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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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talitätsgeschichte, Diskurstheorie; seit den 90er<br />

jahren begannen US-amerikanische Paradigmen,<br />

vielfach nur als Schlagworte, wirksam zu werden:<br />

New oder Material Philology, New Historicism_ In<br />

letzter Zeit drängen sich Vorstellungen von Kul­<br />

turwissenschaft oder Kulturwissenschaften hervor.<br />

Permanent mit all dem verbunden war und ist die<br />

Kanondiskussion. Was gehört überhaupt in den<br />

Aufgabenbereich der Literaturwissenschaft? Nur<br />

"hohe" oder auch Gebrauchs- und Trivialliteratur?<br />

Nur Geschriebenes oder auch Mündliches? Wohin<br />

gehört das, was in den elektronischen Medien zu<br />

sehen, zu hören, zu lesen ist? Die Diskussion ist<br />

lebendig, oft ärgerlich, nicht selten realitätsfern,<br />

ab und zu fruchtbar. Weder von einem allgemein<br />

akzeptierten methodischen Paradigma noch von<br />

einem allgemein akzeptierten Textkanon ist heute<br />

weit und breit etwas zu sehen.<br />

Der Öffentlichkeitsauftrag der Germanistik<br />

Dies ist indes nur die eine Seite. Die Öffentlichkeit<br />

sollte sich darum nicht kümmern, sie kümmert<br />

sich in der Regel auch nicht groß um die Interna<br />

anderer Wissenschaftsbereiche. Wichtig ist: alles<br />

in allem kommt die Germanistik, soweit ich sehe,<br />

ihrem Öffentlichkeitsauftrag durchaus nach. Die­<br />

ser Auftrag lautet:<br />

a. Ausbildung der benötigten Fachkräfte, d.h. des<br />

wissenschaftlichen Nachwuchses, der Deutschleh­<br />

rer der unterschiedlichen Schularten, der Biblio­<br />

thekare, Verlagslektoren, Theaterfachleute usw.,<br />

nicht zuletzt auch der Autoren - die Zeiten, in<br />

denen Autoren alles mögliche andere studiert ha­<br />

ben, nur nicht Germanistik, sind weitgehend vor­<br />

bei. Ob der Ausbildungsauftrag auch künftig noch<br />

verantwortungsbewußt wahrgenommen werden<br />

kann, ist freilich eine offene Frage. Die immer wei­<br />

tergehenden Stellenstreichungen, vor allem aber<br />

die Folgen des unsinnigen und zerstörerischen<br />

Bologna-Prozesses stimmen wenig optimistisch.<br />

Wird der überbürokratischen Umsetzung dieses<br />

Prozesses, bei der sich alle möglichen abartigen<br />

bildungspolitischen Phantasien austoben und<br />

wirtschaftliche Interessen von Privatfirmen aus<br />

dem Hintergrund die Strukturen steuern, nicht<br />

bald Einhalt geboten, sehe ich ziemlich schwarz.<br />

Was in den jahren nach 1968 nicht gelang - die<br />

Zerstörung fundierter wissenschaftlicher Ausbil­<br />

dung -, droht derzeit in deprimierender Weise.<br />

Aber das ist hier nicht mein Thema.<br />

b. Der zweite Auftrag an die Germanistik lautet:<br />

Betreuung und Lebendighalten des nationalen<br />

sprachlichen und literarischen Erbes. Das Erbe<br />

deutscher Sprache und Literatur, das bis in die<br />

Mitte des 8. jahrhunderts zurückreicht, wäre<br />

längst verschüttet, es wäre allenfalls unzurei­<br />

chend und bruchstückhaft zugänglich, wenn es<br />

nicht kompetente Menschen gegeben hätte und<br />

gäbe, die sich um seinen Erhalt und seine Pflege<br />

kümmerten. Die Sprachzeugnisse mußten und<br />

müssen gesammelt und erklärt werden, die Texte<br />

vielfach erst den Quellen, Handschriften und Dru­<br />

cken, abgerungen, sie müssen herausgegeben,<br />

oftmals übersetzt, erläutert, kommentiert und<br />

interpretiert werden. Die Aufgabe der philolo­<br />

gischen Betreuung gilt fortwährend und durchaus<br />

auch für Texte, die längst öffentlich zugänglich<br />

sind. Auch Ausgaben Lessings, Goethes oder<br />

Schillers müssen immer wieder auf ihre textliche<br />

Korrektheit hin überprüft werden, man muß<br />

dem Sinn einzelner Wörter oder Formulierungen<br />

nachgehen, sie müssen immer wieder erneut<br />

vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher<br />

Fragestellungen, aber auch aktueller öffentlicher<br />

Fragen kommentiert und interpretiert werden.<br />

Man darf bei der Pflege des sprachlichen und<br />

literarischen Erbes nicht nachlässiger sein als<br />

bei der überkommener musealer Gegenstände<br />

oder historischer Bauten. Wenn Sie heute einen<br />

Buchladen betreten und, vielleicht aus dem<br />

Reclam-Verlag, eine Erzählung Kafkas kaufen,<br />

so gehen Sie selbstverständlich davon aus, daß<br />

hinter dem bescheiden daherkommenden, preis­<br />

werten Buch gewaltige philologische Anstrengun­<br />

gen stehen, die Ihnen garantieren, daß der Text<br />

korrekt aus Kafkas nicht immer leicht lesbarer<br />

Handschrift übertragen wurde, wobei Zweifels­<br />

fälle angemerkt sind, und daß das Beiwerk von<br />

Kommentaren und Nachwort des Herausgebers<br />

Ihnen jede erdenkliche Verständnishilfe liefert.<br />

Interessieren Sie sich für einen mittelalterlichen<br />

Text, etwa das ,Nibelungenlied', so bietet Ihnen<br />

der Verlag für relativ wenig Geld nicht nur den<br />

sorgfältig herausgegebenen mittelhochdeutschen<br />

Text, einen ausführlichen Kommentar und ein<br />

interpretierendes Nachwort, sondern mit absolu­<br />

ter Selbstverständlichkeit auch eine kompetente<br />

Übersetzung in das heutige Deutsch. Von Grund<br />

auf finanzieren könnte kein Verlag derartige<br />

Unternehmungen: Bei den Herausgebern solcher

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