Die Hotspots des<br />
alten schwulen Niederdorfs nannten sich: Tiptop-Bar, Bagpiper (heutiges<br />
Dynasty), Predigerhof, Babaloo, Barfüsser, Odeon, T&M und Karussell.<br />
Und, so weiss Niederdorf-Prinzessin Petra aus der Schlagerbar Pigalle<br />
aus dem Nähkästchen zu erzählen: «Früher waren die Lokale eher noch<br />
verdunkelt, viel kleiner als heutzutage und oft einzige Kontaktbörse für<br />
Schwule.» Aus Mangel an Alternativen waren die Bars <strong>im</strong> Niederdorf<br />
Kontakt-Anlaufstelle Nummer eins. «Daneben fluteten seitenweise Kontaktannoncen<br />
die wenigen Schwulengazetten wie <strong>Cruiser</strong> oder Kontakt.<br />
Manchmal füllten die Kontaktanzeigen die halbe Zeitung.» Mit diversen<br />
Internetportalen wie Gayromeo sind die goldenen Zeiten schwuler Zeitungskontaktbörsen,<br />
aber auch schwuler Barkultur, nahezu passé.<br />
Barfüsser, neu und trendy<br />
Die Zeiten abgedunkelter, blickdichter Bars sind heutzutage <strong>im</strong> Niederdorf<br />
ein Auslaufmodell. Mann passt sich dem Trend der Zeit geschäftstüchtig<br />
an. «Der Barfüsser ist ein krasses Beispiel von einer Leder-Bar hin<br />
zum neuen Niederdorf-Schick», so Scout Petra über ein Urgestein sexueller<br />
Toleranz <strong>im</strong> Niederdorf, das bereits 1956 gegründet wurde. Die einstige<br />
reine Schwulen- und Lesbenbar kredenzt heute neben Cocktails und<br />
Longdrinks auch leckeres Sushi aus Bio-Zucht. «Wir geben täglich alles,<br />
um Ihnen die bestmögliche Qualität direkt frisch auf den Teller zu bringen»,<br />
darf man auf der Webseite des Barfüssers lesen. Gleich vier Star-Köche<br />
aus Malaysia und zwei Japaner bewirten den Gourmet von Welt. Nicht<br />
nur die Speise- und Cocktailkarte ist bunt gemischt: auch das Publikum.<br />
So versammeln sich nicht ohne Grund am längsten Tresen der Stadt in<br />
Mischkultur Schwule, Lesben und Heteros betont zeitgemäss. «Die ganze<br />
Bandbreite sexueller Orientierung harmoniert sehr gut miteinander.<br />
Entscheidend ist die Hausphilosophie nach den Idealen von Offenheit,<br />
Freundlichkeit und Toleranz», weiss der stellvertretende Geschäftsführer<br />
Marcel Morgenrot zu berichten. Und Mitinhaber Patrick verweist auf<br />
das «Kulturprogramm» <strong>im</strong> Barfüsser: «In der Lounge kann man kleine<br />
Events mit DJs und allem drum und dran buchen – egal, ob Geburtstagsoder<br />
Singleparties. Die gemischte Partybowle aus Hochprozentigem mit<br />
Früchtchen ist der absolute Renner!»<br />
Cranberry feiert das 15. Jubiläum<br />
Trendsicher und dennoch ur-schwul präsentiert sich <strong>im</strong> Niederdorf das<br />
neu ausstaffierte und mit den besten Cocktails der Stadt bestückte Cranberry,<br />
das am 19. Oktober sein 15-jähriges Jubiläum feiert. Mit Standfestigkeit<br />
und Zielsicherheit hat sich das Cranberry dem modernen schwulen<br />
Niederdorfleben angepasst. Und, so findet Petra: «Nach dem schicken<br />
Umbau ist das Cranberry in den letzten Jahren zur Nummer eins der noch<br />
existierenden Schwulenbars <strong>im</strong> Niederdorf mutiert. Es ist das Trendlokal<br />
vor allem auch bei jungen Schwulen ab 18 Jahren.» Neidlos schwärmt<br />
Scout Petra vor allem von der reichhaltigen Auswahl an exotischen Cocktails<br />
die unter Namen wie «Schlampe» firmieren. «Egal, ob schwul oder<br />
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