28.02.2012 Aufrufe

New Spaces_09_DE

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

„ Viele finden es schwer, nichtstandardisierte<br />

Formen zu akzeptieren. Ich glaube, wir müssen die<br />

digitale Revolution um uns herum auch architektonisch<br />

vorantreiben und eine neue Ära schaffen.“<br />

Gehry will am Elfenbeinturm nicht Hand anlegen, wohl aber<br />

Chris Bosse, zusammen mit Thomas Wallisser Gründer von<br />

LAVA. Das Duo mit Büros in Stuttgart, Sydney, Abu Dhabi und<br />

Schanghai ist keineswegs nur der Theorie verhaftet. Der in<br />

Sydney arbeitende Bosse ist mit noch nicht einmal 40 Jahren<br />

der Kopf hinter einigen der interessantesten Architekturprojekten<br />

in Asien und Australien. Das bekann tes te ist wohl der<br />

blaue Würfel des für die Pekinger Olympischen Spiele errichteten<br />

Schwimmzentrums. Für die an gigantische Luft polsterfolie<br />

erinnernde Zellularstruktur des „Water Cube“ erhielt Bosse auf<br />

der Biennale in Venedig den Atmosphere Award.<br />

Das Royal Institute of British Architects (RIBA) kürte Bosse mit<br />

dem AR Emerging Architecture Award mit der Begründung,<br />

dass er mit seiner experimentellen Formenfi ndung „die Grenzen<br />

von Struktur und Architektur“ verschiebe. Das renommierte Institut<br />

meint Projekte wie Masdar City, die CO2-neutrale Stadt südlich<br />

von Abu Dhabi (siehe Seite 38), deren City Center aus der<br />

Werkstatt von Bosse und Team stammt. Damit auch in der Wüstenhitze<br />

ein komfortabler Ort im Freien entstehen konnte, überspannte<br />

LAVA die Plätze und Wege mit Sonnenschirmen der<br />

dritten Generation. Auch hier kamen wie beim Water Cube<br />

Bosses Membrantechnik sowie neueste Baumaterialien zur<br />

Anwendung: Die Schirme entfalten sich wie Blumen im Morgengrauen,<br />

um tagsüber Schatten zu spenden, abends schließen<br />

sie sich wieder, damit der Platz abkühlen kann. Solarmodule in<br />

den Schirmen produzieren Elektrizität, nachts sorgen LEDs für<br />

sanfte Beleuchtung. „90 Prozent der nachhaltigen Qualitäten<br />

eines Gebäudes haben mit gutem Design zu tun und nicht mit<br />

Technik“, sagt Chris Bosse. Was nicht darüber hinwegtäuschen<br />

sollte, dass er Technologie liebt: „Wir sind die erste Generation<br />

von Architekten, die voll digital aufgewachsen ist, und für mich<br />

ist der Computer mehr als ein Hilfsmittel, er ist mein Designpartner.“<br />

Digitale Prozesse sorgen für ihn dafür, dass man „heute<br />

besser und günstiger gestalten und bauen kann, ohne im<br />

rechten Winkel verhaftet bleiben zu müssen“. Eine Tower Skin<br />

für den Broadway Tower ist dafür ein gutes Beispiel: Ein Neubau<br />

würde 150 Millionen australische Dollar kosten, die Verwandlung<br />

via Kompositmaterial sei dagegen für ein Zehntel dieses<br />

Preises zu haben. Aber versteckt er damit nicht einfach<br />

einen dysfunktionalen Kasten hinter einem hübscheren Gesicht?<br />

Von seinem Büro aus kann Bosse den UTS Tower se-<br />

hen, seine Finger spielen mit einem Modell des „Green Void“,<br />

einer Rauminstallation für eine Architekturausstellung in Sydney.<br />

Auch Green Void lebt von der Membran – und der Informationstechnik:<br />

An fünf Aufhängungs punkten wurde Lycra auf dem vom<br />

Computer berechneten kürzesten Weg zu einer minimalen<br />

Oberfl äche verspannt. Das Ergebnis sieht kompliziert aus, ist<br />

aber relativ simpel. Gemacht hat Bosse das Projekt nicht zuletzt,<br />

um die Kon servativen zu provozieren, für die nur Mies van der<br />

Rohe oder Le Corbusier ernstzunehmende Architekten waren:<br />

„Viele fi nden es schwer, nichtstandardisierte Formen zu akzeptieren.<br />

Ich glaube, wir müssen die digitale Revolution um uns<br />

herum auch architektonisch vorantreiben und eine neue Ära<br />

schaff en.“ „Hübsch machen“ reiche dabei einfach nicht, LAVA<br />

suche vielmehr nach integrierten Anworten auf die Fragen des<br />

21. Jahrhunderts, in dem die wachsende Bevölkerung immer<br />

dichter zusammenlebt. Mehr als das alte Credo von „form follows<br />

function“ interessiert Bosse „integriertes Denken: Ökologisch<br />

zu bauen ist sowieso der Anspruch, aber man muss auch<br />

Verkehrsplanung, soziale und kulturelle Aspekte mitdenken.“<br />

Beispielsweise für die UTS: Das ist für technische und kreative<br />

Berufe die beste Universität im Lande und vereint Disziplinen wie<br />

Ingenieurwissenschaften, Architektur, Fashion-, Produkt- und<br />

Mediendesign unter einem Dach. Da liege es doch nahe, all dieses<br />

Wissen zur Transformation eines ungeliebten Baus zu nutzen.<br />

So gesehen ist Tower Skin für Bosse schon fast eine philosophische<br />

Aufgabe. „Mies hat gesagt: ‚Weniger ist mehr‘; ich<br />

sage lieber: ‚Mehr mit weniger‘. Wir müssen der fortschreitenden<br />

Urbanisierung etwas entgegenhalten und nicht einfach<br />

immer nur mehr Rohstoff e und Energie verbrauchen, sondern<br />

weniger.“ Bosse fi ndet es daher oft spannender, bestehende<br />

Strukturen an den ständigen Wandel im übrigen Leben anzupassen.<br />

„Wir haben nun vier Generationen iPhone in drei Jahren<br />

erlebt, doch Gebäude stehen oft 200 Jahre. Ich denke über zukunftsoff<br />

ene Architektur nach, also über die Frage, wie man<br />

Strukturen schaff en kann, die sich kontinuierlich an die Gegenwart<br />

anpassen lassen.“ Der UTS Tower war zum Zeitpunkt<br />

seiner Entstehung tatsächlich Stand der Technik. Doch inzwischen<br />

ist klar, dass Menschen nicht gern in vollklimatisierten,<br />

hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Gebäuden arbeiten.<br />

„Wenn wir aber immer nur einreißen, müssten wir akzeptieren,<br />

dass Städte konstante Baustellen sind“, meint Bosse. Transformation<br />

fi ndet er schlicht intelligenter. ¤<br />

Weitere Informationen<br />

www.l-a-v-a.net<br />

http://l-a-v-a.blogspot.com<br />

9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!