52 Thinking the Future IV „Temporäre Bauten sind stets Laboratorien, an denen neue Methoden und Materialien erprobt werden können. Sie lassen uns ahnen, was alles möglich ist.“ Julia Peyton-Jones 2001 Daniel Libeskind Achtzehn mit Aluminium verkleidete Rhomben, die auf eine hölzerne Plattform montiert wurden. Ein geometrischer Zickzackkurs, von den Besuchern „Euclid on Acid“ getauft. FOTO: 2007 HÉLÈNE BINET, DANIEL LIBESKIND WITH ARUP. PAVILION SERPENTINE GALLERY 2001
Peter Zumthor ist einer der ganz großen Architekten unserer Zeit. Einer, der in einer Reihe steht mit Jean Nouvel, Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Frank Gehry, Rem Koolhaas, Oscar Niemeyer oder SANAA. Einen Unterschied aber gibt es: Zumthor hat noch nie in London etwas gebaut, die Genannten jeweils mindestens ein Gebäude. Jetzt holt er auf: Der Schweizer Architekt durfte den diesjährigen Sommerpavillon der Serpentine Gallery im Londoner Hyde Park entwerfen. Und hat sich damit eingereiht in die Liste der prominenten Bau-Avantgardisten, die hier im Herzen Londons ihre Visitenkarte abgeben durften. Die für jeweils drei Monate – denn nur so lange steht der Pavillon – zeigen durften, was ihnen einfällt, wenn es keine bürokratischen Planungszwänge und keine nörgelnden Bauherren gibt; wenn sie auf dem grünen Rasen neben der Galerie nach Herzenslust experimentieren und Grenzen hinterfragen können. Denn das ist die Idee des Sommerpavillons: „Kurzlebige Strukturen sind klein, aber sie vermitteln die Formensprache ihrer Designer ebenso deutlich wie deren permanente Projekte. Sie sind Laboratorien, an denen neue Methoden und Materialien erprobt werden können. Sie lassen uns ahnen, was alles möglich ist“, sagt Julia Peyton-Jones, seit 1991 Direktorin der Galerie. „Nicht zuletzt geht es auch darum, die Diskussion um zeitgenössische Architektur in eine positive Richtung zu lenken.“ So sind die Sommerpavillons zu einem Highlight im Londoner Kulturkalender geworden. Die besten Baumeister reißen sich um die Aufgabe. Julia Peyton-Jones muss nicht lange bitten, illustre Namen zu gewinnen. Die Pavillons sind ein Blick in die Zukunft. Ein Denkanstoß für Stadtplaner, Unternehmer und Politiker. Sie sind ihrer (jeweiligen) Zeit voraus – und im Rückblick eine Bestandsaufnahme der vergangenen Zukunft. Im Jahr 2000 hatte Julia Peyton-Jones die Idee, die Grünfl äche neben der Galerie jeden Sommer zu einer Plattform für namhafte Architekten zu machen. Das Briefi ng, das bis heute für alle gilt: in sechs Monaten ein „begehbares Kunstwerk“ von 300 Quadrat metern zu entwerfen und zu bauen. Sein zentraler Innenraum soll tagsüber als Café und abends als Rahmen für Konzerte, Filmvorführungen oder Diskussionen dienen. Die einzige Voraussetzung ist stets, dass die Teilnehmer bislang noch nicht in der britischen Hauptstadt gebaut hatten. Das Budget ist klein. Material wird von Unternehmen aus der Baustoff branche, die sich neben zahlreichen Privatpersonen und anderen Firmen unter den Sponsoren fi nden, kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Pavillons eröff nen im Juli und bleiben drei Monate lang stehen. Den Stararchitekten sind die Bedingungen ein echter Ansporn, sie können ihrer Kreativität freien Lauf lassen, Neues wagen, spielen, ausprobieren – auch die Reaktionen des Publikums. Zaha Hadid, die Queen des geometrischen Extremismus, machte zur Jahrtausendwende den Anfang: mit einem schlichten Zelt mit asymmetrisch geschnittenem Segeltuchdach, gehalten von Stahlträgern. Daniel Libeskind präsentierte 2001 achtzehn mit Aluminium verkleidete Rhomben, die auf eine hölzerne Plattform montiert wurden. Ein geometrischer Zickzackkurs, von den Besuchern etwas spöttisch „Euclid on Acid“ („Euklid auf LSD“) getauft. 2002 war Toyo Itos schlichter kubischer Bau aus Stahl und Glas, dessen prismenartige Gestaltung der Wände immer neue Ein- und Durchblicke ermöglichte, ein großer Publikumserfolg. Oscar Niemeyer stellte 2003 die Wände seines Pavillons aus Stahl, Aluminium, Beton und Glas schräg, legte sie in Wellen und gab dem Vordach eine geschwungene Linie. Seine goldene Regel: „Jedes Projekt, ob groß oder klein, sollte in einer simplen Zeichnung erfasst werden können.“ Rem Koolhaas entwarf 2006 einen aufblasbaren Heißluftballon aus lichtdurchlässigem Nylon, Olafur Eliasson und Kjetil Thorsen im Jahr danach einen runden, 15 Meter hohen Baukörper, an dessen Außenseite sich eine von weißen Nylonseilen eingefasste Rampe spiralförmig nach oben wand und die Besucher in Augenhöhe mit den Baumwipfeln des Parks brachte. Frank Gehry schuf eine Konstruktion aus Holzbohlen und Glasfl ächen, die in verschiedene diagonale Richtungen angeordnet war. 20<strong>09</strong> bezauberte das japanische Architekturbüro SANAA mit einem Gebilde aus feder- 53