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Sommer - Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland

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Theaterspielen ist Lebensschulung<br />

Da jeder Unterricht in erster Linie der Lebensvorbereitung zu dienen hat, stellt sich<br />

hier die Frage, wie denn das Theaterspielen auf das Leben vorbereitet. Lebensvorbereitung<br />

findet in jedem Alter auf entsprechende Art statt.<br />

Von eigentlichem Theaterspielen kann im ersten Jahrsiebt noch keine Rede sein.<br />

Dazu fehlen Selbstbewusstsein und die Fähigkeit der Selbstbeobachtung. Das Kind<br />

kann sich noch nicht als Individualität anderen Individualitäten gegenüberstellen.<br />

Kindliches »Theaterspielen» ist also kein Rollengestalten und Interpretieren, sondern<br />

eher ein Zustand des Kindseins. Das Kind spielt einfach in einem entsprechenden<br />

Lebensbereich der Natur oder einer Erzählung. Schon der eventuell täglich ausgeführte<br />

Reigen ist so ein Spiel-Raum, wenn die Klassengemeinschaft z. B. einen<br />

Naturkreislauf so nachbildet, dass die Kinder Teil der Umwelt selber werden. Es ist<br />

eine Art gespielter Naturkunde, mit dem Ziel, die Natur nicht als Wissensstoff, sondern<br />

mit sich verwandt zu erleben. Der Makrokosmos Natur wird in Verbindung mit<br />

dem Mikrokosmos Mensch gebracht.<br />

In den ersten Schuljahren können neben Reigen auch Märchenspiele, Legendenspiele<br />

oder Spiele zu historischen Figuren, wie z. B. Franz von Assisi, stattfinden. Noch<br />

immer ist das kein dramatisches Gestalten, vor allem in den ersten zwei bis drei<br />

Schuljahren. Die Gestaltung gibt der Lehrer vor, fast bis in jeden Schritt und in jede<br />

Handbewegung. Wie schon im ersten Jahrsiebt steht das Erleben der Inhalte zuvorderst,<br />

das heisst die geistig-seelische »Natur» der dargestellten Personen. Mit archetypischen<br />

Seeleneigenschaften der Personen, mit ihren positiven, höheren menschlichen<br />

Eigenschaften identifizieren sich unbewusst die spielenden Kinder.<br />

Ist das Kind im ersten Jahrsiebt noch eins mit der Umgebung, so entwickelt es im<br />

zweiten Jahrsiebt eine starke Empfindung für die Dinge, Menschen und Zusammenhänge,<br />

analysiert diese aber noch nicht intellektuell. Ganz besonders in der Kindheitsmitte,<br />

vom 9. bis zum 12. Lebensjahr, ist diese Empfindung sehr stark. Die Seele<br />

ist auf dem Weg, sich nach und nach in den Leib zu inkarnieren, was schubweise<br />

und rhythmisch geschieht. Die Seele schwingt hinein und hinaus, inkarniert sich und<br />

löst sich wieder. Manchmal sind die Kinder in Moll gestimmt, manchmal wieder in<br />

Dur, manchmal werden sie pubertierend und abweisend, manchmal sind sie kleinkindlich<br />

vertrauensvoll und anlehnungsbedürftig. Das Kind befindet sich in einem<br />

ausgeglichenen Zustand zwischen mythologischem Weltempfinden und materiellem<br />

Realismus. – Im Theater-Rollenspiel erlebt das Kind die reiche Palette der menschlichen<br />

Seeleneigenschaften, die in den Darstellungsmöglichkeiten stecken, aber nur<br />

dann, wenn der Regisseur oder Lehrer die entsprechende Einheit von Textinhalt,<br />

Sprechen, Gestik, Mimik usw. stimmig vormachen kann. Das Kind kann die seelischen<br />

Regungen schon nachempfinden und ein Stück weit beobachten und ausdrücken,<br />

aber noch nicht selbst aus sich heraus gestalten. Es ist noch ganz auf die Führung<br />

von aussen angewiesen. Zugleich empfindet es sich nicht mehr als Glied eines<br />

Ganzen, sondern bereits als Subjekt, als Individualität. Und darum erlebt es die Seelenregungen<br />

der Theaterpersonen zugleich auch bei sich, als in der eigenen Persönlichkeit<br />

wirkend. Dies weckt bereits die aufkeimende Fähigkeit, komplexe Situationen<br />

gefühlsmässig zu erfassen und Zusammenhänge zu empfinden. Dies ist eine<br />

unermesslich wichtige Grundlage für die Entwicklung eines gesunden, lebensvollen<br />

Denkens in späteren Jahren.<br />

Wirkliches Schauspielen kann erst mit der Vorpubertät, also mit zwölf, dreizehn Jahren,<br />

beginnen. Was ist die Voraussetzung dazu? Wenn <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> vom Freiwerden<br />

des Astralleibes spricht, so ist damit ausgedrückt, dass mit dem Hineinsenken der<br />

Seele in den Leib die Eigenschaften und Kräfte von Seelischem bewusst werden und<br />

damit langsam zur freien Verfügung stehen. Die ganze Bandbreite von Seelischem<br />

taucht im mehr oder weniger wachen Bewusstsein auf. Neue Fähigkeiten erwachen<br />

dabei. Dieser Prozess der Verinnerlichung hat zur Folge, dass der junge Mensch auf<br />

sich selber zurück geworfen wird, sich seelisch abnabelt. Man fühlt sich in dieser<br />

erwachten Seelenwelt noch nicht heimisch, man kann mit den neuen Möglichkeiten<br />

noch nicht richtig umgehen, was grosse Unsicherheit gegenüber der Umwelt zur Folge<br />

hat. Man fühlt sich seelisch ausgestellt und beobachtet, darum möchte man sich<br />

vor der ganzen Welt verstecken, oder man setzt eine coole Maske auf und tut so, als<br />

ob einen nichts berühre, als ob man über allem stehe. Mit seinen eigenen Gefühlen<br />

kann man noch nicht sachlich umgehen, und man wird von diesen überrollt, bedrängt,<br />

bestimmt. Dadurch hat alles, was einen selber betrifft, die Tendenz zur Dramatik.<br />

Die Urteile über Situationen sind also sehr stark von subjektivem Empfinden<br />

und dadurch von Sympathie oder Antipathie geprägt, schwarz-weiss. Mythologisch<br />

gesprochen sind es die dionysischen Kräfte, die dem Menschen seine subjektive<br />

Individualität bewusst machen, ihn gewissermassen von der objektiven apollinischen<br />

Führung loslösen und in die seelische Freiheit stellen. Der Mensch tritt mit<br />

diesem Befreiungsprozess langsam aus dem Dasein eines geführten Naturwesens in<br />

das Dasein eines Kulturwesens, das sich nach und nach selber zu diesem erziehen<br />

soll. Es sind auch die Kräfte in der menschlichen Seele, die dem Menschen die Möglichkeit<br />

der künstlerischen Tätigkeit geben, einer kreativen Tätigkeit, in der der<br />

Mensch zum Schöpfer werden kann, also gottähnlich.<br />

Beim Erfüllen einer schauspielerischen Rolle erhält nun der junge Mensch die Möglichkeit<br />

und Aufgabe, seine Gefühle in objektiver Weise an der Rolle zu üben, diese<br />

möglichst in sich stimmig auszufüllen, unabhängig von eigenen Vorlieben, Wünschen,<br />

Vorstellungen. Ziel des Darstellens ist, in jedem Augenblick des Auf-der–Bühne-Stehens<br />

den seelischen Gehalt einer Aussage oder auch nur eines stummen pas-<br />

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