Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg
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Bücher handelt es sich in aller Regel um öffentlich<br />
Bedienstete, d.h. um Professoren, Privatdozenten,<br />
wissenschaftliche Assistenten, Studienräte, Bi<br />
bliothekare usw., um deren Lebensunterhalt der<br />
Verlag sich nicht zu kümmern braucht. Und oft<br />
entstehen solche Publikumsausgaben auf der<br />
Grundlage historisch-kritischer Ausgaben, die<br />
aufwendig, mit der nicht immer leicht zu ge<br />
winnenden Hilfe meist öffentlicher Geldgeber, in<br />
jahre- oder jahrzehntelanger und oft mühsamer<br />
Kleinarbeit erstellt werden. Solche Ausgaben sind<br />
gut für das wissenschaftliche Renommee der<br />
Herausgeber und der Verlage, ein Geschäft sind<br />
sie für niemanden - aber sie sind eine nationale<br />
Aufgabe, die im übrigen auch bis in die jüngste<br />
Zeit in Deutschland ernst genommen wurde.<br />
Die Edition der überlieferten Texte war immer und<br />
ist noch heute die wichtigste fachliche Aufgabe<br />
der Literaturwissenschaftier. Nur auf der Basis<br />
kontrollierter, gesicherter Texte läßt sich vernünf<br />
tig über Literatur reden. Der Wortlaut der Texte<br />
muß erklärt werden - heute nicht mehr übliche<br />
Wörter oder Wörter aus Sondersprachen, nicht<br />
mehr allgemein bekannte Sachen oder Sach<br />
verhalte müssen kommentiert und verständlich<br />
gemacht werden. Der Philologe ist der Wortbe<br />
deutung nach einer, der dem Wort zugetan ist, der<br />
es liebt_ Freilich darf und kann man - wie schon<br />
angedeutet - bei der Edition nicht stehen bleiben.<br />
Man muß auch das Verständnis der Texte offen<br />
halten, sie in größere historische und literarische<br />
Zusammenhänge einordnen. Deshalb verfassen<br />
Literaturwissenschaftier Dichtermonographien,<br />
Interpretationen, Lehrbücher, Handbücher, litera<br />
turgeschichten - sehr oft für ein breiteres Publi<br />
kum und oft auch in ansprechender sprachlicher<br />
Form. In übelwollenden Presseartikeln wird zwar<br />
immer wieder einmal behauptet, die Germanisten<br />
würden ein besonders schlechtes Deutsch schrei<br />
ben - und es gab und gibt Fachvertreter, auf die<br />
die Behauptung leider auch zutrifft - , aber zur<br />
ungeschriebenen Ruhmesgeschichte des Faches<br />
gehören auch zahlreiche Autoren, die durch<br />
ihre Darstellungskunst das Publikum zu fesseln<br />
vermögen _ Alles in allem: Jede Zeit hat ein Recht<br />
darauf, literarische Texte aus Vergangenheit und<br />
Gegenwart, das literarische Erbe, in angemes<br />
sener Weise zu lesen. In der Regel geht das nicht<br />
ohne die Fachleute_ Und vor diesem Hintergrund<br />
haben auch fachinterne Methodendiskussionen<br />
Essays<br />
- so abschreckend sie wirken mögen - durchaus<br />
ihre Berechtigung: Gestritten wird dabei letzten<br />
Endes um die Frage des angemessenen Verständ<br />
nisses der Texte.<br />
Das literarische Erbe als nationale Aufgabe<br />
Ich habe den Begriff des nationalen literarischen<br />
Erbes benutzt. Lassen Sie mich dazu am Schluß<br />
noch etwas Politisches sagen. Nach nicht nur<br />
meinem Eindruck gibt es derzeit kein Land auf<br />
der Welt, dessen Gebildete mit dem eigenen<br />
kulturellen Erbe öffentlich derart achtlos, ja<br />
verächtlich umgehen, wie das bei uns der Fall<br />
ist. Nach dem, was zwischen 1933 und 1945<br />
geschehen ist, möchten nicht wenige mit der<br />
eigenen Nation am liebsten nichts mehr zu tun<br />
haben. Viele fühlen sich ersatzweise als Europäer<br />
oder Weltbürger - was immer das sein soll -,<br />
obwohl sie die Annehmlichkeiten der eigenen<br />
Gesellschaft dennoch Tag für Tag gern in Anspruch<br />
nehmen. Patriotismus - das ist allenfalls noch<br />
etwas für grölende, besoffene Fußballfans. Die<br />
permanente Distanzierung vom eigenen Land,<br />
ja von der eigenen Sprache und Kultur wird<br />
nicht zuletzt von Ausländern mit Unverständnis<br />
und Verwunderung zur Kenntnis genommen,<br />
meist fühlen sie sich davon abgestoßen. Über<br />
rund 1000 Jahre hinweg blieben die Deutschen<br />
einander über alle temporären Grenzen so gut<br />
wie ausschließlich durch ihre Sprache und die<br />
damit zusammenhängende Kultur verbunden,<br />
unterschieden sie sich dadurch von anderen.<br />
Bekanntlich ist "Deutsch" ursprünglich die Be<br />
zeichnung für die Sprache des eigenen Volkes im<br />
Gegensatz zum "Welschen", der Sprache der Ro<br />
manen, mit denen man jahrhundertelang in einem<br />
gemeinsamen Reich zusammenlebte. Wird heute<br />
danach gefragt, was die Deutschen überhaupt<br />
zusammenhalten kann, dann ist bisweilen die<br />
Rede vom sogenannten Verfassungspatriotismus.<br />
Aber kann man als einzigen Zusammenhalt der<br />
Deutschen, so wie manche möchten, einzig und<br />
allein das Grundgesetz ansehen? Die allgemei<br />
nen Aussagen des Grundgesetzes sollten heute<br />
weltweit als Rechtsnormen gelten, sie sind nichts<br />
national Besonderes. Was andere Teile angeht,<br />
so ist das Grundgesetz leider 1990/91, als dies<br />
angebracht gewesen wäre, nicht durch eine neue<br />
Verfassung ersetzt worden. Andere meinen und<br />
propagieren, ausschließlich die aus dem Ho-<br />
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