New Spaces_09_DE
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„ Viele finden es schwer, nichtstandardisierte<br />
Formen zu akzeptieren. Ich glaube, wir müssen die<br />
digitale Revolution um uns herum auch architektonisch<br />
vorantreiben und eine neue Ära schaffen.“<br />
Gehry will am Elfenbeinturm nicht Hand anlegen, wohl aber<br />
Chris Bosse, zusammen mit Thomas Wallisser Gründer von<br />
LAVA. Das Duo mit Büros in Stuttgart, Sydney, Abu Dhabi und<br />
Schanghai ist keineswegs nur der Theorie verhaftet. Der in<br />
Sydney arbeitende Bosse ist mit noch nicht einmal 40 Jahren<br />
der Kopf hinter einigen der interessantesten Architekturprojekten<br />
in Asien und Australien. Das bekann tes te ist wohl der<br />
blaue Würfel des für die Pekinger Olympischen Spiele errichteten<br />
Schwimmzentrums. Für die an gigantische Luft polsterfolie<br />
erinnernde Zellularstruktur des „Water Cube“ erhielt Bosse auf<br />
der Biennale in Venedig den Atmosphere Award.<br />
Das Royal Institute of British Architects (RIBA) kürte Bosse mit<br />
dem AR Emerging Architecture Award mit der Begründung,<br />
dass er mit seiner experimentellen Formenfi ndung „die Grenzen<br />
von Struktur und Architektur“ verschiebe. Das renommierte Institut<br />
meint Projekte wie Masdar City, die CO2-neutrale Stadt südlich<br />
von Abu Dhabi (siehe Seite 38), deren City Center aus der<br />
Werkstatt von Bosse und Team stammt. Damit auch in der Wüstenhitze<br />
ein komfortabler Ort im Freien entstehen konnte, überspannte<br />
LAVA die Plätze und Wege mit Sonnenschirmen der<br />
dritten Generation. Auch hier kamen wie beim Water Cube<br />
Bosses Membrantechnik sowie neueste Baumaterialien zur<br />
Anwendung: Die Schirme entfalten sich wie Blumen im Morgengrauen,<br />
um tagsüber Schatten zu spenden, abends schließen<br />
sie sich wieder, damit der Platz abkühlen kann. Solarmodule in<br />
den Schirmen produzieren Elektrizität, nachts sorgen LEDs für<br />
sanfte Beleuchtung. „90 Prozent der nachhaltigen Qualitäten<br />
eines Gebäudes haben mit gutem Design zu tun und nicht mit<br />
Technik“, sagt Chris Bosse. Was nicht darüber hinwegtäuschen<br />
sollte, dass er Technologie liebt: „Wir sind die erste Generation<br />
von Architekten, die voll digital aufgewachsen ist, und für mich<br />
ist der Computer mehr als ein Hilfsmittel, er ist mein Designpartner.“<br />
Digitale Prozesse sorgen für ihn dafür, dass man „heute<br />
besser und günstiger gestalten und bauen kann, ohne im<br />
rechten Winkel verhaftet bleiben zu müssen“. Eine Tower Skin<br />
für den Broadway Tower ist dafür ein gutes Beispiel: Ein Neubau<br />
würde 150 Millionen australische Dollar kosten, die Verwandlung<br />
via Kompositmaterial sei dagegen für ein Zehntel dieses<br />
Preises zu haben. Aber versteckt er damit nicht einfach<br />
einen dysfunktionalen Kasten hinter einem hübscheren Gesicht?<br />
Von seinem Büro aus kann Bosse den UTS Tower se-<br />
hen, seine Finger spielen mit einem Modell des „Green Void“,<br />
einer Rauminstallation für eine Architekturausstellung in Sydney.<br />
Auch Green Void lebt von der Membran – und der Informationstechnik:<br />
An fünf Aufhängungs punkten wurde Lycra auf dem vom<br />
Computer berechneten kürzesten Weg zu einer minimalen<br />
Oberfl äche verspannt. Das Ergebnis sieht kompliziert aus, ist<br />
aber relativ simpel. Gemacht hat Bosse das Projekt nicht zuletzt,<br />
um die Kon servativen zu provozieren, für die nur Mies van der<br />
Rohe oder Le Corbusier ernstzunehmende Architekten waren:<br />
„Viele fi nden es schwer, nichtstandardisierte Formen zu akzeptieren.<br />
Ich glaube, wir müssen die digitale Revolution um uns<br />
herum auch architektonisch vorantreiben und eine neue Ära<br />
schaff en.“ „Hübsch machen“ reiche dabei einfach nicht, LAVA<br />
suche vielmehr nach integrierten Anworten auf die Fragen des<br />
21. Jahrhunderts, in dem die wachsende Bevölkerung immer<br />
dichter zusammenlebt. Mehr als das alte Credo von „form follows<br />
function“ interessiert Bosse „integriertes Denken: Ökologisch<br />
zu bauen ist sowieso der Anspruch, aber man muss auch<br />
Verkehrsplanung, soziale und kulturelle Aspekte mitdenken.“<br />
Beispielsweise für die UTS: Das ist für technische und kreative<br />
Berufe die beste Universität im Lande und vereint Disziplinen wie<br />
Ingenieurwissenschaften, Architektur, Fashion-, Produkt- und<br />
Mediendesign unter einem Dach. Da liege es doch nahe, all dieses<br />
Wissen zur Transformation eines ungeliebten Baus zu nutzen.<br />
So gesehen ist Tower Skin für Bosse schon fast eine philosophische<br />
Aufgabe. „Mies hat gesagt: ‚Weniger ist mehr‘; ich<br />
sage lieber: ‚Mehr mit weniger‘. Wir müssen der fortschreitenden<br />
Urbanisierung etwas entgegenhalten und nicht einfach<br />
immer nur mehr Rohstoff e und Energie verbrauchen, sondern<br />
weniger.“ Bosse fi ndet es daher oft spannender, bestehende<br />
Strukturen an den ständigen Wandel im übrigen Leben anzupassen.<br />
„Wir haben nun vier Generationen iPhone in drei Jahren<br />
erlebt, doch Gebäude stehen oft 200 Jahre. Ich denke über zukunftsoff<br />
ene Architektur nach, also über die Frage, wie man<br />
Strukturen schaff en kann, die sich kontinuierlich an die Gegenwart<br />
anpassen lassen.“ Der UTS Tower war zum Zeitpunkt<br />
seiner Entstehung tatsächlich Stand der Technik. Doch inzwischen<br />
ist klar, dass Menschen nicht gern in vollklimatisierten,<br />
hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Gebäuden arbeiten.<br />
„Wenn wir aber immer nur einreißen, müssten wir akzeptieren,<br />
dass Städte konstante Baustellen sind“, meint Bosse. Transformation<br />
fi ndet er schlicht intelligenter. ¤<br />
Weitere Informationen<br />
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http://l-a-v-a.blogspot.com<br />
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